Ursachen der geringen Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg


Bachelorarbeit, 2012

41 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

I. Einleitung

II. Theoretische Verortung
a. Untersuchungsgegenstand und -zeitraum
b. Forschungsstand
c. Definitionen
d. Beeinflussung der Wahlbeteiligung durch sozio-strukturelle Faktoren

III. Empirischer Teil: Ursachenforschung für die geringe Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen 2004 und 2009 in Brandenburg
a. Das Merkmal „Geschlecht“ als Erklärungsfaktor der Wahlbeteiligung
b. Wahlbeteiligung und das Merkmal „Alter“: Politisch uninteressierte Jugend und wahlmüde Alte?
c. Wahlbeteiligung und das Merkmal „Familienstand“: Singles, Geschiedene und Verwitwete als Ursache einer geringen Wahlbereitschaft der Bevölkerung?
d. Regionale Unterschiede - Wahlbeteiligung und der sozio-geographischer Faktor
e. Der sozio-ökonomische Status als Erklärungsmuster der Wahlbeteiligung
i. Wahlbeteiligung und das Merkmal „Bildungsgrad“: Landtagswahlen alleinig das Projekt von höher Gebildeten?
ii. Wahlbeteiligung und das Merkmal „Berufsstatus“: Vom wahlfernen Arbeitern und wahlhungrigen Selbstständigen
iii. Wahlbeteiligung und das Merkmal „Einkommen“: Wohlhabende Wähler und arme Nichtwähler

IV. Fazit: Die sozio-strukturellen Faktoren als maßgebliche Einflussfaktoren der Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg

V. Literatur- und Quellenverzeichnis

Anhang

Abbildungen

Tabellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Wahlbeteiligung an den Landtagswahlen am 19. September 2004 und am 27. September 2009 nach Altersgruppen

Abbildung 2 Wahlbeteiligung an der Landtagswahl am 19. September 2004 nach Landtagswahlkreisen

Abbildung 3 Wahlbeteiligung an der Landtagswahl am 27. September 2009 nach Landtagswahlkreisen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Wahlbeteiligung an den Landtagswahlen am 19. September 2004 und am 27. September 2009 nach Altersgruppen und Geschlecht der Wahlberechtigten

Tabelle 2 Wahlbeteiligung an der Landtagswahl am 27. September 2009 nach Verwaltungsbezirken und Bevölkerungsdichte, sortiert nach Bevölkerungsdichte

Tabelle 3 Wahlbeteiligung bei Bundes- und Landtagswahlen nach Bundestagswahljahr und Bundesländern

Tabelle 4 Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen der Wahlperioden 1990-1992, 2003-2006 und 2007-2011 nach Bundesländern Tabelle 5 Bevölkerung und Wahlbeteiligung in Brandenburg nach Verwaltungsbezirken

Tabelle 6 Absolventen anteilsmäßig nach Bildungsabschluss; Wahlbeteiligung an der Landtagswahl am 27. September 2009 nach Verwaltungsbezirken

Tabelle 7 Erwerbstätige nach Stellung im Beruf, Erwerbslosenquote 2009 und Wahlbeteiligung an der Landtagswahl am 27. September 2009 nach Verwaltungsbezirken

Tabelle 8 Korrelation zwischen Selbstständigen, Arbeitern und der Wahlbeteiligung, nach Verwaltungsbezirken

Tabelle 9 Nettoeinkommensquote und Wahlbeteiligung an der Landtagswahl am 27. September 2009 nach Verwaltungsbezirken

Tabelle 10 Gesamtübersicht des sozio-geographischen, sozio-ökonomischen Faktors sowie des Faktors Familienstand im Vergleich mit der Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen am 27. September 2009 nach Verwaltungsbezirken

I. Einleitung

Die allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl ist „die demokratische Methode der Bestellung von Personen in Vertretungsorgane oder Führungspositionen“ (Nohlen 2000: 21). Damit einhergehend gelten die Europa-, Bundestags-, Landtags-, und Kommunalwahl in der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland als die „entscheidende[n] Partizipationsinstrument[e] und [...] zentrale[n] Mechanism[en] zur Herstellung von demokratischer Legitimität und politischen Richtungsentscheidungen“ (Bytzek/ Roßteutscher 2011: 7). Gerade in Anbetracht dieser Aspekte erscheinen die steigende Wahlenthaltung und damit die Nichtnutzung der politischen Stimme suspekt.

