Heavy Metal als Szenephänomen

Ein Mittel der jugendlichen Auflehnung oder die Manifestierung eines Lebensstils?


Bachelorarbeit, 2011

81 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Glossar

1. Einleitung
1.1 Einführung in Thematik und Fragestellung
1.2 Literatur und Forschungsstand
1.3 Methodik und Vorgehensweise

2. Soziologisch-theoretische Grundlagen und Definitionen
2.1 Was ist Jugend?
2.2 Jugendkultur und Szenen
2.3 Was bedeutet eine Szenezugehörigkeit für das Individuum?

3. Heavy Metal als Szenephänomen
3.1 Einblicke in die Szene
3.1.1 Begriffsbestimmung oder „Was ist Heavy Metal?“
3.1.2 Entstehung des Heavy Metal
3.1.3 Die musikalische und kulturelle Entwicklung bis heute
3.1.4 Einblick in die Szenestruktur
3.1.5 Ansehen der Szene in der Gesellschaft
3.1.6 Szenekultur
3.2 Äußerlichkeiten und Merkmale der Szenezugehörigkeit
3.2.1 Die phänotypischen Pflichten eines Metalheads
3.2.2 Religion und Heavy Metal – Unvereinbar oder unzertrennlich?
3.3 Inhalte von Musik und Texten im Heavy Metal

4. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis VII

Anlagen

Fragebogen

Fragebogen-Rückläufer

Ehrenwörtliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aufbau von Szenen

Abbildung 2: Metallica 1983: Erstes offizielles Band-Foto

Abbildung 3: Nitro – Typische Glam-Rocker

Abbildung 4: Originallogo von Death

Abbildung 5: Schematische Darstellung der Heavy Metal-Entwicklung

Abbildung 6: Doro Pesch

Abbildung 7: Sanitäre Anlagen auf einem Metal-Festival

Abbildung 8: Verzierte Kutte eines Heavy Metal-Fans

Abbildung 9: Black Metal-Outfit mit Corpspaint

Glossar

Cornuto-Geste: Hierbei handelt es sich um die Titulierung für die bekannteste Heavy Metal-Geste. Der Zeigefinder und der kleine Finger einer Hand werden dabei ausgestreckt, während der Rest der Hand eine Faust bildet. Dies soll den Kopf des Teufels mit dessen Hörnern symbolisieren und ist als respektbekundendes Zeichen innerhalb der Szene bekannt. Historisch gesehen ist das Zeichen als abergläubische Schutzgebärde zur Abwehr von Unglück und Krankheiten zu finden und stammt vom italienischen Wort „corna“ ab, was so viel wie Hörner bedeutet.

Corpspaint: Steht für die schwarz-weiße Einfärbung von Gesicht und Extremitäten. Weiß wird dabei als Grundfarbe verwendet und mit schwarzen Mustern versehen. Es gilt als obligatorisches Zeichen in der Black Metal- und Death Metal-Szene.

Crowd-Surfing: Beim Crowd-Surfing „schwimmen“ Fans oder Künstler auf Händen getragen über den Köpfen der Fanmenge. Dem geht ein Stagedive oder das Hochheben aus dem Mosh-Pit voran. Ziel des Surfens kann der Sicherheitsbereich vor der Bühne sein, wo die Surfer von Sicherheitsleuten in Empfang genommen werden und dann in der Lage sind, sich von der Seite wieder in die Fanmenge zu integrieren. Allerdings ist das nicht verpflichtend.

Demo: Sind Tonträger (früher vorrangig Kassetten) auf denen Bands einige Songs für Fans zum Kauf anbieten. Diese werden durch Plattenfirmen produziert und dienen zur Demonstration (daher der Name) der Songs, um so Werbung für die später erscheinende Platte zu machen.

Fanzine: Ist die Bezeichnung für eine szeneinterne Zeitschrift, welche von Fans ohne kommerzielle Hintergedanken betrieben und hergestellt wird. Dabei spezialisieren sich diese auf bestimmte Stilrichtungen und orientieren sich im Aufbau an den Zeitschriften, welche Konzertberichte, Bandinterviews und Tonträger anbieten. Konkrete Beispiele können nicht angeführt werden, da es einen starken Rückgang im Interesse der Plattenfirmen an Fanzines gibt und die bestehenden sich meist nicht lange halten können.

Flyer: Sind in einem kleinen Format gedruckte Zettel, die Informationen zu anstehende Konzerten, zum Verkauf stehenden Demos oder CD‘s, Fantreffen oder ähnlichem geben. Sie werden meist bei Konzerten, auf Partys, über Fanzines oder durch Zugabe bei Warebestellungen in Umlauf gebracht.

Headbangen: Rhythmisches Kopf- und Haareschütteln im Takt der Musik. Dabei ist der Kopf nach unten geneigt und führt, angepasst an den Rhythmus des Liedes, schwungvoll kreisende oder zackig abgehackte Bewegungen aus.

Kutte: Eine typische Bezeichnung für die Kleidung eines Metalheads. Sie besteht aus einer ärmellosen Jeansweste, welche mit Nieten, Aufnähern und Pins/Ansteckern individuell gestaltet wird.

Merchandise: Als Merchandise werden bandeigene Produkte bezeichnet, die zum Verkauf angeboten werden. Dazu zählen neben T-Shirts und anderen Kleidungsstücken auch Poster, Flaggen, Tassen und andere Dinge.

Metalhead: Dabei handelt es sich um eine szenetypische Bezeichnung für einen Heavy Metal-Fan.

Moshen: Eine Kombination aus Headbangen und Pogotanzen, auch Pogen genannt. Die Fans springen dabei im Kreis und bewegen ihre Köpfe zum Rhythmus der Musik. Bei Konzerten kommt es zur Bildung von sogenannten Mosh-Pits oder Zirkel-Pits, die das Areal markieren, in dem gemosht wird. Dabei gilt die Regel: Wer auf dem Boden liegt, dem wird geholfen und auf den wird Rücksicht genommen.

Mosh-Pit: Mosh pit bedeutet im Deutschen so viel wie „Schlammgrube“ und beschreibt den Raum, in dem der Mosh stattfindet. Der Ursprung des Terminus im Heavy Metal-Bereich kann bei Open-Air-Konzerten gesucht werden, da moshende Zuschauer nach eigenen Beobachtungen öfter auf dem Boden liegen und dementsprechend schlammig sein können.

Picking Eine Spielweise beim Gitarrenspiel, bei dem die Saiten mit der Anschlaghand gezupft werden.

Pogen: Unter dem Begriff Pogotanzen oder Pogen wird das kreisförmige Springen in einer Gruppe im vorderen Bereich der Publikumsmenge bei Konzerten zusammengefasst. Dabei schubsen sich die Fans gegenseitig und bewegen ihren Körper im Rhythmus der meist im Bereich des Punk angesiedelten Musik.

