Rentierstaatlichkeit in der MENA-Region

Rentierstaatlichkeit als Demokratiehemmer für die Länder des Arabischen Frühlings


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Arabische Frühling

3 Die MENA-Region im Wandel

4 Theorie des Rentierstaates

5 Prinzipien eines Rentierstaates

6 Der Semi-Rentierstaat

7 Bedeutende Rentenarten der MENA-Region
7.1 Rohstoffrenten
7.2 Politische Renten
7.3 Effektenrenten
7.4 Migrationsrente
7.5 Lagerente
7.6 Tourismusrente

8 Ausblick der Renteneinnahmen in der MENA-Region

9 Demokratische Entwicklungen der Rentierstaaten und Semirentierstaaten nach dem Arabischen Frühling

10 Schlussfolgerungen

11 Literaturverzeichnis

12 Internetverzeichnis

12 Abbildungsverzeichnis

13 Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

In den 1970er Jahren entstanden die großen internationalen Erdölregime im Nahen Osten[1]. In der MENA-Region (siehe Kapitel 3 und Abbildung 1) bildeten sich paternalistische Herrschaftsformen auf der Grundlage materieller Leistungen und traditioneller Loyalitäten. Die Staatsapparate waren nepotistisch gesteuert und personell überdimensioniert. Im Zentrum des bürokratischen Apparates stand der Herrscher beziehungsweise Autokrat. (Pawelka, 2012, S. 6) Durch die Implemen­tierung autokratischer Regime bildeten sich die Rentenökonomien als Pendant zu den international vorherrschenden kapitalistischen Produktions­weisen heraus. Eine Folge der speziellen Rentenökonomien war, dass sich im Nahen Osten spezielle nichtkapitalistische Eliten herausbildeten, die durch externe Renten (siehe Kapitel 7) gefördert wurden. (Pawelka, 2008, S. 45) Hossein Mahdavy prägte daraufhin in den siebziger Jahren am Beispiel des erdölreichen Iran erstmals den Begriff des Rentierstaates. (Pawelka, 2008, S. 45)

Durch den Verkauf von Rohstoffen (siehe Kapitel 7.1), wie zum Beispiel Erdöl und Erdgas, oder andere externe Renteneinnahmen konnten die politischen Eliten ohne nennenswerte Gegenleistungen beziehungsweise Investitionen enorme Staatsein­nahmen generieren. (Pawelka, 2008, S. 45) Die Folge war und ist, dass diese Eliten nicht in moderne wirtschaftliche Strukturen investierten. Zudem wurden die Entfal­tungsmöglichkeiten der Wissenschaft, Forschung, Bildung und des Rechts­systems ihrer Autonomie entledigt. Vielmehr konzentrierte sich die Politik auf die Beschaffung beziehungsweise Stabilisierung von externen Renten und der damit einhergehenden Machtsicherung. (Pawelka, 2012, S. 6)

In den 1990er Jahren kam es zu Preisstürzen auf dem Weltenergiemarkt und die Welt wurde erstmals durch den Prozess der Globalisierung[2] geprägt. Beide Faktoren zusammen stürzten die arabischen Systeme in eine Existenzkrise. Das Ausbleiben wichtiger Reformen in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft (speziell in Kultur, Wissenschaft, Bildung und im Rechtssystem) führte in der MENA-Region zur Akkumulation gesellschaftlicher Proteste. Im Jahre 2011 mündeten diese Proteste in den „Arabischen Frühling“ (siehe Kapitel 2). (Pawelka, 2012, S. 6 f.)

Die vorliegende Arbeit befasst sich deskriptiv mit der Theorie und den Prinzipien des Rentierstaates. Des Weiteren werden die vorwiegenden Rentenarten der MENA-Region aufgezeigt und die Auswirkungen des Arabischen Frühlings angeführt.

