Bilder Rumäniens. Eine soziologische Studie


Magisterarbeit, 2011

117 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Überblick Rumänien

2. Beschreibung der Methoden
2.1. Erhebungsinstrumente
2.2. Fallauswahl
2.3. Datenschutz
2.4. Durchführung der Erhebung
2.5. Teilnahmebereitschaft der Befragten
2.6. Auswertungsverfahren

3. Empirischer Teil
3.1. Interview P1
3.2. Interview P3
3.3. Interview P5
3.4. Zusammenfassung der Interviews der deutschen Studierenden
3.5. Interview P2
3.6. Interview P4
3.7. Interview P6
3.8. Zusammenfassung der Interviews der rumänischen Studierenden
3.9. Vergleich Rumänische und Deutsche Interviews
3.9.1. Erstwahrnehmung
3.9.2. Interaktion und Alltag
3.9.3. Bilder über Rumänien und Deutschland vor der Anreise und Danach
3.9.4. Kommunikation und Interaktion in Rumänien und Deutschland
3.9.5. Eigenbild und Bild der Anderen

4. Theoretische Reflexion der Fallstudien
4.1. Der Fremde als Synthese von Nähe und Entferntheit
4.2. Der Fremde in Abhängigkeit zu seiner Kultur
4.3. Unterschiede in der deutschen und rumänischen Kultur
4.4. Kulturschock
4.5. Vom Fremden zum Vorurteil

5. Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang
Anhang A1: Leitfrage/Stimuli/Erzählaufforderung für deutsche Studierende
Anhang A2: Leitfrage/Stimuli/Erzählaufforderung für rumänische Studierende
Anhang B: Informationsblatt für die Interviews
Anhang C: Einwilligungserklärung

1. Einleitung

Jedes Volk hat ein eigenes Antlitz und einen bestimmten Gesichtspunkt, von dem aus es die Welt betrachtet und für die anderen widerspiegelt. Jedes Volk macht sich ein Bild von der Welt und vom Menschen, in Abhängigkeit von der Dimension, in der sich ihm selbst die Existenz darstellt.“ (Wagner 2006:3)

Das schreibt der Kulturphilosoph Mircea Vulcanescu in der Einführung zu seinem Essay: „Die rumänische Dimension des Seins“. (vgl.ebd.)

21 Jahre sind seit dem Ende der kommunistischen Ära in Rumänien vergangen. Infolge schwerer sozioökonomischer und kultureller Umwälzungen hat sich das Land auf den Weg einer langsamen, aber stetigen politischen Reform begeben. 2004 wurde es Mitglied der Nato und 2007 ist es der Europäischen Union beigetreten. Rumänien hatte stets eine westliche Orientierung gehabt bzw. hat sich der westlichen Kultur zugehörig gefühlt. Dennoch wird Rumänien als ein genuin balkanisches Land und ein ehemaliger Ostblockstaat betrachtet. Rumänien ist darin eine Nation ohne charakteristische positive Labels. Aufgrund seiner Nähe zum Balkangebiet und der Lage im Osten Europas wird es hauptsächlich als ein Fall dieser beiden Beschreibungsschemata aufgefasst.

Meine These ist, dass Rumänien ein veraltetes Image anhaften geblieben ist, von dem es sich nicht zu lösen vermag. Gründe dafür sind in der medialen Darstellung zu suchen, aber auch in den wechselseitigen Wahrnehmungsmustern, die auf spezifischen Kulturunterschieden beruhen. Verallgemeinerungsprozesse, Stereotype und Vorurteile nehmen hierbei eine bedeutsame Rolle ein. All diese Faktoren führen dazu, dass der Wahrnehmung Rumäniens kein durchdachtes und realitätsnahes Verständnis zugrunde liegt; vielmehr wird die Situation weitgehend vereinfacht dargestellt.