Riff: Ein Riff ist eine kurze prägnante Akkordfolge beim Gitarrenspiel.

Stagediving: Dabei wird von der Bühne in die Fanmenge gesprungen, die einen auffängt und den Springer über ihren Köpfen trägt. Viele Sänger, wie Andreas Frege (Campino), Frontmann der deutschen Punkband Die Toten Hosen, nutzen das Stagediving und sorgen so für eine enge Bindung zu den Fans während des Konzerts.

1. Einleitung

„Heavy Metal-Musik – Das barbarischste Produkt, das die westliche Kultur im Schrank hat!“[1] So beschreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung eine der bekanntesten und weitverbreitetsten Musikrichtungen der Welt.

1.1 Einführung in Thematik und Fragestellung

Lücker leitet seine Abhandlung zur Heavy Metal-Szene mit einem Ausspruch Mephistos aus Goethes Faust ein. Dabei stellt er die Frage, ob Heavy Metal eben ein Teil jener Kraft sei, die „stets das Böse will und stets das Gute schafft.“[2] Dies leitet treffend auf die kontroversen Diskussionen über das Subjekt Heavy Metal hin. Die Szene steht nicht im Fokus der Öffentlichkeit, doch steht sie stets zur Diskussion und wird teilweise als Sündenbock für erschreckende Ereignisse herangezogen. Als Szenegänger und überzeugter Heavy Metal-Fan ist es mir daher ein wichtiges Anliegen mich intensiver mit ihr auseinander zu setzen und mit einigen Vorurteilen gegenüber der Szene aufzuräumen.

Analog zu dem viel zitiert und oft vernommenem Ausspruch, es sei alles eine Sache der ‚Jugend von heute‘, soll innerhalb dieser Arbeit untersucht werden, inwieweit die Szene lediglich durch die Generation der Jugend vertreten wird. Es soll untersucht werden, wie sehr es Identifikationsmöglichkeiten von Jugendlichen mit Inhalten von Musik und Kultur der Szene gibt und welche Auswirkungen diese haben. Abschließend steht die Prüfung der Szene allgemein an. Ob es sich nur um ein Sammelbecken aufbegehrender Jugendlicher handelt oder die Zugehörigkeit keine temporären Grenzen kennt und sich als Lebensstil auch bei Erwachsenen manifestiert, soll geprüft werden.

1.2 Literatur und Forschungsstand

Diese Arbeit konnte auf einer Vielzahl grundlegender Literatur aufgebaut werden. Im Bereich der soziologischen Jugendforschung sind neben den Werken von Bourdieu auch Baacke und Ferchhoff zu nennen, auf denen die grundlegende Betrachtung von Szenen, Jugendkulturen und des Jugendbegriffes beruht.

Nach anfänglicher Skepsis über den Forschungsstand auf dem Teilgebiet der Heavy Metal-Szeneforschung war festzustellen, dass es bereits eine breite Basis an grundlegender Literatur gibt, die sich genauer mit der Heavy Metal-Szene auseinandersetzt. Hierbei werden neben genaueren Untersuchungen innerhalb der Szene zu den Fans, der Musik und der Kultur allgemein auch Vergleiche zu anderen Subkulturen innerhalb der Gesellschaft angestrebt.

Die grundlegendsten Arbeiten auf diesem Gebiet schrieb im deutschsprachigen Bereich Roccor, die von Schäfer als „Frau Doktor Schwermetall“ bezeichnet wird.[3] Neben ihren vielen Untersuchungsergebnissen zur Szenestruktur und Szenekultur setzte sie sich auch mit anderen Aspekten des Heavy Metal tiefgreifend auseinander. Ihr Pendant im englischen Sprachraum stellt Weinstein dar, die mit ihrem Buch Heavy Metal: A Cultural Sociology von 1991 scheinbar die Grundlage für weitere wissenschaftliche Untersuchungen innerhalb der Szene legte.[4]

Neben dem neusten Szeneportrait von Lücker aus dem Jahr 2011 findet sich mittlerweile eine Vielzahl an wissenschaftlichen Werken, die einen umfassenden Einblick in die Szene ermöglichen. Dabei ragt das Werk Höllen-Lärm von Christe heraus, der einen detaillierten Ablauf der Entstehungsgeschichte aufzeigt. Außerdem erfasst und deutet er neben den sozialen und politischen Verhältnissen der entsprechenden Dekaden auch die Sinngehalte in Musik und Songtexten.[5]

1.3 Methodik und Vorgehensweise

Der methodische Ansatz dieser Arbeit ist ein rein deskriptiver. Nach der Einleitung soll ein genereller Überblick über die Begriffe der Jugend und der Jugendkultur im Rahmen der soziologischen Betrachtungsweise erfolgen. Dies dient als Grundlage für die spätere Implementierung in die Zusammenhänge zwischen szenetypischen Charakteristika und gesellschaftlichen Auswirkungen. Anschließend soll im Kapitel 3 ein Einblick in die Szene gegeben werden, wobei die Teilkapitel stets in Zusammenhang mit der eben vorgestellten Problemstellung gebracht werden. Hierbei wird, nach einer Begriffsbestimmung und dem Darlegen der Entstehungsgeschichte des Genres, genauer die Kultur der Szene, die Struktur und das Aussehen der Fans sowie die Inhalte von Musik und Texten analysiert. Kapitel 3 stellt dabei allerdings nur einen Teil der Szenebetrachtung unter Auswertung der vorliegenden Literatur dar und erlaubt es nicht ein ganzheitliches Bild zu zeichnen. Dafür wäre ein Umfang, wie er im Rahmen einer solchen Arbeit gegeben ist, zu gering.

Um die theoretischen Grundlagen mit Ergebnissen einer empirischen Untersuchung zu untermauern, war es mein Anliegen eine Befragung von Szenegängern durchzuführen, was sich jedoch als sehr problematisch herausstellte. Der Versuch scheiterte bei mehreren Konzerten den Kontakt zu Fans herzustellen und diese über Aspekte der Szene zu befragen und so einen tieferen Einblick in die Identifizierung ihrerseits zu erhalten. Sie waren nicht bereit entweder zu diesem oder einem späteren Zeitpunkt Auskunft zu geben. Dies war möglicherweise der Situation geschuldet, in der versucht wurde die Interviewpartner zu gewinnen. Um dennoch ein paar wenige Daten zur Auswertung zu erhalten, wurde ein kurzer Fragebogen konzipiert, der größtenteils auf offenen Fragen basiert und somit das Interview in Teilen ersetzen sollte. Leider war die Rücklaufquote ähnlich ernüchternd, wie der Versuch Interviewpartner zu gewinnen und so liegen nun lediglich neun vollständig ausgefüllte Bögen vor. Diese können dennoch aufgrund der offenen Frageabschnitte ausgewertet werden, wobei keinerlei repräsentative Aussagen damit getroffen werden sollen und können. Lediglich eine Untermauerung der Annahmen aus der Literatur kann dadurch erfolgen. Der Fragebogen und die gegebenen Antworten sind in den Anlagen der Arbeit zu finden.

