Autobiographischer Diskurs in der afrikanischen Literatur und Ken Buguls "Le baobab fou" und "Riwan ou le chemin de sable"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Leben Ken Bugul

3. Entwicklung des Autobiographiebegriffes in Bezug auf die afrikanische Literatur

4. Der Autobiographiebegriff der afrikanischen Gegenwartsliteratur

5. Ken Bugul - Formen der Autobiografie in "Le baobab fou" und "Riwan ou le chemin de sable"
a. Le baobab fou
b. Riwan ou le chemin de sable
c. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Den afrikanischen Autoren wird in der Welt der Literaturwissenschaft verweigert, von einem Ich in einem autobiografischen Werk sprechen zu können. Ein Ich gebe es in der afrikanischen Kultur nicht. Ein Ich sei Ausdruck eines Kollektivs. Daher gebe es keine Autobiographie im westlichen Sinne.[1]

Welche Methoden müssen also entwickelt oder herangezogen werden, um afrikanische Literaturen analysieren, verstehen und einordnen zu können? Es stellt sich weiterhin die Frage, ob und wie die Kolonialgeschichte Einfluss auf das autobiographische Schreiben genommen hat und ob es eine eigene Form des autobiographischen Schreibens gibt.

Sehr schön verdeutlicht wird die Diskussion durch die Auseinandersetzung um das Begriffspaar "Erinnern und Entwerfen". Innerhalb der Literaturwissenschaft wird im Hinblick auf das Subjekt in autobiographischen Werken zum Teil das eine, zum Teil das andere Element in den Fokus gestellt. Autobiografien sind zunächst als referentielle Texte zu verstehen. Sie nehmen auf die außertextliche Wirklichkeit Bezug. Zum einen wird dabei die Autobiographie als bloßes Erinnern der Vergangenheit gesehen. Das Ich wird dabei als rein textuelle Rekonstruktion verstanden. Zum anderen wird die Autobiographie als eine Konstruktion des Erlebten verstanden. in der sich das Ich erst selbst entwirft. Letztlich geht es dabei um die Frage der Fiktionalität einer autobiographischen Schrift.[2]

Im Folgenden möchte ich das Leben von Ken Bugul umreißen und in einem weiteren Teil auf die theoretische Frage der Einordnung der afrikanischen autobiographischen Literaturen in unsere westliche Literaturtheorie eingehen und deren Einflüsse beleuchten. In darauffolgenden Abschnitt werde ich zeigen, wie Ken Bugul in ihren autobiographischen Werken "Le baobab fou" und "Riwan ou le chemin de sable" ihr Ich in Bezug auf die oben genannte Einordnung entwickelt.

2. Leben Ken Bugul

Ken Bugul ist das Pseudonym der senegalesischen Autorin Mariètou Biléoma Mbaye. Sie kam 1948 in Ndukumane, Senegal, als Tochter eines Marabut I zur Welt und wuchs in einem polygamen Milieu auf.[3]

Ihr Pseudonym bedeutet in der Sprache der Wolof, ihres Stammes: "niemand will sie haben". So bezeichnet man dort üblicherweise Frauen, die ausschließlich Totgeburten haben. Mit dem Namen will man das neugeborene Kind spirituell schützen. Ken Bugul besuchte eine französische Schule, danach folgte ein Studium in der Hauptstadt Dakar, bevor sie (mit einem Stipendium) zur Studienfortsetzung nach Belgien ging. 1980 kehrte sie in ihre Heimat zurück, zerrissen auf der Suche nach ihrer kulturellen Identität. Sie fand zum islamischen Glauben zurück und trat freiwillig (als Ehefrau Nr. 29) in den Harem des Marabuts ihres Heimatdorfes ein. Die damals 32jährige verstand diesen Schritt als spirituellen Neubeginn. Nach dem Tod des Marabuts führte sie ihr Lebensweg zurück in die Großstädte, zuerst nach Dakar und später nach Benin. Dort wurde sie die Ehefrau eines Arztes und brachte eine Tochter zur Welt.