Die vorliegende Arbeit untersucht, inwiefern deutsche und rumänische Studierende das jeweils fremde Land sehen und erleben. Diese Untersuchung basiert auf sechs qualitativen Einzelinterviews: jeweils drei Interviews mit deutschen (P1, P3, P5) und rumänischen Studierenden (P2, P4, P6). Hierbei liegt der Fokus auf der Beobachtung von Differenzen in der Wahrnehmung des jeweils fremden Landes vor und nach dem Aufenthalt in diesem.

Obwohl in gleichem Maße Bilder der rumänischen Studierenden über Deutschland analysiert werden, liegt das Hauptaugenmerk auf den Bildern deutscher Studierender über Rumänien. Die Gegenüberstellung dient einem besseren Verständnis bestimmter Motive der Darstellung.

Im Folgenden wird auf die Gliederung der Arbeit eingegangen. Der Aufbau basiert auf einem „Stufen-“ bzw. „Schichtverfahren“ (Kruse 2010:1). Hierbei wird die Spiralförmigkeit der empirischen Erkenntnissen vorgestellt bzw. dieses Verfahren ähnelt einem „systematisch aufbereiteten Forschungstagebuch und stellt somit im Grunde genommen selbst ein Narrativ dar: Es wird die Geschichte des eigenen Erkenntnisprozesses erzählt“( Kruse 2010:1 ). Genau diese stetige Entfaltung der empirischen Erkenntnissen stellt den Vorteil dieses Aufbaus dar. Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist darin zu sehen, dass sie eine hohe Konzentration und Stetigkeit seitens des Lesenden erfordert. Der selektive Zugriff auf bestimmte Erkenntnisaspekte ist zudem schwer möglich (vgl.ebd.) Dennoch wurde dieser Aufbau aufgrund des oben genannten Vorteils gewählt.

Im ersten Teil werden der gewählte Feldzugang und das Forschungsdesign dargestellt. Hierbei werden Details und Informationen zu den Erhebungsinstrumenten, der Fallauswahl, dem Datenschutz, der Durchführung der Erhebung, der Teilnahmebereitschaft der Befragten und dem Auswertungsverfahren gegeben. Des Weiteren wird eine sozioökonomische und politische Verortung Rumäniens in Europa versucht. Hierbei wird ein kurzer Einblick in die Geschichte des Landes gegeben. Es werden auch Aspekte der Lebenswirklichkeit Rumäniens thematisiert, die für die Sozialstruktur Bedeutung besitzen.

Der zweite Teil der Arbeit besteht in der Darstellung des empirischen Materials. Hierbei wurden wie oben aufgezeigt sechs Einzelinterviews analysiert. Die empirischen Kapitel lehnen sich an die Dimensionen des Gesprächsleitfadens an, die im folgenden Kapitel näher erläutert werden. Abschließend soll in diesem Kapitel der Vergleich zwischen den zwei teilnehmenden Studierendengruppen erfolgen.

Den dritten Teil der Magisterarbeit stellt die theoretische Ausdeutung der Ergebnisse dar. Hierbei wurde vor allem auf die Arbeiten von Georg Simmel (insbes. im „Exkurs über den Fremden“), Geert Hofstede, Fons Trompenaars, Charles Hampden-Turner und Bernd Estel zurückgegriffen. Sowohl die deutschen als auch die rumänischen Studierenden wurden als Fremde in den jeweiligen Gastländern definiert. Insbesondere die Konzeption des Fremden bei Simmel liefert unter dieser Annahme ein großes Erklärungspotential. Um die Differenzen und Ähnlichkeiten der Bilder der Interviewten präziser und differenzierter aufzeigen zu können, wurden diese auch aus Sicht ihrer jeweiligen Kultur betrachtet. Weiterhin wurden diese Bilder mit der erfahrbaren Realität der Länder kontrastiert. Hierzu wurde auf unterschiedliche Stereotype und Vorurteile eingegangen, die sich im Laufe der Befragungen herauskristallisierten. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert.

Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, ein differenzierteres Bild über Rumänien aus westlicher Sicht zu dokumentieren und die existenten Stereotype bezüglich dieses Landes zu hinterfragen. Es wurde somit eine detailliertere Wahrnehmung Rumäniens durch deutsche Studierende, die sich mit der rumänischen Gesellschaft aus einer Innenperspektive beschäftigt haben, herausgearbeitet. Gleiches gilt auch für die rumänischen Studierenden in Deutschland.

Die Bedeutung einer differenzierten Wahrnehmung ist kaum zu unterschätzen ‒ vor allem in Europa, wo sehr viele unterschiedliche Kulturen auf einem Kontinent leben. Dieses Verständnis kommt auch in dem Motto der Europäischen Union „In varietate concordia“: „In Vielfalt geeint“, zum Tragen. Somit wird vermittelt, dass sich die Europäische Union für Frieden und Wohlstand einsetzt. Außerdem bedeuten die vielen verschiedenen Kulturen, Traditionen und Sprachen in Europa eine große Bereicherung. (Europäische Union 2011)

Der Forschungsstand hinsichtlich des Themas ist nicht sehr diversifiziert. Es wurden keine anderen qualitativen Studien über die gegenseitigen Wahrnehmungen Rumäniens und Deutschlands gefunden. Es gab lediglich vereinzelt Magisterarbeiten, die von Interesse waren. Die meisten der Studien die berücksichtigt wurden, waren jedoch quantitative Studien. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass Rumänien durch den Beitritt zur Europäischen Union immer mehr im Rahmen wissenschaftlicher Publikationen und statistischer Auswertungen berücksichtigt und analysiert wird. Hierbei sind u.a. der Eurobarometer, Eurostat und die Stereotypenforschung in den Medien von Salden Claudia zu nennen. Die andere wissenschaftliche Literatur zu Rumänien war mehrheitlich in politischer, geschichtlicher oder ökonomischer Hinsicht relevant.

1.1. Überblick Rumänien

Rumänien ist ein Land, das in seiner Entwicklung sehr unterschiedliche Etappen zu bewältigen hatte. Es gibt zudem diverse Ungereimtheiten, wenn man über die Lage Rumäniens spricht. Erstens besteht keine Einigkeit darüber, zu welchem Teil Europas es eigentlich gehört: zu Osteuropa, der Balkanregion oder Zentraleuropa. Von einem strikt geographischen Standpunkt aus ist offensichtlich, dass Rumänien nicht dem Balkan zugehört (Boia 2001:11). Aus kultureller Sicht weist es jedoch Ähnlichkeiten mit den balkanischen Ländern auf. Ein Kompromiss für Rumänien stellt der Terminus Südosteuropa dar.

Rumänien besteht aus drei geschichtlichen Regionen: der Walachei, Moldau und Transsilvanien. Stark vereinfacht besitzt die Walachei tendenziell Ähnlichkeiten mit dem Balkan, Moldau mit Polen sowie Russland und Transsilvanien mit Westeuropa (Boia 2001:12). Somit gehört Rumänien, geographisch wie kulturell zu all den aufgezählten Gebieten und ist alles gleichzeitig: „So here we have a country that looks towards all the cardinal points of Europe. Its individuality lies in the fact that it has not yet opted decisively for a single direction“ (Boia 2001:12).

Das rumänische Territorium war in seiner Geschichte immer ein Grenzgebiet und ein Treffpunkt unterschiedlicher Zivilisationen und Kulturen: es war die Grenze des römischen Reiches, des Byzanz und später des Ottomanischen Reiches. Die westliche Zivilisation ist auch nur bis hier gelangt. (Boia 2001:13) Zu Beginn der Moderne haben sich die drei großen Reiche (das Ottomanische, Habsburgische und das Russische Reich) in dem Punkt getroffen, wo heute Rumänien liegt. (Boia 2001:13) In der politischen Geographie der Gegenwart bildet Rumänien die Grenze der Europäischen Union. Dieser Status als permanentes Grenzgebiet hat einerseits zu einem Festhalten an traditionellen Werten, andererseits hat es zu einer Offenheit gegenüber fremden Kulturen geführt: „Romania is a country which has assimilated, in different periods and in different ways from one region to another, elements as diverse as Turkish and French, Hungarian and Russian, Greek and German“ (Boia 2001:13).

