Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Komik, Witz und Lachen in der mittelalterlichen Literatur und deren Differenzierung
2.1 Komik
2.2 Witz
2.3 Lachen
3. Analyse der Witztechnik im Willehalm und deren Verhältnis zur Gewalt
3.1 Der Humor Wolframs
3.2 Das Verhältnis von Witz und Gewalt
3.3 Gedankenwitze
3.4 Tendenziöse Witze
3.5 Komik der Vergleichung
3.6 Die Banalität der Ente auf dem Bodensee
4. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Primärwerk
Sekundärliteratur
1. Einleitung
„Wenn man nach der Geschichte des dichterischen Humors in der europäischen Literatur fragt, so erscheint wohl als einer der ältesten Meister Wolfram von Eschenbach.“[1]
Vor allem der Humor in seinem Parzival bildet einen Schwerpunkt in der Forschung. Vor allem die Komik bildet darin ein „sinnkonstituierenden Phänomen“[2] und so wird es zurecht als „humoristischer Roman“[3] bezeichnet, indem sich auch eine Vielzahl von Witzen wiederfinden, die diese Komik ausmachen. Im Gegensatz dazu findet man zur Komik und dem Witz im Willehalm nur wenig ausgearbeitete Forschungsergebnisse. Hans Fromm verwies in seiner Untersuchung zur Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters schon darauf, dass der Humor im Willehalm stark zurücktritt, da die Heldendichtung prinzipiell humorlos sei.[4]
Allerdings findet man in dem Werk eine Vielzahl von Szenen und Versen, die sich verschiedenen Techniken des Komischen bedienen und somit dem Humor zuzuschreiben sind:[5] Vor allem Witze sind hier vermehrt zu finden, die auf eine gewisse Weise Gewalt implizieren. So schleudert Rennewart zum Beispiel in einer Szene einen Knappen aus Rache gegen eine Säule, welcher daraufhin wie eine faule Frucht zerplatzt. Oder eine Ente wird sprichwörtlich durch das vollständige Austrinken des Bodensees getötet. Auf den ersten Blick scheinen solche Sequenzen brutal, grausam und für die heutigen Blicke nur wenig komisch. Die Gesellschaft des Mittelalters konnte darüber sehr wohl lachen, was im Folgenden begründet wird. Desweiteren werden. Das Phänomen der Verbindung von Witzen und Gewalt wurde in der Forschung von Karl Bertau betrachtet, der in einer umfangreichen Weise die „toten Witze“ im Willehalm, aber auch im Parzival untersuchte. Seiner Analyse folgte Werner Röcker, der Wolframs Witze als Abbildung gewalttätiger Fantasien liest und sie in den Kontext des performativen Lesens setzte, d.h. sie entfalten erst dann komplett ihr komisches Potenzial, wenn sie als Aufführung, Inszenierung oder sozialer Vorgang fungieren.[6]
Gegen diese Auffassung, dass der Willehalm auf Witze hin untersuch werden kann, stellt sich Dieter Kartschoke vollständig. Er sieht in den Untersuchungen Bertaus und Röckes die Gefahr, dass der Willehalm in seiner Gesamtheit missinterpretiert wird. Vor allem die schon erwähnte Szene, in der die Vorstellung erhoben wird, eine Ente tränke den Bodensee aus und müsse deshalb platzen, interpretiert er ganz und gar nicht als Witz, sondern als eine Selbstverkleinerung des Erzählers.[7]
Ziel dieser Arbeit ist es also, Willehalm auf Witze hin zu untersuchen, die in einer Verbindung zur Gewalt stehen. Um diese die Witztechnik Wolframs, die durch aggressive und tendenziöse Anspielungen geprägt ist, analysieren zu können und die Gründe für das „Lachen“ des mittelalterlichen höfischen Publikums herauszufinden, ist es wichtig zu verstehen, wie der „Witz“ überhaupt von der Komik abhängt und die Gründe des hervorgerufenen Effekt des Lachens zu begreifen. Hierzu dient der erste Teil der Arbeit, der sich dieser Auflistung widmet sowie darlegt, wie die drei genannten Formen – Komik, Witz und Lachen – voneinander abgegrenzt werden und in der Literatur des Mittelalters angewandt wurden.