Sinkende Beteiligungsraten beschränken sich weder auf Ost- bzw. Westdeutschland, noch machen sie vor den nationalen Grenzen der meisten westlichen Demokratien halt. Daher kann die Entwicklung als ein internationales Phänomen betrachtet werden. In Deutschland ist die Wahlbeteiligung seit der Gründung der Bundesrepublik auf allen politischen Ebenen unterschiedlich stark gesunken. Besonders Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen werden oftmals von der Bevölkerung nur noch als Nebenwahlen angesehen und verloren deshalb stark an Bedeutung (Kleinhenz 1995: 34). Lediglich die Wahlen zum deutschen Bundestag konnten sich gegen diese Tendenz behaupten und seit den neunziger Jahren auf einem abgesenkten Niveau stabilisieren.

Im Gegensatz zur Stabilisierung der Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen im Zeitraum von 1990 bis 2005, stieg die Wahlenthaltung bei Landtagswahlen in derselben Periode nahezu allen Bundesländern drastisch an. Lag die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in der Wahlperiode von 1990 bis 1992 durchschnittlich noch bei über 70%, so sank diese innerhalb von 20 Jahren auf durchschnittlich 60% in der Wahlperiode von 2007 bis 2011. Wenngleich auch die Westdeutschen Bundesländer herbe Verluste bei der Wahlbeteiligung einstecken mussten, ist das Bild in den neuen Bundesländern noch erschreckender. Die fünf Länder verzeichnen Beteiligungsraten von oftmals lediglich knapp über 50% der Wahlberechtigten. Bei der Landtagswahl 2006 in Sachsen-Anhalt wurde selbst diese ohnehin schon niedrige Rate noch um fünf Prozentpunkte unterboten und markiert damit einen traurigen Rekord. Alleinig das Bundesland Brandenburg konnte bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2009 zu den Beteiligungsraten der alten Bundesländer aufschließen und zwei Drittel der Wahlberechtigten zur Stimmabgabe bewegen. Dies ist jedoch auf den Einmaleffekt der zeitgleich stattfindenden Bundestagswahl zurückzuführen, wie im späteren Verlauf dieser Arbeit aufgezeigt wird.

Da zu vermuten ist, dass die Wahlbereitschaft der Bevölkerung bei der voraussichtlich 2014 stattfindenden Wahl zum sechsten Brandenburger Landtag wieder ein Niveau um 55% erreichen wird, ist es wichtig zu ergründen, welche Faktoren die steigende Wahlenthaltung der Brandenburger bedingen. Diese Arbeit beschäftigt sich daher mit den Ursachen, welche die Höhe der Wahlbeteiligung maßgeblich beeinflussen. Leitend stellt sich hierbei die Forschungsfrage: Durch welche Ursachen sich eine geringe Wahlbeteiligung bei Wahlen zum Brandenburger Landtag im Zeitraum von 2004 bis 2009 erklären lässt?

Der Beantwortung der Forschungsfrage soll wie folgt begegnet werden. Beginnen wird diese Abhandlung mit einem theoretisch einleitenden Kapitel, in dem zuerst der Untersuchungsgegenstand und -zeitraum deutlich abgegrenzt werden. Nach einer kurzen Einführung in den Sachstand der Forschung in Bezug auf das Phänomen „Wahlenthaltung“, werden für diese Arbeit notwendige Begriffe und Definitionen erläutert. Weiterhin wird der grundlegende theoretische Rahmen für die weiteren Ausführungen gelegt und die einflussausübenden Faktoren auf die Wahlbeteiligung allgemein dargelegt. Nachdem die theoretische Basis geschaffen ist, wendet sich das nachfolgende Kapitel der Empirie zu. Hierzu werden die allgemeinen Befunde am Fallbeispiel Brandenburg untersucht. Einleitend werden für jeden Faktor Arbeitsthesen hinsichtlich der zu erwartenden Befunde erstellt. Diese Thesen werden nach der Darstellung und Analyse der Datenlage für jedes Merkmal abschließend bewertet. Nachdem alle Faktoren behandelt worden sind, schließt diese Arbeit mit einem Fazit. Ziel dieser Arbeit ist es, mögliche einflussnehmende sozio-strukturelle Faktoren der Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg herauszustellen und diese zu bewerten. Dahingegen beabsichtigt sie nicht, Aussagen oder Profile des brandenburgischen Nichtwählers zu erstellen. Da diese Analyse auf Aggregatdaten basiert, würde dieses Vorgehen auf einen ökologischen Fehlschluss hinauslaufen. Untersucht werden soll die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg als abhängige Variable. Die einzelne Stimme des Wahlberechtigten stellt demnach die unabhängige, die zu erklärenden Faktoren die intervenierende Variable dar.