Rumänisch ist eine romanische Sprache. Die Rumänen und die Romanische Gemeinschaft in der Schweiz sind die einzigen romanischen Völker, die den Namen der römischen Eroberer beibehalten haben (Boia 2001:29). Darauf gründet sich auch die Selbstwahrnehmung des Landes als romanische Enklave im slawischen Balkan (Hartwig 2001:18).

Rumänien stand fast ein halbes Jahrhundert unter kommunistischer Führung und hat somit ein schwieriges politisches Erbe zu bewältigen. Der Übergang zur Demokratie 1989 war durch eine blutige Revolution vollzogen worden, in der mehrere Tausende Menschen ihr Leben verloren. Seit 2007 und damit 18 Jahre nach dem politischen Systemwechsel ist Rumänien Mitglied der Europäischen Union. Die Einwohnerzahl beträgt 21.7 Millionen, damit besitzt Rumänien die siebtgrößte Bevölkerung in der Europäischen Union. Die Fläche beträgt 238.391 km², was Rumänien an neunter Stelle in der Europäischen Union positioniert (Stratenschulte 2007:60). In Rumänien existieren 18 anerkannte nationale Minderheiten, die größten davon sind Ungaren 6,6%, Roma 2,5%, Deutsche 0,3%, Ukrainer 0,3%, Russen 0,2% und Türken 0,2%. Neben der ethnischen existiert auch eine religiöse Vielfalt: 86.7% sind rumänisch-orthodox, 4,7% römisch-katholisch, 3,2% sind reformiert, 0,9% gehören der griechisch-katholischen Kirche sowie je 0,3 % der unierten Kirche bzw. dem Islam an (Salden 2010:7). Die Stärke der rumänischen Volkswirtschaft ist im europäischen Vergleich sehr niedrig (Salden 2010:8). Etwa 55% Prozent der Rumänen leben in Städten und 45% auf dem Land ( Verseck 2007:125).

2. Beschreibung der Methoden

Im Rahmen dieser Magisterarbeit wurden sechs Einzelinterviews mit jeweils drei rumänischen und drei deutschen Studenten durchgeführt. Das Ziel dieser Erhebung bestand im Herausarbeiten subjektiver Konzepte insbesondere der gegenseitigen Wahrnehmung, Interaktion, der Selbst- und Fremdbeschreibung und der Kommunikation.

2.1. Erhebungsinstrumente

Diese subjektiven Sichtweisen wurden anhand von Einzelinterviews erhoben. Der dafür entwickelte Leitfaden wurde in einem ersten Durchlauf in einem einzelnen Interview getestet. Hierbei wurden einige Fragen, die nicht wie erwartet aufgefasst wurden, umformuliert, manche andere wurden komplett ersetzt bzw. gestrichen. Diese Redeimpulse hatten die Aufgabe, zu bestimmten Themenblöcken selbstläufige Diskurse bezüglich Interaktion, Kommunikation, Eigenbild, Fremdbild, Bild vor Anreise, Bild nach Anreise zu veranlassen.

Es gab zwei Leitfäden, einen für die rumänischen und einen für die deutschen Interviewten. Die Fragen für die rumänischen und die deutschen Interviewten waren übereinstimmend, mit Ausnahme einer Frage. Diese bezog sich für die deutschen Interviewten auf den Kommunismus in Rumänien, für die rumänischen Interviewten bezog sie sich auf die vermeintliche Freiheit der Deutschen. Es gab jeweils neun Fragen. Nachfragen wurden vorbereitet und gestellt, um Themenfelder so weit wie möglich abzudecken. Der komplette Leitfaden befindet sich im Anhang A.

