1 Anstelle einer Einleitung: Der Diskurs über die Pisa-Studie
Noch immer befindet sich die Bundesrepublik in den Nachwehen der Pisa-Studie 1 , deren
Ergebnisse im Dezember 2001 veröffentlicht wurden und Deutschland mit der Tatsache
konfrontierten, bei diesem internationalen Vergleich lediglich im unteren Mittelfeld
gelandet zu sein. In allen drei Kompetenzbereichen lagen die getesteten deutschen Schüler 2
unter dem Durchschnitt (OECD, 2002:165). Dabei stand bei dem im Jahr 2000
durchgeführten ersten Erhebungszyklus die Untersuchung der Lesekompetenz 3 in
Mittelpunkt und hier erreichten die deutschen Jugendlichen besonders schlechte Resultate:
Rund zwanzig Prozent [...] erreichen bei der Lesekompetenz lediglich die niedrigste Leistungsstufe. Diesen Schülern fehlt weitgehend die Fähigkeit, komplizierte Texte zu erfassen. Sie sind dadurch kaum in der Lage, schwierige mathematische oder naturwissenschaftliche Sachverhalte zu verstehen (OECD, 2002:415).
Diese Ergebnisse waren Auslöser einer enormen öffentlichen Diskussion um das deutsche
Bildungswesen, die mehrere Monate lang die Titelseiten der deutschen Presselandschaft
beherrschte und auch heute noch, mehr als ein Jahr später, in den Medien präsent ist. Die
Schuldigen für die Misere wurden bald gefunden, von den Politikern wie auch von den
Medien: Der hohe Anteil an Migrantenkindern in bundesdeutschen Schulklassen, im
Schuljahr 2001/02 waren dies insgesamt 9,7 Prozent, sei verantwortlich für das schlechte
Abschneiden Deutschlands und vor allem für die diagnostizierte Leseschwäche der
deutschen Jugendlichen, da diese ‚ausländischen‘ Kinder nur mangelnde
Deutschkenntnisse vorzuweisen hätten 4 . Diese bereits seit den ersten Einwanderungs-
wellen in den 1960ern diskutierte Sprachproblematik, zuerst der so genannten Gastarbeiter [...]
Inhaltsverzeichnis
- Anstelle einer Einleitung: Der Diskurs über die Pisa-Studie
- Problemstellung
- Motivation, Gliederung und Ziele der Arbeit
- Aufbau der Arbeit
- Methodik und besondere Probleme
- Zweisprachigkeit - definition impossible?
- Wer oder was ist bilingual?
- Die Dimensionen der Zweisprachigkeit
- Bilingualismus im Elite- versus Migrationskontext
- Prestige der Sprachen
- Additiver und subtraktiver Bilingualismus
- Zweisprachigkeit – Fluch oder Segen für die kindliche Entwicklung?
- Cummins und die Schwellenhypothese
- Werdegang
- Die Bedeutung der soziokulturellen Faktoren
- Die Schwellenhypothese
- Ist die Schwellenhypothese eine Hypothese?
- Weitere Entwicklungen und die Einordnung der Hypothese
- Die Interdependenz-Hypothese und die BICS/CALP-Dichotomie
- Die Schwellenhypothese – Rezeption, Implikationen, Missverständnisse
- Die Rezeption in Sekundärliteratur und Forschung
- Sekundärliteratur
- Forschung
- Implikationen und Einflussnahmen
- Verhältnis von Theorie und Praxis
- Praktische Anwendung der Schwellenhypothese?
- Implikationen des theoretischen Bezugsrahmens
- Missinterpretationen und Verwechslungen in der Rezeption
- Vermischung der beiden Hypothesen
- Sonstige Mängel in der Rezeption
- Falsche Interpretation oder missverständliche Aussagen?
