Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Schumpeters Theorie
2.1. Entwicklung und Innovation
2.2. Unternehmen und Unternehmer
2.3. Der Prozess der schöpferischen Zerstörung
2.4. Die Theorie vom Niedergang des Kapitalismus
3. Analytischer Teil
3.1. Vorgehen
3.2. Phase I: Introducory Phase
3.2.1. Die Anfänge des Computerzeitalter
3.2.2. Erste Kommerzialisierungen
3.3. Phase II: Growth Phase
3.3.1. Der IBM-PC setzt Standards
3.3.2. Shakeout -Mechanismus
3.3.3. Implikationen für Schumpeters Modell
3.4. Phase III: Mature Phase
3.5. Zwischenfazit
4. Fazit
4.1. Zusammenfassung und Bewertung
4.2. Entwicklung in jüngerer Zeit
5. Literaturverzeichnis
5.1. Monographien und wissenschaftliche Zeitschriftenartikel
5.2. Sonstige Internetquellen
6. Anhang
6.1. Grafik 1: Anzahl von Computerfirmen im jeweiligen Jahr
6.2. Grafik 2: Lebensdauer von Computerfirmen zwischen 1969 und 2000
1. Einleitung
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat der kritischen Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus und seinen Mechanismen wieder die Türen geöffnet. Wurde die Exis-tenz und Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg in der west-lichen, spätestens aber mit Ende des Kalten Krieges in der gesamten Welt mit zunehmen-der Selbstverständlichkeit akzeptiert und als eine Bedingung für den Wohlstand ange-sehen, ist Kritik daran heute wieder salonfähig. Dadurch ist auch Joseph A. Schumpeters Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie erneut Teil der Diskussion. Denn wer das Werk liest, kommt zu dem Schluss, dass Schumpeter auf viele Schwächen des Kapitalis-mus bereits vor 60 Jahren hingewiesen hat. Seiner Theorie nach würde der Kapitalismus endogen, also wegen seiner eigenen Prozesse und Charakteristika zugrunde gehen und sich zu einem sozialistischen System wandeln. Schumpeter betonte stets, wie sehr ihm dieser Prozess selbst widerstrebte, hielt die Transformation aber für unaufhaltbar. Diese Renaissance von Schumpeters Werk nutzend, wird diese Arbeit einen Aspekt seiner Kapitalismustheorie genauer untersuchen: den Prozess der schöpferischen Zerstörung.
Der Prozess der schöpferischen Zerstörung führe, so Schumpeter, nicht unmittelbar in den Sozialismus, er sei zunächst als Schlüsselmechanismus des Kapitalismus zu ver-stehen. Da Schumpeter jedoch davon ausgeht, dass die kapitalistische Ordnung generell zugrunde gehen wird, kann jedes Charakteristikum des Kapitalismus gleichzeitig als Bedingung für den Sozialismus verstanden werden.
Diese Arbeit untersucht, ob sich der Prozess der schöpferischen Zerstörung anhand der Entwicklung des Personal Computers, schwerpunktmäßig am Beispiel des IBM-PC, empirisch belegen lässt. Wenn IBM auch nicht für die ganze Computerwirtschaft stehen kann, hat das Unternehmen doch Modellcharakter und war prägend für die Entwicklung der gesamten Sparte. Dass es zahlreiche weitere Firmen gibt, die einmal Marktführer waren – worauf nur am Rande eingegangen werden kann – ist ein Hinweis auf den schnellen Wandel dieser Industrie. Auch der Internetboom seit Mitte der 1990er Jahre hat bis heute erhebliche Auswirkungen auf die Computerwirtschaft. Die Wechselwirkungen können jedoch aufgrund des Umfangs dieser Arbeit ebenfalls nicht in die Diskussion miteinbezogen werden. Zur besseren Abgrenzung erstreckt sich der Untersuchungszeit-raum daher lediglich von Mitte der 1970er Jahre bis zur Jahrtausendwende. Da sich die Entwicklung des Personal Computers im Wesentlichen in den Vereinigten Staaten abspielte, beziehen sich die empirischen Bezüge entsprechend weitestgehend darauf. Die namhaften Firmen hatten und haben dort ihren Sitz, der Aufschwung der Computerwirt-schaft in Südostasien geschah zu spät, um hier noch relevant zu sein.
Die Leitfrage dieser Arbeit lautet: Lässt sich Joseph A. Schumpeters Prozess der schöpferischen Zerstörung anhand der Entwicklung des Personal Computers zwischen Mitte der 1970er Jahre und der Jahrtausendwende erkennen?