II. Theoretische Verortung

Eingerahmt ist diese Arbeit von der Wahlforschung als einem Bereich der Vergleichenden Regierungslehre. Im Zusammenhang mit einer zunehmenden Wahlenthaltung und einem steigenden Anteil der Nichtwähler stehen die Bereiche Wahlsystemforschung und Wahlverhaltensforschung. Diese Arbeit beschränkt sich auf die Disziplin der Wahlverhaltensforschung und deren Gegenstände, sowie der Beschreibung und Erklärung einer geringen Wahlbeteiligung anhand sozio-struktureller, sozio-politischer und politisch- institutioneller Merkmale. Wegen der Komplexität des Themas und in Anbetracht des begrenzten Umfangs dieser Abhandlung, wird sich diese alleinig mit den sozio-strukturellen Merkmalen, die im anschließenden Abschnitt vorgestellt werden, auseinandersetzen. Weitere mögliche Erklärungsfaktoren wie politisch-institutionelle Merkmale, welche eine geringe Wahlbeteiligung anhand des Parteien, Wahl- und Regierungssystem zu erklären versuchen, werden in dieser Arbeit keine Berücksichtigung finden. Weiterhin keine Beachtung, aufgrund der in diesem Bereich dünnen Datenlage, finden sozio-politische Merkmale, welche das Phänomen anhand des Individuums und seiner Eigenschaften sowie Merkmale zu erfassen versucht. Zentrale Punkte für diesen Ansatz sind zum Beispiel die Sozialisation durch die Familie, Lebensgewohnheiten, politisches Interesse, Konfessionszugehörigkeit, politische Zufriedenheit und Vereinsmitgliedschaft.

Einflussnehmende Gründe für eine geringe Wahlbeteiligung sind vielfältig und durch die Komplexität des Wahlaktes nur schwer empirisch erforschbar. Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist sich jedoch darüber weitgehend einig, dass sozialstrukturelle Merkmale wie Geschlecht, Alter, sozio-geographischer Faktor, Bildungsgrad, Berufsstatus der Wahlberechtigten sowie die daraus resultierenden Einkommensverhältnisse als grundlegende Faktoren mehr oder weniger stark Einfluss auf die Bereitschaft der Bevölkerung, an Wahlen teilzunehmen, ausüben. Als tiefergreifende Ursachen können Politik-, Parteien- oder gar Staatsverdrossenheit genannt werden. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die gesunkene Einbindung der Wähler in soziopolitische Milieus sowie Periodeneffekte wie vorübergehende politische Mobilisierung und politisches Interesse am Wahlvorgang (Kleinhenz 1995: 127). Desweiteren wird der Wahlakt selbst von der Bevölkerung zunehmend weniger als zentrale bürgerliche Pflicht angesehen und verliert damit an Bedeutung (Kleinhenz 1995: 15; Schäfer 2011: 136).

a. Untersuchungsgegenstand und -zeitraum

Als zentraler Gegenstand dieser Untersuchung wurden die Wahlen zum brandenburgischen Landtag in den Jahren 2004 und 2009 aufgrund der breit zugänglichen Daten ausgewählt. Die Wahl zum vierten Brandenburger Landtag wurde am 19. September 2004 abgehalten. Gleichzeitig mit der Bundestagswahl 2009 fanden die Landtagswahlen in Brandenburg und Schleswig-Holstein am 27. September 2009 statt. Während sich an der Landtagswahl 2004 nur 56,4% der Wahlberechtigten beteiligten, konnte die fünf Jahre später folgende Wahl deutliche Zuwächse bei der Wahlbeteiligung, nämlich 66,6% verbuchen. Dieser Zuwachs „wurde im Wesentlichen durch die gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl hervorgerufen“ (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2009a: 96).

