Leseprobe
Gliederung
A. Einleitung
B. Definition und Einordnung
C. Motive
D. Juristische Bewertung
I. Wettbewerbsrechtliche Aspekte
II. Verfassungsrechtliche Aspekte
E. Ordnungspolitische Einordnung
F. Volkswirtschaftliche Bewertung
I. Effektivität
II. Effizienz
III. Systemkonformität
IV. Beherrschbarkeit
G. Fazit
H. Anhang
I. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Typen von Selbstverpflichtungen
Abbildung 2: Prinzipien der Umweltpolitik
Abbildung 3: Umweltpolitische Instrumente
Abbildung 4: Weiche und harte umweltpolitische Instrumente
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Bewertung von SVE aus Sicht der ökonomischen Schulen
Tabelle 2: Wichtige Selbstverpflichtungen in Deutschland
A. Einleitung
Umweltpolitische Themen, wie Klimaschutz oder Abfallentsorgung, haben seit den 70er Jahren in Deutschland an Bedeutung gewonnen.1 Im Zuge dieses Trends hat sich auch ein neues Instrument zur Lösung von umweltpolitischen Herausforderungen zunehmend etabliert: Freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen (FSVE). Allein zwischen 1980 und 1997 sind in Deutschland 93 FSVE ausgehandelt worden, in den Niederlanden sogar 107 und in der Europäischen Union (EU) 322.2 Im Vergleich zu Japan erscheinen diese Zahlen jedoch noch auf niedrigem Niveau zu liegen, dort werden jährlich ca. 2.000 FSVE abgeschlossen.3 Wie ein Überblick über die wichtigsten Erklärungen im Anhang darstellt, werden FSVE in Deutschland fast ausschließlich im Umweltschutz abgeschlossen. Es ist jedoch zu erwähnen, dass FSVE nicht nur in der Umweltpolitik eine Rolle spielen, sondern sich auch in anderen Politikbereichen erfolgreich etabliert haben. So gibt es im Bereich der Medien eine Werbedisziplin und eine Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) der Filmwirtschaft. Auch im Bereich des Außenhandels gibt häufig Selbstverpflichtungen in Form von freiwilligen Handelsbeschränkungen auf Exporte oder Importe.4
Da FSVE jedoch überwiegend im Bereich der Umweltpolitik eingesetzt werden5, fokussiert diese Arbeit ebenfalls auf diesen Bereich. Der Einsatz von FSVE als praktische Umsetzung des Kooperationsprinzips in der Umweltpolitik wird in wissenschaftlichen Publikationen thematisiert und kritisch diskutiert. Der Kern der Diskussion bewegt sich um die Fragestellungen, ob FSVE als Instrument zu einer effizienten umweltpolitischen Steuerung geeignet sind und ob sie systemkonform sind. Zielsetzung dieser Arbeit ist die Definition des Begriffes FSVE und die Einordnung in das umweltpolitische Instrumentarium des Staates.
Des Weiteren sollen Motive dargestellt werden, die entweder Staat oder Wirtschaft mit dem Abschluss von FSVE verfolgen. Es schließt sich eine Diskussion der rechtlichen und demokratischen Implikationen von FSVE an. Ausführlich soll die Stellung von FSVE in der Volkswirtschaftlichen Theorie betrachtet werden, an die sich eine Bewertung von FSVE anfügt.
B. Definition und Einordnung
Der Begriff „Freiwillige Selbstverpflichtungserklärung“6 ist in Praxis und Theorie nicht eindeutig definiert. Es existieren verschiedene Begrifflichkeiten in der Literatur nebeneinander, die zum großen Teil eine identische Bedeutung aufweisen. So werden häufig die Begriffe „freiwillige Vereinbarung“, „Branchenabkommen“, „Verbändevereinbarung“ oder auch „Gentlemen´s Agreements“7 genutzt, die jedoch alle im Inhalt mit der FSVE übereinstimmen.