2. Soziologisch-theoretische Grundlagen und Definitionen

Einleitend zu dieser Arbeit sollen einige Begrifflichkeiten genauer definiert und anhand der theoretischen Grundlagen beleuchtet werden. Gleichzeitig soll dadurch eine genaue Abgrenzung der Begriffe untereinander erfolgen, um später keine Missverständnisse zu erzeugen.

Ein Betrachtungsschwerpunkt dieser Arbeit soll die Bedeutung der Heavy Metal-Bewegung für Jugendliche sein, was es unerlässlich macht den Terminus „Jugend“ genauer zu definieren. Da auch die Jugend einer gewissen Struktur unterliegt, soll diese im Anschluss genauer aufgeschlüsselt werden, um so einen Einblick zu erlangen, wo der Unterschied zwischen einer Kultur, einer Szene und einer Gruppe liegt. Eine genauere Differenzierung zwischen diesen Begriffen ist wichtig, weil eine Abgrenzung der Begriffe von außen sehr schwer fällt. Grund dafür ist die generelle Entwicklung hin zur Globalisierung und Subjektivierung, welche den Jugendlichen mehr Freiraum und mehr finanzielle Möglichkeiten einräumt, gleichzeitig aber auch den Druck auf sie erhöht, so Hitzler / Niederbacher.[6]

2.1 Was ist Jugend?

Im allgemeinen Denken der Bevölkerung richtet sich die Klassifizierung der Jugend am Alter der Person aus und stellt das Bindeglied zwischen Kindheit und Erwachsen-sein dar.[7] Dies spiegelt sich im deutschen Jugendschutzgesetz wieder, in dem Personen als Jugendliche definiert werden, die mindestens 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind.[8] Bourdieu kritisiert diese Denkweise, da er der Meinung ist, dass so unnötige Grenzen geschaffen werden und jeder innerhalb dieser einen festen Platz finden muss.[9] Somit müssen andere Wege gefunden werden, um den Begriff zu umreißen. Wyneken wählt zwar eine drastische Formulierung, indem er aufzeigt, dass die Jugend in seinen Augen „ein Inbegriff von Mängeln und Unvollkommenheiten“[10] ist, doch umschreibt genau die Lage der Jugend zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter.

Somit ist deutlich gemacht, dass die Person kein Kind mehr ist, doch auch noch nicht als Erwachsener gilt und demnach unvollkommen zwischen diesen Abschnitten steht. Jedoch bleibt das Problem, dass es keine feste Grenze in der menschlichen Entwicklung gibt, ab der die Kindheit endet und ab der das Erwachsenenalter beginnt. Hollingshead und Schelsky liefern hierfür treffende Formulierungen. Nach Hollingshead endet das Kind-sein, sobald die Gesellschaft einen nicht mehr als Kind ansieht. Als Kriterien hierfür werden Verhalten und der Status in der Gesellschaft herangezogen.[11] Das Erwachsen-sein wird von Schelsky mit der Einbettung in soziale Institutionen, wie die eigenen Familie, der Öffentlichkeit oder der politischen Ordnung gleichgesetzt.[12]

Vor gut 50 Jahren war qua dieser Definitionen die Jugend auf einen kurzen Zeitraum von circa fünf Jahren festgelegt.[13] Die spätere Entwicklung beinhaltet eine Ausdehnung dieses Zeitraums bei einer Vielzahl von Jugendlichen bis weit hinter das 25. Lebensjahr, da sich auch die Zeitpunkte für Heirat und Familiengründung nach hinten verlagert haben.[14]

Viele unterschiedlichen Herangehensweisen an die gleichen Termini zeigen, dass eine genaue zeitlich begrenzte Definition für den Begriff der Jugend soziologisch nicht möglich ist. Es handelt sich um die Übergangsphase vom Kind zum Erwachsenen, die bei jedem unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Momentan ist eine soziale Verfrühung zu beobachten. Diese tritt durch das frühere Einsetzen der Pubertät und der damit verbundenen Verkürzung der Kindheit ein. Im Zusammenhang mit der Verschiebung von Heirat und Familiengründung wird der Zeitraum der Jugend größer und nimmt einen immer wichtigeren Stellenwert in der Entwicklung ein.[15] Luig und Seebode gehen sogar soweit, dass sie sagen, die Jugend als Bevölkerungsgruppe sei ein Seismograph politischer und gesellschaftlicher Prozesse geworden und unterstreichen damit die Funktion der Jugend innerhalb der Gesellschaft.[16]

Wyneken fand auch schmeichelnde Worte für diesen Lebensabschnitt, indem er ihn als „Blüte des Menschheitsbaumes“[17] bezeichnet und somit den Stellenwert in der Entwicklung verdeutlicht. Er hebt mit der Metapher den Wert der Jugend hervor, ohne dessen gelungene Blüte keine anständige „Menschenfrucht“ zustande kommt.

2.2 Jugendkultur und Szenen

Der Begriff der Jugendkultur hat eine lange Tradition in der historischen Betrachtung. In der Kaiserzeit, also am Ende des 19. Jahrhunderts, interpretierten die Jugendlichen zum ersten Mal ihre Gegenwart als eigenständigen Lebensabschnitt. Sie lebten diese Freiheit aus und nutzten gemeinsame Wanderungen und Fahrten in ihrer Freizeit zum Austausch von Ideen und politischen Gedanken.[18]

Den Begriff der Jugendkultur prägte Wyneken und nannte als ihren ersten Vertreter den „Wandervogel“, einem eben solchen Zusammenschluss aus der Kaiserzeit zum Wandern und Austauschen von geistigem Eigentum.[19] Er schreibt in einem späteren Werk Jugendkulturen ein eigenes Recht, ein eigenes Leben und eine eigene Schönheit zu und stellt damit den Wert dieser Zusammenschlüsse deutlich dar.[20]

Heutzutage wird von Jugendkulturen oder Jugendsubkulturen gesprochen, welche sich als Teil der gesellschaftlichen Gesamtkultur entwickelt haben oder – und dies vorwiegend im Bereich der Freizeitgestaltung – als isolierter Teil eine Subkultur bilden.[21]