- Zwischenfazit
- Die Rezeption in Sekundärliteratur und Forschung
- Kritik an der Schwellenhypothese
- Allgemeine Verbindung zwischen Kognition und Denken
- Cummins Verwendung von Kognition
- Kognition und Sprache
- Hintergrund der Fragestellung
- Methodologische Kritik
- Allgemeine Methodenprobleme der Bilingualismusforschung
- Kognitive Vorteile durch Zweisprachigkeit – was beweisen die Studien?
- Die Problematik der language proficiency in der Schwellenhypothese
- Edelskys Kritik
- Martin-Jones und Romaines Kritik
- MacSwans Kritik
- Semilingualismus
- Kritik an Cummins' Verwendung innerhalb der Schwellenhypothese
- Belege für die Aktualität der Diskussion
- Weitere Kritiken
- Allgemeine Verbindung zwischen Kognition und Denken
- Neue interdisziplinäre Lösungsansätze – ein Ausblick
- Connectionism neue Erkenntnisse über Lernprozesse
- Siebert-Ott - das Konzept der kulturellen Distanz
- Schlussfolgerungen und die Auswirkungen der Pisa-Studie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit untersucht die Schwellenhypothese von Jim Cummins, die einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Sprachkompetenz und der kognitiven Entwicklung von bilingualen Schülern postuliert. Die Arbeit analysiert die Rezeption der Hypothese in der Sekundärliteratur und Forschung, beleuchtet methodologische Kritikpunkte und stellt neue interdisziplinäre Lösungsansätze vor.
- Rezeption und Kritik der Schwellenhypothese
- Methodologische Herausforderungen in der Bilingualismusforschung
- Zusammenhänge zwischen Sprachkompetenz, kognitiver Entwicklung und bilingualer Bildung
- Neue interdisziplinäre Ansätze in der Sprachlernforschung
- Der Einfluss der Pisa-Studie auf den Diskurs über bilinguales Lernen
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel führt in den Diskurs über die Pisa-Studie ein und zeigt die Relevanz des Themas für die deutsche Bildungslandschaft auf.
- Kapitel 2 definiert die Problemstellung der Arbeit, erläutert die Motivation, Gliederung und Ziele der Arbeit und beschreibt die Methodik.
- Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Begriff der Zweisprachigkeit, analysiert dessen Vielschichtigkeit und beleuchtet die unterschiedlichen Dimensionen des Bilingualismus, insbesondere im Kontext von Elite- und Migrationsgesellschaften.
- Kapitel 4 stellt die Schwellenhypothese von Jim Cummins vor, erklärt deren Entstehung und Relevanz und geht auf die Verbindung von Sprachkompetenz und kognitiver Entwicklung bei bilingualen Schülern ein.
- Kapitel 5 untersucht die Rezeption der Schwellenhypothese in Sekundärliteratur und Forschung. Es werden Implikationen und Einflussnahmen der Hypothese auf die Praxis beleuchtet und verschiedene Missverständnisse und Verwechslungen in der Rezeption aufgezeigt.
- Kapitel 6 widmet sich der Kritik an der Schwellenhypothese und analysiert methodologische Schwächen, verschiedene Kritikpunkte an der Operationalisierung von Sprachkompetenz und den Einfluss des Konzepts des Semilingualismus.
- Kapitel 7 gibt einen Ausblick auf neue interdisziplinäre Lösungsansätze und stellt neue Erkenntnisse aus der Connectionism-Forschung und dem Konzept der kulturellen Distanz vor.
Schlüsselwörter
Schwellenhypothese, Bilingualismus, Zweisprachigkeit, Sprachkompetenz, kognitive Entwicklung, Bildungsforschung, Pisa-Studie, Migrationsgesellschaft, Interdependenz-Hypothese, BICS/CALP-Dichotomie, Semilingualismus, Connectionism, kulturelle Distanz.
- Quote paper
- Evelyn Naudorf (Author), 2003, Bilingualismus, Migration und Schulbildung: Die Schwellenhypothese, neue Erkenntnisse und Zusammenhänge mit verwandten linguistischen Disziplinen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21066