Eine generell steigende Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen durch zeitgleich stattfindende Bundestagswahlen ist weiterhin durch Tabelle 3 zu bestätigen. Betrachtet wurden all die Jahre in denen mindestens eine Landtagswahl zeitgleich mit der Bundestagswahl abgehalten wurde. Dies ist 1983, 1990, 1994, 1998, 2002 und 2009 der Fall gewesen. Danach wurde verglichen, ob Wahlen zu den Landesparlamenten, die vor oder erst nach der Bundestagswahl stattfanden, eine geringere Wahlbeteiligung als zeitgleiche Wahlen zum Bundestag- sowie Landtag aufweisen. Abschließend kann, mit drei Ausnahmen bestätigt werden, dass die Beteiligungsraten an Landtagswahlen, die am selben Tag wie die Bundestagswahl stattfinden, höher sind als bei Wahlen, die vor oder erst nach der Bundestagswahl stattfinden. Zudem weisen, in der Landtagswahlperiode von 2003 bis 2006 insgesamt elf Bundesländer eine höhere Wahlbeteiligung als das Bundesland Brandenburg auf. Erst in der darauffolgenden Wahlperiode von 2007 bis 2011 besaß Brandenburg, bis auf die Ausnahmen der Landtagswahlen im Saarland und Schleswig-Holstein, eine höhere Beteiligung als alle anderen Bundesländer.1 Daher kann von einem Einmaleffekt im Zuge zeitgleich stattfindender Bundes- und Landtagswahl ausgegangen werden. Sämtliche verwendeten statistischen Werte beziehen sich auf den Zweitstimmenanteil der Parteien.

b. Forschungsstand

Während der Nichtwählerforschung in den meisten westlichen Industrienationen im Laufe der Zeit steigendes Interesse entgegengebracht und sie so zunehmend intensiviert wurde, beschränkt sich die Forschung in Deutschland in Anbetracht der immer noch vergleichsweise hohen Wahlbeteiligungsquote auf ein Minimum (Schäfer 2011: 135; Schoof 1980: 27). Für die Bundesrepublik und diese Ausarbeitung sind vor allem die Studien von Ralf-Rainer Lavies (1973), Peter Schoof (1980), Jürgen W. Falter und Siegfried Schuman (1994), Michael Eilfort (1994) sowie Thomas Kleinhenz (1995) von zentralem Interesse.

c. Definitionen

In diesem Abschnitt sollen alle verwendeten Begriffe und Definitionen festgehalten und präzise formuliert werden, um die weitere Abhandlung verständlich und eindeutig verstehen zu können.

Wahlen, in diesem Fall Landtagswahlen, sind gemäß den Normen der Landesverfassung Brandenburgs „allgemein, unmittelbar, gleich, frei und geheim“ (Verfassung des Landes Brandenburg 1992: Artikel 22) abzuhalten. Weiterhin bilden sie „innerhalb der repräsentativen Demokatie [...] die allgemeinste Form politischer Beteiligung“ (Nohlen 2011: 668), erfordern den geringsten Aufwand für die Bevölkerung und können dadurch politische Ungleichheit unter den einzelnen Bürgern am niedrigsten halten (Nohlen 2011: 668). Zudem sind sie allen anderen Partizipationsmöglichkeiten, wie öffentlichen Demonstrationen, Unterschriftenaktionen usw., durch ihre periodische Wiederkehr sowie ihrer egalitären, einfachen Form überlegen und gewährleisten schon damit die Legitimität der Demokratie (Nohlen 2011: 668; Schultze 2011: 669).

Die Wahlbeteiligung ist Ausdruck der Bereitschaft der Bevölkerung zur politischen Partizipation und Teilhabe am politischen Leben eines Staates. Sie bildet sich aus dem Verhältnis der Anzahl der abgegebenen Stimmen der Wähler und der Anzahl der Wahlberechtigen (Nohlen/Zinterer 2011: 666). Hierbei ist zu beachten, dass sich die Anzahl der Wähler aus den Wahllokalwählern und den Wahlscheinempfänger zusammensetzt, unabhängig davon, ob diese durch Briefwahl, durch Stimmabgabe im Wahllokal oder überhaupt an der Wahl teilgenommen haben (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2009b: 5). Wahlscheinempfänger sind Wahlberechtigte, die durch den Wahlschein berechtigt sind, ihre Stimme per Briefwahl oder in einem anderen Wahllokal ihres Wahlkreises abzugeben (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2009b: 5).

