In der aktuellen Situation des Länderfinanzausgleiches kann man aus finanzwirtschaftlicher Sichtweise etwas überspitzt von einer Art Perversion sprechen. Die reichen Länder sind demotiviert, da weiterer Erfolg lediglich von den ärmeren Ländern abgeschöpft werden würde und die Armen handeln irrational. Größere Erfolge ihrerseits müssten mit Transfereinbußen aus den Geberländern bezahlt werden, sodass immer häufiger der Ruf nach Finanzautonomie zu hören ist.
Der im Jahre 2002 verstorbene Rechtsphilosoph John Rawls gilt als einer der größten Gerechtigkeitstheoretiker des 20. Jahrhunderts. In seinem 1971 erstmals veröffentlichten Hauptwerk „A Theory of Justice“ kreierte er eine Gerechtigkeitstheorie, welche auf die Idee des Gesellschaftsvertrages zurückgeht. Er konstruiert in einem Gedankenexperiment eine Entscheidungssituation, in der die Menschen über Grundrechte und –pflichten, sowie die Verteilung von gesellschaftlichen Gütern abstimmen. Rawls nimmt den beteiligten Personen die Kenntnis über ihre eigene Stellung in der Gesellschaft und zielt auf eine Einigung über die gerechteste Verteilung von Grundgütern ab.
Die vorliegende Arbeit eröffnet eine neue Perspektive auf den aktuellen Länderfinanzausgleich durch die in Bezugnahme von Rawls Theorie.
Rawls †heorie der Gerechtigkeit und die Frage nach der konkreten Anwendbarkeit auf Probleme der Finanzverteilung im Föderalismussystem
Der im Jahre 2002 verstorbene Rechtsphilosoph John Rawls1 gilt als einer der größten Gerechtigkeitstheoretiker des 20. Jahrhunderts. In seinem 1971 erstmals veröffentlichten Hauptwerk „A Theory of Justice“ kreierte er eine Gerechtigkeitstheorie, welche auf die Idee des Gesellschaftsvertrages zurückgeht. Er konstruiert in einem Gedankenexperiment eine Entscheidungssituation, in der die Menschen über Grundrechte und -pflichten, sowie die Verteilung von gesellschaftlichen Gütern abstimmen. Rawls nimmt den beteiligten Personen die Kenntnis über ihre eigene Stellung in der Gesellschaft und zielt auf eine Einigung über die gerechteste Verteilung von Grundgütern2 ab.3
In dem von Rawls geschaffenen fiktiven Urzustand setzt er Prämissen als Basis der Entscheidung für Gerechtigkeitsgrundsätze, welche für alle Individuen gleichermaßen zutreffen. So besitzt jede Partei, jede Person, einen eigenen, langfristigen Lebensplan und ist mit einem Gerechtigkeitssinn ausgestattet, der es ihr ermöglicht, Gerechtigkeitsgrundsätze zu verstehen und sich an ihnen zu orientieren.4
Rawls bedient sich in seiner Theorie einer abstrakten Figur, die er den Schleier des Nichtwissens nennt. Mithilfe dieses Werkzeuges schafft er eine faire
Ausgangsituation, in der Menschen sich auf Gerechtigkeitsprinzipien einigen. Der Schleier soll ein Hilfsmittel zum Herbeiführen eines möglichst objektiven Entscheidungsprozesses darstellen, in dem er die Menschen von der Kenntnis über persönliche Interessen und ihre gesellschaftliche Stellung löst.5
Es wird eine hypothetische Grundsatzformulierung aufgestellt, die in einem Gedankenexperiment mithilfe des fiktiven Urzustandes getestet und solange modifiziert wird, bis eine vollkommene Zustimmung erreicht ist.6
Die Rawlssche Gerechtigkeitstheorie kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Grundgüter vollkommen frei von ethischen Werten sind. Es muss eine Präferenz zwischen verschiedenen Gütern vermieden werden, indem sie sich auf grundlegende Funktionsleistungen gesellschaftlicher und politischer Institutionen beschränken. 7
