An einem kalten Winterabend in Frankfurt am Main. Man schreibt das Jahr 1844. Ein Mann kehrt von den Weihnachtseinkäufen heim und hält seiner Frau ein leeres Schreibheft unter die Nase: „Hier ist das gewünschte Buch für den Jungen“. Er werde ein Bilderbuch daraus machen, verspricht er und beginnt das Heft mit Zeichnungen zu füllen, sie danach zu aquarellieren und ein paar Verse darunterzusetzen.
So beginnt die Geschichte des Kinderbuches „Der Struwwelpeter“. Heinrich Hoffmann, der das Bilderbuch für seinen dreijährigen Sohn Carl Philipp geschaffen hatte, ließ sich anlässlich der 100. Auflage im Jahre 1876 dazu hinreißen, eine kleine Entstehungsgeschichte des Struwwelpeter zu verfassen. Ist sie Mythos oder Tatsache? Dies ist angesichts der großen – bis in die heutige medizinische, psychologische und pädagogische Fachliteratur reichenden - Resonanz des Buches eine sich aufdrängende Frage. Zu befürchten steht aber, dass sie in Anbetracht eben dieser lebendigen Wirkungsgeschichte nur schwer zu klären sein wird.
Mythos oder Tatsache? Ob diese Frage beantwortbar ist, sei dahingestellt. Jedoch nötigt sie dazu, weitere Fragen zum Struwwelpeter zu stellen: Welche politischen Umstände herrschten? Wie sah Hoffmanns eigene Kindheit aus? In welcher familiären Situation schrieb er das Buch? Welche pädagogischen Absichten verfolgte er? Wovon ist der Struwwelpeter kunst- und literaturgeschichtlich möglicherweise beeinflusst?
Relevanz erhalten die deshalb im Folgenden durchgeführten Untersuchungen einerseits durch die Aktualität des Struwwelpeter-Buches per se und andererseits speziell durch die in den letzten Jahrzehnten aufgekommene und derzeit an Fahrt gewinnende Debatte um heutige „Zappelphilippe“.
Ursprünglich eine Figur in Hoffmanns Struwwelpeter ist der „Zappel-Philipp“ heute zum Schlagwort einer kindlichen Verhaltensstörung geworden: das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) wird in der einschlägigen Literatur nicht selten auch als „Zappelphilippsyndrom“ bezeichnet. Gängig ist die Bezeichnung auch für die betreffenden Kinder selbst. So beschreiben etwa Hüther et al. ihr Buch „Neues vom Zappelphilipp“ als „[...] ein Buch […] für alle, denen die Zukunft dieser kleinen Zappelphilippe […] am Herzen liegt“.
Was hat die Hoffmann'sche Figur mit diesen heutigen „Zappelphilippen“ gemein? Hat das Kind im Bilderbuch möglicherweise ADHS, beziehungsweise zeigt es nicht Symptome dieser Störung?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Geschichte vom Zappel-Philipp
- Hintergrund und Entstehung
- Literarische Vorfahren und Geschwister des Struwwelpeter
- Vorlagen aus der Kunst
- Politische und gesellschaftliche Situation
- Geistesgeschichte und pädagogische Wegbereiter
- Biografische Notizen zum Autor Hoffmann
- Die Geschichte und mögliche Deutungen
- Redaktionsgeschichte
- Resonanz
- Hintergrund und Entstehung
- Heutige Rezeptionen der Hoffmann'schen Zappel-Philipp -Geschichte
- Literatur über AD(H)S: Ohne den Zappel-Philipp nicht denkbar
- Erstbeschreibung eines Krankheitsbildes?
- Hoffmann missverstanden? Ein Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht die Rezeption der Figur des „Zappel-Philipp“ aus Heinrich Hoffmanns Kinderbuch „Der Struwwelpeter“. Dabei wird insbesondere die Frage gestellt, ob die Geschichte des Zappel-Philipp als Erstbeschreibung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) gedeutet werden kann.
- Die Entstehung des Struwwelpeter im historischen und gesellschaftlichen Kontext
- Literarische und künstlerische Vorbilder für Hoffmanns Werk
- Die Darstellung des Zappel-Philipp und mögliche Interpretationen
- Die heutige Rezeption des Zappel-Philipp im Kontext der ADHS-Debatte
- Eine kritische Analyse der Einordnung des Zappel-Philipp als Erstbeschreibung von ADHS
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel dieser Arbeit befasst sich mit der Einleitung und erläutert die Relevanz des Themas „Zappel-Philipp“ und ADHS. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Geschichte des „Zappel-Philipp“ aus dem Struwwelpeter und analysiert den historischen Hintergrund sowie die literarischen und künstlerischen Vorbilder des Werkes. Dabei wird auch die biographische Bedeutung des Autors Heinrich Hoffmann und seine pädagogischen Intentionen beleuchtet. Des Weiteren werden die möglichen Interpretationen der Geschichte vom Zappel-Philipp und ihre Redaktionsgeschichte untersucht. Im dritten Kapitel wird die heutige Rezeption der Figur des Zappel-Philipp im Kontext der ADHS-Debatte diskutiert. Dabei werden verschiedene Interpretationen der Geschichte vom Zappel-Philipp im Lichte heutiger ADHS-Forschung beleuchtet. Das vierte Kapitel fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und kritisiert die Einordnung des Zappel-Philipp als Erstbeschreibung von ADHS. Es plädiert für eine differenzierte Betrachtung der Figur und ihrer Bedeutung in der Kinderliteratur und im Kontext der Geschichte der Pädagogik.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind „Der Struwwelpeter“, „Zappel-Philipp“, „ADHS“, „Kinderliteratur“, „Rezeption“, „Historischer Kontext“, „Pädagogische Intentionen“, „Interpretation“, „Erstbeschreibung“, „Medizinisierung“ und „Biografische Aspekte“.
- Arbeit zitieren
- Janka Vogel (Autor:in), 2013, Hatte Philipp ADHS? Zur heutigen Rezeption der Hoffmann'schen Geschichte vom 'Zappel-Philipp'"., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213123