Polyphonie in den »villancicos« von Sor Juana Inés de la Cruz


Seminararbeit, 1995

15 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 EINLEITUNsG

1 SPANISCHE TRADITIONSDICHTUNG UND MODERNE ROMANTHEORIE
1.1 Der »villancico«
1.2 »Polyphonie« und »Polyglossie«

2 DIE »VILLANCICOS« VON SOR JUANA
2.1 Die »juegos de villancicos«
2.2 Soziale Sprachen und Nationalsprachen im »Nocturno III«
2.2.1 Nebeneinander von Nationalsprachen
2.2.2 Dialog sozialer Sprachen

3 SCHLUSSBEMERKUNG

4 ANMERKUNGEN

5 LITERATURLISTE

0 Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit sollen die »villancicos« von Sor Juana Inés de la Cruz (SJ) auf polyphone (vielstimmige) Elemente hin untersucht werden.

Sie ist in zwei Kapitel gegliedert:

Der erste Teil soll dazu dienen, den Begriff »Polyphonie« zu definieren und einen kleinen Überblick über die Geschichte des »villancico« (Tradition, Form, Thematik) zu geben.

Im zweiten Teil wird anhand konkreter Textbeispiele das Neben- und Miteinander der Sprachen in den »villancicos« von SJ untersucht. Wichtige Fragen sind hierbei: Wer spricht? In welchen Verhältnis (»Polyphonie« oder »Polyglossie«) stehen die Sprachen zueinander?

1 Spanische Traditionsdichtung und moderne Romantheorie

1.1 Der »villancico«

Der[i] »villancico«[ii] gehört zu den beliebtesten und herkömmlichsten Formen spanischsprachiger Dichtung.[iii] Seine Wurzeln liegen im »zéjel«[iv], der im 10. Jh. im arabisch besetzten Spanien entstand. Ursprünglich ist der »villancico« dazu bestimmt, durch zwei oder mehr Stimmen vorgetragen oder gesungen zu werden.[v] Hauptthemen sind Liebe und Religion.

Era, pues, en su origen, cualquier canto o diálogo pastoril, o más en general rusticano [..], siéndole indiferente el contenido profano o sacro.[vi]

Das äußerst schlichte Schema des »zéjel« wird im Laufe der Zeit weiterentwickelt und nimmt bei einigen Autoren (Góngora, Quevedo, SJ,...) sehr originelle und komplizierte Formen an.[vii]

Ab dem 16. Jh. verarbeitet der »villancico« ausschließlich religiöse Motive und wird u. a. an kirchlichen Festtagen in den »Maitines«[viii] gesungen.[ix] Als diese Form des Kirchgesangs in der Messe außer Gebrauch kommt, wird der Begriff im Spanischen fortan als Bezeichnung für Weihnachtslieder verwendet.

Der »villancico« setzt sich zusammen aus 1) einem Kehrreim (estribillo) 2) der »mudanza« - in der Regel eine »redondilla« - und schließlich 3) dem »verso de enlace«, welcher mit dem letzten Vers der »mudanza« reimt oder einem »verso de vuelta«, der den Kehrreim einleitet. Die Verse können sechs- oder achtsilbig sein. Wird der »villancico« gesun-gen, so wiederholt man nach jeder Strophe den Kehrreim.[x]

1.2 »Polyphonie« und »Polyglossie«

Den Begriff »Polyphonie«[xi] prägte der russische Literaturwissenschaftler Michail M. Bachtin[xii] in seinen Schriften über den sogenannten »humoristischen Roman« (Dostojewski, Dickens, Cervantes,...).

»Stimme«, »(soziale) Sprache«, »sozialer Dialekt«, »Variante der Hochsprache« und »Rede« werden von Bachtin synonym gebraucht. Unter »Sprache« versteht Bachtin die »Varianten einer Hoch- oder Nationalsprache« (d. h. die Sprachebenen innerhalb eines einheitlichen Sprachsystems) - z. B. Sprache des Adligen, des Bauern, des Pächters, des Kaufmanns; Sprache des Klatschsüchtigen, der vornehmen Konversation, usw.[xiii] In den »sozialen Sprachen« - Bestandteile einer Nationalsprache - kommen demnach gesellschaftliche Phänomene (Ideologie, Macht) zum Ausdruck. »Polyphonie« ist daher unbedingt von »Polyglossie«[xiv] abzugrenzen.

»Redevielfalt« (im Roman) ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: 1) Es bestehen viele soziale Sprachen nebeneinander, wobei die Autorintention durch all diese sozialen Sprachen bricht, in keiner von ihnen aber ganz aufgeht. Die sozialen Sprachen sind meist nicht an bestimmte Personen (Autor, Helden) gebunden, sondern verschmelzen unmerklich mit dem direkten Autorwort; sind demnach »fremde Rede in fremder Sprache, die dem gebrochenen Ausdruck der Autorintentionen dient.«[xv] 2) Obwohl sich in all diesen sozialen Sprachen Autorwort und -intention latent widerspiegeln, werden sie im humoristischen Roman parodiert und »als verlogen, heuchlerisch, eigennützig, beschränkt, eng verstandesmäßig, der Wirklichkeit unangemessen, entlarvt und zerstört.«[xvi]

Die parodistische Stilisierung der sozialen Sprachen bietet somit die Möglichkeit unter der äußeren Schutzform des Lachens, Kritik an gesellschaftlichen Mißständen zu üben:

