Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Inhalt, Entstehung, Zeit und Bedeutung des Titels von „Inny Swiat“
3. Das System des Gulags in „Inny Swiat“
3.1 Die Rolle der Moral
3.2 Kategorien und Klassen von Gefangenen
3.3 Die Funktion der Arbeit
3.4 Hunger, Krankheit, Angst und Tod als Kontrollmittel
3.5 Weitere totalitäre Mechanismen
4. Sinn des Epilogs
5. Schlusswort
6. Literatur
1.Einleitung
Der Gulag, Synonym für Zwangsarbeit, Unmenschlichkeit, Verschleppung und ein fester Assoziationspunkt unter der Bezeichnung „Stalinismus“. Die sowjetischen Arbeits- und Internierungslager waren Staaten im Staate Sowjetunion. Schon zu zaristischen Zeiten war es „üblich“ Straftäter, Aufrührer, Revolutionäre oder Aufständische in Lager nach Sibirien zu verbannen. Unter den Kommunisten, die ironischerweise zu den zahlreichen Häftlingen der Lager des zaristischen Russlands gehörten, wurde das System des Gulags perfektioniert. Es wandelte sich zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor und war gleichzeitig ein politisches Umerziehungslager für so genannte Konterrevolutionäre aber auch für apolitische Kriminelle.
Gulag (russ. Главное Управление Лагерей/ oder Главное Управление Исправительно-Трудовых Лагерей и колоний Glawnoje Uprawlenije Isprawitelno-trudowych Lagerej i kolonij - auch GULag – ist das Akronym für Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und gleichzeitig das Synonym für ein umfassendes Repressionssystem in der Sowjetunion. Der Gulag war zu einem festen Bestandteil des sowjetischen Machtapparates geworden und wurde mit seinen Millionen Gefangenen zu einer Art Parallelgesellschaft in der Sowjetunion, die jedoch die totalitären Beschaffenheiten des Staates übernahm und noch stärker einsetzte. Die Verbannung in den Gulag war gleichbedeutend mit dem kompletten Verlust des bisher bekannten Alltages und schlug für jeden Häftling ein neues Kapitel in seiner Biographie auf, größtenteils das letzte und bisher nie mit dem vorherigen Leben vergleichbare - der Gulag war eine andere Welt - so wie es im Buch von Gustaw Herling Grudzinski dem Titel zu entnehmen ist. Grudzinski steht als Beispiel für die unzähligen Millionen, jene die stalinistische Verbannung durchlebten. Nach der Annektierung weiter Teile Osteuropas durch die Rote Armee in den Jahren 1939-1940, wurden Millionen von Polen und Balten in den Sowjetischen Staat zwangsannektiert. Vor allem die polnischen Bewohner der so genannten „Kresy-Gebiete“, sahen sich einem rigorosen Terror durch den sowjetischen Geheimdienst ausgesetzt. Damit einher gingen Inhaftierungen, Ermordungen und letztendlich Deportierungen von hunderttausenden Polen in die tiefen des sowjetischen Reiches. Grudzisnkis Biographie ist hierbei ein Beispiel für die deportierten Polen aus den Kresy-Gebieten, welche ein Martyrium aus Heimat- und Familienverlust, Hunger, unmenschlichen Lebensbedingungen, Terror und letztendlich einer Entfremdung von sich selbst durchleben mussten. Die Gründe dafür fanden sich in der Möglichkeit, dass vor allem die Führungsschichten der Polen eine Bedrohung für die Ordnung in dem nun sowjetischen Teil Ostpolens werden konnten. Daher diente die Verbannung einerseits zur Zerstreuung und Kontrolle dieser Schicht aber auch zur Umerziehung. Dabei eröffnete sich allen Häftlingen im Gulag eine Art Mikrokosmos, der teilweise eine Übertragung des totalitären Staates mit seinen Regeln, Regelungen, Strukturen und Besonderheiten innerhalb des Lagerzauns war. Das sowjetisch-sozialistische System wurde – mit Abstrichen – innerhalb des Lagers weitergeführt, nahm in seiner Brutalität jedoch noch höhere Maße an. So war der Gulag, oder das Leben in Gulag, nicht nur einfach ein Gefängnis oder eine Gefängnisstrafe, es war viel mehr ein facettenreiches System, welches einen extrem hohen psychologischen Einfluss auf die Lagerinsassen ausübte. Die in „Inny Swiat“ von Grudzinski beschriebenen totalitären Repressionsmittel der Lagerleitungen und die Auswirkungen auf die Insassen sollen Thema dieser Hausarbeit sein.