Im zweiten Kapitel wird Schumpeters Theorie umrissen. Primär stützt sich die Dar-stellung auf sein Spätwerk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, in dem der Pro-zess der schöpferischen Zerstörung von Schumpeter eingeführt wird, sowie seine früheren Werke Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, und Konjunkturzyklen. Das dritte Kapitel dieser Arbeit wird in seiner Struktur geprägt durch drei von Mazzucato vor-gestellte typische Phasen im Lebenszyklus eines Produkts. Sich daran orientierend, wird auf die Entwicklung, Implementierung und schließlich die kommerzielle Stagnation des Personal Computers eingegangen und die Verbindung zum Prozess der schöpferischen Zerstörung untersucht. Das vierte Kapitel bewertet abschließend den empirischen Gehalt des Prozesses der schöpferischen Zerstörung. Da Schumpeters erwartete Transformation in den Sozialismus bis heute ausgeblieben ist, wird weiterhin diskutiert, wo der Trenn-strich zwischen Theorie und empirischer Entwicklung zu ziehen ist beziehungsweise, ob die Transformation noch zu erwarten ist.
Auch wenn die Entwicklung des Personal Computers vielerorts als gutes Beispiel für die Implementierung des Prozesses der schöpferischen Zerstörung genannt wird, fällt die direkte Anwendung in der Literatur darauf oftmals nur knapp aus. Die Arbeit orientiert sich im analytischen Teil daher im Wesentlichen an den Ausführungen von Mazzucato und Bresnahan, die sich ausführlicher mit der Entwicklung der Computerwirtschaft aus-einander gesetzt haben.
2. Schumpeters Theorie
2.1. Entwicklung und Innovation
In Abgrenzung zu den statischen Gleichgewichtsvorstellungen von Keynes, sowie den Theorien von Smith, Ricardo, Marx und Walras, die seines Erachtens das Individuum und die kontextualen Bedingungen vernachlässigten[1], erklärt Schumpeter den Kapitalis-mus als eine Theorie der Veränderung. Der Forscher verrichte „sinnlose Arbeit“[2], solange er sich nur mit den bestehenden Strukturen des Kapitalismus, nicht mit ihrem Wandel auseinandersetze. Wirtschaftliche Entwicklung, ihm zufolge „das Grundcrescendo“[3] der Gesellschaft, bezeichnet Schumpeter als „eine Geschichte von Revolutionen“[4] – Revolu-tionen, die allesamt von der Angebotsseite her begonnen wurden, nicht also vom Bürger oder Konsumenten. Dies impliziert, dass nicht von einem kontinuierlichen Wandel aus-gegangen wird, sondern von Schüben, die, angestoßen durch eine Innovation, mit einem Ruck die ganze Wirtschaft veränderten.[5]
Als Innovation definiert Schumpeter die Einführung eines neuen Gutes, veränderte Kombinationen von Produktionsmitteln und -methoden, modernisierte Absatzmärkte und Vertriebswege, generell also jede für die Wirtschaft ausschlaggebende Änderung.[6] Diese Innovationen stellen für ihn „den alles überragenden Faktor in der Wirtschaftsgeschichte des Kapitalismus dar“[7]. Innovativer Wandel sei eine notwendige Bedingung für wirt-schaftliche Entwicklung. Wichtig sei dabei die Unterscheidung von Innovation und Erfin-dung. Schumpeter meint dazu: „Innovation ist möglich ohne irgendeine Tätigkeit, die sich als Erfindung bezeichnen läßt, und Erfindung löst nicht notwendig Innovation aus, sondern bringt, für sich [...] keine wirtschaftlich bedeutungsvolle Wirkung hervor.“[8]
Den Kapitalismus, durch den die industrielle Bourgeoisie zu Erfolg gekommen sei, bezeichnet Schumpeter als Weiterentwicklung des Feudalismus. Der gesamte Staat, auf rein wirtschaftlichem Material begründet, befinde sich nun in einer Art Massenproduk-tion.[9] Alle Bürger nähmen am Wirtschaftsleben teil und stünden in ständigem Wettbe-werb. Daraus schließt Schumpeter, dass es in diesem Modell stets um Sieg oder Nieder-lage geht, dies werde in Geld gemessen. Er sieht „das Versprechen von Reichtum und die Drohung mit Armut“[10] als prägend für das Leben eines jeden.
