Der Einfluss kooperativer Lernformen auf das Musizieren im Klassenverband

Einer Unterrichtsreihe zur Samba


Masterarbeit, 2012

84 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Kooperatives Lernen im schulischen Kontext
2.1. Definition und allgemeine Merkmale des kooperativen Lernens
2.1.1. Zum Begriff „Kooperatives Lernen“
2.1.2. Problematisierung von kooperativen Lernformen
2.1.3. Gründe für die Kooperation der Schüler
2.1.4. Die Basis: 5 grundlegende Elemente kooperativen Lernens
2.1.5. Forschungserkenntnisse über kooperatives Lernen
2.2. Praktische Hinweise für gelingende Teamarbeit und Teamentwicklung
2.3. Kooperative Lernformen im Musikunterricht
2.3.1. Drei Anwendungsgebiete
2.3.2. Geeignete kooperative Lernformen für die Themen- und Handlungsfelder des Musikunterrichts
2.4. Zusammenfassung

3. Klassenmusizieren im Musikunterricht an allgemein bildenden Schulen
3.1. Definition und allgemeine Merkmale des Klassenmusizierens
3.1.1. Zum Begriff „Klassenmusizieren“
3.1.2. Begründungen für Klassenmusizieren
3.1.3. Kritik am Konzept des Klassenmusizierens
3.1.4. Ziele und Funktionen des Klassenmusizierens
3.2. Praktische Hinweise für gelingendes Klassenmusizieren
3.3. Zusammenfassung

4. Klassenmusizieren unter Verwendung kooperativer Lernformen
4.1. Die Verknüpfung der fünf Basiselemente kooperativen Lernens mit den Grundregeln des Ensemblemusizierens
4.2. Der Einfluss kooperativer Lernformen auf das Klassenmusizieren
4.3. Zusammenfassung

5. Ein Unterrichtskonzept zum gemeinsamen Musizieren einer Samba unter Verwendung kooperativer Lernformen
5.1. Allgemeine methodische Konzeption
5.2. Bedingungsanalyse
5.3. Das gemeinsame Musizieren einer Samba
5.3.1. Begründungen zur Auswahl der Samba als Lerninhalt
5.3.2. Methodische Hinweise zum Musizieren einer Samba
5.4. Lernziele
5.5. Planung der Unterrichtseinheit
5.6. Durchführung und Reflexion der Unterrichtseinheit
5.7. Zusammenfassung

6. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Die Musik hat von allen Künsten den tiefsten Einfluss auf das Gemüt. Ein Gesetzgeber sollte sie deshalb am meisten unterstützen.“ Napoleon Bonaparte

Das gemeinsame Musizieren im Klassenverband ist einer der wichtigsten Bestandteile des Musikunterrichts.[1] Musik soll nicht nur gehört und analysiert, sondern auch selbst hergestellt und erlebt werden. Alle Schüler[2] arbeiten gemeinsam an einem musikalischen Kunstwerk, an einer besonderen ästhetischen Erfahrung, welche dann wiederum den Blick öffnet und Verständnis schafft für die theoretische Auseinandersetzung mit Musik und musikalischen Handlungen. Allerdings sind gewisse Voraussetzungen vonnöten, um das Musizieren mit der ganzen Klasse als Bildungszuwachs verbuchen zu können. Neben der genauen Planung und eventuell der Bereitstellung von Instrumenten, falls man nicht nur die Stimme und den Körper nutzen möchte, müssen die Schüler gewisse Fähigkeiten besitzen, um als Gruppe gut zusammen zu arbeiten. Gemeinsames Musizieren erfordert zum Beispiel genaues aufeinander Hören, Kooperation, Rücksichtnahme und gegenseitigen Respekt.

Allgemein ist inzwischen unumstritten, dass in der Schule nicht nur die Vermittlung von Fakten und Zahlen das Ziel ist, sondern auch die Ausbildung sozialer Fähigkeiten, gefördert werden soll. Diese Verschiebung des Schwerpunktes von der materialen Bildung, hin zur formalen Bildung mit den sogenannten „Soft skills“ oder „sozialen Kompetenzen“, stellt einerseits eine Reaktion auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes und der beruflichen Anforderungen dar,[3] verdeutlicht andererseits jedoch auch eine Wandlung im Menschenbild. Es gibt nicht den einen perfekten Menschen, der auf einem Gebiet alles weiß oder alles kann, sondern jeder hat unterschiedliche Fähigkeiten, Begabungen und Wissen. Menschen und deren Lebensläufe sind individuell. Doch genau diese Unterschiedlichkeit kann, im Team sinnvoll eingesetzt, zu höchsten Ergebnissen führen, wenn sich die verschiedenen Personen dessen bewusst sind und mit ihrem Können und Wissen gegenseitig ergänzen. Immer mehr Firmen und Arbeitgeber entdecken dieses Prinzip und setzen es ein. Um die Schüler auf das Leben vorzubereiten, gehört demnach auch die Ausbildung von Fähigkeiten dazu, welche man benötigt, um in einer Gruppe mit anderen Personen zusammenarbeiten zu können. Allerdings ist es nicht einfach, in solch einem Team zu agieren. Eine Gruppe funktioniert nur, wenn die Kommunikation stimmt, jeder ein gewisses Selbstbewusstsein mitbringt, aber auch Rücksicht und gegenseitige Unterstützung vorhanden sind. Diese sozialen Kompetenzen sind uns Menschen nicht angeboren, sondern wir müssen sie erlernen. Vor allem die Institution Schule sollte diesen Prozess anstoßen und fördern. Erfreulicherweise spiegelt sich diese Forderung auch in den Rahmenlehrplänen wider, wenn von „Kompetenzentwicklung“[4] die Rede ist. Das Wort „Sozialkompetenz“ war sogar schon im Rahmenlehrplan von 2002 verankert und wurde als Kompetenz verstanden, die

„darauf gerichtet [ist], in wechselnden sozialen Situationen, bei unterschiedlichen Aufgaben und Problemen die eigenen bzw. übergeordneten Ziele erfolgreich im Einklang mit den anderen Personen zu verfolgen. Im Zentrum stehen das Verantwortungsbewusstsein für sich selbst und für andere, d.h. Selbstwahrnehmung, Selbstverantwortung, Selbstorganisation, und das Verantwortungsbewusstsein für den Umgang mit anderen, d.h. Fremdwahrnehmung, solidarisches Handeln, Kooperations- und Konfliktfähigkeit.“[5]

