Über die Wahrnehmung des Raumes erfasst der Mensch das Phänomen der Zeit. Sie ist nur in Form verräumlichter Strukturen erfahrbar. So dient zur Veranschaulichung von Zeit respektive ihrem „Vergehen“ in aller Regel die Bewegung durch den Raum. Raum und Zeit sind also wechselseitig abhängig: Sie können lediglich über die dialektische Vermittlung einer wahrnehmenden Instanz koexistieren. In dieser Symbiose bilden Raum und Zeit ein strukturierendes Gefüge, das als Bezugsrahmen in Kafkas Romanen fungiert: Handlungssequenzen finden in aller Regel in geschlossenen Räumen statt, in denen Zeit eine eigene Qualität besitzt, die den räumlichen Strukturen entspricht. Geschehen und Bezugsrahmen sind ineinander verzahnt, das Geschehen kann nicht über das es strukturierende Gefüge hinaus vollzogen werden.Sowohl zum Raum- als auch zum Zeitempfinden in Kafkas Literatur liegen zahlreiche Arbeiten vor. Im Bereich der Verknüpfung beider mit dem Wahrnehmungshorizont der Figuren und den Implikationen für einen Wirklichkeitsentwurf, der auch in Kafkas realem Denken und Leben Niederschlag fand, ist dies weit weniger der Fall.4 Die Sekundärliteratur sondiert klassischer Weise zwischen dem Verschollenen auf der einen und dem Proceß und dem Schloß auf der anderen Seite. Der Grund dafür ist in der Eigenart des Verschollenen zu sehen, eine vom Epischen getriebene Geschichte zu sein. Davon legt die bekannte Bemerkung von Kafka Zeugnis ab, die den Roman in die Nachbarschaft des großen Epikers Charles Dickens stellt: „»Der Heizer« glatte Dickensnachahmung, noch mehr der geplante Roman.“ (TB III 168) Gegenüber seinen beiden Nachfolgern setzt er sich in vielerlei Betrachtungen oft ab. Ein analytisches Vorgehen, das auf strukturelle Befunde aus ist, muss aber den Anspruch erheben, alle drei Romane in den Blick zu nehmen, um ein Merkmal als übergreifende Struktur postulieren zu können.
Inhaltsverzeichnis
- I. EINLEITUNG: DIE STRUKTURIERUNG DER GEGENWÄRTIGKEIT
- II. RAUM
- Der Verschollene
- Karl an freier Luft
- Karl in Räumen
- Auf dem Schiff
- New York
- Im Landhaus
- Im Hotel occidental
- Bruneldas Wohnung
- Das Naturteater von Oklahama
- Der Proces
- Die Kanzleien
- Beim Gerichtsmaler Titorelli
- Beim Advokaten Huld
- Josef K.'s Wohnung
- Die Prügelkammer
- Im Steinbruch
- Das Schloß
- Figuren im Raumgefüge: Die Bürgel-Episode
- Hierarchien im Raum
- Das Dorf
- Das Schloss
- Nivellierungen des Hierarchie-Gefüges
- III. ZEIT
- Im Schloss
- Im Dorf
- Zeit zwischen den Kapiteln
- K. Ein Robinson Crusoe der Armbanduhr
- Zeit innerhalb der Kapitel
- Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft?
- Der Verschollene - Im Landhaus
- Der Process Im Dom
- Das Schloß Im Dorf
- K.'s erster Tag im Dorf
- Das Warten auf Klamm
- IV. STRUKTURIERUNG EINES WIRKLICHKEITSENTWURFS
- Kreisstrukturen
- Therese
- Der Kreisel
- Schwimmende Ufer - Grenzen der Erkenntnis
- Betrachtung vom Schloss
- Bilder
- Titorelli
- Photographien
- Filmriss: Giorgio de Chirico und Franz Kafka
- Stehender Sturmlauf: Der immerwährende Augenblick
- Sisyphos und der Fortschritt
- V. GEBROCHENE WIRKLICHKEITSWAHRNEHMUNG
- K.
- Die Aufenthaltsfrage
- Die Friedhofsmauer
- Josef K.
- Karl Roßmann
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die raumzeitliche Strukturierung der Gegenwärtigkeit in den Werken Franz Kafkas, insbesondere in "Der Verschollene", "Der Prozess" und "Das Schloss". Sie befasst sich mit der Frage, wie Kafka in seinen Erzählungen eine subjektive und fragmentierte Wirklichkeit konstruiert.
- Die Rolle des Raumes in der Konstruktion von Wirklichkeit
- Die Bedeutung der Zeit und ihre Wahrnehmung in Kafkas Erzählwelt
- Die Fragmentierung und Verzerrung der Wahrnehmung
- Die Bedeutung von Symbolen und Metaphern für das Verständnis von Kafkas Werk
- Die Auswirkungen von Machtstrukturen und Bürokratie auf die Individuen in Kafkas Welt
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Gegenwärtigkeit und ihrer Strukturierung in Kafkas Erzählungen ein. Es analysiert die Bedeutung von Kafkas Zeichensetzung und deren Einfluss auf die Wahrnehmung des Lesers.
Im zweiten Kapitel wird die Rolle des Raumes in Kafkas Erzählwelt untersucht. Es werden verschiedene Räume und Orte analysiert, die in den Werken eine wichtige Rolle spielen, wie zum Beispiel die Kanzleien in "Der Prozess", das Schloss in "Das Schloss" und die Wohnung von Josef K. in "Der Prozess".
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Zeit in Kafkas Werken. Es analysiert die Wahrnehmung von Zeit durch die Protagonisten und die Auswirkungen von verschiedenen Zeitstrukturen auf das Geschehen in den Erzählungen.
Das vierte Kapitel widmet sich der Strukturierung eines Wirklichkeitsentwurfs in Kafkas Werken. Es analysiert verschiedene Motive und Symbole, die für die Konstruktion der subjektiven Wirklichkeit wichtig sind, wie zum Beispiel Kreisstrukturen, Schwimmende Ufer und Bilder.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit der gebrochenen Wahrnehmung der Realität in Kafkas Erzählungen. Es analysiert die verschiedenen Formen der Verzerrung und Fragmentierung der Wahrnehmung, die in den Werken vorkommen.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, Gegenwärtigkeit, Raum, Zeit, Wahrnehmung, Fragmentierung, Wirklichkeit, Symbol, Metapher, Macht, Bürokratie, Erzählwelt, subjektiv, Konstruktion.
- Arbeit zitieren
- Sigmund Perner (Autor:in), 2002, Franz Kafka - Wirklichkeitsentwürfe - Eine Untersuchung des Erzählwerks, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21534