2.2. Unternehmen und Unternehmer
Besondere Bedeutung kommt der Person des Unternehmers zu. Schumpeter definiert Unternehmer als „die Wirtschaftssubjekte, deren Funktion die Durchsetzung neuer Kom-binationen ist und die dabei das aktive Element sind.“[11] Unternehmer sei jemand jedoch nur solange, wie die Durchsetzung einer Innovation dauere. Nach Schumpeter ist die Unternehmerschaft daher „kein Beruf und überhaupt in der Regel kein Dauerzustand“[12], eher die Verbindung mehrerer Beschäftigungen. Analog zur Abgrenzung von Innovation und Erfindung unterscheidet Schumpeter hier zwischen Unternehmer und Erfinder. Der Unternehmer könne zwar auch Erfinder sein, dies sei jedoch nicht notwendigerweise der Fall.[13] Weiterhin sei er „auch meist sein eigener oberster Ein- und Verkäufer, das Haupt seines Bureaus, der Leiter seiner Angestellten und Arbeiter und mitunter [...] sein eigener Jurist.“[14] Zur einfacheren Identifizierung nennt Schumpeter als das wesentliche Charak-teristikum des Unternehmers aber fortan die Umsetzung einer Innovation. Der Unter-nehmer sei nicht prinzipiell selbstständig, könne also auch Angestellter sein.[15]
Folgenden Problemen stehe der Unternehmer bei der Durchführung einer Innovation gegenüber: Widerständen der Umwelt, dem Hang des Menschen zum Vertrauten und ent-sprechend die Scheu vor großen Änderungen.[16] Daher benötige er gewisse Führerquali-täten. Schumpeter illustriert dies am Beispiel eines brennenden Schiffes: Die Situation sei zwar allen potentiellen Helfern klar, die Rettung der Passagiere müsse aber von einer Führerperson koordiniert werden. Dabei sei die unmittelbare Leistung bei der Rettung durch den Führer selbst nicht von Bedeutung, nur die Organisation und „ausgeübte Wir-kung auf andre“[17].
Anhand dreier Motive erklärt Schumpeter das Agieren des Unternehmers: erstens strebe der Unternehmer nach Geld und Macht. Als zweites Motiv wird, in Analogie zu sportlichem Wettbewerb, Kampfeslust und Siegeswillen angeführt. Drittes Motiv sei die schlichte Freude am Gestalten. Schumpeter hält fest, dass es unter diesen drei Motiven nur beim ersten um private Bereicherung gehe, bei den anderen beiden um die soziale Stellung in der Gesellschaft.[18]
2.3. Der Prozess der schöpferischen Zerstörung
Die Idee der schöpferischen Zerstörung geht zwar nicht allein auf Schumpeter zurück, wird aber durch die Popularität von Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie mit seinem Namen verbunden.[19] Bedingt durch den Wandel der Wirtschaft sorgten von den Unternehmern realisierte Innovationen nun dafür, dass veraltete Güter und Prozesse nicht länger auf dem Markt bestehen könnten, weshalb der Prozess der schöpferischen Zerstörung „das für den Kapitalismus wesentliche Faktum“[20] sei. Bestehende Konzerne seien so in „einer quasi-Hobbes’schen Welt“[21] Angriffen neuer Unternehmen ausgesetzt, die „im ewigen Sturm der schöpferischen Zerstörung“[22] ihre eigenen Innovationen zu kommerzialisieren versuchten. Die Analogie zum anomischen Naturzustand in Thomas Hobbes‘ Theorie sowie die Metapher des Sturms sollen den zerstörerischen Charakter des Wettbewerbs betonen.
[...]
[1] Vgl. Michael (2009): S. 36.
[2] Schumpeter (1980): S. 139.
[3] Schumpeter (1980): S. 115.
[4] Schumpeter (1980): S. 137.
[5] Vgl. Schumpeter (1952): S. 99.
[6] Vgl. Schumpeter (2008): S. 91.
[7] Otter (2009): S. 41.
[8] Schumpeter (2008): S. 91.
[9] Vgl. Schumpeter (1980): S. 113.
[10] Schumpeter (1980): S. 122.
[11] Schumpeter (1952): S. 111.
[12] Schumpeter (1952): S. 116.
[13] Vgl. Schumpeter (2008): S. 111.
[14] Schumpeter (1952): S. 114.
[15] Vgl. Schumpeter (1952): S. 111.
[16] Vgl. Otter (2009): S. 42.
[17] Schumpeter (1952): S. 128.
[18] Vgl. Schumpeter (1952): S. 138-139.
[19] Vgl. Michael (2009): S. 32.
[20] Schumpeter (1980): S. 138.
[21] Michael (2009): S. 33.
[22] Schumpeter (1980): S. 138.