Sprachgeschichten des Nationalsozialismus - ein Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

24 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


1. Einleitung

„Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger zeit ist die Giftwirkung doch da.“[1] Victor Klemperers Ausspruch aus seinem Werk „LTI - Notizbuch eines Philologen“ treffen den Kern der Wortbedeutungen, die im 20. Jahrhundert der Sprachgeschichte des Nationalsozialismus dem nationalsozialistischem Sprachstil und somit auch ihrem Vokabular zukamen, mit äußerster Deutlichkeit. Nichts wirkt mehr auf die Entwicklung und Veränderung einer Sprache, als sich neu formende Wörter, wandelnde Bedeutungen oder die Verwendung eines gewissen sprachlichen Ausdruckes, der in unterschiedlicher Anwendung Einfluss auf die Sprecher einer Sprache nimmt.

Betrachtet man die veröffentlichten Sprachgeschichten über die Entstehung bzw. Entwicklung der deutschen Sprache, so wird man sich sehr schnell ihrer Komplexität als auch ihrer Differenziertheit im Bezug auf die deutsche Sprache bewusst. Wo der Fokus der einer Sprachgeschichte liegt, ist bei einer Anderen ein völlig anderer Ansatz oder Schwerpunkt erkennbar.

Dies wird vor allem in der Darstellung der Sprache des Nationalsozialismus deutlich, denn hier gibt es eine rege Vielfalt an unterschiedlichen Forschungen und Ansatzschwerpunkten. Dennoch kann man die reinen Sprachgeschichten des Deutschen, die über die Gesamtheit der deutschen Sprachentwicklung schreiben, von den Einzelwerken, die auf festgelegte Teile der deutschen Sprachgeschichte Bezug nehmen, klar abgrenzen.

Neben dieser deutlichen Unterscheidung rückt jedoch die Schwierigkeit der Betrachtung der Sprachgeschichte des Nationalsozialismus in den Blickpunkt. Die Betrachtung konzentriert sich vor allem auf den Zeitpunkt der Sprachgeschichte des Nationalsozialismus, da eine klare Fixierung auf die Zeit ab der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 bis zum Ende des Nationalsozialismus 1945 nicht durchweg möglich ist, bzw. hier unterschiedliche Meinungen vertreten werden, ab wann man überhaupt von einer Sprache des Nationalsozialismus sprechen kann und ob und wie sich eine nationalsozialistische Sprache von der deutschen Sprache abgrenzt.

Aufbauend auf diese Problematik ist die zentrale Fragestellung dieser Arbeit auch ein Vergleich von ausgewählten Sprachgeschichten über die Sprache des Nationalsozialismus. Hier soll im Mittelpunkt stehen, wie sich die Sprache des Nationalsozialismus präsentierte, wie sie wirkte und ob man überhaupt von einer „Sprache des Nationalsozialismus“ sprechen kann. Ferner soll ein kurzer Einblick in verschiedene prägende und bedeutsame Wörter des Nationalsozialismus, als kleiner Exkurs an ausgewählten Beispielen der nationalsozialistischen Lexik, erfolgen.

Soweit es für die sprachliche Betrachtung erforderlich ist, werden auch eventuelle historische Kontexte zum besseren Verständnis mit einbezogen werden, ein genaue historische Darstellung der Ereignisse solljedoch nicht erfolgen.

2. Sprachgeschichten des Nationalsozialismus

Über die Entwicklung bzw. Entstehung der deutschen Sprache sind in der Vergangenheit verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen veröffentlicht worden. Diese werden in der Germanistischen Sprachwissenschaft als Sprachgeschichten bezeichnet, da sie sich mit der Entstehungsgeschichte der deutschen Sprache auseinander setzen. Somit kann man sie auch als „Sprachgeschichte in Sprachgeschichten“ bezeichnen. Allerdings rücken bei näherer Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Sprachgeschichten des Deutschen, verschiedene Ansatzpunkte innerhalb der Sprachgeschichten in den Vordergrund.

Innerhalb dieser Sprachgeschichten ist eine differenzierte Periodisierung der deutschen Sprache erkennbar, denn die einzelnen Autoren dieser Sprachgeschichten stützen sich in der Regel auf unterschiedliche Schwerpunkte, was die Betrachtungsweise und die Dokumentation der Sprachgeschichte betrifft. Dies ist vor allem im Mittelhochdeutschen ersichtlich, wo z.B. Gerhart Wolff[2] andere Schwerpunkte setzte, als Peter von Polenz in seiner Sprachgeschichte des Deutschen.[3]

Betrachtet man nun die Entwicklung und die Verwendung der deutschen Sprache einige Zeit später, mit dem Ende der Weimarer Republik und der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, so ist eine unterschiedliche Darstellung und Interpretation der Sprachgeschichte dieser Zeit in den verschiedenen Sprachgeschichten, die den Nationalsozialismus beleuchten, zu erkennen.