Der zweite, wichtigere Teil, beschäftigt sich im Anschluss mit der eigentlichen Analyse der Witztechnik. Nachdem der allgemeine Humor Wolframs dargelegt wird, wird das Verhältnis von Witzen und Gewalt dargelegt. Im Anschluss werden verschieden vorkommende Formen des Witzes, die auf Gewalt abzielen, dargestellt und auf deren Deutung hin untersucht. Eine besondere Beachtung findet dabei die nun schon mehrfach erwähnte Szene mit der Ente, welche einen Diskurs in der Forschung hervorgerufen hat.
2. Komik, Witz und Lachen in der mittelalterlichen Literatur und deren Differenzierung
Für die Geschichte des Lachens und der Komik im Mittelalter besitzen literarische Texte eine tragende Rolle. Zum einen erscheinen einzelne Bemerkungen, Textpassagen oder Erzählungen für das Publikum im Mittelalter als komisch, zum anderen enthalten viele dieser Texte auch Situationen, in denen die Hauptfunktionäre in einen komischen Zusammenhang geraten, selbst komisch handeln oder lachen. Dem heutigen Rezipienten aber fällt es eher schwer, herauszufinden, worüber das damalige Publikum gelacht haben soll.[8]
Gerade die Generation Wolframs gilt als diejenige, in welcher erstmals in der deutschen Dichtung von einem „Epochenbewusstsein“ gesprochen werden kann. Immer wieder finden sich bei ihm, aber auch anderen Dichtern, wie Hartmann oder in Werken wie Lanzelet, Vorgänge, die komisch anmuten.[9]
Der Witz, als wohl die körperlichste Form des Lachens, muss zu anderen Formen des „lachenden Vergnügens“, d.h. der Komik, allerdings – laut Freud – stark differenziert werden. Er ist nicht nur ein „Komisches der Rede“[10], sondern eröffnet Denkweisen, Wünsche und Empfindungen, die sonst nur im Unterbewusstsein des Menschen zu finden sind.[11]
Gerade Wolframs Komik lässt sich als „Mittel eines Humors“ lesen, welcher den „Bezug des Lachens zum Tiefsinn, die Vermischung von Lächeln und Trauer, die Verschmelzung von Humor und Rührung“ als Elemente begreift, die seine Komik auf der Ebene des philosophischen Humors und damit weit über die Komik zum Zwecke bloßer Belustigung erhebt.[12]
Um zu verstehen, wie die Witztechnik Wolframs in seinem Willehalm konstruiert ist, ist es wichtig, die Differenzierung zwischen Komik und Witz zu kennen und deren Zusammenhang zum Lachen zu begreifen.
2.1 Komik
Die als „Lachen erregende Eigenschaft eines Gegenstandes oder einer Person“[13] definierte Komik zählt als ein fester Bestandteil der mittelalterlichen Literaturtheorie. Die literarische Komik lässt sich mit Ironie, Satire und Parodie vergleichen, welche nicht nur an die „individuelle Anlage des Dichtenden“, sondern auch an ein kollektives Bewusstsein der Rezipienten verbunden ist.[14]
Fromm führt in seiner Untersuchung zu Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters den Begriff der „subjektiven Komik“ ein, welche dem Menschen eine Möglichkeit gibt, sich in Relation zur Wirklichkeit zu setzen. Ob von einer „objektive Komik“ überhaupt geredet werde kann, bleibt umstritten, da Komik auch heißt, sich selbst als beurteilten Mittelpunkt des komischen Vorgangs zu setzen.[15]