Nichtwähler sind wahlberechtigte Bürger, die aus verschiedensten Motiven der Wahlurne fern bleiben und damit eine sinkende Wahlbeteiligung bedingen. „Bei den wenigen, die in der Vergangenheit nicht wählten, vermutete man, daß Krankheit oder andere persönliche Gründe ihre Teilnahme verhinderten“ (Kleinhenz 1995: 15). Abgesehen von diesen kurzfristigen Motiven, wurden, wie bereits erläutert, weitere Faktoren für die Nichtteilnahme am Wahlakt durch die Wahlforschung erschlossen. Diese sollen im nachfolgenden Abschnitt verdeutlicht werden.

d. Beeinflussung der Wahlbeteiligung durch sozio-strukturelle Faktoren

Bezüglich der Wahlbeteiligung erachten drei verschiedene Theorieschulen unterschiedliche Faktoren als maßgebliche Einflussfaktoren. So kann zwischen politisch-institutionellen, sozio- strukturellen und sozio-politischen Merkmalen unterschieden werden (Freitag 2005: 669). Wie bereits erwähnt, beschränkt sich diese Abhandlung allein auf die sozio-strukturellen Merkmale.

Nach der sozio-strukturellen Theorienlehre sind kognitive und materielle Ressourcen ausschlaggebend für das Wahlverhalten der Bürger. Demnach beeinflussen das Geschlecht, das Alter, der Familienstand und der sozio-geographische Faktor sowie der individuelle Bildungsgrad, der gegenwärtige Berufsstatus und die damit einhergehenden Einkommensverhältnisse das Wahlverhalten der Wahlberechtigten. Dieser Abschnitt beschäftigt sich, die genannten Faktoren und die allgemeinen Befunde herauszustellen, an denen nachfolgend die Empirie überprüft werden soll.

Merkmal Geschlecht: Dieser Faktor wird in der Literatur allgemein nicht mehr als ausschlaggebend bezüglich der Wahlbeteiligung angesehen. So „nähern sich im langfristigen Zeithorizont die Wahlbeteiligungsraten von Männern und Frauen seit 1918 immer mehr an“ (Lavies 1973: 65f). Frauen beteiligen sich in einem etwas geringeren Umfang als Männer aktiv am Wahlakt. Nicht eingeschlossen sind hierbei die meist höheren Briefwahlquoten der Frauen, sondern lediglich alle Wahllokalwähler. Findet die Quote in der Analyse Berücksichtigung, so ist kaum ein merklicher Unterschied zwischen der Beteiligung der Männer und Frauen bei Wahlen auszumachen. Kleinhenz stellt in seiner Studie fest, dass „Merkmale [wie] Geschlecht und Konfessionszugehörigkeit [seit] Anfang der neunziger Jahre [...] kaum mehr von Bedeutung“ seien (1995: 26). Viel deutlicher als das Geschlechtsmerkmal wirken sich die vorgelagerten Faktoren „Bildungsgrad“ und „politisches Interesse“ auf die Wahlbeteiligung aus (Falter/Schuman 1990: 137; 1994: 182). Gemessen wird dieses Merkmal anhand des Geschlechts im Verhältnis zur Wahlbeteiligung. Hierbei werden die repräsentativen Wahlstatistiken Anwendung finden.