Im Folgenden soll gezeigt werden, inwiefern man überhaupt von einer Sprachgeschichte des Nationalsozialismus sprechen kann, und in welchem Ausmaß eventuelle sprachliche Veränderungen des Deutschen während der nationalsozialistischen Regierungszeit von 1933 bis 1945, ihren Weg in die verschiedenen Sprachgeschichten des Deutschen gefunden haben.

Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, wird hier ein Vergleich zwischen ausgewählten Sprachgeschichten vorgenommen: namentlich die von Peter von Polenz, Werner Besch und Norbert R. Wolf und Wilhelm Schmidt.

2.1. Unterschiede in den Sprachgeschichten des Nationalsozialismus: ein Vergleich

Die Betrachtung innerhalb der Sprachgeschichten des Deutschen erstreckt sich auf die unterschiedlichen Perioden der deutschen Sprachentwicklung. Im Vordergrund steht in der Regel zu aller erst die Vorgeschichte der deutschen Sprache, mit ihren Anfängen von der geografischen Verortung, bis hin zu der Ausprägung der Sprache bei ihren Sprechern und den verschiedenen Einflüssen, die innerhalb dieser Sprache auszumachen sind.

Neben der Vorgeschichte der deutschen Sprache folgt die eigentliche Periodisierung, die, wie schon erwähnt, von den einzelnen Autoren der verschiedenen Sprachgeschichten unterschiedlich gehandhabt wird.

Vor allem im Neuzeitlichen Deutsch sind zahlreiche abweichende Darstellungen vorhanden, da die Dokumentation der Sprachentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts voneinander abweicht und die Autoren sich besonders im 20. Jahrhundert stark unterscheiden. Die Zeit nach der Weimarer Republik, also der Nationalsozialismus, weicht in ihren Darstellungen innerhalb der Sprachgeschichten besonders voneinander ab.

Die Sprache des Nationalsozialismus wurde im Vergangenen eingehend untersucht. Hierbei entstanden Werke unterschiedlicher Prägungen und Ausrichtungen. Neben den allgemeinen Sprachgeschichten die eine umfassende Einführung in die Sprachgeschichte des Deutschen geben, gibt es auch Werke, die sich ausschließlich mit der Sprachgeschichte des Nationalsozialismus auseinander setzen. So ist hier vor allem das Werk „Sprachwandel im 'Dritten Reich' “ von Eugen Slotty und Ingeborg Seidel-Slotty zu nennen, welches sich mit der Veränderung der Sprache im 'Dritten Reich' auf unterschiedlichen Ebenen beschäftigt. Dieses Werk, das nachweislich schon im Jahre 1934 begonnen wurde, überstand die Emigration und beinhaltet allein durch die zeitnahe Dokumentation, interessante Elemente über die Struktur und die Verwendung der Sprache während des Nationalsozialismus.[4] Des weiteren ist auch Christian A. Brauns Arbeit

„Nationalsozialistischer Sprachstil“, die sich mit einem stilistischen Schwerpunkt mit der Sprache des Nationalsozialismus auseinander setzt, von äußerstem Interesse. Jedoch sind beide Arbeiten, ebenso wie Gerhard Bauers Werk „Sprache und Sprachlosigkeit im 'Dritten Reich'“ oder Utz Maas „Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand“, keine reine Sprachgeschichten an sich, sondern weitaus komplexere Werke, die sich mit einem eingegrenzten Themenbereich innerhalb der Sprachgeschichte befassen.

Auf sie soll später noch im dritten Kapitel Bezug genommen werden, denn jetzt wenden wir uns den Unterschieden der ausgewählten Sprachgeschichten zu, die die Sprache des Nationalsozialismus im Komplex der Sprachgeschichte beleuchten.

2.1.1. Sprachgeschichte des Nationalsozialismus bei Peter von Polenz

Innerhalb der Sprachgeschichte Peter von Polenz muss man eine Differenzierung zwischen seinen beiden Werken „Geschichte der deutschen Sprache“ und „Deutsche Sprachgeschichte III - vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. III. 19. und 20. Jahrhundert“ vornehmen. Denn allein schon ihr inhaltlicher Aufbau als auch die äußere Form unterscheiden sich stark. Während Polenz in der „Geschichte der deutschen Sprache“ die Sprache des Nationalsozialismus in seinem Kapitel „Sprache und Politik bis 1945“ nur kurz umreißt und ihr lediglich 8,5 Seiten widmet[5], beschreibt er sie in seinem Werk „Deutsche Sprachgeschichte III - vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. III. 19. und 20. Jahrhundert“ weitaus ausführlicher, aber auch in seiner ihm eigenen Prägung, nämlich immer in einem politischen Kontext. Die Gliederung dieses Werkes ist in ein Hauptkapitel mit mehreren Unterkapiteln unterteilt. Nach einer kurzen geschichtlichen Einführung kommt bei ihm das Thema der „Sprache des Nationalsozialismus“ in mehreren Kapiteln vor, doch nicht in allen.[6]

Allerdings werde ich im mich im Folgenden auf sein Werk „Geschichte der deutschen Sprache“ beziehen, da die Beleuchtung des Werkes „Deutsche Sprachgeschichte III- vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. III. 19. und 20. Jahrhundert“ den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde.