Das Lachen befreit nicht nur von der äußeren Zensur, sondern vor allem vom großen inneren Zensor, von der in Jahrtausenden dem Menschen anerzogenen Furcht vor dem Geheiligten, dem autoritären Verbot, dem Vergangenen, vor der Macht.[xvii]

Nach Bachtin ist »Polyphonie« - wesentlicher Bestandteil der »Lachkultur« und kennzeichnend für den humoristischen Roman - in der Dichtung gar nicht oder nur eingeschränkt möglich:

Die direkte, vorbehaltlose Intentionalität und Gültigkeit der Sprache ist innerhalb der Grenzen des poetischen Stils mit dem objektiven Vorzeigen dieser Sprache (als sozial und historisch begrenzter sprachlicher Realität) nicht zu vereinbaren [...] Einzig in den »niederen« poetischen - satirischen, komödienhaften u. a. - Gattungen hat Redevielfalt einen gewissen Platz.[xviii]

Ob und in wie weit sich der Begriff aus der bachtinschen Romantheorie auf die »villancicos« von SJ übertragen läßt, wird uns im folgenden beschäftigen.

[...]


[i].vgl. Méndez Plancarte 1957, XI-XXIV.

[ii].Verkleinerungsform von 'villano' < lat. VILLANUS 'Landbewohner'. Zum ersten Mal beim Marqués de Santillana belegt (15. Jh.). Bedeutungsgleiche oder -ähnliche Bezeichnungen sind: 'villancete', 'villancejo', 'estribote', 'cantiga' und 'decir'.

[iii].Den 'villancico' pflegten u. a. D. Manuel de León Marchante, Eslava, Góngora, Quevedo, Lope de Vega,... Man findet ihn auch noch bei einigen Autoren des 20. Jh. wieder, vgl. u. a. Juan Ramón Jimenéz ("Verde, verderol").

[iv].Der 'moaxaja' verwandte Gattung, aber nicht in Klassisch-, sondern in Vulgärarabisch. Variables Reimschema: a-a, b-b-b, a usw. Einreimiges Tristichon mit Kehrreim und einem vierten Reim wie der Kehrreim

[v].Uneins sind sich Literaturwissenschaftler darüber, ob man den 'villancico' dem Drama oder der Lyrik zuordnen soll; vgl. hierzu Méndez Plancarte, LII: "Lo más a lo que llegan por tal rumbo los Villancicos (y muchísimas veces, ni eso) es a la alternación de dos o tres 'voces' con algún dialogismo elemental, o con algún remoto esbozo de 'escena', nunca 'representada' en acción plástica, mas sólo en sugestión imaginativa."

[vi].vgl. Méndez Plancarte 1957, XI-XII.

[vii].vgl. Méndez Plancarte 1957, XI-XLV.

[viii].Die 'Maitines' wurden von den Mönchen kurz vor Tagesanbruch, von den Laien am Vorabend religiöser Feste gesungen.

[ix].Behandelt der 'villancico' andere Themen, so nennt man ihn nun 'letra' oder 'letrilla'.

[x].Diese eher schablonisierende Beschreibung soll der Veranschaulichung dienen; in der Geschichte der 'villancicos' trifft man indes auf mannigfache Abwandlungen, so auch bei SJ: "Se advierte la maestría de sor Juana en la elaboración de sus juegos de villancicos, el gran conocimiento que tenía de su estructura y su gran destreza en aprovechar los rasgos formales para ser voceros de su mensaje." (vgl. Sabat de Rivers 1982, 61).

[xi].wörtlich:'Vielstimmigkeit'; daneben auch die Synonyme "Redevielfalt" und "Heteroglossie".

[xii].Der Name taucht in unterschiedlichen Transkriptionen auf, u. a.: Bakhtin (engl.), Bakhtine (frz.), Bajtin (sp.).

[xiii].Im folgenden Textverlauf beschränke ich mich der Übersichtlichkeit halber auf die Opposition "soziale Sprache"/"Nationalsprache".

[xiv].wörtlich 'Vielsprachigkeit': Nebeneinander mehrerer Nationalsprachen innerhalb eines kulturellen Systems. Diese Unterscheidung ist bei der Analyse der 'villancicos' von SJ vordringlich, bedenkt man das gleichzeitige Vorhandensein verschiedenster Sprachen im Mexico ihrer Zeit (Spanisch, Nahuatl, Latein als Sprache der Kirche und der Wissenschaften,...).

[xv].vgl. Bachtin 1979, 213.

[xvi].vgl. Bachtin 1979, 201-202.

[xvii].vgl. Bachtin 1969, 38-39.

[xviii].vgl. Bachtin 1979, 178-179.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Polyphonie in den »villancicos« von Sor Juana Inés de la Cruz
Hochschule
Universität zu Köln  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar: »Sor Juana Inés de la Cruz«
Note
2
Autor
Jahr
1995
Seiten
15
Katalognummer
V21173
ISBN (eBook)
9783638248501
Dateigröße
573 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polyphonie, Juana, Inés, Cruz, Proseminar, Juana, Inés, Cruz«
Arbeit zitieren
Manuel Perez-Villar (Autor:in), 1995, Polyphonie in den »villancicos« von Sor Juana Inés de la Cruz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21173

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