2 Der Arabische Frühling

Die Selbstverbrennung des 26-jährigen tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi war der Zündfunke der sogenannten „Jasminrevolution“ in Tunesien am 17. Dezember 2010 und zugleich der Beginn des Arabischen Frühlings (auch als Arabellion bezeichnet). Auslöser der Jasminrevolution waren die jahrzehntelangen Repres­salien des Regimes von Zine el-Abidine Ben Ali[3]. Die Proteste galten den zu hohen Lebensmittelpreisen, der hohen Arbeitslosigkeit, den fehlenden Investitionen in die Infrastruktur und den schlechten Zukunftschancen junger Menschen, insbesondere der Akademiker im Lande. (Hanspeter, 2012, S. 163 ff.) Von Tunesien aus verbreitete sich der Revolutionsgedanke wie ein Flächenbrand auf weitere Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas. Am 5. Januar 2011 begann eine Revolution in Algerien aufgrund zu hoher Lebenshaltungskosten und stetig steigender Arbeits­losenzahlen. (Armbruster, 2011, S. 3 f.) Am 7. Januar 2011 erreichte die Protestwelle den Jemen. Mit einer Großkundgebung entflammte anschließend am 25. Januar 2011 die Revolution in Ägypten. Nur einige Wochen später wurde der fast 30 Jahre regierende Staatspräsident Muhammad Husni Mubarak[4] durch die Revolutionäre aus dem Amt getrieben. (Roll, 2011) In Libyen wurde der seit 40 Jahren regierende Diktator Muʿammar al-Qaddhāfī[5] mithilfe der North Atlantic Treaty Organization (NATO) und durch die revoltierende Bevölkerung nach blutigen Gefechten aus dem Amt gehebelt. Die Herrschaft des Diktators endete mit seinem Tod nach Gefechten mit den revolutionären Truppen am 20. Oktober 2011. (Lacher, 2011)

Des Weiteren folgten Protestaktionen nahezu im gesamten arabischen Raum (Marokko, Jordanien, Saudi-Arabien, Bahrain, Irak, Kuweit, Mauretanien, Oman, Sudan, Dschibuti, Sudan, in den palästinensischen Gebieten). (Asseburg, 2011) Im März des Jahres 2011 begannen die Aufstände in Syrien, die in einen Bürgerkrieg mündeten. Bewaffnete revolutionäre Truppen versuchen seitdem, das Assad-Regime zu stürzen. Syrien galt jahrzehntelang als ein ökonomisch, kulturell und politisch abgeschottetes Land, aus dem nur wenige Informationen nach außen drangen. (Helberg, 2012, S. 272 ff.)

3 Die MENA-Region im Wandel

Die Länder der „Middle East & North Africa Region“ (MENA-Region) haben rund 380 Millionen Einwohner (siehe Abbildung 1). Die MENA-Region ordnete sich während beziehungsweise nach den Aufständen des Arabischen Frühlings neu. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch autoritäre Regime und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Stillstand beziehungsweise Rückschritt (siehe Abbildung 1) wollen die meisten Menschen in Form von freien Wahlen politisch partizipieren. (Grossbongardt, 2011, S. 8 ff.)

Etwa zwanzig Prozent der Araber in dieser Region sind Analphabeten, von denen circa zwei Drittel Frauen sind. Armut, Perspektivlosigkeit der Jugend, Arbeitslosigkeit, Selbstbereicherungen von Eliten, Vetternwirtschaft, Intransparenz, Chancenungleich­heiten, soziale Ungerechtigkeiten, Repressalien der Regime und eine verwehrte politische Partizipation sind Missstände, die die Völker der Länder des Arabischen Frühlings in der MENA-Region zu Aufständen beziehungsweise Revolutionen veranlassten. (Bach, 2012, S. 86)

Der Anteil der Unter-Zwanzigjährigen ist mit circa 45 Prozent der Gesamtbevöl­kerung im arabischen Raum im Vergleich zu Europa mit circa 25 Prozent sehr hoch. (Grossbongardt, 2011, S. 8 ff.) Die arabische Jugend ist in besonderem Maße von der wirtschaftlichen Stagnation betroffen, zurückzuführen ist dies auf eine ungerechte soziale Segmentierung, die nur einem kleinen Teil der Jugend durch Patronage und Protektion eine vielversprechende Zukunft garantiert. Einem Großteil der arabischen Jugend wird jedoch trotz hervorragender Ausbildung der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, da sie keine einflussreichen Eltern oder Verwandte haben. Der Arabische Frühling wird unter anderem von dieser Jugend, aber auch von Gewerkschaften beziehungsweise gewerkschaftsähnlichen Organisationen und anderen Gruppie­rungen getragen, die die Ungerechtigkeiten und Repressalien der Regime nicht mehr hinnehmen wollen. (Perthes, 2001)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 : Nordafrika und der Nahe Osten, die „Middle East & North Africa Region“ (MENA-Region) (Kämmer, 2013)