Wenden wir uns wieder Polenz „Geschichte der deutschen Sprache zu“. Hier beginnt er bereits schon vor dem ersten Weltkrieg mit der Betrachtung von nationalistischen Tendenzen, die mit in den Sprachstil der Nationalsozialisten bzw. der Sprache des Nationalsozialismus einflossen. Er beruft sich hier auf die Strömung der sogenannten Sprachpuristen, die schon früh forderten, „nur ein deutschsprachiges Volk kann Herrenvolk werden und bleiben“.[7] Allerdings bezieht sich der Einfluss der Sprachpuristen auf eine deutsche Sprache ohne Fremdwörter lediglich auf die Zeit bis zur „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, da Hitler selbst „[...] 1940 durch einen Erlass die Sprachreinigung [...]“[8] untersagte.

Polenz setzt mit der Sprache des Nationalsozialismus nun weiter mit einer Definierung des nationalsozialistischen Sprachstils an sich an und kritisiert die Einseitigkeit der Forschung in Bezug einer bloßen Betrachtungsweise im Stil des „Wörterbuch des Unmenschen“, „Sprache des „Dritten Reiches'“, „NS-Sprache“ oder einem nationalsozialistischen „Vokabular“. Vielmehr sollte man die Sprache des Nationalsozialismus nicht nur am gängigen Vokabular bzw. am Sprachgebrauch ausmachen, sondern sie in den Kontext der Verflechtung von Politik und Werbung selbst stellen.[9] Denn laut Polenz ist der Nationalsozialismus überhaupt nur dann zu verstehen, wenn man ihn im Zusammenhang der wirtschafts-, sozial- und geistesgeschichtlichen Entwicklungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts betrachtet und vor allem den Zusammenhang „[...] vor dem Hintergrund der seit langem herrschenden Stilistik der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit [...]“[10] nicht außer acht lässt.

Zudem ist für ihn die Sprache des Nationalsozialismus nicht neu, denn die „[...] Nazis warben mit einer zynisch-virtuosen Mischung aus Schlag- und Fangwörtern - zur Betäubung des eigenen Denkens bei einfachen Gemütern - und aus allem, was den konservativ-konformistischen Deutschen in den 20er und 30er Jahren vertraut und angenehm im Ohr klang und seine Wurzeln in vielfältigen 'Bewegungen' und Ideologien hatte [...]“.[11]

So knüpft Polenz im weiteren an seine Kritik einer „Vokabelsammlung“ an und verweist darauf, dass es besser sei, doch anstatt von „Vokabeln“ von Texten auszugehen. Hier ist die Verbindung von Öffentlichkeit und politischer Wirkung besonders bedeutsam, da Polenz nicht nur Reden oder Ansprachen der Nationalsozialisten anführt, nein, er bezieht sich sogar auf unterschiedliche Epochen. So findet man z.B. einen Auszug einer Proklamation des 50er Ausschusses von 1848, ein Plakat der Christlich-Sozialen Partei von 1903, eine Rede Kaiser Wilhelm II. von 1914 und daneben zwei Reden Hitlers von 1933 und 1938[12].

[...]


[1] Klemperer, Victor: LTI: Notizbuch eines Philologen. 21. Auflage. Leipzig: Reclam, 2005, S. 27

[2] Wolff, Gerhart: Deutsche Sprachgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. 6. Auflage. Tübingen: A. Francke Verlag, 2009, S. 75ff

[3] Polenz von, Peter: Geschichte der deutschen Sprache. 10. Auflage. Berlin: Walter de Gruyter, 2009, S. 21ff

[4] Seidel, Eugen; Seidel-Slotty, Ingeborg: Sprachwandel im „Dritten Reich“. Halle/Saale: VEB Verlag Sprache und Literatur, 1961, S. V

[5] Polenz von, Peter: Geschichte der deutschen Sprache. 10. Auflage. Berlin: Walter de Gruyter, 2009, S.157ff

[6] Polenz von, Peter: Deutsche Sprachgeschichte III - vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. III. 19. und 20. Jahrhundert. Berlin: Walter de Gruyter, 1999, S. VIXff

[7] Polenz von, Peter: Geschichte der deutschen Sprache, S. 154

[8] Ebd., S. 155

[9] Ebd., S. 157

[10] Ebd., S. 157

[11] Ebd., S. 157

[12] Ebd., S. 158f

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Sprachgeschichten des Nationalsozialismus - ein Vergleich
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Germanistisches Seminar)
Veranstaltung
Sprachgeschichte in Sprachgeschichten
Note
2,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
24
Katalognummer
V212486
ISBN (eBook)
9783656406693
ISBN (Buch)
9783656405764
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sprachgeschichten, nationalsozialismus, vergleich
Arbeit zitieren
Jennifer Spatz (Autor:in), 2011, Sprachgeschichten des Nationalsozialismus - ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212486

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Sprachgeschichten des Nationalsozialismus - ein Vergleich



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden