Die Beschreibung des Unsichtbaren

Über die Grenzen empirischer Forschung


Essay, 2013

27 Seiten


Leseprobe


Was denkt meine Katze? …

Ja, was denkt sie? Denkt sie überhaupt? Hat sie Gefühle? Träumt sie gelegentlich? Mag sie mich oder sieht sie in mir nur den Futterautomaten? (Es spielt nun wirklich keine Rolle, ob Sie statt über meine Katze lieber über Ihren Hund, Ihr Meerschweinchen oder was auch immer für ein Tier nachdenken wollen – nur nachdenken sollten Sie!)

Plant ein Vogel den Bau seines Nests? Oder folgt er vielleicht nur „blind“ seinen „Instinkten“. (Was immer das sein soll?) Überlegt sich meine Katze, was sie als nächstes tun könnte? Kann sie sich „frei“ entscheiden, ob sie nun den Kater von nebenan besuchen oder doch lieber auf Mäusejagd gehen soll?

Warum wissen wir das alles nicht? Warum können uns selbst die „Wissenschaftler“ auf all diese Fragen keine eindeutigen Antworten geben?

Nehmen wir an, derartige Fragen beschäftigten Sie tatsächlich – was könnten Sie denn tun, um eine „Antwort“ zu bekommen?

Nun, Sie könnten das tun, was die „Wissenschaftler“ auch tun – Sie könnten zunächst einmal genauer hinsehen. Sie beobachten Ihr Tier bei Tag und bei Nacht, Sie protokollieren jede seiner Bewegungen. Sie rücken ihm mit Mikroskop und Fernglas zu Leibe, ja, schließlich stecken Sie ihm sogar Drähte in den Kopf und messen irgendwelche „elektrischen Potentiale“ oder schieben das arme Vieh in einen Computertomographen.

Kurzum, Sie beobachten und messen alles, was sich nur irgendwie beobachten und messen lässt, bis Sie, wir wollen es mal annehmen, alles über Ihre Katze (oder Ihren Hund, oder, oder …) wissen, was man „wissen“ kann ...

… Nur …

… ob ihre Katze „träumt“ …

… was sie „denkt“ und ob sie überhaupt „denkt“ …

… das wissen sie immer noch nicht ...

… Warum eigentlich nicht???

… und was denken andere Menschen?

Nun - was Katzen „denken“ interessiert uns im Allgemeinen nicht wirklich. Wir wollen daher unsere Katze Katze sein lassen und unser Augenmerk auf ein anderes Lebewesen richten – den „Menschen“, unseren „Nächsten“, unseren „Partner“. Auch hier begegnen wir ja gelegentlich demselben Problem. Was wissen wir über Ihn?

Was denkt er? Und denkt er überhaupt? Hat er Gefühle und wenn ja, welche? Träumt er gelegentlich? Mag er mich oder sieht er in mir nur den „Futterautomaten“?

Vielleicht haben Sie sich ja auch schon mal gefragt, was „Psychologen“ oder „Hirnforscher“ eigentlich tun. Nun – auch sie treibt die Frage um, wie Menschen „funktionieren“. Ob sie denken und träumen, Wünsche oder Gefühle haben und vor allem, was für welche.

Wir können Menschen natürlich „erforschen“ wie wir Hunde, Katzen, Bäume oder Steine erforschen. Wir können beobachten und messen, was beobachtbar und messbar ist.

Allerdings - wir bekommen auf diesem Weg auch nie mehr über den Menschen heraus, als wir über Hunde, Katzen, Bäume und Steine herausbekommen.

Doch Menschen haben als „Forschungsobjekte“ anderen Lebewesen gegenüber einen „scheinbaren“ Vorteil …

… sie können reden.

Wenn Sie jedoch denken, das vereinfache die Sache erheblich, da brauche man ja nicht lange zu forschen, man könne den „Forschungsgegenstand Mensch“ doch einfach befragen – dann irren Sie sich.

Im Gegenteil – die Tatsache, dass das „Forschungsobjekt“ „reden“ kann, macht das Ganze (zumindest aus „wissenschaftlicher Sicht“) erst richtig kompliziert.

Fragen wir uns aber zunächst einmal, warum wir überhaupt geneigt sind, zu glauben, wir könnten über andere Menschen etwas erfahren, was wir über unsere Katze wohl nie erfahren werden? Wie kommen wir auf die Idee, wir wüssten über andere Menschen etwas, was wir von unserer Katze nicht wissen können? Können wir denn beim Menschen etwas beobachten, was wir bei einem anderen „Gegenstand“ nicht beobachten können?

Mitnichten! Wir können auch beim Menschen nichts „beobachten“, was wir nicht auch bei einer Katze, einem Hund oder einer Maus genauso beobachten könnten. Für einen „Wissenschaftler“ ist der Mensch ein „beobachtbarer Gegenstand“ wie alle anderen „beobachtbaren Gegenstände“ auch, wie ein Stein, ein Baum oder eben eine Katze.

Und - ob ein Gegenstand fühlt, denkt oder träumt – das sind nun mal keine „beobachtbaren“ Eigenschaften.

Fühlt ein Stein etwas - oder fühlt er nichts – wie wollten Sie das wohl feststellen?

Wir gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass Steine nichts fühlen. Und wenn Sie einen Physiker bitten würden, er möge doch die Kugeln in seinem Experiment nicht mit solcher Wucht aufeinanderprallen lassen, das täte denen doch weh – in dessen Seminar sollten Sie tunlichst nicht wieder erscheinen.

Obwohl …

… Ihnen sträuben sich hoffentlich – wie auch mir – bei dem Gedanken, der Mensch sei nur ein „Gegenstand“ wie jeder andere auch, nicht nur die Nackenhaare. Das mag ja „logisch“ korrekt sein …

… ABER …

Mit just diesem „ABER“ möchte ich mich, und damit auch Sie auf den restlichen Seiten dieser Schrift beschäftigen.

Des Wortes Bedeutung

Ich denke, zunächst einmal bedarf die Behauptung, dass die Fähigkeit des Menschen zu „sprechen“, seine „Erforschung“ keineswegs vereinfache, der Begründung.

Nun - worin besteht denn - „objektiv gesehen“ - diese merkwürdige „Fähigkeit zu sprechen“?

Es ist unbestreitbar richtig, dass wir Menschen „Geräusche erzeugen“ können – wie übrigens die Stahlkugeln beim Zusammenprall auch! Der Hund „bellt“, die Katze „miaut“, das Baby „schreit“ – aber – „sprechen“ sie damit auch schon zu uns?

Sie werden zugeben, dass es mit dem bloßen Erzeugen von Geräuschen allein nicht getan ist – wir sollten schon wissen, was die Geräusche „bedeuten“, wir sollten die Geräusche „verstehen“.

Was aber hat es mit dieser „Bedeutung“ von „Geräuschen“, von „Lauten“ auf sich?

Wenn ihre Kellertür quietscht, hat dies Geräusch eine „Bedeutung“?

Nun ja, sie wissen möglicherweise genau, wie das Quietschen „zustande kommt“ (Sie haben die Tür längere Zeit nicht mehr geölt und deshalb reibt nun Metall auf Metall). Sie kennen also die „Ursache“ des „Geräuschs“ – aber ist die „Ursache“ auch seine „Bedeutung“? Ist das Quietschen der Tür ein „Wort“?

Nein - sie kämen kaum auf die Idee, das Quietschen der Tür für eine „sprachliche Mitteilung“ zu halten – etwa wie: „Aua! Das tut weh! Komm bitte und öle mich!“

Selbst dann also, wenn wir die „Herkunft“, die (Entstehungs-) „Ursache“ eines Geräuschs kennen, heißt das noch nicht, dass aus einem Geräusch ein „Wort“ wird. Das Geschrei unseres Babys bleibt auch dann nur ein Geschrei, wenn wir es vermutlich „richtig“ als Ausdruck von Unwohlsein deuten.

Andererseits betrachten wir jene „Geräusche“, die ein Mensch beim „Sprechen“ erzeugt, ja nicht unbedingt als Hinweis auf die Funktion seiner Stimmbänder – gerade die „Ursache“ der „Sprechgeräusche“ ist für uns eher uninteressant.

Was aber gibt dann einem „Geräusch“ seine „Bedeutung“, was macht es zu einem „Wort“?

