"Der tödliche Pfiff" - Die soziale Rolle des Schiedsrichters und sein moralischer Anspruch in Thomas Brussigs Monolog "Schiedsrichter Fertig"


Studienarbeit, 2013

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einordnung des Themas in den systematischen und ethischen Kontext

2 Schiedsrichter Fertig – ein Macht und Ohnmacht eines Unparteiischen
2.1 Über den Autor
2.2 Über den Text
2.3 Zuhause in zwei Welten
2.4 Der „gottgleiche“ Schiedsrichter? – Aspekte einer verachteten moralischen Instanz
2.5 Der Verlust des Spiels – moderner Fußball als Spiegelbild der Unmoral?

Schluss

Quellenverzeichnis

Vorwort

Die Funktion des Schiedsrichters ist eine der wichtigsten im Fußballsport, insbesondere dort, wo es nicht nur um das Spiel als solches geht, sondern um komplexe ökonomische Interessen, dort, wo Entscheidungen um Auf- oder Abstieg auch über die Existenz von Vereinen entscheiden können. Als Person ist der Schiedsrichter jedoch die wohl kontroverseste Gestalt in diesem System. Kaum jemand sonst ist derartigen Attacken und Anfeindungen ausgesetzt wie er. Die moralische Integrität des Amtes und die persönlichen Stärken und Schwächen eines „Referees“, die Frage, wie weit er seine Unparteilichkeit pflegen und sein eigenes Geltungsbedürfnis im Zaum halten kann, sind wichtige Aspekte in der Bewertung einer Person, die als „Herr über das Spiel“ dasselbe ordnen und ihm durchaus eine Linie geben kann.

In seiner Litanei Schiedsrichter Fertig stellt der deutsche Autor Thomas Brussig eindrücklich dar, in welchem gesellschaftlichen Spannungsfeld ein Schiedsrichter agiert und wie eng die Funktion des Amtes und der private Bereich miteinander verbunden sein können. Der Ich-Erzähler seines Textes beklagt die mangelnde Ehrfurcht vor der Wichtigkeit des Amtes, gleichzeitig rechnet er mit dem Fußball insgesamt in all seinen Facetten ab und entlarvt das System als unmoralisch.

Anhand dieses Textes soll in dieser Arbeit die soziale Rolle des Schiedsrichters, der moralische Status seines Amtes und die Unmoral des Systems insgesamt untersucht werden. Sicherlich gäbe der literarische Text inhaltlich noch viel mehr her, doch beschränke ich mich auf den ethischen Aspekt, betrachtet vor dem Hintergrund literaturwissenschaftlicher Methodik

1 Einordnung des Themas in den systematischen und ethischen Kontext

In seinem Buch Mitmenschlichkeit und Sport geht Stefan Schenk der Frage nach, wie weit Sport die Gesellschaft im Kleinen abbilde. Er bezeichnet hierbei den Sport insgesamt als „Mikrokosmos der Gesellschaft“[1] und vertritt im Sinne des Sportwissenschafters Ommo Grupe die Meinung „daß man den Sport letztlich nicht diskutieren kann, ohne zugleich das gesellschaftliche System, dem er angehört […], mit zu analysieren“[2], wobei der Sport nicht nur ein Spiegelbild der Gesellschaft darstelle, sondern sich umgekehrt auch auf diese auswirke und sie mitpräge[3] (bspw. als „Freizeit-Sport-Kultur“ oder als prägender Faktor ehrenamtlicher Aufgaben[4]).

Auch wenn Fußball im Speziellen vielleicht „nur“die wichtigste Nebensache der Welt sein mag, äußert sich gerade in diesem Sport eine Mannigfaltigkeit ethischer Fragestellungen, was vor allem dann verständlich wird, wenn man wie Rudi K. Sander Fußball – analog zum Sport als Gesamten – als „System gesamtgesellschaftlicher Kommunikation“[5] begreift:

Schaut man einmal versuchsweise durch das Okular der funktionalen Systemtheorie, so sieht man je nach Einstellung, die das Gerät gerade hat, vielleicht irgendwie unscharf die Gesellschaft (alle reden immer über Fußball), man zoomt etwas näher heran, es erscheinen die autonomen Funktionssysteme (Fußball ist Recht, Fußball ist Kunst, Fußball ist vielleicht sogar Wissen[schaft], Fußball ist eine große Familie und erzeugt Haß und Liebe, Fußball ist zweifellos auch Politik, und falls es ein Subsystem Sport in der Gesellschaft gibt, dann ist Fußball wohl ein Subsubsystem.[6]

Von diesem funktionalen System ausgehend fächert Sander in weiterer Folge den Fußball in seiner sozialen Dimension weiter auf in seine organisatorische Funktion (FIFA, DFB, Vereine …) und schlussendlich in „das dritte Gesellschaftssystem“[7] – die interaktive Dimension, gekennzeichnet durch die jeweiligen aktiven Spieler wie auch die Reservespieler, die Schiedsrichter und je nach Betrachtungsweise auch die Zuschauer[8], womit ich mich dem eigentlichen Thema dieser Arbeit nähere.

Zugegeben, der Schiedsrichter, zumal im internationalen Sport Nr. 1, hat es bei weitem nicht einfach: Selten steht eine unparteiische Instanz derart im Mittelpunkt des Geschehens, selten sind – vermeintliche! – Nebenakteure solchen Angriffen ausgesetzt wie jene Personen, ohne die ein professionelles Match nicht zu denken wäre, deren Akzeptanz jedoch beim Publikum, aber auch bei Spielern und Funktionären, oftmals ein erschreckend niedriges Niveau erreicht. Der Schiedsrichter steht in einem gefährlichen Spannungsfeld: Seiner institutionellen Aufgabe, nämlich der Wahrung objektiver Regelkriterien, steht die subjektive Schwäche der Fehleranfälligkeit, aber auch der Selbstdarstellung und dem Drang, sich beweisen zu müssen, gegenüber. Beides gilt es zwar zu vermeiden, beides ist jedoch genuin menschlich. Und damit ist bereits etwas angesprochen, das man in vielen anderen Bereichen in ähnlicher Form beobachten kann: die Diskrepanz zwischen der Person und ihrem Amt.

Auf diesen Umstand weist auch Robert Feiner in seinem Buch über den Beruf (oder die Berufung) des Fußballschiedsrichters treffend hin, wenn er betont, wie sehr „der Unparteiische“ Beeinflussungen von außen ausgesetzt ist, seien es die Zuschauer, einzelne Spieler, intervenierende Trainer oder sei es insbesondere der Druck, vor dem Urteil eines Spielbeobachters zu bestehen.[9] In diesem Sinn betont Feiner auch die „oberste Priorität […], den Anforderungen eines Schiedsrichter-Ethos zu genügen“[10].

Ethisch konzeptionell betrachtet steht das Amt des Schiedsrichters – quasi als exekutive Instanz des Systems Fußball – in erster Linie in der Tradition verschiedenster Imperative, die, so hat es den Anschein, im Laufe der Fußballgeschichte immer zahlreicher geworden sind und neben den bloßen Spielregeln mittlerweile auch andere, scheinbar belanglose Aspekte wie die ordentliche Adjustierung betreffen. Unabhängig davon, ob man als „normaler“ Fußballanhänger diverse Bestimmungen als überflüssig oder gar als sinnlos empfindet oder nicht, wird jedoch klar, dass man sich hier fast ausschließlich im Bereich regeldeontologischer Konzeptionen im Sinne Immanuel Kants befindet.[11]

Demgegenüber bewegt sich das Fußballspiel selbst – und dies macht gerade das Wesen des Spiels aus – in einem Spannungsfeld verschiedener ethischer Konzepte: Den (unbedingten) Rahmen bilden zwar die festgesetzten, (zumindest innerhalb eines konkreten Spieles) unabänderlichen Regeln, doch vor dem Hintergrund dieser Normen muss der jeweilige Spieler Entscheidungen treffen, die zu bestimmten, je nach Spielverlauf auch veränderlichen Zielen führen (Halte ich ein Unentschieden? Wie halte ich dieses Unentschieden? Genügt ein Tor Vorsprung? Gebe ich den Ball ab oder schieße ich selber? Usw.) Man kann, sofern man Fußball eben als sozialen Mikrokosmos in sich und gleichzeitig als Teil der Gesellschaft begreift, durchaus Überlegungen anstellen, wie weit diverse (kantische) Sollensansprüche auch hier Geltung finden (die Frage nach bedingtem und unbedingtem Sollen hinsichtlich der Regeln und des Spielverlaufs, nach dem technischen Sollen hinsichtlich dem Erreichen konkreter individueller Spielzüge innerhalb eines Spiels, dem klugheitsbedingten Sollen in Bezug auf das persönliche Glück aller Akteure und – in letzter Konsequenz – dem moralischen Sollen in verschiedensten Bereichen, etwa auch hinsichtlich der ökonomischen Dimension des Systems Fußball)[12].

In diesem Sinn gestaltet sich ein konkretes Match als Wechsel und Zusammenspiel von regelethischen Konzepten auf der einen Seite und handlungsethischen Konzepten auf der anderen, wobei auch das Glücksprinzip (im philosophischen Sinn) eine entscheidende Rolle spielt, das insbesondere auch deswegen erwähnt werden muss, da es sich bei diesem Sport in erster Linie um ein Spiel handelt, an dem nicht nur die Hauptakteure, also die Spieler, entscheidend beteiligt sind, sondern auch der sprichwörtliche „zwölfte Mann“, das Publikum, seine wesentliche Funktion erfüllt. Über die Unterscheidung zwischen Zufallsglück und Lebensglück im deutschen Sprachgebrauch, wie sie auch Christoph Horn anspricht[13], möchte ich hier nicht näher eingehen, wiewohl angemerkt werden kann, dass hinsichtlich der emotionalen Rolle des Zuschauers beide Begriffe von Bedeutung sind. Was hier allerdings zum Tragen kommt, hat mit dem Sinn des Spiels an sich zu tun. Die bekannte Definition für Spiel des niederländischen Kulturhistorikers Johan Huizinga lautet:

[...]


[1] Stefan Schenk: Mitmenschlichkeit und Sport. Ethische Überlegungen zum Programm der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Berlin: LIT Verlag 2007 (= Forum Humanität und Ethik 5), zugl. Deutsche Sporthochschule Köln: Dissertation 2006, S. 17.

[2] Ommo Grupe zit. n. Schenk: Mitmenschlichkeit, S. 16.

[3] Vgl. ebd., S. 17f.

[4] Vgl. ebd., S. 60ff.

[5] Rudi K. Sander: Der fünfte Schiedsrichter – oder: Wenn Luhmann gepfiffen hätte, in: http://supersozius.wordpress.com/2012/03/31/der-funfte-schiedsrichter-oder-wenn-luhmann-gepfiffen-hatte/ [23.02.2013]

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. Robert Feiner: Der Schiedsrichter im Fußball: Mächtig in seinen Entscheidungen – Einflüssen ohnmächtig ausgesetzt? Hamburg: Diplomica 2011, S. 47ff.

[10] Ebd., S. 56.

[11] Vgl. dazu auch die Ausführungen in: Klaus Steigleder: Vernunft und Universalismus am Beispiel Immanuel Kants, in: Volker Steenblock (Hg.): Grundpositionen und Anwendungsprobleme der Ethik. Stuttgart: Reclam 2008 (= Kolleg Praktische Philosophie Bd. 2), S. 55–82.

[12] Vgl. ebd., S. 58.

[13] Vgl. Christoph Horn: Glück und Tugend, in: Steenblock (Hg.): Grundpositionen, S. 23–54, 24.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
"Der tödliche Pfiff" - Die soziale Rolle des Schiedsrichters und sein moralischer Anspruch in Thomas Brussigs Monolog "Schiedsrichter Fertig"
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Institut für Ethik und Gesellschaftslehre)
Veranstaltung
Sportethik
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
15
Katalognummer
V212675
ISBN (eBook)
9783656410157
ISBN (Buch)
9783656411895
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Ethik, Sportethik, Germanistik, Literaturwissenschaft, Neuere deutsche Literatur
Arbeit zitieren
Mag. theol. M.phil. Alfons Wrann (Autor:in), 2013, "Der tödliche Pfiff" - Die soziale Rolle des Schiedsrichters und sein moralischer Anspruch in Thomas Brussigs Monolog "Schiedsrichter Fertig", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212675

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