2. Inhalt, Entstehung, Zeit und Bedeutung des Titels von „Inny Swiat“
Im März 1940 wurde Gustav Herling-Grudzinski vom NKWD verhaftet, während er versuchte die russisch-litauischen Grenze zu überschreiten. Nach mehreren Monaten Haft und zahlreichen Verhören, wurde ihm der Vorwurf gemacht, ein deutscher Spion zu sein. Gründe dafür fand der NKWD in dem deutschen Klang seines Namens und in der Tatsache, dass Grudzinski Offiziersschuhe trug. Von Juni bis November 1940 war er nacheinander in einem Gefängnis in Witebsk, Leningrad und Wolgoda, als er letztendlich zu fünf Jahren Lagerhaft in Yercewo verurteilt wurde. Im Januar 1942 erhielt er – nach einem Hungerstreik – die Erlaubnis sich mit den polnischen Truppen aus der Sowjetunion zu evakuieren im Rahmen des Sikorski-Mayski Paktes. Die Erfahrungen und eigenen Beobachtungen des physischen und psychischen Leidens, der Verzweiflung, des Elends und der Demütigungen in dem Lager, führten zur Entstehung von „Inny Swiat“, das Buch, an dem Grudzinski vom Juli 1949 bis Juli 1950 arbeitete und eine Biographie seines Lebens in den Jahren 1940 bis 1945 darstellt. Die ersten Arbeiten wurden in der polnischsprachigen Londoner Wochenzeitung "Wiadomosci" gedruckt. Separate Ausgaben erschienen in englischer Sprache im Jahre 1951. Der Roman gewann schnell die Anerkennung der Leser und Kritiker und wurde in viele Sprachen übersetzt. Polnische Ausgaben erschienen zuerst 1953 in London, dann in Paris im Jahre 1965. Im kommunistischen Polen wurde „Inny Swiat“ für viele Jahre verboten und nur im Untergrund publiziert. Unzensiert erfolgten die ersten Publikationen in der damaligen Volksrepublik Polen im Jahre 1980 und die erste offizielle Ausgabe im Jahre 1989.
Die zeitliche Handlungspanne in „Inny Swiat“ nimmt fünf Jahre ein. Sie beginnt mit den letzen Tagen des Sommer 1940 und endet im Jahre 1945. Die wesentliche Handlung nimmt 2 Jahre ein, in denen der Hauptprotagonist Gustaw seine Strafe im sowjetischen Arbeitslager verbüßt.
Der Epilog des Werkes versetzt die Handlung in das Jahr 1945. Die Geschichte bezieht auch die 30er Jahre mit ein, in denen die Vorgeschichten einiger Protagonisten beginnen. Die Geschichte von „Inny Swiat beginnt im Gefängnis von Witebsk, in dem Gustaw auf seine Weiterreise erwartet. Diese führt ihn weiter nach Leningrad und Wolgoda, von wo aus er letztendlich nach Yercewo in der Nähe von Arkhangelsk gebracht wird. Im Kapitel „Ural 1942” erwähnt der Erzähler eine Reihe von Orten, in denen er sich auf seiner Reise durch die Sowjetunion befand, auf dem Weg zur polnischen Armee. Dazu gehörten Buj, Sverdlovsk, Czelabinsk, Lugowoje und auch Pahlevi in Persien, wohin er mit der polnischen Armee evakuiert wurde. Der Epilog spielt wiederum in einem Hotel in Rom.
Der Titel des Werkes entnahm Gustav Herling-Grudzinski dem Buch von Fjodor Dostojewski "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“, das er während seines Aufenthalts im sowjetischen Lager las. Dostojewskis Werk hatte einen großen Einfluss auf Grudzinskis Gedanken über die Situation in der er sich befand. Von "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" ist auch der Leitfaden des Romans und das spiegelt voll und ganz die metaphorische Bedeutung des Titels "Inny Swiat“:
„To otwierał się inny, odrębny świat, do niczego niepodobny; tu panowały inne, odrębne prawa, inne obyczaje, inne nawyki i odruchy; tu trwał martwy za życia dom, a w nim życie jak nigdzie i ludzie niezwykli. Ten oto zapomniany zakątek zamierzam tu opisać.“
Das Arbeitslager war für den Schriftsteller eben diese "andere Welt" - eine Welt, die eine eigene Art von Moral und andere Sitten als die in der Welt der freien Menschen hatte. Es war eine Welt, in der jeder Tag den Kampf ums Überleben darstellte, die nur auf sich selbst konzentriert war, aber gleichzeitig ein Kampf um sich selbst und seine Menschlichkeit um den kompletten moralischen Absturz zu verhindern.
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