Eine Möglichkeit, im Unterricht diese sozialen Kompetenzen zu erlernen und zu fördern stellen kooperative Lernformen dar. Klassenmusizieren an sich könnte ja schon als eine kooperative Lernform gesehen werden, da die gesamte Klasse als Gruppe zusammenarbeitet, um ein Gesamtkunstwerk herzustellen, wie zum Beispiel ein gemeinsam auf Instrumenten oder mit der Stimme musiziertes Musikstück. Allein durch den Umstand, dass ein gemeinsamer Rhythmus gefordert ist, dem sich jeder Spieler anzupassen hat, muss aufeinander geachtet werden. Außerdem können die Schüler auf diese Weise erleben, wie wertvoll die gegenseitige Ergänzung ist und welche Vielfalt durch das gemeinsame Musizieren ermöglicht wird. Dies kann ein Schüler allein nicht mit Instrumenten oder Gesang erzeugen. In der vorliegenden Arbeit soll dazu der Einfluss dieser kooperativen Lernformen auf den Musikunterricht, speziell auf die Form des Klassenmusizierens untersucht werden. Zu diesem Zweck muss festgestellt werden, inwiefern die beiden Konzepte sinnvoll miteinander verknüpft werden können. Außerdem stellt sich die Frage, ob und wie kooperative Formen das Musizieren im Klassenverband unterstützen und fördern können.

Dazu wird zunächst ein Einblick in die Merkmale und Formen von kooperativem Lernen gegeben und über aktuelle Forschungsergebnisse berichtet. Dem folgt eine Übersicht über mögliche Anwendungsgebiete dieser Methode im Musikunterricht und besonders für das Musizieren im Klassenverband. Was unter Klassenmusizieren konkret zu verstehen ist und welche Formen es gibt, wird in Kapitel drei näher beleuchtet. Danach erfolgen in Kapitel vier der Versuch einer Verknüpfung kooperativer Lernformen mit dem Musizieren im Klassenverband und die Beschreibung der dadurch entstehenden Chancen und Gefahren. Dies stellt den Schwerpunkt der theoretischen Ausführungen in der vorliegenden Arbeit dar und soll in Kapitel fünf am Beispiel der Unterrichtseinheit zum Thema „Samba“ konkretisiert und auf seine praktische Anwendung hin überprüft werden.

2. Kooperatives Lernen im schulischen Kontext

2.1. Definition und allgemeine Merkmale des kooperativen Lernens

2.1.1. Zum Begriff „Kooperatives Lernen“

Unter dem Begriff „Kooperatives Lernen“ versteht Slavin eine Methode, bei der Schüler in kleinen Gruppen zusammenarbeiten, um sich gegenseitig beim Lernen zu helfen. Als einer der Begründer der Methode ist er davon überzeugt, dass Lehrer diese Technik im Alltag anwenden können, um die Schüler in ihrem Lernprozess zu unterstützen, sei es in Bezug auf einfache Grundlagen oder auch die Lösung eines komplexen Problems.[6] Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen „zusammen sitzen“ und „kooperativ lernen“. Wenn Schüler zwar gemeinsam in einer Gruppe sitzen, aber nicht kooperativ zusammenarbeiten, entsteht nicht die Notwendigkeit der gegenseitigen Unterstützung, es gibt keinen Gruppenleiter, die Schüler setzen sich nach eigener Wahl (homogen) zusammen, jeder ist nur für sich selbst verantwortlich, soziale Fähigkeiten werden vorausgesetzt und Gruppenprozesse finden wenig Beachtung. Kooperative Lernprozesse dagegen fördern die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, indem die Schüler aufeinander angewiesen sind und jeder mitverantwortlich ist. Soziale Fähigkeiten werden hier nicht vorausgesetzt, sondern entwickelt und trainiert, unter anderem unterstützt durch die Beobachtung und Reflexion des Gruppenprozesses. Da sich die Gruppen meist entweder durch das Zufallsprinzip finden oder vom Lehrer zusammengesetzt werden, entstehen überwiegend heterogene Kombinationen, wobei sich die Unterschiedlichkeit der Schüler in Leistungsfähigkeit, Geschlecht, ethnischer Herkunft, persönlichen/emotionalen/sozialen Kompetenzen und im Lernstil positiv auf die Zusammenarbeit auswirkt, wenn dieser Zustand bewusst wahrgenommen und als förderlich erlebt wird und die nötigen Fähigkeiten zur Arbeit im Team weiterentwickelt werden.[7] Gerade die Sozialkompetenz, verstanden als Team- und Gemeinschaftsfähigkeit, ist bei kooperativem Lernen nicht die Bedingung, sondern „sie wird zum sensibel geplanten, stetig und kontinuierlich vermittelten, gleichrangigen Lerninhalt“[8]. Sie ist somit nicht der Weg, sondern das Ziel des Ganzen. Dazu kommt dann natürlich das Arbeitsprodukt und der Erwerb von neuem fachlichen Wissen.

Der Begriff „kooperatives Lernen“ ist die Übersetzung von „cooperative learning“, worunter man eine Instruktionsstrategie versteht, welche Mitte der 1950er Jahre von den Brüdern Johnson entwickelt wurde und seitdem intensiv erforscht und ergänzt wird. Definiert wird sie durch A. Huber wie folgt: „Der Begriff Kooperatives Lernen wird im weitesten Sinn verwendet, wenn zwei oder mehr Personen zusammenarbeiten, mit dem Ziel dabei etwas zu lernen.“[9] Solch eine Effektivität des Lernens wird am besten durch die Konversation der Schüler miteinander erreicht.[10] Green bestätigt, dass Schüler besser lernen, wenn sie einem anderen Schüler zuhören als einem Lehrer.[11] Der Lerner wird selbst zum Lehrer und durchdringt den Stoff viel tiefer, weil er ihn nicht nur verstehen, sondern auch für seine Mitschüler verständlich erklären muss.

Schon vor 500 Jahren betonte der Schriftsteller, Arzt und Priester Francois Rabelais, dass Kinder nicht wie Fässer seien, die gefüllt, sondern Fackeln, die entzündet werden müssten.[12] Es darf demnach nicht nur Wissen und Fakten „in die Köpfe geschüttet“ werden, oftmals ohne das Interesse der Schüler, sondern diese sollen den Nutzen des Gelernten für sich selbst erkennen, sich aktiv damit auseinandersetzen und den Prozess des Lernens mitbestimmen.

Aufgrund des stetig steigenden Wissens und der darauf resultierenden Notwendigkeit der ständigen Weiterbildung ist außerdem „das Erlernen von Fähigkeiten, eine expandierende Informationsflut möglichst ökonomisch zu bewältigen, um für sich neue Erkenntnisse zu erschließen und verfügbar zu machen, wichtiger als das Aneignen eines möglichst großen Quantums von Daten, Fakten und Kenntnissen zum Zwecke der ‚Vorratshaltung‘“[13]. Informationen selbst sind überdies wesentlich schneller überholt als Methoden und Strategien zur Aneignung derselben. H. Meyer betont, „die SchülerInnen müssen lernen, sich ihres Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen“[14]. Es geht allerdings nicht darum, andere Unterrichtsformen komplett durch kooperative zu ersetzen, sondern zu ergänzen. Kooperative Lernformen sollen in den bestehenden Unterricht integriert und mit ihm verzahnt werden.[15] Denn eine Methode existiert nicht um der Methode selbst willen, sondern zuallererst zur effizienteren Ergründung der zu lernenden Inhalte und Problematiken.[16]

Schon Comenius „verlangte [in seiner Didactica Magna, Anm. d. Autors] die Arbeit in Gruppen“ und „wechselseitiges Lehren durch die Schüler selbst ist ihm ein wichtiges Anliegen“[17]. Im Verlauf der Geschichte traten immer wieder Ansätze zur Betonung von Gruppenunterricht[18] und kooperativen Lernorganisation auf, aktuell stehen jedoch die aus der kanadischen Tradition kommenden kooperativen Lernformen mehr im Fokus der Bildungsdiskussion, angeführt von Johnson & Johnson im amerikanischen Sektor und G. Huber im deutschsprachigen Raum.[19] Der Unterschied zwischen traditionellem Gruppenunterricht und kooperativem Lernen besteht darin, dass letzteres verstärkt strukturiert und im Vorgehen mehr geplant ist.[20] Weidner definiert dies treffend: „Kooperatives Lernen ist eine besondere Form von Kleingruppenunterricht, der – anders als der traditionelle Gruppenunterricht – die sozialen Prozesse beim Lernen besonders thematisiert, akzentuiert und strukturiert. Der Entwicklung von der losen Gruppe zum „echten“ Team mit erkennbarer Identität kommt hohe Bedeutung zu.“[21] Dabei stehen kooperative Lernformen auf einer Ebene mit individuellem Lernen und lehrerzentriertem Unterricht und schließen sowohl den Gruppenunterricht als auch Partnerarbeit mit ein, da hier entweder zwei Schüler oder drei bis sechs Schüler miteinander kooperieren.[22]

2.1.2. Problematisierung von kooperativen Lernformen

Leider haben sowohl viele Lehrer als auch Schüler scheinbar schlechte Erfahrungen mit Gruppenunterricht gemacht. Dies wird deutlich, wenn H. Meyer schreibt, der Gruppenunterricht sei „bei der großen Mehrzahl der LehrerInnen und auch der SchülerInnen unbeliebt. Er wird oft mehr aus pädagogischem Pflichtgefühl denn aus innerer Neigung angesetzt“[23]. Als Beispiele für negative Erlebnisse mit Gruppenarbeit nennt Klippert unter anderem: Einer arbeitet für alle, es wird durcheinandergeredet, die Schüler trödeln herum, die Präsentation ist langweilig, Gruppenarbeit wird als Zeitverschwendung gesehen, die Rahmenbedingungen und der Raum sind ungünstig.[24] Solch eine problematische Sicht auf Gruppenarbeit ist eine Ursache dafür, dass rund drei Viertel der Zeit im Unterricht mit lehrerzentrierten und direktiven Methoden gefüllt sind.[25] Doch Interesse und Begabung der Schüler wird hierdurch nicht gefördert. Darüber hinaus ist es in der heutigen Zeit geradezu unverantwortlich, bei den Schülern die vom Arbeitsmarkt geforderte Teamfähigkeit und dazugehörige Kompetenzen nicht auszubilden. Allerdings stehen auf Seiten des Lehrers oftmals ein gewisser Drang zur Belehrung, übersteigerter Perfektionismus und eine nur einseitige Sicht auf Lernen im Weg. Hier zeigt sich eine dringende Anfrage an die Lehrerbildung. Denn die Schüler müssen die Teamarbeit erst durch gezieltes Üben, Reflektieren und Klären der Regeln lernen und trainieren, um die nötige Selbstständigkeit und Motivation zu erlangen. Dies erfordert eine klare Zielsetzung für den Lehrer, Durchhaltevermögen und Kompetenz in Bezug auf die Methodik des kooperativen Lernens. Zur Einführung von Gruppenarbeit sollte eine Art Intensivkurs mit den wichtigsten Grundelementen von Teamkompetenz veranstaltet werden, um diese dann durch regelmäßige Wiederholung und Übung zu festigen.[26]

Warnend sollte noch angemerkt werden, dass ein Lehrer kein Psychologe ist. Kooperative Lernformen fordern die Anwendung themenzentrierter Interaktionsspiele, aber keine „Selbsterfahrung mit psychologisch-therapeutischer Ausrichtung“[27]. Unerwartete Emotionen und Konflikte, die aufgrund von gruppendynamischen Prozessen und Persönlichkeitserfahrungen möglicherweise auftreten, kann man nicht komplett ausschließen, aber sie sollten nicht mit Absicht provoziert werden, wenn die dafür erforderliche Ausbildung fehlt. Klippert formuliert hierzu kurz und treffend: „Schulklassen sind schließlich keine Spielwiesen für Hobbypsychologen!“[28] Bei der Auswahl der Strategien sollte der Lehrer daher darauf achten, dass diese sich vor allem im kognitiven Bereich abspielen und eher unverfänglich sind.

2.1.3. Gründe für die Kooperation der Schüler

Oftmals können sich Lehrer nicht vorstellen, dass eine Gruppenarbeit in ihrer Klasse funktioniert und die Schüler freiwillig zusammenarbeiten und sich gegenseitig helfen. Brüning und Saum haben jedoch verschiedene Gründe beobachtet, aus denen Schüler freiwillig kooperieren.[29] Dabei ist nicht immer derselbe Grund ausschlaggebend und die verschiedenen Erklärungsansätze ergänzen sich eher, als dass sie sich gegenseitig ausschließen. Die Voraussetzung dafür, dass diese Ansätze in der Klasse greifen, ist jedoch die professionelle Anleitung des Arbeitsprozesses durch den Lehrer.

Die Schülerinnen und Schüler kooperieren, weil sie aufeinander angewiesen sind

Im Unterricht sind zwei Formen des Schülerverhältnisses möglich: konkurrieren oder kooperieren. Entweder sind die Schüler Konkurrenten oder es besteht eine gegenseitige Abhängigkeit.[30] Wenn der Lehrer eine Frage stellt, konkurrieren die Schüler darum, aufgerufen zu werden und die richtige Antwort zu geben. Und auch die Vergabe von Noten bei einem Test stellt Konkurrenzdenken her, da man nur ein guter Schüler ist, wenn es genügend schlechtere Mitschüler gibt.[31] Eine Aufgabe kann jedoch derart gestaltet sein, dass sie nur zum Erfolg des Einzelnen führen kann, wenn alle Gruppenmitglieder erfolgreich sind. So muss sich der Schüler nicht nur auf seinen eigenen Lernprozess konzentrieren, sondern auch auf den der anderen. Als wirksame Möglichkeit, eine Aufgabe derart zu gestalten, werden die Verteilung von unterschiedlichem Material und die Vergabe von individuellen Punkten, die zu einem Gruppenergebnis zusammengezählt und dann mit den anderen Gruppenergebnissen verglichen werden, angesehen. Die erste Möglichkeit findet sich zum Beispiel beim Gruppen- und Partnerpuzzle oder dem Kleingruppenprojekt. Die Mitglieder einer Gruppe bearbeiten unterschiedliche Texte und erhalten nur die gesamten Informationen, die sie für eine spätere Überprüfung des Wissens brauchen, wenn jeder den Inhalt seines Textes gut an die anderen weitergegeben hat. Die Variante der individuellen Punktevergabe führt dazu, dass sich die leistungsstarken Schüler darum bemühen, die leistungsschwächeren Schüler gut auf den anstehenden Test vorzubereiten, damit die Gruppe gemeinsam viele Punkte erhält. Hierdurch erfolgt eine sehr wirksame Kooperation, die bei einem einzelnen Gruppenendprodukt, wie es zum Beispiel ein Plakat darstellt, weniger gefordert wäre, weil hier die Einzelleistung nicht separat wahrnehmbar ist und wahrscheinlich überwiegend die leistungsstärkeren Schüler die Arbeit gemacht hätten.

Die Schülerinnen und Schüler kooperieren, weil sie gute Beziehungen haben bzw. haben möchten

Ein besseres Ergebnis ist eine große Motivation zur Mitarbeit, doch Erfahrungsberichte haben gezeigt, dass auch gute Beziehungen unter den Schülern ausreichen, um zu kooperieren. Die Schüler sind nicht nur egoistisch auf ihr eigenes Interesse bedacht, sondern helfen dem Mitschüler, weil ihnen etwas an ihm liegt. Teilweise sind die dafür nötigen, guten Beziehungen gegeben, aber sie sollten vom Lehrer durch gezielte Teambildende Maßnahmen (TBM) gefördert und erweitert werden. Außerdem müssen dazu die Gruppenprozesse reflektiert und Konflikte ausgeräumt werden.

Die Schülerinnen und Schüler kooperieren, weil sie Interesse an der Sache haben

Spannende Themen sind stets für ein gutes Lernklima fördernd, unabhängig von der Unterrichtsform. Doch mit zunehmendem Alter und spezielleren Themen steigt oft auch das Unverständnis der Schüler für die Notwendigkeit des Erlernens der Unterrichtsinhalte und sinkt das Interesse für den Lernstoff. Gerade im kooperativen Unterricht scheint jedoch eher neue Motivation für Themen zu entstehen als im gewohnten Unterricht, was auf die Art und Weise zurückzuführen ist, wie eine Aufgabe gestellt wird. Dazu gehört, dass eine kleine Gesprächsrunde weniger schwerfällig ist und mehr Schüler mit einbezieht als das Plenum der gesamten Klasse. Außerdem sollte die Aufgabenstellung zwar für alle lösbar sein, jedoch leicht über die aktuelle Wissensebene der Schüler hinausgehen, um viel Raum zu bieten für eigene Gedanken und Meinungen. Die Möglichkeit des eigenen Beitrags steigert die Motivation. Auch der Rätselcharakter von Aufgaben erhöht die Attraktivität für die Schüler, wenn zum Beispiel bei der Zusammensetzung von auseinandergeschnittenen Gedichtzeilen jeder Schüler nur seine Zeile berühren darf oder ein Schüler bewusst Fehler einbaut, um das Wissen der Gruppenpartner zu testen. Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu lernen, entsteht in hohem Maß durch Motivation und diese wiederum speist sich aus Erfolgserlebnissen. Da bei der Arbeit in der Gruppe die Wahrscheinlichkeit des erfolgreichen Abschlusses einer Aufgabe höher ist als bei Einzelarbeit, steigt gleichzeitig die Motivation der Schüler für die Mitarbeit.

Die Schülerinnen und Schüler kooperieren, weil sich dabei als selbstwirksam erfahren

Als Selbstwirksamkeitsgefühl werden „das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und die Überzeugung, dass das eigene Tun wirksam ist“[32] verstanden. Es kann im Frontalunterricht nur begrenzt entwickelt werden, da nur eine geringe Anzahl von Schülern die Fragen des Lehrers beantworten kann und diese dann auch nicht immer richtig sind. Es kommen vorwiegend die leistungsstarken Schüler zu Wort und der Rest der Klasse fürchtet sich davor, ohne Meldung aufgerufen zu werden und keine Antwort zu wissen. Beim kooperativen Lernen dagegen können positive Erlebnisse hinsichtlich der Selbstwirksamkeit auftreten, wenn man den Mitschülern etwas so erklärt hat, dass diese einen Lernzuwachs verzeichnen, wenn durch die persönliche Punktzahl ein besonders gutes Gruppenergebnis erzielt wird oder wenn man das Gruppenprodukt gut präsentiert hat. Innerhalb dieses Konzeptes bestehen viel mehr Möglichkeiten, das eigene Können unter Beweis zu stellen und dadurch das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken.

Wenzel hebt des Weiteren die Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Selbststeuerung der Schüler als wichtigen Faktor bezüglich ihrer Motivation.[33] Die vorgestellten Erklärungsansätze stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich und es gibt weitere Gründe für die Kooperation der Schüler. Des Weiteren kann das Wissen um diese Ansätze helfen, die kooperativen Prozesse noch gezielter zu lenken.

2.1.4. Die Basis: 5 grundlegende Elemente kooperativen Lernens

Wie schon oben erwähnt, resultiert aus dem Zusammensetzen von Schülern in kleinere Gruppen und der Aufforderung, gemeinsam zu arbeiten, nicht automatisch kooperatives Lernen. Um dies zu erreichen, müssen Lehrer die folgenden, grundlegenden Elemente der Kooperation verstehen und anwenden.

1. Positive Abhängigkeit
2. Interaktion von Angesicht zu Angesicht
3. Individuelle Verantwortlichkeit
4. Soziale Fertigkeiten/Teamkompetenz
5. Bewertung/Evaluation

Diese von Johnson et al. entwickelten fünf Basiselemente kooperativen Lernens sollen im Folgenden näher erläutert werden.[34]

Positive Abhängigkeit (Positive interdependence)

Die positive Abhängigkeit ist das Herzstück des kooperativen Lernens. Sie bedeutet, dass die Schüler aufeinander angewiesen sind, um Erfolg zu haben. Johnson et al. formulieren es treffend: „Students must believe that they sink or swim together.“[35] Die Arbeit eines Schülers fördert diejenige der anderen Gruppenmitglieder und umgekehrt. Es wird zusammengearbeitet, um das Lernen aller Mitglieder des Teams auf ein Höchstmaß zu bringen, indem vorhandenes Wissen und Fähigkeiten gemeinsam genutzt und der Erfolg miteinander gefeiert wird. Wichtige Komponenten sind hier eine kooperative Aufgaben- und Anreizstruktur.[36] Die positive Abhängigkeit sollte mit Hilfe von Gruppenlernzielen etabliert und durch Gruppenbelohnungen, die Vergabe unterschiedlicher Rollen und sich gegenseitig ergänzende Individualaufgaben an die Gruppenmitglieder verstärkt werden. Auch räumliche Nähe, eine gemeinsame Identität (zum Beispiel ein Gruppenname, ein Motto), nur ein Set von Materialien für die gesamte Gruppe oder eine Herausforderung von außen fördern die Bindung.[37] Damit eine Lernsituation als kooperativ angesehen werden kann, müssen die Schüler einer Gruppe sich als positiv voneinander abhängig empfinden.

Interaktion von Angesicht zu Angesicht (Face-to-face promotive interaction)

Es gibt kognitive Prozesse und zwischenmenschliche Abläufe, die nur geschehen, wenn Schüler gegenseitig ihr Lernen fördern. Hierzu gehören mündliche Erklärungen von Problemlösungsstrategien, Diskussionen über die zu lernenden Konzepte, die Weitergabe eigenen Wissens an Mitschüler und die Verknüpfung der aktuellen Lernprozesse mit vergangenen. Fähigkeiten wie zum Beispiel die Übernahme von Verantwortung gegenüber anderen, das Geschick, deren Argumentationen und Schlussfolgerungen beeinflussen zu können und die Weitergabe sozialer Unterstützung und Anerkennung, nehmen in dem Maße zu, wie die direkte Interaktion unter den Gruppenmitgliedern ansteigt. Außerdem sind die verbalen und non-verbalen Reaktionen von Mitschülern ein wichtiges Feedback für die eigene Leistung. Wer nichts sagt, hilft niemandem. Gute Kommunikation dagegen verhilft nicht nur zu einem besseren Gruppenergebnis, sondern die einzelnen Mitglieder lernen sich dadurch besser kennen. Allerdings funktioniert die direkte Interaktion nur, wenn der äußere Rahmen stimmt. Alle Mitglieder einer Gruppe sollten so sitzen, dass sie sich anschauen können und eine normale Sprechlautstärke ausreicht. Damit sich die verschiedenen Teams nicht gegenseitig stören, muss zwischen ihnen ein gewisser Abstand bestehen. Johnson et al. empfehlen zwei bis vier Personen in einem Team.[38]

Individuelle Verantwortlichkeit (Individual accountability)

Das Ziel von kooperativ lernenden Gruppen ist es, jedes einzelne Mitglied als Individuum zu fördern. Man sollte deshalb die Stärken und Schwächen des anderen kennen, um ihn bestmöglich in seiner Aufgabe unterstützen und ermutigen zu können. Auf keinen Fall soll ein Wettkampf innerhalb der Schüler einer Gruppe entstehen, sondern „es geht darum, die unterschiedlichen Ressourcen der Gruppe dafür zu nutzen, Verständnis zu vertiefen, Urteile zu schärfen und Wissen zu erweitern“[39]. Um zu verhindern, dass sich Schüler auf Kosten der anderen „durchmogeln“ und selbst nichts zum Gruppenergebnis beitragen, kann man zum Beispiel jedem Schüler einen anderen Test geben, den Zufall darüber entscheiden lassen, wessen Produkt als Beispiel für die Arbeit der Gruppe dargestellt werden soll oder jeden Schüler einem Mitschüler erklären lassen, was er gelernt hat.[40] Da die Schüler selten von selbst auf die Idee kommen, sich gegenseitig zu fördern, muss dieser Prozess thematisiert und besprochen werden. Dies sollte im Plenum der gesamten Klasse geschehen, aber auch individuell, indem der Lehrer während der Gruppenarbeitsphase mit den Schülern einer Gruppe bespricht, wie jeder sein persönliches Wissen einbringt und dazu auffordert, dass jeder mindestens einen Gedanken zum Gespräch beiträgt. Bestenfalls findet sich später die Zeit, den Fortschritt in der Gruppe zu besprechen.[41]

Soziale Fertigkeiten/Teamkompetenz (Social skills)