Jugendkulturen bilden also einen Rahmen zur Orientierung in der Gesellschaft und im Leben der Jugendlichen. Sie definieren sich über den Gemeinschaftssinn, der mit der Teilnahme an der Kultur einhergeht und basieren beispielsweise auf Bereichen wie Sport, Musik oder Politik. Baacke definiert den kulturellen Aspekt von Jugendkulturen als „die Schaffung von Stilen über Medien, […] sowie die Schaffung sozialer Treffpunkte.“[22]

Obwohl der Terminus es vorgibt, sind nicht alle Jugendlichen Teil einer Kultur. Farin macht auf eine „weibliche Abstinenz in Jugendkulturen“[23] aufmerksam, führt aber gleichzeitig Beispiele für nahezu reine Mädchenkulturen an. Trotz dieser ungleichen Verteilung gehören bis zu 75% der Jugendlichen den 60-80 verschiedenen Jugendkulturen an, welche in Deutschland existieren. Der Hauptgrund hierfür ist, dass durch die Mitgliedschaft in diesen Kulturen viele Freundschaften geknüpft werden.[24]

Die einzelnen Kulturen fächern sich dann weiter auf in sogenannte Szenen, wie beispielsweise die Metal-Szene ein Teil der Musikkultur ist. Diese definieren sich ähnlich wie der Begriff der Kultur als eine Art Netzwerk, in dem eine unbestimmte Anzahl Personen eine Gemeinschaft bilden.[25] Somit liegt die Denkweise nahe, dass beide Begriffe quasi identisch sind, jedoch gibt es bei der Definition der Szene noch einige weitere Merkmale die berücksichtigt werden müssen. Sie bilden sich aufgrund gemeinsamer Interessen, sind allerdings weniger umfangreich im Vergleich zu Kulturen. Weiterhin besitzen sie eine lokale Einfärbung, was dazu führt, dass sich Personen, die eigentlich der gleichen Szene angehören, nicht mit der „fremden“ Szene des Anderen identifizieren können. Dennoch gibt es keinerlei lokale Begrenzungen und somit entsteht eine Art „globale Mikrokultur“, wie es Hitzler und Niederbacher nennen.[26] Szenen lassen sich durch eine gleiche Gesinnung der Szenegänger charakterisieren, dem ein gemeinsames Thema die zentrale Basis gibt. Dieses „main issue“ wird dann entsprechend umgesetzt und spiegelt sich im Kleidungsstil, den Musikvorlieben, den Umgangsformen oder gar dem Ess- und Trinkverhalten wieder. Ziel dieser Umsetzung ist die gegenseitige Anerkennung und die Repräsentation nach außen, um so szeneintern ein Wir-Gefühl zu schaffen. Dies wird von bestimmten Medien unterstützt, welche dem „main issue“ einen spezifischen Rahmen verleihen und so eine Abgrenzung zu anderen Szenen ermöglicht.[27]

Laut Zeugin ist soziales Handeln eine Grundbedingung der Gesellschaft und bildet somit auch Voraussetzung für das Zusammenleben innerhalb einer Szene.[28] Hierbei wird auch die erschwerte Kommunikation außerhalb des Szenelebens mit eingeschlossen. Sie basiert auf eigenen Symbolen, Zeichen und Ritualen, deren korrekte Verwendung höhere Anforderungen an das soziale Handeln stellen.[29] Dies führt dazu, dass Bestandteile der Szene von Szenegängern als normal angesehen, von Außenstehenden als problematisch oder abstoßend eingestuft werden.[30]

Auch wenn soziales Handeln als sehr wichtiger Punkt innerhalb der Szene gilt, gibt es keinerlei Hierarchie, Gesetze oder andere feste Regeln, die den Umgang miteinander eindeutig festlegen. Dies führt dazu, dass sie als sehr labil bezeichnet werden können.[31] Trotz der nachgesagten Labilität von Szenen haben diese eine breite strukturelle Basis. Sie besteht aus mehreren Untergruppen, welche sich wieder auf Grundlage von gemeinsamen Interessen zusammenfinden. Das gilt laut Tenbruck analog für die Jugend. Sie existiert nicht kompakt als eine soziale Gruppe, sondern bildet eine Vielfalt aus, welche aufgrund von Gemeinsamkeiten entstehen und durch geringe Überschneidungen mit anderen verbunden sind.[32] Dabei findet eine rege Kommunikation zwischen den Individuen innerhalb der einzelnen Gruppen statt, jedoch weniger zwischen den Gruppen. Dessen ungeachtet ist inter- und intragruppenspezifische Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil des Szenelebens.[33] Die schematische Darstellung in Abbildung 1 soll den Aufbau einer Szene verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Aufbau von Szenen

Quelle: Hitzler / Niederbacher 2010, S. 21.

Diese Darstellung kann durchaus parallel eine Ebene höher auf die Struktur von Kulturen angewandt werden, wobei die Gruppen dann für die einzelnen Szenen stehen.

Die Unterscheidung der Begriffe Kultur, Szene und Gruppe ergibt sich somit aus den verschiedenen strukturellen Ebenen. Eine Kultur ist ein Teil der Gesellschaft und beinhaltet verschiedene Szenen. Diese sind geprägt durch eine Vielzahl an Gruppen, die durch verschiedene Individuen charakterisiert werden. Somit wäre es rein theoretisch möglich dem einzelnen Individuum einen genauen Platz in der Szene und damit auch in der Gesellschaft nachzuweisen. Praktisch kann dies schwierig werden, da das Aufzeigen von exakten Zugehörigkeiten problematisch sein könnte. Einen Beleg dafür liefert Ferchhoff, der aufführt, dass aufgrund von Unwissenheit und Angst bei Forschern ein häufig zu großer Abstand zu Szenegängern und deren Lebensstilen eingenommen wird.[34] Somit ist die Erforschung von Szenen möglicherweise nicht objektiv genug und birgt einen enormen Forschungsbedarf. Deshalb soll innerhalb dieser Arbeit besonders die Heavy Metal-Szene genauer beleuchtet werden.