Gibt es denn einen „beobachtbaren“, einen „objektiven“ Unterschied zwischen dem „Quietschen einer Tür“ und den „Schwingungen unserer Stimmbänder“? Nach einigem Überlegen werden sie vielleicht selber feststellen, dass es einen solchen Unterschied nicht gibt! Sie können beiden Geräuschen mit den ausgeklügelsten Messgeräten zu Leibe rücken – Sie werden immer nur Unterschiede feststellen, wie sie eben zwischen beliebigen Geräuschen existieren. Das „Plätschern“ von Wasser hört sich zwar anders an als das „Quietschen“ der Tür – dennoch sind beides keine „Worte“. Bei allem „Erforschen“ der „Geräusche“ werden sie keine „qualitativen“ Unterschiede zwischen Worten und Geräuschen entdecken können.

Kurzum, es gibt keinen „beobachtbaren“, keinen „messbaren“ Unterschied zwischen einem „Geräusch“ und einem „Wort“. Die „Bedeutung“ eines „Geräuschs“ ist nichts „Beobachtbares“, nichts „Objektives“. „Worte“ tragen ihre „Bedeutung“ nicht irgendwie spazieren, man kann ihnen ihre „Bedeutung“ nicht „ansehen“, sie ihnen nicht „entnehmen“. (Wäre es so, das Erlernen einer „Fremdsprache“ würde um einiges leichter.)

Woher aber weiß ich dann, ob etwas ein „Wort“ ist – oder „nur“ ein „Geräusch“? Wie unterscheide ich beide voneinander? Wenn ein „Geräusch“ „objektiv“ keine Bedeutung hat, sondern bestenfalls einen Hinweis gibt auf seine Entstehungsursache – dann muss die Bedeutung ja zwangsläufig etwas „Subjektives“ sein, gleichsam etwas, dass ich selbst dem Geräusch hinzufüge.

Und – in der Tat – es ist unsere ureigenste „Leistung“, Ihre Leistung, aus einem „Geräusch“ ein „Wort“ zu machen, einem „objektiven“ Geräusch eine „subjektive“ Bedeutung zu geben.

Sie selbst „machen“ etwas mit dem „Geräusch“ …

… Sie selbst „geben“ ihm eine „Bedeutung“ (oder auch nicht) …

IHRE „Bedeutung“.

Und so kann es passieren, dass Sie einem „Geräusch“ „ihre Bedeutung“ geben, ein anderer aber gibt dem „Geräusch“ „seine Bedeutung“ und ein Dritter schließlich gibt ihm „gar keine Bedeutung“.

Solange ich einem „Geräusch“ jedoch keine „Bedeutung“ gebe, ist ein „Geräusch“ für mich auch kein „Wort“, ich „verstehe“ es folglich auch nicht. Es ist für mich im Wortsinn „bedeutungslos“, es ist kein „Wort“ meiner Sprache.

Das klingt kompliziert – und das ist es wohl auch!

Das ist es vor allem deshalb, weil wir uns zum Zeitpunkt des Sprechen-Lernens ja nicht hinsetzen und überlegen, welche „Bedeutung“ wir denn nun dem „Geräusch“ „Mama“ geben sollen, das unsere Mutter da dauernd von sich gibt.

Nein, wir kommen anfangs, etwas schnoddrig gesagt, zur „Bedeutung“ der „Worte“ wie die Jungfrau zum Kind – wir haben keine Ahnung, wie. Und wenn wir dann später – meist sehr viel später – zu so etwas wie „Bewusstsein“ gelangen, wenn wir anfangen, über die „Bedeutung“ der „Worte“ nachzudenken – dann haben wir unsere „Muttersprache“ längst gelernt und „kennen“ die „Bedeutung“ der Worte.

Bis – ja bis wir eines Tages feststellen, dass uns eigentlich niemand „so richtig versteht“! Und – dass auch wir vieles nicht „verstehen“. Dass wir uns gelegentlich fragen, „wovon“ „die Anderen“ da eigentlich reden.

Obwohl sie doch „irgendwie“ „meine Sprache“ sprechen!

Sprechen sie wirklich „meine Sprache“?

Ich sehe was, was Du nicht siehst.

Tatsächlich können wir nur „beobachten“, dass gewisse Gruppen von Menschen „ähnliche“ Geräusche erzeugen. (Wie unterschiedlich diese scheinbar „ähnlichen Geräusche“ „objektiv“ trotzdem noch sind, können die Experten, die sich mit dem Problem maschineller Spracherkennung herumschlagen, mühelos demonstrieren!)

Wie wir gerade festgestellt haben, kommt es aber nicht nur auf die „Ähnlichkeit“ der „Geräusche“ an – entscheidend wäre – festzustellen, ob diesen „Geräuschen“ auch von allen Menschen die „gleiche Bedeutung“ gegeben wird.

Ob aber die Menschen, die „ähnliche“ Geräusche erzeugen, mit diesen Geräuschen auch „gleiche“ oder zumindest „ähnliche“ „Bedeutungen“ verbinden, lässt sich „durch Beobachtung“, also „empirisch“, nicht feststellen.

Wir „sehen“ ja die „Bedeutung“ der Worte nicht!

Wie bitte???

Wenn ich „Tomate“ sage – dann …

… dann kann man doch …

… richtig …

… Tomaten kann man …

… aber …

… Ihre „Vorstellung“ von einer „Tomate“ …

… kann man eben nicht …

… sehen.

Wir können unbestreitbar „über“ Tomaten reden, wenn weit und breit keine Tomate zu „sehen“ ist – an die Stelle der „richtigen“ Tomate tritt dann unsere „Vorstellung“ von einer Tomate – aber …

… „vorgestellte“ Tomaten sind nun mal nicht „sichtbar“!

Vorstellungen sind nur für den „sichtbar“, der sie „hat“. Vorstellungen anderer Menschen aber bleiben uns verborgen, sie sind nicht „beobachtbar“, und sie sind einer auf Beobachtung gründenden Wissenschaft daher auch nicht zugänglich.

Was wir zu „beobachten“ meinen, wenn wir „sprachliche Äußerungen“ (und nicht nur „Geräusche“) in unsere Forschung mit einbeziehen, sind immer unsere eigenen Vorstellungen, nie die des Anderen!

Mit meinen Vorstellungen und Fantasien, Wünschen und Träumen „sehe“ ich tatsächlich etwas, was der Andere nicht sieht, nicht sehen kann. Über die kann ich zwar versuchen mit „Worten“ Auskunft zu geben – aber damit der Andere diese „Auskünfte“ auch versteht, muss er ja „meine Sprache“ sprechen!

– Eine ausweglose Situation???

Keineswegs – mit den Worten, die ich hier aneinanderreihe, versuche ich ja gerade, mit Ihnen zu sprechen! Und natürlich weiß auch ich nicht, welche Vorstellungen Sie sich aufgrund „meiner Worte“ nun bilden werden, weiß nicht, was konkret meine Worte in ihrem Kopf anrichten. Ich weiß nicht, welchen Aussagen Sie „zustimmen“ werden, welche Ihnen „nichts“ sagen und welche sie für „unsinnig“ oder schlicht „falsch“ halten.

So ist jede „Kommunikation“ in gewisser Weise auch ein „Experimentieren“ …

… ein Experimentieren mit „Worten“, das immer schon voraussetzt, was doch erst gewonnen werden soll …

… eine „ gemeinsame Sprache “.

Aber - es bleibt uns gar nichts anderes übrig - wir müssen uns beim Sprechen darauf verlassen, dass der Andere uns verstehen kann und wir ihn verstehen …

… auch wenn wir keineswegs wissen, ob das immer der Fall ist.

Wir müssen „glauben“, dass der Andere den Worten die gleiche Bedeutung gibt (oder doch geben kann!), die wir ihnen geben, auch wenn wir das weder „sehen“, noch irgendwie in einem „wissenschaftlichen Sinne“ beweisen können.

Haben wir diesen Glauben nicht, dann ist jeder Versuch zu „kommunizieren“, sich zu „verständigen“, aussichtslos.

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die Beschreibung des Unsichtbaren
Untertitel
Über die Grenzen empirischer Forschung
Autor
Jahr
2013
Seiten
27
Katalognummer
V212218
ISBN (eBook)
9783656400455
ISBN (Buch)
9783656400813
Dateigröße
583 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
beschreibung, unsichtbaren, über, grenzen, forschung
Arbeit zitieren
Reinhard Blew (Autor:in), 2013, Die Beschreibung des Unsichtbaren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212218

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