Die drei Rollen der Inge Lohmark aus 'Der Hals der Giraffe' von Judith Schalansky


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Inhalt und Form

3. Inge Lohmark in ihrer Rolle als
3.1 Lehrerin
3.2 Mutter
3.3 Frau

4. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einführung

Ich könnte beweisen, daß es weder die Form des Körpers noch die seiner Teile ist, die seine Gewohnheiten und seine Lebensweise veranlaßt, sondern daß es umgekehrt die Lebensweise und alle einwirkenden Umstände sind, die mit der Zeit Körper und Körperteile formten.[1]

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, 1809, veröffentlicht der französische Botaniker und Zoologe Jean-Baptiste-Pierre-Antoine de Monet, Chevalier de Lamarck, noch lange vor Charles Darwin, mit seinem Monumentalwerk Philosophie zoologique die erste ausformulierte Evolutionstheorie. Die heute unter dem Begriff „Lamarckismus“ bekannte Theorie geht von der Grundannahme aus, dass Tiere die Eigenschaften, welche sie im Laufe ihres Lebens erworben haben, an ihre Nachkommen vererben. Der Forscher begründet seine Auffassung mit den Umweltbedingungen, die in den Tieren ein inneres Bedürfnis zur Anpassung auslösen würden.[2]

Das häufigste Beispiel, um die Theorie von Lamarck anschaulich zu machen, ist die Entwicklung des Halses der Giraffe. Der Lebensraum der Giraffe in den afrikanischen Steppen ist trocken und das Angebot nach pflanzlicher Nahrung begrenzt. Über Generationen hinweg musste sich die Giraffe nach Nahrung in höhergelegenen Bereichen der Bäume strecken, wodurch sich die Länge des Halses verlängerte. Von Generation zu Generation vererbten die Giraffen so ihre neu erworbene Halslänge weiter.

Aus der heutigen Sicht ist der Lamarckismus widerlegt, weil sich demnach das Erbgut verändern müsste. Dies ist aber nicht der Fall, da die Gene sich durch den Gebrauch bzw. Nichtgebrauch von Organen nicht verändern.[3]

Der Hals der Giraffe lautet der Titel des neuen Romans von Judith Schalansky, der 2011 erschienen ist. Dass Anpassung alles ist, weiß auch die Hauptfigur, Lehrerin für Biologie und Sport, Inge Lohmark. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit ihr.

Die Protagonistin übt in ihrem Leben verschiedene Rollen aus, sie ist Lehrerin, Mutter und auch Frau. Ihr Beruf steht für sie an erster Stelle. Ihre Schüler erzielen zwar überdurchschnittliche Leistungen, in der Klasse ist jedoch Mobbing ein großes Thema. Erst sekundär ist da Inge Lohmark als Mutter, die zu ihrer Tochter ein schlechtes Verhältnis hat, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass diese nach Amerika ausgewandert ist.

An letzter Stelle steht Inge Lohmark als Frau mit natürlichen Bedürfnissen, die in zweiter, liebloser Ehe verheiratet ist und sich im Laufe des Schuljahres in eine Schülerin verliebt.

Die Grundfrage der Arbeit lautet, wie die Protagonistin in ihren einzelnen Rollen dargestellt wird. Gibt es Überschneidungen, gibt es Abweichungen? Ist sie erfolgreich oder scheitert sie? Welche sprachlichen Mittel kommen zum Einsatz? Wird die Hauptfigur ihren eigenen Ansprüchen gerecht?

Zunächst einmal soll ein kurzer inhaltlicher und formaler Überblick über das Werk gegeben werden. Daran anschließen wird sich die Analyse. Am Ende der Arbeit wird ein Fazit gezogen.

Bevor sich den inhaltlichen sowie formalen Aspekten des Romans zugewandt wird, noch ein paar Informationen zur Autorin.

Judith Schalansky wird am 20. September 1980 in Greifswald geboren. Sie studiert Kunstgeschichte an der FU Berlin und anschließend Kommunikationsdesign an der FH Potsdam. Bis 2009 unterrichtet sie dort nach Abschluss ihres Studiums Typografische Grundlagen. Ihr literarisches Debüt, der Matrosenroman Blau steht dir nicht, erscheint 2008. Bereits zwei Jahre vorher beweist die junge Autorin mit ihrem ersten Werk Fraktur mon Amour ihren ausgesprochenen Sinn für Ästhetik. Für den Atlas der abgelegenen Inseln (2009) und für Der Hals der Giraffe (2011) wird sie unter anderem mit dem Preis der Stiftung Buchkunst (Schönstes deutsches Buch) ausgezeichnet.