Merkmal Alter: Als ein entscheidender Faktor, der die Wahlbeteiligung maßgeblich beeinflusst, wird im wissenschaftlichen Diskurs das Alter der wahlberechtigten Person angeführt. So lässt sich an mehreren Fällen empirisch belegen, dass jüngere und ältere Wähler vermehrt als andere Altersgruppen der Wahlurne fern bleiben. Demnach steigt die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, mit zunehmendem Alter an, erreicht ihren Gipfel zwischen 50 und 70 Jahren und sinkt danach zügig ab (Eilfort 1994: 184; Huth 2004: 156). Kleinhenz bestätigt und präzisiert dieses Ergebnis. Demnach nimmt die Wahlbeteiligung bereits bei Menschen über 60 Jahren kontinuierlich ab (1995: 27). In diesem Zusammenhang spricht er von einem „Lebenszyklus der Wahlbeteiligung“ (Kleinhenz 1995: 27) So gesehen markiert dieser Zyklus die unterschiedlichen Integrationsphasen des Wahlberechtigten in das gesellschaftliche Leben. Die Bereitschaft, am Wahlakt teilzunehmen ist in der Jugend noch nicht fest fixiert, erhöht sich jedoch mit zunehmendem Alter durch die Einbindung in die Arbeitswelt und in ein Familienleben sowie durch wachsende Lebenserfahrung, steigendes Einkommen und zunehmendes politisches Interesse. Diese soziale Integration sowie das verfügbare Einkommen nehmen mit steigendem Alter, beginnend mit dem Renteneintritt wieder ab. Damit einhergehend und verstärkt durch Gebrechen, Unwohlsein sowie Krankheiten sinkt die Beteiligung bei Personen über 60 Jahren (Kleinhenz 1995: 27; Völker/Völker 1998: 103). Weiterhin hat sich der Einfluss der Zusammensetzung der Bevölkerung nach Altersgruppen auf die Wahlbeteiligung erheblich verstärkt (Schwarz 1991: 27). Auch das Merkmal „Alter“ wird durch die repräsentative Wahlstatistik erfasst, die für diese Untersuchung herangezogen wird.

Merkmal Familienstand: Von großer Bedeutung für das Wahlverhalten von Individuen ist die persönliche, soziale Bindung in der näheren Umgebung. So begünstigt soziale Integrität die Beteiligung an Wahlen (Falter/Schuman 1994: 33). Da das Wählerverhalten auch auf das soziale Gruppenverhalten zurückführbar ist, wie Klaus Liepelt feststellte und die Wahl als individueller Gruppenakt angesehen werden kann, ist davon auszugehen, dass der Familienstand Einfluss auf die Wahlbeteiligung ausübt (1985: 55). Gerade bei verheirateten Personen kann davon ausgegangen werden, dass sich das Verhalten des Partners im eigenen Verhalten widerspiegeln wird. So ist anzunehmen, dass sich ein Fernbleiben an der Wahlurne durch den Ehepartner, auf das Verhalten des anderen Ehepartners übertragen lässt (Liepelt 1985: 55). Ledige, geschiedene und verwitwete Personen weisen eine geringere Wahlbeteiligung als Eheleute auf. Demnach ist diese Gruppe oftmals unglücklich über die fehlende Bindung an einen Partner. Letztendlich fühlen sich diese Personen vermehrt einsam, welches sich in einer geringeren Wahlbereitschaft niederschlägt. Das Institut für Demoskopie Allensbach erklärt die geringere Wahlbeteiligung im Verhältnis zur „Einsamkeit“ wie folgt: der Wahlakt an sich ist eine „gemeinsame Unternehmung. Wenn im [Alter die] eheliche Gemeinschaft in vielen Fällen durch Verwitwung aufgelöst wird, entfällt das Motiv des Miteinander-zur-Wahlgehens“ (Institut für Demoskopie Allensbach 1989: 18).

Abschließend sei die Frage gestellt, inwiefern dieser Faktor angesichts zunehmender Fragmentierung der Bevölkerung nach Familienstand überhaupt eine tragbare Rolle für das Wahlverhalten spielen kann. In der heutigen Zeit leben viele Personen zwar nicht als Ehepaar zusammen jedoch oftmals in langen, eheähnliche Partnerschaften, die einer Ehe an sich entsprechen könnten. Daher ist die Aussagekraft dieses Faktors und der Ehe als Erklärungsmerkmal begrenzt.