2.3 Was bedeutet eine Szenezugehörigkeit für das Individuum?

Wie bereits aus den allgemeinen Eigenschaften einer Szene hervorgeht, ist einer der wichtigsten Faktoren das Zusammentreffen mit anderen Personen, die gleiche Interessen und Vorlieben haben. Sobald diese Verbindung hergestellt ist und Heranwachsende Kontakt zu „Gleichgesinnten“[35] haben, beginnen sie sich mit größeren Schritten von der Kindheit zu entfernen. Nun müssen sie sich laut Remschmidt bis zur Übernahme des Erwachsenenstatus mit Problemen der Identitätsfindung auseinandersetzen.[36] Nach den Grundlagen von Mead wird aus soziologischer Sicht der Identitätsbegriff in soziale und individuelle Identität unterteilt. Die Erwartungen, die an eine Person hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften im Zusammenhang mit einer sozialen Position gestellt werden, können unter dem Begriff sozialer Identität subsumiert werden. Unter individueller Identität wird hingegen die soziale Wahrnehmung des Einzelnen in Abgrenzung zu anderen verstanden.[37]

Die Suche oder Findung der eigenen Identität erfolgt mittels einer Auseinandersetzung des Individuums mit gesellschaftlichen Normen, Werten und anderen sozialen Vorgaben. Dabei orientieren sich Jugendliche meist an Vorbildern, egal ob fiktiv oder real, oder verordnen sich in Jugendkulturen und Szenen. Dabei ist festzuhalten, dass eine persönlich getroffene Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur nicht endgültig ist, sondern eher mit „experimentellen Suchbewegungen“ oder dem „ausprobieren von Identifikationsmöglichkeiten“ gleichzusetzen ist.[38] Eigene Erfahrungen zeigen, dass dieses Ausprobieren sich über verschiedenartige Jugendkulturen und Szenen erstrecken kann. Dabei spielen die gruppendynamischen Prozesse innerhalb eines bestehenden Freundeskreises eine wichtige Rolle und bedingen die Häufigkeit der Wechselexperimente. An dieser Stelle kommt die Frage auf, was im Zuge dieser experimentellen Phase eine endgültige Einordnung in eine Szene oder Jugendkultur veranlasst. In den betrachteten Werken wurde dazu keine eindeutige Antwort gegeben. Fest steht, dass es ein Zusammenspiel aus der Interaktion mit der Gesellschaft und dem Zusammenleben in Familie und Freundeskreis sein muss, da diese Elemente die grundlegenden Instanzen der Sozialisation bilden.

Die Identitätsbildung in der Adoleszenz ist ein entscheidender Prozess innerhalb der Entwicklung eines Individuums. Somit ist die Szenezugehörigkeit als Teil des Identitätsfindungsprozesses von eminenter Bedeutung für das Individuum, da sie für die gesellschaftliche und individuelle Prägung der Einzelperson sorgt. Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit auch der Aspekt der adoleszenten Prägung durch die Heavy Metal-Szene betrachtet werden.

Der erste Abschnitt dieser Untersuchung sollte der begrifflichen Einordnung dienen und einige theoretische Grundlagen legen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass es schwierig ist, für den Begriff der Jugend eine genaue und alles umfassende Definition zu finden. Neben den Ansätzen von Bourdieu und Wyneken wurden auch aktuelle Entwicklungen aufgezeigt. Diese zeichnen das Bild, dass die Phase der Jugend immer früher erreicht und immer später beendet wird. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die gesetzliche Definition von Jugend im Grunde genommen obsolet ist und den aktuellen Entwicklungen angepasst werden müsste. Ohne diese Anpassung würde es zu einer zunehmenden Diskrepanz von gesellschaftlicher und juristischer Definition der Jugend kommen. Eine Auswirkung dieser Art kann jedoch nicht belegt werden und soll auch nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.

3. Heavy Metal als Szenephänomen

Nach der kurzen begrifflichen Einleitung soll der Hauptteil dieser Arbeit sich intensiver mit der Heavy Metal-Szene auseinandersetzen. Zunächst soll ein tieferer Einblick in die Szene gegeben und wesentliche Teile des Szenelebens vorgestellt werden. Die Differenzierungen innerhalb der Szene werden dabei möglichst detailliert erläutert, um so ein umfassendes Bild zu schaffen. Im zweiten Teil geht es dann hauptsächlich um die Auseinandersetzung mit phänotypischen Merkmalen der Zugehörigkeit und der Zusammenführung von Religion mit dem Leben als Heavy Metal-Fan. Im letzten Abschnitt soll dann genauer auf die Inhalte der Musik eingegangen werden, da die Musik den elementarsten Bestandteil des Heavy Metal-Szenelebens markiert.

All diese Aspekte werden vor dem Hintergrund der Grundlagen zu den Begriffen Jugend und Szene beleuchtet und dahingehend untersucht, welchen Einfluss sie auf das Szeneleben haben.

3.1 Einblicke in die Szene

Wie bereits angeführt, bemerkte Ferchhoff den großen Abstand von Forschern zu Szenen aus Angst und Unwissenheit heraus. Dies spiegelt sich nicht nur in der Forschung, sondern auch im Zusammenleben mit Personen wider, die einer anderen Szene angehören. Aus diesem Grund besteht die begründete Annahme, dass ein hohes Maß an subjektivem Wissen, Stereotypen und Vorurteilen im Raum stehen und die Meinung von Personen über Gruppierungen prägen. Daher soll nun ein Einblick in die Heavy Metal-Szene gegeben werden, der eine objektive Betrachtung ermöglichen soll.

3.1.1 Begriffsbestimmung oder „Was ist Heavy Metal?“

Zunächst soll der Begriff Heavy Metal erläutert werden, wobei sich herausstellt, dass eine einheitliche Definition schwierig ist. Laut Duncan 1984 ist Heavy Metal eine „prollige, scheußliche, stillose, unkultivierte […], fürchterliche und dumme Musik, ja noch nicht einmal Musik.“[39] Eine musikalische Analyse würde jedoch zeigen, dass es ein Genre der Rock-Musik ist und durch viele unterschiedliche Strömungen geprägt wurde. Musikalisch sind die Wurzeln vor allem im Bereich des Jazz und des Blues zu suchen, aus denen sich später dann der Rock’n’Roll entwickelte.[40] Im Rocklexikon von Graves, Schmidt-Joos und Halbscheffel wird er mit dem Begriff des Heavy Rock gleichgesetzt, was jedoch ein verzerrtes Bild aufwirft.[41] Heavy Metal ist mehr als nur harte Rockmusik. Dementsprechend wurde auch ein Terminus dafür gewählt, der in seiner wörtlichen Bedeutung mit „ Schwermetall“ zu übersetzen ist. Diese Assoziation ergibt sich, so Bruckmoser und Wulff, durch einen „massiven Soundteppich“, der durch stark verzerrte Gitarren und massigen Schlagzeugeinsatz erzeugt wird und an zähflüssiges Metall beim Gießen erinnert.[42] Die Entstehungsgeschichte des Szenenamens ist umstritten. Bis heute ist nicht geklärt, wer den Ausdruck Heavy Metal als erstes prägte. Weinstein zitiert Musikjournalisten, die diesen Terminus bereits zu Beginn der 1970er Jahre verwenden.[43] Auch die Band Steppenwolf soll mit der Textzeile „Heavy Metal Thunder“ aus ihrem berühmten Song ‚ Born to be wild‘ namensgebend für diese Musikrichtung gewesen sein.[44] Die Einigung darüber kann jedoch bis heute nicht dokumentiert werden.