In der nachfolgenden Betrachtung von FSVE werden ausschließlich Vereinbarungen thematisiert, die das Resultat eines Verhandlungsprozesses zwischen Staat und Wirtschaft sind. Einseitige Erklärungen seitens der Verbände oder einzelner Unternehmen sind von der Betrachtung ausgenommen.8 Ebenso nicht betrachtet werden Selbstverpflichtungen mit rechtlich verbindlichem Charakter.9
Die hier untersuchten FSVE, zwischen der Wirtschaft10 einerseits und dem Staat11 andererseits, lassen sich als umweltpolitische Instrumente in den Bereich der Kooperationslösungen einordnen.12 Im Mittelpunkt steht das Zusammenwirken verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, mit dem Ziel der Umweltverbesserung. FSVE können als Ergebnis eines Tauschprozesses zwischen Staat und Wirtschaft betrachtet werden.13 Die FSVE stellen rechtlich unverbindliche Zusagen von Unternehmen oder Verbänden dar, bestimmte Maßnahmen durchzuführen oder bestimmte Aktivitäten zu unterlassen beziehungsweise zu reduzieren, um bestimmte umweltpolitische Ziele zu erreichen.14 Der Staat bietet in der Regel einen Verzicht auf ordnungsrechtliche Maßnahmen als Verhandlungsposition an.
Da der Staat für den Fall, dass keine Selbstverpflichtung zustande kommt, gesetzliche Maßnahmen ankündigt, kann von einem Bedrohungspotential gegenüber der Wirtschaft gesprochen werden. Dies wird in der Literatur häufig als „Vorzeigen der Folterinstrumente“15 beschrieben. Das Drohpotential ist ein Ersatzmittel für die rechtliche Unverbindlichkeit von FSVE.16 Es ist aber auch möglich, dass der Staat finanzielle Hilfen (Subventionen, Steuerermäßigungen etc.) anbietet oder den Unternehmen in anderen umweltschutzrelevanten Fragen entgegenkommt. Generell kann die Freiwilligkeit von Selbstverpflichtungen aufgrund dieser ungleichen Verhandlungssituation bezweifelt werden, die Mitarbeit der Wirtschaft ist immer eine „gebundene Freiwilligkeit“17. Die „behauptete Freiwilligkeit ist ... insofern fragwürdig, als sich niemand aus freien Stücken zu einer ressourcenzehrenden Leistung verpflichtet.“18 Viele Autoren bevorzugen daher den Begriff „Selbstverpflichtungserklärung“.19 Nachfolgend wird auch in dieser Arbeit der Begriff Selbstverpflichtungserklärung (SVE) verwendet.
Eine sehr prägnante Definition für SVE verwendet Hucklenbruch: „Selbstverpflichtungen sind ein Instrument zur Bewerkstelligung eines konkreten Umweltproblems auf kooperativer Basis, dessen Lösung aus technischer Sicht bei Abschluss der Selbstverpflichtung möglich erscheint.“20 Es werden drei wesentliche Aspekte von SVE verdeutlicht, zunächst, dass Selbstverpflichtungen (1) Instrumentalcharakter haben, dass sie im (2) Bereich der Umweltpolitik eingesetzt werden und dass sie (3) mehr als Absichtserklärungen darstellen, also realisierbar sind. Eine andere Definition verwendet das Bundesumweltministerium in einem Entwurf zum Umweltgesetzbuch21, demnach sind „Selbstverpflichtungen rechtlich unverbindliche Zusagen von Unternehmen oder Unternehmensverbänden gegenüber dem Staat, die die Erreichung bestimmter umweltpolitischer Ziele durch konkrete Umweltverbessernde Maßnahmen zum Gegenstand haben.“ In dieser Definition wird ausdrücklich die Unverbindlichkeit herausgestellt. Diese grenzt SVE gegenüber normersetzenden Verwaltungsverträgen ab. Es werden ausdrücklich auch die Akteure benannt, die an einer Selbstverpflichtung mitwirken; der Staat auf der einen und die Wirtschaft auf der anderen Seite. Ein ähnliches Verständnis herrscht auch auf EU Ebene vor. In der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle wird eine freiwillige Vereinbarung als eine „förmliche Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten und betreffenden Wirtschaftszweigen, die allen offen stehen muss, die bereit sind, die Richtlinie der Vereinbarung zu erfüllen, um auf das Erreichen der Ziele dieser Richtlinie hinzuarbeiten.“ Explizit wird hier die Offenheit der SVE betont.