Ohne soziale Kompetenzen funktioniert kooperatives Lernen nicht effektiv. Für maximale Erfolge in der Kooperation müssen den Schülern soziale Fähigkeiten in Bezug auf die Anleitung von Prozessen, Entscheidungen treffen, Vertrauen aufbauen, Kommunikation und Konfliktmanagement beigebracht werden. Soziales Lernen wird hier zu einem autonomen Lernfeld. Dabei sollte pro Woche nicht mehr als ein Lernziel in Angriff genommen werden. Um eine Änderung im Sozialverhalten herbeizuführen, muss besprochen werden, warum eine bestimmte Fertigkeit gelernt werden soll (zum Beispiel Diskussion über Vor- und Nachteile), welches Verhalten genau darunter zu verstehen ist (positives Verhaltensmodell), auf welche Art und Weise das Sozialziel erlernt und gefestigt werden kann (Anwendungs- bzw. Erprobungsphase) und es muss ein Feedback darüber geben, ob und welche Fortschritte hinsichtlich dieser Sozialkompetenz gemacht wurden (Bewertung).[42] Um diesen Prozess zu strukturieren und sichtbar zu machen, plädiert Kagan für die Installation eines „social skills center“ in jedem Klassenzimmer. Weidner übersetzt dies mit „Sozialziele-Center“ und berichtet von positiven Erfahrungen damit.[43] Sozialziele werden hier von Lehrer und Schülern gemeinsam operationalisiert, auf einem Poster übersichtlich dargestellt und im Klassenraum ausgehängt. Dies hat überdies den Vorteil, dass sich auch andere Lehrer an der Erarbeitung dieses Sozialziels beteiligen können. Im täglichen Unterricht sollten viele verschiedene Situationen für die Übung von sozialen Fertigkeiten geschaffen werden.

Bewertung/Evaluation (Group processing)

Das Ziel von Bewertung und Evaluation in Bezug auf kooperatives Lernen ist die positive Weiterentwicklung und Verbesserung des Interaktionsprozesses. Allerdings bewertet nicht nur der Lehrer, sondern die Schüler sollen aktiv mit einbezogen werden (Selbst-, Peer-Evaluation). Dazu muss dieser Prozess zunächst einmal verstanden und in messbare Kriterien überführt werden. Die Schüler müssen Zeit haben und Techniken kennenlernen, um die Zusammenarbeit in ihrer Gruppe und den individuellen Beitrag einzelner Gruppenmitglieder zur Effektivität des Lernens analysieren und einschätzen zu können. Solche Prozesse ermöglichen es, am Gruppenzusammenhalt zu arbeiten, unterstützen das Lernen von sozialen Fähigkeiten, stellen sicher, dass jeder eine Rückmeldung zu seiner individuellen Beteiligung an der Gruppenarbeit bekommt und erinnern die Schüler daran, ständig ihre Zusammenarbeit zu verbessern. Von Weidner vorgeschlagene Hilfsmittel der Evaluation sind Strichlisten, Beobachtungsmatrizen, Checklisten, Dokumentationsbögen und Sammlungen von Schülerarbeiten.[44] Außerdem sollte die Klasse lernen, wie man effektiv und gleichzeitig respektvoll Feedback gibt.

2.1.5. Forschungserkenntnisse über kooperatives Lernen

In den letzten 30 Jahren wurden verschiedene Studien zu kooperativem Lernen durchgeführt und ausgewertet. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist jedoch zu bedenken, dass Gruppenunterricht nicht gleich kooperatives Lernen ist und beides nicht einfach mit traditionellem Klassenunterricht verglichen werden kann. Vielmehr müssen die speziellen Formen des kooperativen Lernens mit anderen Lehr-Lernformen, wie zum Beispiel Frontalunterricht, verglichen werden. Weiterhin ist zu beachten, dass auch kooperativer Unterricht nicht ohne Einzelarbeit auskommt, sondern die einzelnen Unterrichtsformen für ein kooperatives Gesamtkonzept in sich vereint. Im Folgenden sollen kurz einige Forschungen zu den Einflüssen kooperativer Lernformen auf die für den Schulbetrieb bedeutsamen Bereiche kognitive Kompetenzen, soziale Beziehungen und Selbstwertgefühl dargestellt werden.

Kognitive Kompetenzen

Schon 1983 stellte Slavin in einer Metaanalyse fest, dass in 88% des beobachteten Unterrichts das kooperative Lernen zu höheren Leistungen führte als traditioneller Unterricht. Auch Roseth, Johnson und Johnson haben in ihrer Metaanalyse zu 148 Studien nachweisen können, dass durch das kooperative Lernen bedeutend bessere Leistungen erzielt werden als im Klassenunterricht.[45] In kooperativen Lernformen sind die Schüler aktiv am Lernprozess beteiligt, anstatt nur dem Lehrervortrag zuzuhören und heben damit ihre Denkfähigkeit auf eine höhere Stufe. Sie entwickeln wichtige Kompetenzen in Bezug auf Problemlösestrategien, indem sie Ideen formulieren, diese beschreiben und erklären, zeitnah Feedback erhalten und auf Fragen und Kommentare ihres Partners eingehen.[46] Professionell angeleitetes kooperatives Lernen kann im Vergleich mit anderen Unterrichtsmethoden zu signifikant besseren Lernergebnissen führen.

Soziale Beziehungen

Durch kooperatives Lernen werden deutlich soziale Beziehungen gefördert, indem „die wechselseitige Sympathie steigt und sich das Klassenklima verbessert“[47]. Auch Schüler aus anderen Kulturen können besser verstanden und integriert werden.[48]

Selbstwertgefühl

In ungefähr 80 Studien haben die Brüder Johnson den Einfluss unterschiedlicher Lehr-Lern-Formen auf das Selbstwertgefühl untersucht. Das Ergebnis ist ein deutlicher Erfolg von kooperativem Lernen gegenüber dem herkömmlichen Klassenunterricht hinsichtlich der Ausbildung eines adäquaten Selbstwertgefühls, da kooperative Lernformen das Erleben der Selbstwirksamkeit fördern. Dies wiederum hat einen positiven Einfluss auf die Motivation und den Kompetenzerwerb, wodurch sich auf lange Sicht die Fähigkeiten und Selbstkonzepte der Schüler positiv entwickeln. Hier schließt sich der Kreislauf, indem auch ein verbessertes Selbstwertgefühl entscheidend ist für die Motivation und damit den Lernerfolg eines Schülers.