Merkmal sozio-geographischer Faktor: In Hinblick auf die Höhe der Wahlbeteiligung wird zur Analyse vermehrt auf das unterschiedliche Wahlverhalten von Land- und Stadtbevölkerung hingewiesen. Es wird davon ausgegangen, dass die Wahlbeteiligung mit steigender Einwohnerzahl tendenziell abnimmt. Grundsätzlich stützt sich dieser Ansatz auf die Studien von Robert A. Dahl. Demnach löst sich die Bindung zwischen Individuum und Gemeinschaft durch den fortschreitenden Verstädterungsprozess zunehmend auf. Dieser Effekt wirkt sich negativ auf die Bereitschaft des Einzelnen, am lokalen und regionalen politischen Geschehen teilzunehmen, aus (Dahl 1967: 960f). Erklärt wird dies damit, dass „mit zunehmender Größe der Verwaltungseinheit [...] sich die Anonymität der Kommunikationsbeziehungen [verstärkt]“ (Czarnecki 1992: 29). Weiterhin erschwert sich damit der Aufbau einer persönlichen Beziehung zwischen Wahlberechtigten und Kandidaten in Städten bzw. Großstädten. Auf der anderen Seite führt eine enge Bindung und Verflechtung kleiner örtlicher Gemeinschaften zu einer stärkeren Verpflichtung des Einzelnen, am Wahlakt teilzunehmen (Eilfort 1994: 225). In ländlichen Regionen ist jeder Wahlberechtigte deshalb eher darauf bedacht der Uniformität der Gemeinschaft zu entsprechen als dies in der Anonymität der Stadt der Fall wäre.

Merkmal sozio-ökonomischer Faktor: Dieses Merkmal setzt sich aus den drei interdependenten Faktoren „formaler Bildungsgrad“, „Berufsstatus“ und „Einkommensverhältnis“ zusammen. Ausgehend von der Annahme, dass mit steigendem Bildungsniveau ein höherer Berufsstatus erlangt wird und daraus steigende Einkommensverhältnisse resultieren, nimmt die Wahlbeteiligungsbereitschaft der Bevölkerung zu (Kleinhenz 1995: 26). Ein höherer formaler Bildungsgrad erleichtert es dem Individuum demnach, komplexe politische Themen zu erfassen und führt zu einem gesteigerten politischen Interesse. Jedoch weisen die allgemeinen Befunde auf eine Abstufung der Aussagekraft der einzelnen Faktoren hin. So sind die Faktoren „Einkommen“ und „Beruf“ dem Merkmal „Bildungsgrad“ in ihrer Aussagekraft unterlegen, da sie von diesem abhängig sind. Die Forschung präsentierte in mehreren Studien, dass Personen, die über einen niedrigen Bildungsabschluss beispielsweise einen Hauptschulabschluss verfügen, bei den Nichtwähler überrepräsentiert sind, während sich Personen, die über die allgemeine Hochschulreife oder einen Hochschulabschluss verfügen, überdurchschnittlich an Wahlen beteiligen (Falter/Schuman 1994: 180; Eilfort 1994: 218). Der erlangte Bildungsabschluss beeinflusst den Faktor „Berufsstatus“ in entscheidender Weise mit. So lässt sich durch den ausgeübten Beruf feststellen, dass die Wahlbeteiligung bei Beamten, Selbstständigen und leitenden Angestellten am höchsten ist, während Arbeiter dazu neigen, unterdurchschnittlich oft zur Wahl zu gehen (Lavies 1973: 91; Eilfort 1994: 212; Falter/Schuman 1994: 177). Hinlänglich belegt ist zudem, dass Gesellschaftsgruppen mit einem hohen sozio-ökonomischen Status eine höhere Beteiligung an Wahlen aufweisen (Schwarz 1992: 35). In mehreren Befunden wurde nachgewiesen, dass ein signifikanter Unterschied im Wahlverhalten zwischen den Erwerbstätigen und Erwerbslosen feststellbar ist. Ist der Anteil der Erwerbslosen in einem Verwaltungsbezirk überdurchschnittlich, so ist die Wahlbeteiligung eher unterdurchschnittlich. Wenngleich das Einkommen nicht als einflussreicher und besonders aussagekräftiger Faktor angesehen wird, so stellen Falter und Schuman doch heraus, dass geringer Verdienende vermehrt zur Wahlenthaltung neigen als reichere Bevölkerungsschichten (1994: 176). Abschließend resümiert Peter Schoof:


[...]


1 Verdeutlicht durch Tabelle 4.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Ursachen der geringen Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg
Hochschule
Universität Trier
Note
2,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
41
Katalognummer
V210699
ISBN (eBook)
9783656418757
ISBN (Buch)
9783656418863
Dateigröße
947 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ursachen, wahlbeteiligung, landtagswahlen, brandenburg
Arbeit zitieren
Patrick Krüger (Autor:in), 2012, Ursachen der geringen Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210699

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