Ken Bugul hat bis heute sieben, vielbeachtete, teils ins Englische und Spanische übersetzte Romane veröffentlicht und lebt als Kunsthändlerin in Porto Novo, Benin. Auf Deutsch ist bislang nur ihr erster Roman „Le baobab fou” als „Die Nacht des Baobab” (1985) im Züricher Unionsverlag erschienen. Für ihren Roman „Riwan ou le chemin de sable” wurde sie im Jahr 2000 mit dem "Grand Prix Littéraire de l'Afrique Noire" ausgezeichnet.

Werke

- 1982 Le baobab fou - (dt. Die Nacht des Baobab)
- 1994 Cendres et braises - (engl. Ashes and Embers)
- 1999 Riwan ou le chemin de sable - (engl. Riwan or the sandy track)
- 2000 La Folie et la mort - (engl. Madness and Death)
- 2003 De l'autre côté du regard - (engl. As seen from the other side)
- 2005 Rue Félix-Faure
- 2006 La pièce d'or

3. Entwicklung des Autobiographiebegriffes in Bezug auf die afrikanische Literatur

Die Diskussion um das autobiographische Schreiben in der afrikanischen Gegenwartsliteratur hat ihren Ursprung bereits in der traditionellen Literaturwissenschaft und deren Eigenverständnis. Das eurozentrische Weltbild geht davon aus, dass die Autobiographie in Afrika Ergebnis der Kolonialisierung ist. Georges Gusdorf, ein Autobiographieforscher, behauptete in seinem Aufsatz über die Definition und Grenzen der Autobiographie im Jahre 1956[4]: "[es] sieht nicht so aus, als sei die Autobiographie jemals außerhalb unseres Kulturkreises aufgetreten; man könnte behaupten, daß ein spezielles Anliegen des abendländischen Menschen ausdrückt - ein Anliegen, das er auf seiner systematischen Eroberung der Welt mitgenommen und das er den Menschen anderer Kulturen übermittelt haben kann; aber diese Menschen wurden damit auch durch eine Art geistiger Kolonisation an eine Mentalität angeschlossen, die nicht ihre eigene war. [...] Dieses Sichbewußtwerden von der Einmaligkeit jedes einzelnen Lebens ist die verspätete Frucht einer bestimmten Kulturstufe. [...] es ist einleuchtend, daß die Autobiographie in einer kulturellen Landschaft, in der das Bewusstsein seiner selbst im eigentlichen Sinne nicht existiert, gar nicht möglich ist. Dieses Nichtwissen um die Persönlichkeit ist für primitive Gesellschaften, wie sie uns Ethnologen schildern, charakteristisch [...]."

Gusdorf geht bei seiner Argumentation von mehreren Prämissen aus: Erstens, dass die afrikanische Gesellschaft und somit auch die Literatur von einem Kollektivgedanken bestimmt wird und zweitens, dass es keine autobiographischen Werke in Afrika gebe. und dass der Kolonialismus die Gattung der Autobiographie den kolonialisierten Völkern aufgestülpt habe.

Zunächst möchte ich mich hier mit der Frage auseinandersetzen, ob der afrikanischen Kultur die Gattung der Autobiographie tatsächlich fremd ist.

In der Literaturforschung des 19. Jahrhunderts ging man soweit anzunehmen, dass es in der afrikanischen Kultur keine Literatur gebe, da man keine schriftlichen Zeugnisse davon fand.[5]