Eine historische Herleitung des Begriffes gibt hingegen Walser. Er behauptet, dass es im 19. Jahrhundert eine Metapher für schwere Waffen und menschliche Kraft war und belegt das an Redewendungen wie „He is a man of heavy metal“.[45] Auch Scherer stellt aus musiksoziologischer Sicht eine Verknüpfung zwischen Heavy Metal und Waffen her. Er bezieht seine Argumentation darauf, dass die technischen Grundlagen für diese Musik aus nachrichtentechnischen Forschungen zur Zeit der Weltkriege stammen. Weiterhin implementiert er, dass die Musik nicht den Schrecken des Krieges ausdrückt, sondern selbst dieser Schrecken ist.[46] Doch der Heavy Metal war nicht die einzige Musik, die sich dieser Technik bediente und somit sollte dieser Vergleich kritisch betrachtet werden. Dennoch unterstreicht er einerseits, dass es sich um sehr kraftvolle Musik handelt, welche mit schweren Waffen, also lauten verzerrten Gitarren und massivem Schlagzeug, umgesetzt wird. Andererseits generiert eine solche Herleitung gleichzeitig Stereotype. So wird erreicht, dass als Metalhead nur die angesehen werden, die einem martialischen Erscheinungsbild entsprechen und einen gewissen Hang zur Gewalt haben. Auf diese Thematik wird aber später noch näher eingegangen.[47] Einen treffenderen Vergleich für begriffliche Herleitung führt Roccor an, die das Spiel des Schlagzeugs der Präzision und Lautstärke von Maschinen und die Verzerrungen der Gitarre dem Geräusch einer arbeitenden Kreissäge gegenüberstellt.[48]

Heavy Metal ist also eine durch verzerrte Gitarren und schnell gespielte Riffs entstandene Strömung der Rockmusik. Person 1 definiert Heavy Metal als eine „Art Musik, die versucht ehrlich zu sein, Spaß zu vermitteln aber auch Probleme aufzuzeigen.“[49] Jedoch bleibt es schwer eine genaue Definition aufzustellen und die exakte Herleitung des Begriffes sowie feste Begründer sind nicht zu nennen. Roccor ist der Meinung, dass Heavy Metal sinnlich erlebt, gehört und gefühlt werden muss, um verstanden zu werden.[50] Damit wird impliziert, dass jeder selbst eine für sich gültige Definition aufstellen kann - und muss - und somit gleichzeitig seine eigene Position in der Beziehung zum Heavy Metal festlegt. Dadurch bedingt gibt es verschiedene Sichtweisen auf die Musik, auch innerhalb der Szene. Fans unterscheiden sich stark in ihren Vorlieben. Die einen sehen nur die Musik aus den Anfängen als „richtigen“ Heavy Metal an, für wieder andere fallen lediglich Balladen aus dem Schema und stellen einen Stilbruch dar.

An dieser Stelle greift die musikalisch-gesellschaftliche Verortung von Jugendlichen in Szenen und Jugendkulturen. Sie entscheiden für sich allein, welche Prämissen gesetzt und welche Stellung innerhalb der Szene eingenommen wird. Dabei ist nicht sicher, ob sie experimentieren oder einer Linie folgen, die durch andere Personen, wie zum Beispiel Eltern, Geschwister oder Freunde vorgegeben wird. Dieses Phänomen ist im Bereich von Heavy Metal sehr stark ausgeprägt, da es eine mannigfaltige Auffächerung unter diesem musikalischen Oberbegriff gibt. Nach einer kurzen Entstehungsgeschichte soll eben diese Masse an Subgenres an kurzen Beispielen dargestellt werden.

3.1.2 Entstehung des Heavy Metal

Für nahezu alle Entdeckungen dieser Welt gibt es ein festes Datum, wann sie erfunden oder das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Wie bei vielen Teilen der Musik ist es auch beim Heavy Metal schwer an einem exakten Datum festzumachen. Heutzutage ist die Szene bei weitem nicht mehr so überschaubar, wie zu ihren Anfängen und deswegen ist es wichtig, einen entstehungsgeschichtlichen Abriss zu geben.

Wie bereits erwähnt, liegen die musikalischen Wurzeln im Bereich des Jazz und Blues, aus denen sich später der Rock’n’Roll entwickelt hat. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts war die beliebte Musikrichtung, welche durch große Musiker wie Elvis Presley oder The Beatles geprägt wurde, im Auflösungsprozess begriffen. Der negative Gipfel dieser Entwicklung war der tragische Ausgang eines Gratiskonzerts der Rolling Stones, bei dem im Dezember 1969 vier Menschen ums Leben kamen.[51] Auch der Tot der Musikikonen Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison zwischen den Jahren 1970 und 1971 hinterließ ein tiefes Loch in der Rockmusikszene. Die sogenannte „Love Generation“, die sich in den 60er Jahren als Protestkultur mit dem Ziel von Liebe und Frieden entwickelt hatte, löste sich auf, da sie die Utopie erkannten, der sie sich verschrieben hatten.[52] Zur gleichen Zeit entwickelte sich in den Industriezentren Englands eine neue Form der musikalischen Protestbewegung. Ihr voran ging die Band Black Sabbath mit ihrem gleichnamigen Debütalbum. Sie suchten in ihren Texten nicht nach Lösungsvorschlägen, sondern zeigten ein hartes Bild der Realität in einer durch Krisen und Kriege geprägten Zeit auf.[53] Diesen Pragmatismus propagierten auch Bands wie Led Zeppelin, Deep Purple oder Alice Cooper. Sie schufen einen neuen Härtegrad der musikalischen Ausarbeitung des Rock und setzten zunehmend auf harte Riffs, um ihren Songs Nachdruck zu verleihen. In der Jam Musikdokumentation wird dies an einem Beispiel treffend beschrieben:

„Mit den Requisiten einer Broadway-Show verliehen Alice Cooper ihrer Message, dass Amerika auf Sex und Gewalt aufgebaut ist, Nachdruck. Make-up-verschmierte Gesichter, gleichgeschlechtliche Anspielungen und immer mehr Horrorelemente waren ihre Antwort auf die harmoniesüchtige Hippiegeneration.“[54]