2.2. Praktische Hinweise für gelingende Teamarbeit und Teamentwicklung

Viele Strategien von kooperativem Lernen machen von Formen der Gruppenarbeit Gebrauch. Deshalb sollen in diesem Kapitel praktische Hinweise und Tipps für die die Arbeit in Gruppenphasen gegeben werden, damit diese sowohl für die Schüler also auch für den Lehrer Erfolg bringen und ein Lernzuwachs auf fachlichem und sozialem Gebiet stattfindet.

Stimmige Atmosphäre

Das Arbeitsklima sollte zwar für jede Form von Unterricht für die Schüler angenehm sein, hat jedoch für die Anwendung kooperativer Lernstrategien eine besondere Bedeutung, weil ihr Erfolg stärker von der intrinsischen Motivation der Schüler abhängt.[49] Eine positive Grundstimmung hängt vor allem vom Umgang der Schüler miteinander ab und ob sich der Einzelne in der Klasse akzeptiert fühlt. Das Vertrauen untereinander kann durch Kennenlernspiele und harmlose Interaktionen gefördert werden. Besonders in der Anfangsphase muss dieser Aspekt verstärkt beachtet werden, kann jedoch auch später in den Reflexionsphasen Bedeutung finden. Auch der zeitliche Rahmen sollte nicht zu eng gesteckt werden, denn die Aktivierung der vorhandenen Potenziale der Schüler benötigt Zeit und wird durch Druck und Hektik verhindert. Vor allem Doppelstunden eignen sich deshalb sehr gut für kooperative Lernstrukturen, einstündig pro Woche erteilter Musikunterricht dagegen kaum. Des Weiteren ist die Lernumgebung ein wichtiger Faktor für eine gute Atmosphäre. Hierzu zählt die anregende Gestaltung des Unterrichtsraumes, zum Beispiel durch Pflanzen, ansprechende Arbeitsmittel und interessant gestaltete Wände. Außerdem wirkt und die Ausstellung der Gruppenprodukte. Darüber hinaus wirkt es motivierend auf die Schüler, wenn ihre Arbeitsergebnisse im Raum ausgestellt und damit für eine gewisse Zeit gewürdigt werden.

Gruppenbildung

Für die Zusammensetzung der Gruppen gibt es drei Möglichkeiten: Die Entscheidung wird entweder von der Lehrkraft, den Schülern oder vom Zufall getroffen. Im ersten Fall kann die Lehrkraft durch ihre Entscheidung darauf achten, dass die Gruppen heterogen zusammengesetzt sind und auf diese Weise sehr unterschiedliches Potenzial mitbringen.[50] Allerdings muss hier möglicherweise die Unzufriedenheit der Schüler in Kauf genommen werden. Die zweite Variante kann langfristig stabile Gruppen hervorbringen, da die Schüler nach ihren Sympathien entscheiden. Doch genau dieser Umstand könnte auch schnell eine Abgrenzung der Gruppe von der Gesamtklasse bewirken, entweder als lernschwache oder disziplinarisch problematische Gruppe. Außerdem besteht hier die Gefahr, dass unbeliebte Schüler in keiner Gruppe aufgenommen werden, der Lehrer sie dann zuteilen muss und dadurch Verstimmung entsteht. Das Zufallsprinzip bewirkt eine leistungs- und verhaltensheterogene Gruppeneinteilung und erscheint den Schülern eher gerecht als die ersten beiden Möglichkeiten. Da die Akzeptanz dieser Variante am größten ist, wenn die Gruppen immer wieder neu ausgelost werden, empfiehlt Klippert in der Anfangsphase einen häufigen Wechsel. Außerdem betont er den Vorteil, dass sich alle Schüler der Klasse auf diese Weise schneller kennenlernen und etwaige bestehende Vorurteile gleich beseitigt werden können. Später sollten die Gruppen für ungefähr sechs bis acht Wochen in gleicher Form zusammengesetzt bleiben, „damit eine größere Vertrautheit und ein reflektiertes Miteinander entstehen kann“[51]. Um das zufallsbedingte Problem zu umgehen, dass in manchen Gruppen möglicherweise der nötige Experte fehlt, sollten die leistungsstarken Schüler durch gesonderte Symbole beziehungsweise Zählweisen gleichmäßig auf die Gruppen verteilt werden. Homogene Lerngruppen sind zu vermeiden, da sie Leistungsunterschiede innerhalb der Klasse ausweiten und der Lehrer unter erhöhtem Arbeitsaufwand mehr Aufgaben auf unterschiedlichem Level vorbereiten muss.

Gruppengröße

Die Anzahl der Schüler einer Gruppe hängt von den Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Klassengröße, Raumgröße und Ziel und Inhalt des Unterrichts ab. In den Fächern Sport, Musik oder auf Exkursionen besteht die Möglichkeit, auch größere Gruppen zu bilden, doch H. Meyer empfiehlt im Allgemeinen eine Gruppengröße von vier bis fünf Schülern.[52] So wird die für die Zusammenarbeit nötige räumliche Nähe gewährleistet, die eine intensive, aber dennoch leise Kommunikation ermöglicht. Falls es die Klassengröße und Lernform erfordern, können auch sechs Schüler zusammenarbeiten, aber bei einer noch größeren Mitgliederzahl wird die Gruppe uneffektiv.

Gruppensitzordnung

Ein Umschieben der Tische und Stühle zu Beginn und am Ende jeder Unterrichtsstunde sind wahre Motivationskiller von Gruppenarbeit. Als Mittelweg, der sowohl den frontal unterrichtenden als auch den Gruppenunterricht anwendenden Lehrkräften gerecht wird, gilt die sogenannte „lehrerzentrierte Gruppensitzordnung“ nach Klippert. Denn auch innerhalb der Struktur kooperativer Lernformen gibt es immer wieder frontale Phasen, in denen der Lehrer oder ein Schüler von vorn etwas sagt, sodass auch während der Gruppensitzordnung für alle Schüler der Blick nach vorne möglich sein sollte. Die im Folgenden dargestellte Sitzordnung hat sich in der Praxis bewährt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Lehrerzentrierte Sitzordnung (nach Klippert 1998, S. 52)

Die Vorteile dieser Sitzordnung liegen auf der Hand:

1. Durch Drehen eines Tisches um 90 Grad können schnell mehrere gute Gruppen-arbeitsflächen entstehen
2. Kein Schüler sitzt mit dem Rücken zum Lehrer und diejenigen, die seitlich sitzen, müssen sich nur geringfügig drehen, um zum Lehrertisch schauen zu können
3. Eine ausreichende Nähe der Gruppenmitglieder und genügend Distanz zur nächsten Gruppe sind gegeben
4. Mit nur geringem Aufwand kann eine große Innenzone für einen Stuhlkreis oder ähnliches freigeräumt werden.