Rawls vertritt in seiner Theorie eine Entscheidung unter Unsicherheit. Diese Art der Entscheidung bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeiten, mit der verschiedene Alternativen eintreffen werden, keine Berücksichtigung finden. Es wird davon ausgegangen, dass das schlechtmöglichste Ergebnis sicher eintreten wird. Auf Grund dieser Annahme wird im Entscheidungsprozess versucht, eben diese schlechteste Alternative zu vermeiden und die Beste der möglichen schlechten Entscheidungen zu wählen {„Best-of-the-worst“).8
So werden sich die Menschen zwangsläufig auf ein egalitaristisches Verteilungsprinzip9 immaterieller Freiheitsgüter {Freiheitsgrundsatz) und ein nichtegalitaristisches Verteilungsprinzip {Differenzprinzip) materieller {und immaterieller) Grundgüter einigen, mit speziellem Fokus auf die Gruppe der am schlechtesten gestellten innerhalb der Gesellschaft.10
Das erste von zwei Grundprinzipien, der Freiheitsgrundsatz, besagt, dass jedermann das gleiche Recht auf das umfangreiche System gleicher Grundfreiheiten haben soll, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. Es wird die Verteilung von Freiheiten, wie der Gewissens- oder Meinungsfreiheit geregelt, sodass eine Chancengleichheit entsteht.11
Hingegen bezieht sich das Differenzprinzip im speziellen auf soziale und wirtschaftliche Güter, Vermögen und Einkommen, Ansehen und Macht und den freien und fairen Zugang zu allen Positionen gesellschaftlicher und politischer Funktionsmacht.12 Das Differenzprinzip regelt die Verteilung nach Lüftung des Schleiers des Nichtwissens, welche in 4 sukzessiven, aufeinander aufbauenden Schritten stattfindet. So gelangen die Parteien des Urzustandes auf jeder Ebene zu einer weiteren Kenntnis, die es ihnen ermöglicht, sich auf den Grundprinzipien aufbauend auf eine Verfassung und folgend auf eine einfache Gesetzgebung zu einigen, welche nach kompletter Auflösung des Schleiers seine Anwendung auf den Einzelfall findet.13
Nach Rawls stellt sich auf der Basis des Differenzprinzips ein Überlegenheitsgleichgewicht ein. Hierbei handelt es sich um ein iteratives14, aber von der Bedeutung her nicht reproduzierbares Verfahren, in dem generelle Prinzipien und Einzelfallurteile miteinander verglichen und angepasst werden. Das Ziel dieses Verfahrens ist die Schaffung eines Gleichgewichts, welches durch Bearbeitung und Veränderung die zu rechtfertigenden Prinzipien mit den partikularen Einzelfallurteilen in kohärenter Weise zusammenbringt.15
[...]
1 J. Rawls ist am 21. Februar 1921 in Baltimore {Maryland) geboren und am 24. November 2002 in Lexington {Massachusetts) gestorben, nachdem er von 1962 bis 1995 an der Harvard University als Professor für Philosophie gelehrt hatte.
2 Erläuterung im weiteren Verlauf, siehe S. 3
3 Vgl. Mathis, Effizient statt Gerechtigkeit?, S. 147
4 Vgl. Mathis, Effizient statt Gerechtigkeit?, S. 149
5 Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 112 f.
6 Vgl. Hoffmann, Kohärenzbegriffe in der Ethik, S. 27
7 Vgl. Kersting, John Rawls zur Einführung, S. 54 ff.
8 Vgl. Mathis, Effizient statt Gerechtigkeit?, S. 150 f.
9 franz.: égalité aus lat.: aequalitas „die Gleichheit“
10 Vgl. Kersting, John Rawls zur Einführung, S. 70 ff.
11 Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 81
12 Vgl. Kersting, John Rawls zur Einführung, S. 73
13 Vgl. Mathis, Effizient statt Gerechtigkeit?, S. 151 f.
14 vom lat. iterare „wiederholen“
15 Vgl. Hoffmann, Kohärenzbegriffe in der Ethik, S. 27
- Arbeit zitieren
- Sebastian Bartling (Autor:in), 2010, Rawls Theorie der Gerechtigkeit und die Frage nach der konkreten Anwendbarkeit auf die Probleme der Finanzverteilung im Föderalismussystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214097