Mit Ausnahme von Alice Cooper in Amerika, zentrierte sich die neue Metal-Bewegung in England. Besonders die bereits erwähnten Bands konnten eine schnell wachsende Fangemeinde verzeichnen. Wie Roccor beobachtete, wuchs die Fan-Basis auch auf deutschen Boden stetig an und setzte sich zum Großteil aus ähnlich gelagerten Milieus zusammen, wie die Bands selbst.[55] Dies bedingte die starke Identifikation auf Seiten der Fans mit der Musik und den Künstlern. Folglich ging die Entwicklung dahin, dass viele Fans auch selbst diese Musik praktizieren wollten. Durch ihren eigenen musikalischen Stil charakterisiert, nahmen somit immer mehr Bandprojekte Einfluss auf die Entwicklung des Genres. Dem voran standen und stehen die britischen Bands Motörhead und Judas Priest. Ihre Abwandlung der Musik von Black Sabbath und Led Zeppelin prägten den Sound so sehr, dass dieser Bewegung ein eigener Name zu Teil wurde: New Wave of British Heavy Metal (NWOBHM). Diese neue Stilrichtung, die sich Ende der 70er Jahre bildete, ist gleichzeitig namensgebend für die komplette Heavy Metal-Szene.[56] Im Unterschied zu den bereits bestehenden Bands setzten die neuformierten Gruppen der NWOBHM-Bewegung wie Iron Maiden oder Saxon (beide heute noch aktiv und erfolgreich) nicht auf politisch motivierte Texte, sondern verschrieben sich der Musik selbst und bildeten einen Gegenpol zur kommerzialisierten Unterhaltungsindustrie.[57] Musikalisch wird dies durch harte Riffs und schrillen Gesang ausgedrückt, der durchaus am Geschmack des Ottonormalbürgers vorbei geht, was eigene Erfahrungen bestätigen.

Optisch wurde diese Haltung durch massiven Einsatz der Farbe Schwarz, gepaart mit nietenbestückter Lederkleidung zum Ausdruck gebracht und prägte zugleich das Erscheinungsbild der Heavy Metal-Bewegung für die nächsten Jahre.[58] Wie sich die phänotypische Präsentation in der Szene gewandelt hat, wird an späterer Stelle aufgegriffen.[59]

Die Entstehung des Heavy Metal ist also zusammenfassend an die Auflehnung gegen politische Missstände und die Abkehr vom kommerziellen Hippietum geknüpft. Dabei wurden Themen angesprochen, die eine harte Seite der Realität widerspiegeln und in der Öffentlichkeit nicht immer eine bewusste Beachtung fanden. Weiterhin wurden tabuisierte Attribute als Aufmacher verwendet und verliehen der Musik einen besonderen Reiz. Besonders die Verwendung von okkulten Symbolen und Praktiken fanden großen Anklang in der Szene. Deutlich wird dies am Beispiel von Black Sabbath, die sich nicht nur in ihrer Musik mit Hexenkunst umgaben, sondern sich infolge der Verwendung von Pentagrammen und ähnlichen Symboliken des Okkultismus gegen Anschuldigungen der Teufelsanbetung wehren mussten.[60] Das war auch der Grund dafür, dass die Musik nur schwer Erfolg hatte. Neben Zensurversuchen aufgrund angeblicher satanistischer Motive, herrschte kommerzielle Gleichgültigkeit und es mangelte an Unterstützung der Medien.[61] Von Weinstein wird Heavy Metal dennoch als „beast that refuses to die“[62] („Monster, das nicht sterben will“) beschrieben, da er diesen Widrigkeiten trotzte und sich etablieren konnte. Heutzutage erfahren viele Heavy Metal-Bands, wie AC/DC, Iron Maiden, Kiss oder Metallica, kommerzielle Beachtung und haben sich zu wahren Mediengiganten entwickelt. Eine weit verbreitete Ansicht unter Bands und Anhängern ist jedoch, dass es lediglich die Musik und die Treue der Fans braucht, um Erfolg zu haben. Dies wird dadurch unterstrichen, dass es auch Konzerte von „großen“ Bands gibt, die lediglich über Flyer, in Fanzines oder anderen Foren beworben werden. Doch auch wenn Bands wie Biohazard propagieren „Music is for you and me not the fucking industry“[63] („Musik ist für mich und nicht für die verdammte Industrie“), lässt sich die Vermarktung der Musik nicht aufhalten, wenn die Bands Erfolg haben und Geld verdienen wollen.

Der Hang zu verbotenem und gesellschaftlich nicht akzeptiertem Verhalten scheint den Reiz an der Musik zusätzlich zu steigern. Besonders Jugendliche finden daran großen Gefallen. Sie befinden sich in der Phase der Identitätsbildung und müssen erst noch abwägen, ob sie mit solchem Verhalten sympathisieren oder nicht. Wie bereits beschrieben, ist diese Phase durch die Ausreizung sozialer und gesellschaftlicher Grenzen geprägt und ermöglicht so eine schnelle Verortung innerhalb der Szene. Es ist jedoch falsch zu pauschalisieren und zu behaupten, dass die Sympathie allein aus Gründen der Auflehnung gegen das Elternhaus oder ähnliches generiert wird.

Fest steht, dass die NWOBHM in den 80er Jahren den Höhepunkt der damaligen Entwicklung des Heavy Metal kennzeichnet und gleichzeitig den Grundstein für eine breite stilistische Ausweitung des Genres legte.[64]

Den Ursprung für diese Entwicklung markieren, wie bereits dargelegt, die Bands Bl ack Sabbath, Led Zeppelin und Deep Purple, wobei bis heute strittig ist, wer der eigentliche „Erfinder“ des Heavy Metal ist. Christe hat dafür eine treffende Umschreibung gefunden: „Während Black Sabbath das Wesen des Heavy Metal entfesselten, arbeiteten Led Zeppelin und Deep Purple seine Konturen aus und verliehen ihm Sexappeal.“[65] Mit dieser sehr versöhnlichen Aussage dürften alle Vertreter zufrieden sein, da jedem eine entscheidende Rolle zugeschrieben wird. Auch die Musikfachwelt hat sich mittlerweile darauf geeinigt, dass sich Black Sabbath und Led Zeppelin die Ehre des Genreurhebers teilen dürfen.[66]

3.1.3 Die musikalische und kulturelle Entwicklung bis heute

Nach der Skizzierung der Entstehungsgeschichte des Heavy Metal, soll nun aufgezeigt werden, wie die Entwicklung danach voran schritt.

Ferchhoff bemerkte 1995, dass im Verlauf der Entwicklung nicht nur neue Jugendkulturen entstehen, sondern die bestehenden sich auch weiter ausdifferenzieren.[67] Dieses Phänomen ist am Beispiel der Heavy Metal-Szene ebenfalls zu beobachten.

Ein erster wichtiger Schritt ist bereits mit der Herausbildung des NWOBHM getan, der, wie bereits erwähnt, die Grundlage für die weitere Auffächerung des Genres legte. In ihm kamen die harten Gitarrenriffs mit Einflüssen aus dem Bereich des Punks zusammen und formten so den unnachahmlichen Sound, wie er beispielsweise bei der britischen Band Iron Maiden zu finden ist. „Zu jener Zeit entstand das Gerüst dessen, was bis heute im Allgemeinen unter dem Begriff Heavy Metal verstanden wird[…]“[68], beschreibt Lücker diesen Zeitpunkt.

Nach dem Hardrock-Jahrzehnt der 70er Jahre und der NWOBHM-Ära zu Beginn der 80er, begann sich die Musik zu wandeln. Ein Teil der Bands praktizierte die gebräuchliche Spielweise der Musik und titulierten dies bereits kurz nach der Entstehung als klassischen Metal, was laut Christe die Definition von Heavy Metal im eigentlichen Sinne darstellt. Ihre Vertreter waren – und sind es bis heute – Musikgrößen wie AC/DC, Black Sabbath, Dio, Judas Priest oder die deutschen Scorpions.[69] Jedoch drängten die Fans der damaligen Zeit auf mehr und forcierten damit eine Intensivierung des Heavy Metal. Die Riffs wurden schneller und die Double-Bass am Schlagzeug klang zunehmend wie ein Maschinengewehr. Damit war die Zeit des Speed- oder Trash-Metal geboren, die auf der extremen Spielart bekannter Heavy Metal-Bands wie Motörhead aufbaute. Das Zentrum dieser Bewegung lag in der Bay Area von San Francisco und wird durch Bands wie Metallica und Slayer bekleidet.[70] Wann genau sich der Trash-Metal etablierte, ist in der Literatur nicht genau festgelegt. Christe scheint den Beginn dieses Entwicklungsabschnitts mit dem Erscheinen von Metallicas Debütalbum „Kill ’em all“ gleichzusetzen und stellt die Band damit als die Begründer des Trash-Metal dar.[71] Das erste offizielle Bandfoto von Metallica ist in Abbildung 2 zu sehen.

[...]


[1] In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 42 vom 19.10.2003, S. 30.

[2] In: Goethe 2000, S. 39.

[3] Vgl. Schäfer 2001, S. 50.

[4] Vgl. Weinstein 1991.

[5] Vgl. Christe 2005.

[6] Vgl. Hitzler / Niederbacher 2010, S. 11.

[7] Vgl. Luig / Seebode 2003, S. 10.

[8] Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1,2 JuSchG (Jugendschutzgesetz).

[9] Vgl. Bourdieu 1993, S. 136f.

[10] In: Wyneken 1919, S. 33.

[11] Vgl. Hollingshead 1958, S. 6.

[12] Vgl. Schelsky 1957, S. 16.

[13] Vgl. Hurrelmann et al. 2006, S. 33.

[14] Vgl. Joppich 2010, S. 12.

[15] Vgl. Baacke 1994, S. 41f.

[16] Vgl. Luig / Seebode 2003, S. 9.

[17] In: Wyneken 1919, S. 38.

[18] Vgl. Ferchhoff 2007, S. 50.

[19] Vgl. Wyneken 1919, S. 36f.

[20] Vgl. Wyneken 1922, S. 136.

[21] Vgl. Baacke / Ferchhoff 1993, S. 404.

[22] In: Baacke 2007, S. 143.

[23] In: Farin 2008, S. 38.

[24] Vgl. Farin 2008, S. 39f.

[25] Vgl. Hitzler / Niederbacher 2010, S. 15.

[26] Vgl. Hitzler / Niederbacher 2010, S. 15f.

[27] Vgl. Joppich, 2010, S. 16.

[28] Vgl. Zeugin 1979, S. 34.

[29] Vgl. Hitzler / Niederbacher 2010, S. 17f.

[30] Vgl. Großegger 2008, S. 319.

[31] Vgl. Hitzler / Niederbacher 2010, S. 19.

[32] Vgl. Tenbruck 1965, S. 66.

[33] Vgl. Hitzler / Niederbacher 2010, S. 20.

[34] Vgl. Ferchhoff 1995, S. 60.

[35] Gleichgesinnte sind in diesem Zusammenhang als gleichaltrige Personen, die ähnliche/gleiche Interessen haben. [Anm. d. Autors]

[36] Vgl. Remschmidt 1986, S. 19.

[37] Vgl. Scherr 2009, S. 126.

[38] In: Scherr 2009, S. 127.

[39] Duncan 1984 zitiert nach: Roccor 1998, S. 10.

[40] Vgl. Kneif 1982, S. 116.

[41] Vgl. Graves / Schmidt-Joos / Halbscheffel 2003, S. 1056.

[42] Vgl. Bruckmoser / Wulff 2010 [online].

[43] Vgl. Weinstein 1991, S. 20.

[44] Vgl. Roccor 2002, S. 98.

[45] In: Walser 1993, S. 1.

[46] Vgl. Scherer 1991, zitiert nach Roccor 2002, S. 98.

[47] siehe: 3.2 Äußerlichkeiten und Merkmale der Szenezugehörigkeit, S. 33.

[48] Vgl. Roccor 2002, S. 98.

[49] In: Antwort auf Frage 8 von Person 1, siehe Anlagen S. XVI.

[50] Vgl. Roccor 2002, S. 99f.

[51] Vgl. Christe 2005, S. 19.

[52] Vgl. Christe 2005, S. 19f.

[53] Vgl. Friedel 2007, S. 5.

[54] In: Jam Musikdokumentation Nr. 167 zitiert nach Lücker 2011, S. 20.

[55] Vgl. Roccor 2002, S. 107.

[56] Vgl. Lücker 2011, S. 21f.

[57] Vgl. Friedel 2007, S. 7.

[58] Vgl. Roccor 1998, S. 44.

[59] Vgl. 3.2 Äußerlichkeiten und Merkmale der Szenezugehörigkeit, S. 33.

[60] Vgl. Christe 2005, S. 24.

[61] Vgl. Roccor 2002, S. 103.

[62] In: Weinstein 1991, S. 20.

[63] In: Roccor 2002, S. 307.

[64] Vgl. Roccor 2002, S. 113.

[65] In: Christe 2005, S. 24.

[66] Vgl. Bechthold 2008, S. 34.

[67] Vgl. Ferchhoff 1995, S. 59.

[68] In: Lücker 2011, S. 22.

[69] Vgl. Christe 2005, S. 82.

[70] Vgl. Lücker 2011, S. 22f.

[71] Vgl. Christe 2005, S. 8.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Heavy Metal als Szenephänomen
Untertitel
Ein Mittel der jugendlichen Auflehnung oder die Manifestierung eines Lebensstils?
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
81
Katalognummer
V215162
ISBN (eBook)
9783656521679
ISBN (Buch)
9783656527022
Dateigröße
4531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziologie, Heavy Metal, Metal, Heavy, Gesellschaft, Jugend, Jugendgruppen, Szenephänomen, Szene, Phänomen, Szenekultur, Jugendkultur, Musik
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Martin Schulze (Autor:in), 2011, Heavy Metal als Szenephänomen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215162

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