Es waren vor allem Missionare und Naturforscher, die im Zusammenleben - wenn auch nur kurz - entdeckten, dass die sogenannten "wilden Völker" auch dichteten. Ein Beispiel dafür ist die bereits 1854 veröffentlichte Sammlung von Fabeln und Märchen, die der Missionar Sigismund Wilhelm Kölle präsentierte. Afrikanische Sprichwörter in deutscher Übersetzung wurden uns von dem Missionar Hans Nicolaus Rijs 1853 in Basel vorgestellt. Leo Frobenius hat im ausklingenden 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts die afrikanische Archäologie begründet. Er zeichnete tausende Seiten afrikanischer Oratur auf und wollte so die kulturelle Einheit des Kontinents mit seiner Kulturkreislehre begründen. Er betrachtete Afrika als gleichwertig an und trug so zur Entkolonialisierung der geistigen Welt bei.[6] Die mündlich überlieferte Poesie hat in Afrika auch heute noch einen großen Stellenwert und verwendet Lieder bei allen möglichen Anlässen. Die Elemente finden sich dabei auch in der geschriebenen Lyrik wieder. Es gibt also keine klare Grenzen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit.[7] Als Ergebnis der Oraturforschung in der neuen Zeit kann man als Ergebnis festhalten, dass das Sprechen über die eigene Person in der Öffentlichkeit in stilisierter Art und Weise in Afrika durchaus heimisch war und ist.[8] Formen lyrischer Ich-Darstellung in oraler Darstellung gibt es heute vor allem im zentralen und südlichen Afrika. In Rwanda wurde "Ukwivuga" (wörtlich: über sich selbst sprechen) bereits im 17. Jahrhundert belegt. Es ging dabei um ein Preisgedicht, in dem der Krieger - ähnlich der Antike - seine kriegerischen Heldentaten besang.[9] In Südafrika stehen sich die lyrischen Selbstpreisformen Izibongo sowie Lithoko bis heute als lebendige Oraturformen neben der großen Vielfalt schriftlicher Autobiographien in Englisch oder Afrikaans.[10] Die oralen Formen der Autobiographie haben sicherlich nicht den gleichen Charakter, den wir von einer Darstellung des Ich erwarten. Das Ich wird als Teil einer Familiengeschichte dargestellt. Seine Identität setzt es als ein "statement of identity in community" ein.[11] Natürlich sind diese formen der oralen Darstellung an eine Zuhörerschaft gebunden und finden in einem entsprechenden Rahmen statt. Es findet sich jedoch darin der Beweis, dass der afrikanischen Literatur Darstellungsformen eines Ich durchaus bekannt sind. Sie finden in einem gemeinschaftlichen Rahmen statt und betonen das Ich als Teil einer Gemeinschaft. Westliche Schrifttradition kann die Literatur höchstens beeinflusst haben. Von einem Aufoktoyieren und einer Ausschließlichkeit der westlichen Ich-Darstellung kann nicht gesprochen werden.

[...]


[1] (Gehrmann, Vom Entwerfen des Ich im Erinnern des Wir?, 2004), S. 3.

[2] (Parry & Platen, 2007), S. 39 ff.

[3] Biographie vgl. (Hanak, 1999), S. 25.

[4] (Gusdorf, 1998), S. 122.

[5] (Seiler-Dietrich, 1995), S. 26.

[6] (Seiler-Dietrich, 1995), S. 26 ff.

[7] (Seiler-Dietrich, 1995), S.34 f.

[8] (Gehrmann, Constructions postcoloniales du Moi et du Nous en Afrique: l' exemple de la série autobiographique de Ken Bugul, 2009), S. 177 f.

[9] (Nsengimana, 1996) S. 42 f.

[10] (Gehrmann, Constructions postcoloniales du Moi et du Nous en Afrique: l' exemple de la série autobiographique de Ken Bugul, 2009), S. 177.

[11] (Coullie, 1999), S. 72.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Autobiographischer Diskurs in der afrikanischen Literatur und Ken Buguls "Le baobab fou" und "Riwan ou le chemin de sable"
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
20
Katalognummer
V211993
ISBN (eBook)
9783656399667
ISBN (Buch)
9783656401933
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
autobiographischer, diskurs, literatur, buguls, riwan
Arbeit zitieren
Nicole Romig (Autor:in), 2011, Autobiographischer Diskurs in der afrikanischen Literatur und Ken Buguls "Le baobab fou" und "Riwan ou le chemin de sable", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211993

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