Zusammenfassend lassen sich für Selbstverpflichtungen drei Charakteristika anführen22:
- Alternativverhältnis zu ordnungsrechtlichen Verfahrensweisen
- Rechtliche Unverbindlichkeit
- Tauschverhältnis zwischen den Handlungsbeteiligten
Selbstverpflichtungen in der deutschen Umweltpolitik lassen sich in vier verschiedene Typen einordnen, wie nachfolgende Abbildung 1 darstellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Holzhey, Michael; Tegner, Henning (1996), S. 426
C. Motive
Wie bereits dargestellt, hat der Einsatz von SVE in der Politik deutlich zugenommen und wird sowohl von staatlicher Seite, als auch von Unternehmensseite befürwortet. In Deutschland hat sich der Einsatz von SVE besonders unter der Regierung Kohl ausgedehnt. Diese Politik wird jedoch auch unter der rot-grünen Regierung fortgesetzt, von der zunächst eine „weniger wirtschaftsfreundliche und eine zu hoheitlichen Maßnahmen neigende“ Politik erwartet wurde.23 Der Staat verfolgt mit SVE primär umweltpolitische Zielsetzungen. Sekundär fördern die vielfältigen politischen Entscheidungsprozesse und die Unsicherheit der Ergebnisse dieser, die Bereitschaft SVE einzugehen.24 Sowohl Staat, als auch Wirtschaft sehen in der SVE einen Vorteil gegenüber einer Referenzsituation ohne derselben.25 Es stellt sich die Frage nach der konkreten Motivation der Verhandlungspartner.26
Das häufigste in der Literatur erwähnte Motiv ist die Vermeidung von Gesetzesverfahren mit häufig unsicherem Ausgang. Durch Selbstverpflichtungen kann der Erlass von Gesetzen oder Verordnungen überflüssig werden. Ist der administrative Aufwand für Selbstverpflichtungen geringer, als ein Gesetzgebungsverfahren, so wird die jeweilige Behörde entlastet und spart Kapazitäten ein.27 Gewichtiger ist jedoch das Argument, dass ein aufwändiger politischer Entscheidungsprozess abgekürzt oder umgangen wird, da keine Mehrheiten für eine Gesetzesvorlage gefunden werden müssen. Eventuell lassen sich aus Sicht der Behörde so mehr inhaltliche Forderungen umsetzen, als es auf dem Wege eines Gesetzgebungsverfahrens möglich wäre. Der Ausgang stellt so eine Unsicherheit dar, die von Industrie und Behörde als Verhandlungspotential über eine Selbstverpflichtungserklärung ausgenutzt wird. Des Weiteren ist der Verhandlungsprozess mit der Industrie in der Regel kürzer, als ein parlamentarischer Prozess und eine schnellere Umsetzung zu erwarten. Die Wirtschaft kann so die Anforderungen begrenzen und eine längere Frist für die Umsetzung durchsetzen. Diese schnellere Umsetzung bietet der Industrie den Vorteil, die zu ergreifenden Maßnahmen langfristiger zu planen und so auch die entstehenden Anpassungskosten in einem stärkeren Maß zu kontrollieren.28 Fehlinvestitionen können so begrenzt werden. Ebenso ist es möglich, den Stand der Technik festzuschreiben und so spätere materielle Anforderungen auszuschließen.
Befürworter argumentieren häufig auch mit der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie für SVE, durch „harte“ Instrumente werde die Industrie eingeschränkt.29
Es kann aber auch im Gegensatz dazu kommen, dass die Wirtschaft die Verhandlungen über eine Selbstverpflichtungserklärung als Verzögerungsinstrument nutzt, um beispielsweise „vollendete Tatsachen“ schaffen zu wollen. Durch Selbstverpflichtungserklärungen kann der Staat seine Kontroll- und Verwaltungstätigkeit reduzieren, da er diese zum Teil an die Industrie delegiert. Ebenso beugt man Rechtsstreitigkeiten vor, die häufig die Einführung von neuen Gesetzen begleiten und erhebliche Kosten und Zeitverzögerungen verursachen. Allerdings kann dies nur als positiv bewertet werden, wenn die Kooperation die geringeren Rechtsstreitigkeiten bewirkt. Liegt die Ursache für Rechtstreitigkeiten im Gegensatz in der Unverbindlichkeit von Selbstverpflichtungserklärungen, so muss dieses als Nachteil gewertet werden. Häufig wird dem Staat vorgeworfen SVE als „Deponie der Verantwortung zu missbrauchen“30 und der Wirtschaft die „Rolle des Schuldigen“ im Falle eines Scheiterns zuzuspielen.