Der Hals der Giraffe erreicht im November 2011 Platz eins der SWR-Bestenliste und steht im selben Jahr auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.[4] Im Juni 2012 wird Judith Schalansky der »Förderpreis zum Friedrich-Hölderlin-Preis« verliehen. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Berlin.[5]

2. Inhalt und Form

Der Roman zeigt Ausschnitte aus dem Leben der Lehrerin Inge Lohmark. Sie ist streng, fördert ihre Schüler und treibt sie zu Hochleistungen an. Mit ihrem zweiten Ehemann Wolfgang führt sie eine lieblose Ehe. Die beiden sehen sich kaum und sprechen auch nicht mehr miteinander. Zwischen Lohmark und ihrer Tochter Claudia, die aus der ersten Ehe stammt, herrscht ein schwieriges Verhältnis. Claudia lebt seit Jahren in Amerika, die beiden haben nur sporadisch und oberflächlichen Kontakt über E-Mail. Im Laufe des Schuljahrs baut Inge Lohmark eine besondere Beziehung zu der Schülerin Erika auf.

Da der Inhalt niemals ohne die Form zu interpretieren ist, soll es im folgenden Abschnitt um die formalen Eigenschaften des Textes gehen.

Der Roman besteht aus drei Kapiteln, „Naturhaushalte“, „Vererbungsvorgänge“ und „Entwicklungslehre“. In jedem Kapitel wird ein Tag erzählt, verteilt auf ein Schuljahr. Das erste Kapitel spielt am ersten September, das zweite Mitte November und das dritte im Frühjahr des nächsten Jahres.

Die Erzählverhältnisse des Romans sind sehr komplex und können hier nur angerissen werden. Das Besondere an den Erzählverhältnissen ist, das sie sich im Laufe des Textes ändern. Besonders anschaulich zeigt sich dies an Modus und Stimme. Zunächst erzählt ein heterodiegetischer Erzähler mit interner Fokalisierung auf Inge Lohmark. Er ist am Geschehen nicht beteiligt, weiß aber genauso viel wie die Hauptfigur. Er berichtet narrativ, mittels erzählter Rede, es besteht Distanz zum Erzählten. Doch im Laufe der Geschichte ändert sich das. Plötzlich ist der Erzähler autodiegetisch. Sichtbar wird dieser Wechsel vor allem am Bewusstseinsstrom, in dem aus der Sicht der Protagonistin erzählt wird, allerdings immer noch in der dritten Person Singular. In diesen Momenten besteht zum Erzählten keine Distanz mehr und die Erzählweise wird dramatisch. Der Leser kann sehen, was Inge Lohmark sieht. Die Distanz ändert sich in dem Maß, in dem der Erzähler aus der Sicht der Hauptfigur berichtet. Im Bewusstseinsstrom wird der Text im Stakkato-Stil erzählt. Die Sätze sind meist kurz, oft gibt es keine Verben oder Objekte. Die Sätze wirken daher abgehakt, elliptisch. Der Erzählstil korrespondiert mit der Hauptfigur, kurz und knapp gehalten, er beinhaltet keine Gefühlsworte.

Durch diese komplexen Erzählverhältnisse unterscheidet sich der Text von vielen anderen. Inhalt und Form des Romans sind perfekt aufeinander abgestimmt, was auch die äußere Form des Buches anbelangt. Es ist gestaltet wie ein altes Biologielehrbuch, mit Leineneinband und eigenhändigen Skizzen der Autorin. Auf dem Buchdeckel ist eine Giraffe bis zum oberen Ende ihres Halses abgebildet. Alles in allem ist die Ästhetik sehr eng mit dem Gegenstand verknüpft.

[...]


[1] J.-B. Lamarck in einer Vorlesung am 11. Mai 1800. Zit. nach Friedrich Kühner: Lamarck. Die Lehre vom Leben. Seine Persönlichkeit und das Wesentliche aus seinen Schriften. (= Klassiker der Naturwissenschaft und Technik. Bd. 12). Hrsg. von Franz Strunz. Jena: Diederichs 1913. S. 137.

[2] Vgl. Kühner, F.: Lamarck. S. 9f.

[3] http://www.biologie-schule.de/evolutionstheorie-lamarck.php (28. September 2012, 12:39).

[4] http://www.swr.de/swr2/literatur/bestenliste//id=8814214/property=download/nid=98456/8v2urx/index.pdf (14. Oktober. 14:37) und http://www.deutscher-buchpreis.de/de/452514/ (17. September 2012. 21:46).

[5] http://www.suhrkamp.de/autoren/judith_schalansky_8197.html (10. September 2012. 15:17).

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die drei Rollen der Inge Lohmark aus 'Der Hals der Giraffe' von Judith Schalansky
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Germanistische Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Literatur von 1989 bis heute
Note
2,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
18
Katalognummer
V210945
ISBN (eBook)
9783656385653
ISBN (Buch)
9783656386278
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rollen, inge, lohmark, hals, giraffe, judith, schalansky
Arbeit zitieren
Susanne Spengler (Autor:in), 2012, Die drei Rollen der Inge Lohmark aus 'Der Hals der Giraffe' von Judith Schalansky, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210945

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