Allerdings muss an dieser Stelle bemerkt werden, dass die mittelalterliche deutsche Literatur den „existentiell komischen oder humoristischen Menschen“ nicht kennt, denn auf einen witzigen Charakter, den wir heute im modernen Sinne verstehen, wird nicht gezielt. Ein „einheitlicher komischer Typus“ ist erst in der aventiure entstanden. Dieser „Typus“ vertritt die „komische Individualität“. Als Paradebeispiel ist hier die Rennewart-Gestalt im Willehalm zu nennen, der aufgrund seiner grob-komischen Prügelszenen und „zugleich tiefster ethischer und religiöser Einsichten des Dichters“ nicht als „problematische Kontamination“ betrachtet werden kann. Erst mit dem Hervorkommen des literarischen Narrens im Zeitalter der Reformation wird auch das wesentlich Komische in jedem Menschen gesehen.[16]
Das Komische im eigentlichen Sinne kann Anlass für eine „reflexartige Reaktion des Gelächters“ sein, ist an keinerlei höhere Voraussetzungen gebunden und kann somit als „primitives Gemeinschaftserlebnis ritueller Art“ erscheinen.[17]
2.2 Witz
Der Witz ist die wohl am „stärksten verdichtete Form verbaler Komik“[18]. Er wird als eine „sehr kurze, auf einen Lacheffekt angelegte“ Erzählung definiert. Neben der Vermittlung von unverfänglichen Gedanken kann der Witz im Dienste aggressiver Tendenzen stehen. Seine Bedingungen stehen in der „exzentrischen Position des Menschen“, aber noch viel wichtiger im „kulturellen Konflikt zwischen herrschenden Wertvorstellungen und Bedürfnissen, die sich gegen diese Wertvorstellungen auflehnen“. Sowohl die Techniken als auch die Tendenzen des Witzes – die im nachfolgenden Kapitel von Bedeutung sind – haben die Funktion, die „von den Wertvorstellungen ausgehenden Zwänge“ momentan aufzuheben. Freud nennt diesen Effekt die „Ersparung an Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand“.[19]
Desweiteren kann der Witz als ein „sozialer Vorgang“[20] beschrieben werden, denn über ein gemeinsames Lachen über den Witz wird eine „Lachgemeinde“ gebildet, die einen sozialen Zusammenhang von Menschen darstellt. Auch die „Witzarbeit“ an sich erweist sich als ein Akt sozialer Kommunikation: Der Witz wird erfunden, an eine Zuhörerschaft mitgeteilt, wo er zum Höhepunkt kommt und mit dessen Reaktion abschließt. Er produziert vor allem das „körperliche Lachen“, welches nicht nur das „Mienenspiel“ oder das Gesicht in Bewegung setzt, sondern den ganzen Körperdurchläuft.[21]
Dies geschieht durch die sogenannte „Witzarbeit“, welche das Lachen inszeniert: Die Gestaltung eines Witzes fordert zuerst die Person des Witzeerzählers, der sich seiner Körpersprache sowie Mimik und Gestik bedient, die Person oder Personen, die und auf deren Kosten gelacht wird und natürlich den Hörer, bzw. das Publikum des Witzes, welches allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, denn Witze sind in einem hohen Maße situations- und kontextgebunden.[22]
Im Gegensatz zu Formen des „lachenden Vergnügens“, die aus der Komik entstehen, benötigt der Witz eine dritte Person. Er bedient sich aggressiver Fantasien, obszöner Wünsche oder der „Lust am Unsinn“, welche für gewöhnlich moralischen Überzeugungen unterliegt. Dem Rezipienten des Witzes wird, zumindest für einen gewissen Zeitpunkt, die „Befreiung von Verdrängungsleistungen“ ermöglicht, die die moralische Ordnung bewahren. Der Unterschied zwischen Komik und Witz liegt also im schon erwähnten „sozialen Vorgang“ des Witzes, der sein eigenes Publikum verlangt. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Witz, Komik und die „Lust am Unsinn“ verschieden Formen der literarischen Inszenierung voraussetzen.[23]