Aus unternehmerischer Sicht ist die Einschränkung durch SVE geringer, als bei einem Gesetz, den Unternehmen wird bei einer SVE in der Regel die freie Wahl der Mittel gelassen, die zur Erreichung der Zielsetzungen nötig sind. Befürworter von Selbstverpflichtungserklärungen führen die hohe Effizienz derselben an, die durch die freie Mittelwahl bedingt ist.31 So kann ein Unternehmen selbst bestimmen, auf welchem Wege die Ziele erreicht werden sollen, ohne dass es einen gesetzlichen Zwang gibt.32 Grundsätzlich gibt es auch die Möglichkeit, innerhalb eines Verbandes die Maßnahmen abzustimmen.33 So können bestimmte Unternehmen mehr leisten und durch Kompensationslösungen von anderen entschädigt werden.
Aufgrund der rechtlichen Unverbindlichkeit stellt eine SVE gegenüber Gesetzen ein flexibleres Instrument dar. Eine Anpassung der Zielsetzungen ist einfacher. Ein weiterer Effekt von SVE für die beteiligten Unternehmen ist, dass sich Selbstverpflichtungen häufig positiv Imagebildend darstellen lassen.
D. Juristische Bewertung
SVE werden in Deutschland als praktische Umsetzung des Kooperationsprinzips in der Umweltpolitik verstanden, vergleiche Abbildung 2.34
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Quelle: Olsson, Michael; Piekenbrock, Dirk (1996), S. 359
Dieses wurde bereits 1971 im ersten Umweltprogramm der Bundesregierung erwähnt.35 Im Gegensatz dazu steht das Konfrontationsprinzip, in dem der Staat auf Grundlage des staatlichen Subordinationsverhältnisses gegenüber dem Bürger Gebrauch von seiner Hoheitsgewalt macht (Erzwingungsprinzip).36
[...]
1 Vgl. Zittel, Thomas (1996), S. 5
2 European Environment Agency (1997), S. 29
3 Ebd. S. 38
4 Vgl.: Schmelzer, Dirk (1999), S. 7
5 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (2002), S. 65
6 Anmerkung: In dieser Arbeit wird die Abkürzung FSVE verwendet
7 Liefferlink, Duncan; Mol, Arthur P.J. (1998), S. 103
8 Eickhof, Norbert (2003), S. 2
9 Anmerkung: Selbstverpflichtungserklärungen mit rechtsverbindlichem Charakter werden in Deutschland unter dem Begriff „Normersetzende Verwaltungsverträge“ zusammengefasst
10 Anmerkung: Wirtschaft wird in dieser Arbeit stellvertretend für Verbände, Unternehmensvereinigungen etc. verwendet
11 Anmerkung: Staat wird in dieser Arbeit stellvertretend für die beteiligten Regierungsbehörden (Ministerien, Ämter etc. verwendet
12 Vgl. Rennings, Klaus; Brockmann, Karl Ludwig et al. (1997), S. 171
13 Vgl. Kohlhaas, Michael; Praetorius, Barbara (1994), S. 49
14 Vgl. Kohlhaas, Michael; Praetorius, Barbara (1994), S. 49
15 Pinkert, Sven (2002), S. 26
16 Cansier, Dieter (2001). S. 390
17 Hansjürgens, Bernd (1994), S. 38
18 Holzhey, Michael; Tegner, Henning (1996), S. 425
19 Vgl.: Schmelzer, Dirk (1999), S. 52
20 Vgl.: Hucklenbruch, Gabriele (2000), S.72
21 Vgl.: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (2000) und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (1998)
22 Vgl.: Hucklenbruch, Gabriele (2000), S.79
23 Vgl.: Söllner, Fritz (2002), S. 478
24 Vgl.: Kohlhaas, Michael; Praetorius, Barbara (1994), S. 53
25 Vgl.: Kohlhaas, Michael; Praetorius, Barbara (1994), S. 51
26 Vgl.: Hansjürgens, Bernd (1994), S. 35
27 Vgl.: Voigt, Stefan (2000), S. 404
28 Vgl.: Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) (1996), S. 97
29 OECD (1999), S. 33
30 Holzhey, Michael; Tegner, Henning (1996), S. 430
31 Aulinger, Andreas (1996), S. 109
32 Kreklau, Carsten (2003), S. 22
33 Michaelis, Peter (1996), S. 100
34 Wicke, Lutz (1991), S.58
35 Hansjürgens, Bernd (1994), S. 35
36 Vgl. Müller, Udo (1997), S.3878