4 Theorie des Rentierstaates

Der Begriff „Rentier-Staat“ wurde erstmals von H. Mahdavy im Jahre 1970 geprägt. In seiner Publikation „The Patterns and Problems of Economic Development in Rentier States: The case of Iran“ erläutert Mahdavy die Theorie des Rentierstaates am Beispiel des Iran, der im Jahre 1965 ein typischer Ölstaat der Region mit Öleinnahmen von über 70 Prozent der Staatseinnahmen war und immer noch ist. (Schmid, 1991, S. 53 ff.)

Mahdavy konzeptualisiert den Rentierstaat in einem budgetanalytischen Ansatz als Sondertypus eines peripheren Staates. Er erkennt einen strukturellen Zusammen­hang zwischen dem Regimeverhalten und der staatlichen Einkommensstruktur bei Rentierstaaten. Nach seiner Theorie gelten externe Einnahmen eines Staates wie zum Beispiel Schiffspassagen- und Pipelinegebühren, Entwicklungshilfezahlungen und Öleinnahmen als Renten. (Mahdavy, 1970, S. 428 ff.); (Schmid, 1991, S. 53 f.) Mahdavy definiert den Rentierstaat wie folgt:

„Rentier States are defined here as those countries that receive on a regular basis substantial mounts of external rent. External rent are in turn defined as rentals paid by foreign individuals, concerns or governments to individuals, concerns or governments of a given country.” (Mahdavy, 1970, S. 428)

Die Theorie des Rentierstaates wurde in den späten achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem bei Croom Helm veröffentlichten Sammelband „The Rentier State“ fortgeführt. Hazem Beblawi und Giacomo Luciani entwickelten in diesem Sammelband einen Rentierstaatansatz für den Nahen Osten, der bis heute in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Region weit verbreitet ist.

Beblawi unterscheidet den Rentierstaat in drei wesentliche Merkmale:

1. Die Renten sind die vorherrschende Einkommensart des Rentierstaates.
2. Die Renten haben einen externen Ursprung.
3. Die Beschaffung der Rente erfolgt durch die Regierung und die Minderheit der Bevölkerung, wobei die Mehrheit von der Rentenverteilung profitiert. (Hazem Beblawi & Giacomo Luciani , 1987, S. 49 ff.)

Hazem Beblawi und Giacomo Luciani vertreten die Thesen, dass zum einen in Staaten mit erhöhten Rentenbezügen autoritäre Regime gefestigt werden und zum anderen die Entwicklungspolitik dieser Staaten defizitäre Wege beschreitet. (Beck, 2009, S. 25); (Hazem Beblawi & Giacomo Luciani , 1987)

5 Prinzipien eines Rentierstaates

Die beiden wesentlichen Faktoren eines Rentierstaates sind:

- eine mangelhaft ausgeprägte Fiskalität
- die vorherrschende Einkommensart sind die verschiedenen Rentenarten (siehe Kapitel 7) (Schmid, 1991, S. 67)

Ein typischer Rentierstaat entkoppelt sich von der Notwendigkeit, ökonomisch notwendige Mittel einzusetzen, um die interne (kapitalistische) freie Wirtschaft (ausgenommen der Staatsbetriebe) zu stärken. Vielmehr strebt der Staat danach, seine Renten zu sichern und zu maximieren. Die Art und Höhe der Rentenbezüge korreliert dabei mit dem Liberalisierungsgrad der Ökonomie eines Landes. Ein Ziel ist es, die Autonomie der binnenorientierten Kapitalakkumulation zu bewerkstelligen. Somit vernachlässigt beziehungsweise ignoriert ein typischer Rentierstaat den inner­gesellschaftlichen Kapitalakkumulationsprozess, denn der Kern des politischen Handelns ist die Allokation externer Revenuen. (Schmid, 1991, S. 67 ff.); (Beck, 2009, S. 25 ff.)