Im Gegensatz zum Humor oder zur Komik ist der Witz ein „radikal subjektives Phänomen“, welches durch einen hohen Grad an „historischer Momentaneität“ geprägt ist: Ein „Momentanes“, welches ein blitzartiges Überspringen des Bewusstseins bedeutet. „Neue“ Witze sind in „neuen“ Zusammenhängen wirksam, „alte“ Witze werden in der vergangenen historischen Situation „schlagartig beleuchtet“.[24]
Freud unterscheidet in seiner Untersuchung verschiedene Formen des Witzes. Neben den „harmlosen Witzen“, die keine besondere Tendenz aufweisen, nennt er Wortwitze, die sich der Verdichtung mit Ersatz- oder Mischbildung bedienen. Diese Form des Witzes ist vor allem in Wolframs Parzival zu finden. Ein weiterer Typ ist der Gedankenwitz, der das „Prinzip der Verschiebung“ anwendet sowie der tendenziöse Witz, der eine feindselige Tendenz beinhalten, welche das Lachen auf Kosten einer weiteren Person erlaubt. Bei dieser Form des Witzes bietet sich die Möglichkeit eines „Lustgewinnes“, der im Alltag durch die Überlegenheit eines Gegners verhindert ist. Desweiteren nennt er den obszönen Witz, welcher einen „Hemmungsaufwand“ beseitigt, indem Hemmungen einfach „weggelacht“ werden und den zynischen Witz, der zur Beseitigung von Hemmungen allgemein-gesellschaftlicher Art abzielt. Die „Lust des Witzes“ scheint, im Gegensatz zur Komik, die aus einem „ersparten Vorstellungsaufwand“ gebildet wird, aus einem „ersparten Hemmungsaufwand“ hervorzugehen.[25]
[...]
[1] Wehrli, Maxi: Wolframs Humor, in: Wolfram von Eschenbach, in: Rupp, Heinz (Hg.): Wolfram von Eschenbach (Wege der Forschung 57), Darmstadt 1966. S. 104-124; hier: S. 104.
[2] Ridder, Klaus: Narrheit und Heiligkeit. Komik im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach, in: Wolfram-Studien 17 (2002), S.136-156; hier S. 136.
[3] Wehrli: Wolframs Humor, S. 109.
[4] Fromm, Hans: Komik und Humor in der Dichtung des Mittelalters, in: DVjs 36 (1962), S. 321-339; hier: S. 333.
[5] Burdorf, Dieter/Fasbender, Christoph/Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur, Stuttgart 2007, S. 332 s.v. „Humor“.
[6] Bertau, Karl: Versuch über tote Witze bei Wolfram (1973), in: DERS.: Wolfram von Eschenbach. Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte, München 1983, S. 60-109 sowie Röcke, Werner: Der zerplatzte Enterich und der Koch als Rollbraten. Gelächter und Gewalt in Wolframs Willehalm, in: Zeitschrift für Germanistik N.F. 11 (2001), S. 274-291.
[7] KARTSCHOKE, Dieter: Die Ente auf dem Bodensee. Zu Wolframs Willehalm 377,4ff., in: ZfdPh 121 (2002), S. 424-432.
[8] Coxon, Sebastian: do lachte die gote. Zur literarischen Inszenierung des Lachens in der höfischen Epik, in: Wolfram-Studien 18 (2002), S .189-210; hier: S. 189.
[9] Fromm: Komik und Humor, S. 332.
[10] Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Frankfurt am Main 1986, S. 197.
[11] Röcke, Werner: Inszenierungen des Lachens in Literatur und Kultur des Mittelalters, in: Paragrana 7 (1998), S. 73-93; hier: S. 74f.
[12] Suchomski, Joachim: ‹Delectatio› und ‹Utilitas›. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur, Bern 1975, S. 6.
[13] Burdorf: Metzler Lexikon, S. 389 s.v. „Komik“.
[14] Fromm: Komik und Humor, S. 325.
[15] Ebd., S. 321-323.
[16] Ebd., S. 331.
[17] Wehrli: Wolframs Humor, S. 110.
[18] Berger, Peter L.: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung, Berlin 1998, S. XV.
[19] Burdorf: Metzler Lexikon, S. 832f. s.v. „Witz“.
[20] Freud: Der Witz, S. 122ff.
[21] Rö>
[22] Ebd., S. 73f.
[23] Ebd., S. 76.
[24] Bertau: Versuch, S. 65.
[25] Ebd., S. 66f.