Die Herstellung einer Sitzordnung für mehrere Gruppen sollte gut strukturiert werden, um Störungen und Zeitverlust so gering wie möglich zu halten. Dabei können Visualisierungen an der Tafel, ein Lautstärkebarometer oder ein Wettbewerb zwischen den einzelnen Gruppen hilfreich sein.[53]

[...]


[1] Vgl. Geuen, S. 53.

[2] Der Kürze halber werden die männlichen Personenbezeichnungen als Synonyma für die männliche und weibliche Person verwendet.

[3] Vgl. Klippert 1998, S. 14-15; Ebbens/Ettekoven, S. 85.

[4] Rahmenlehrplan Musik, Sek. I, 2008, S. 6.

[5] Rahmenlehrplan Musik, Sek. I, 2002, S. 9.

[6] Vgl. Slavin 1994, S. 1

[7] Vgl. Ebbens/Ettekoven, S. 87; Weidner, S. 138.

[8] Weidner, S. 29.

[9] Huber, A., S. 3.

[10] Vgl. Slavin 1994, S. 1.

[11] Vgl. Green 2004, S. 3; Traub, S. 19.

[12] Vgl. Eger/Gondani/Kröger, S. 101.

[13] Rainer, S. 129-130, zitiert nach Klippert 2010, S. 30.

[14] Meyer, H. 1987, S. 250.

[15] Vgl. Traub, S. 13.

[16] Vgl. Klippert 2010, S. 40.

[17] Traub, S. 19.

[18] Für die traditionelle Arbeitsphase des Unterrichts wird im Folgenden der Begriff „Gruppenunterricht“ verwendet, wohingegen die Bezeichnung „Gruppenarbeit“ auf die Zusammenarbeit von mindestens zwei Personen referiert.

[19] Vgl. Traub, S. 19-24.

[20] Vgl. a.a.O., S. 10.

[21] Weidner, S. 29.

[22] Vgl. Traub, S. 24-25; Nürnberger Projektgruppe, S. 98.

[23] Meyer, H., 1987, S. 151; vgl. auch Rotering-Steinberg 1992, S. 27

[24] Vgl. Klippert 1998, S. 26.

[25] Vgl. Hage et al, S. 47, 151. Auch eine neuere Studie von Rotering-Steinberg (1999) weist nur eine geringe Zunahme von kooperativen Lernformen auf. Vgl. Nürnberger Projektgruppe, S. 13-14.

[26] Vgl. Klippert 1998, S. 28-33.

[27] A.a.O., S. 46.

[28] Ebd.

[29] Vgl. Brüning/Saum 2009, S. 145-149.

[30] Johnson u. Johnson zählen außerdem die absolute Unabhängigkeit, also ein Nicht-Verhältnis, als dritte Form hinzu. Diese ist im Schulalltag jedoch selten der Fall. Vgl. Brüning/Saum 2009, S. 145.

[31] Diese Behauptung basiert auf dem Wissen um die größtenteils angewandte Verteilung der Noten von Seiten des Lehrers, nämlich die Konzentration im mittleren Wertebereich und weniger in den Randbereichen. Um eine gute Note zu bekommen, müssen demnach genügend Schüler ein schlechteres Ergebnis haben. Sonst würde man selbst nur im Mittelfeld stehen. Vgl. Brüning/Saum 2009, S. 146.

[32] Traub, S. 148.

[33] Vgl. Wenzel, S. 31-32.

[34] Vgl. Johnson/Johnson, S. 57-59.

[35] A.a.O., S. 58.

[36] Vgl. Slavin 1993, S. 152.

[37] Vgl. Weidner, S. 55.

[38] Vgl. Johnson/Johnson, S. 58.

[39] Günter L. Huber, S. 38.

[40] Vgl. auch Klippert 1998, S. 55.

[41] Vgl. Weidner, S. 48, 53.

[42] Vgl. Weidner, S. 36-38.

[43] Vgl. a.a.O., S. 44-46. Ein Katalog von Sozialzielen ist zu finden bei Weidner, S. 105.

[44] Vgl. a.a.O., S. 68.

[45] Vgl. Roseth/Johnson/Johnson, S. 232-233. In der Studie wird zwischen kooperativem, konkurrenzorientiertem und individuellem Lernen unterschieden, wobei die beiden letzteren Formen unter den Begriff „Klassenunterricht“ gezählt werden, da dort am meisten mit ihnen gearbeitet wird.

[46] Vgl. Brüning/Saum 2009, S. 151.

[47] Brüning/Saum 2009, S. 152.

[48] Vgl. Rahmenlehrplan Musik, Sek. I, 2008, S. 11.

[49] Wenn nicht anders gekennzeichnet, sind die Informationen zu diesem Kapitel entnommen aus Klippert 1998, S. 46-65.

[50] Klippert sieht diese Variante eher als problematisch an. Vgl. Klippert 1998, S. 48. Bickel dagegen gibt ihr den Vorzug. Vgl. Bickel 2010, S. 33.

[51] Klippert 1998, S. 50. Vgl. auch Jasper, S. 40.

[52] Vgl. Meyer, H. 1987, S. 259. Vgl. auch Meyer, E., S. 72.

[53] Vgl. Jasper, S. 42. Beispiele der Visualisierung finden sich auf der DVD zum Heft „Musik & Bildung“ 3.11, hg. von Bäßler und Nimczik.

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss kooperativer Lernformen auf das Musizieren im Klassenverband
Untertitel
Einer Unterrichtsreihe zur Samba
Hochschule
Universität Potsdam
Veranstaltung
Musik Lehramt Gymnasium
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
84
Katalognummer
V211953
ISBN (eBook)
9783656397007
ISBN (Buch)
9783656397434
Dateigröße
921 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
einfluss, lernformen, musizieren, klassenverband, beispiel, unterrichtsreihe, samba
Arbeit zitieren
Anne-Christin Schilke (Autor:in), 2012, Der Einfluss kooperativer Lernformen auf das Musizieren im Klassenverband, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211953

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