Diese sozioökonomische Unabhängigkeit des Staates von seiner Gesellschaft ist aber nicht als strikte Trennung von dem Staat und seiner Gesellschaft anzusehen, denn sozialpolitisch ist der Staat keineswegs unabhängig von seiner Gesellschaft. Vielmehr verschafft sich der Rentierstaat seine Legitimation durch die politische Allokation der Rente, das heißt, er erkauft sich einen Konsens im Inneren der Gesellschaft, indem er einen Teil der Renten an wichtige Persönlichkeiten wie Stammesführer, religiöse Führer, Akademiker oder andere zahlt. (Schmid, 1991, S. 67 ff.) Zudem ist für einen Rentierstaat typisch, dass dieser für eine freie Gesundheitsversorgung, freie Bildungsmöglichkeiten und Lebensmittelsubventionen sorgt und/oder sogar keinerlei Steuern erhebt. Es kommt daraufhin zur Etablierung eines impliziten Gesellschaftsvertrags zwischen dem Staat und der Gesellschaft, wobei Teile oder die gesamte Gesellschaft auf politische Partizipation verzichten im Austausch gegen Wohlfahrtsleistungen und soziale Sicherheit. Der Staat erwartet zudem politische Loyalität des Volkes. Kurzum, der Rentierstaat gründet seine politische Legitimität auf materielle Leistungen. (Schwarz, 2009, S. 108 f.) Die politischen Eliten eines Rentierstaats sind ferner daran interessiert, dass kein kapitalistisches Bürgertum im Staat entstehen kann, damit keine materiell starke Klasse Gegeneliten produzieren kann. (Pawelka, 2008, S. 46)

Der Rentierstaat muss jedoch den zunehmenden Erwartungen der Gesellschaft gerecht werden, um die Herrschaftslegitimation zu sichern. Somit ist der Staat gezwungen, seine Renten zu sichern und durch das sogenannte „Rent-Seeking“[6] stets neue externe Renten zu erschließen. Dies hat zur Folge, dass die externe Rentenbeschaffung zur zentralen Aufgabe des Staates wird und gleichzeitig die Außenpolitik auf die Renten-Einwerbung fokussiert ist. (Schmid, 1991, S. 70)

[...]


[1] Naher Osten: Eine politische Region, zu der folgende Länder zählen: Türkei, Zypern, Libanon, Syrien, Israel, das palästinensische Gebiet, Jordanien, Ägypten, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Kuweit, Bahrain, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Amman und Jemen. (Politiklexikon bpb, I, 2013)

[2] Globalisierung: Weltweite Verflechtung von Wirtschaft und Gesellschaften, getragen unter anderen durch moderne Kommunikationsmittel wie das Internet. (Politiklexikon bpb, III, 2013)

[3] Zine el-Abidine Ben Ali: von 1987 bis 2011 Autokrat von Tunesien. (Asseburg, 2011)

[4] Muhammad Husni Mubarak: Staatspräsident Ägyptens vom 14. Oktober 1981 bis zum 11. Februar 2011 (Roll, 2011).

[5] Muʿammar al-Qaddhāfī: von 1979 bis 2011 diktatorisches Staatsoberhaupt Libyens. (Politiklexikon bpb, II, 2013)

[6] Rent-Seeking: „Rent-Seeking erwächst aus der Zuteilung von Gewinnchancen, ökonomischen Privilegien oder differentieller Handlungsrechte durch politische Instanzen eines interventionistischen Staates, die es den Wirtschaftsakteuren ermöglicht, dauerhaft Rente abzuschöpfen. Wirtschaftssubjekte konkurrieren untereinander um Monopol-Positionen und um präferentiellen Zugang zu Renten.“ (Schmid, 1997, S. 37 f.)

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Rentierstaatlichkeit in der MENA-Region
Untertitel
Rentierstaatlichkeit als Demokratiehemmer für die Länder des Arabischen Frühlings
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
27
Katalognummer
V212999
ISBN (eBook)
9783656408963
ISBN (Buch)
9783656409618
Dateigröße
852 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rentierstaatlichkeit, mena-region, demokratiehemmer, länder, arabischen, frühlings
Arbeit zitieren
Niels Schirrmeister (Autor:in), 2013, Rentierstaatlichkeit in der MENA-Region , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212999

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