Tabelle 1: Muster des verwendeten Gesprächsleitfadens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2. Fallauswahl

Aufgrund des engen zeitlichen und inhaltlichen Rahmens dieser Arbeit wurde eine Fallzahl von sechs Interviews festgelegt. Die Fallauswahl war bewusst auf Studierende festgelegt, die jeweils in Rumänien und Deutschland studiert haben. Die Auswahl eines relativ homogenen, auf Studenten begrenzten Samples besitzt den Vorteil, dass die Ergebnisse weitgehend vergleichbar sind.

Es wurden Studenten bzw. junge Personen gesucht, die sich länger als zwei Monate in Rumänien bzw. Deutschland aufgehalten haben. Intendiert war, dass sich die jeweiligen Personen in den Gastländer mit einem bestimmten beruflichen oder persönlichen Ziel aufgehalten haben. Somit wurden Personen deren Aufenthalt touristischer Natur war ausgeschlossen. Das wurde deswegen als wichtig erachtet, weil ein touristischer Aufenthalt keine sehr häufige Interaktion mit Inländern oder mit den existenten gesellschaftlichen Strukturen vorausgesetzt hätte. Außerdem ist ein touristischer Aufenthalt kurz bzw. nicht länger als ein Monat.

Die deutschen Teilnehmenden sollten Muttersprachler ohne Migrationshintergrund sein. Der Ausschluss von Personen mit Migrationshintergrund beruht auf der Interferenz zweier unterschiedlicher Kulturen in der Wahrnehmung des Gastlandes, welche mit der Fragestellung nicht vereinbar gewesen wäre. Um deutsche Teilnehmende zu finden, die in Rumänien studiert haben oder sich in Rumänien für einen längeren Zeitraum aufgehalten haben, wurden unterschiedliche Strategien verfolgt.

Als erstes wurde eine E-Mail an den Beauftragten für Erasmus der Universität Freiburg mit der Bitte um Weiterleitung an alle deutschen Studierenden, die einen Auslandsaufenthalt in Rumänien gemacht hatten, geschickt. Es wurden auch E-Mails an rumänische Universitäten versandt, die eine Erasmuspartnerschaft mit deutschen Universitäten haben. Um Missverständnissen vorzubeugen, wurden die oben erwähnten Personen auch telefonisch kontaktiert, um das Vorhaben dieser Arbeit zu verdeutlichen. Eine weitere E-Mail wurde an das Romanische Seminar, an dem auch Rumänisch studiert werden kann, verschickt. Parallel dazu wurden Anzeigen an der Universität Freiburg ausgehängt. Es haben sich mehrere Studierende gemeldet. Nur drei davon haben zu den o.g. Voraussetzungen gepasst. Somit gab es zwei Studierende aus dem Raum Freiburg und eine aus dem Raum Stuttgart. Die ersten zwei haben ein Erasmussemester in Rumänien gemacht und sind weiterhin Studenten. Die dritte Interviewte hatte im Vorfeld ihres Rumänienaufenthaltes gerade ihr Abitur abgeschlossen und ist zwei Jahre in Rumänien geblieben. Derzeit ist sie Studentin.

Die rumänischen Teilnehmenden sollten zudem keine Angehörigen der deutschen Minderheit in Rumänien oder anderen Minderheiten sein. Dies hätte zu einer Verzerrung der Betrachtungsweise der deutschen Gesellschaft führen können. Die interviewten Personen wurden alle durch einen rumänischen Verein aus Deutschland zum Interview geworben. Die rumänischen Interviewten waren zum Zeitpunkt der Durchführung des Interviews alle Studenten. Eine hatte ein Erasmussemester in Deutschland gemacht, einer sowohl einen Bachelor- als auch einen Masterstudienabschluss und die dritte Person einen Masterabschluss in Deutschland absolviert.

Rekrutierungsprobleme gab es vor allem bei der Suche nach deutschen Studierenden, die für einen längeren Zeitraum in Rumänien waren. Die Anzahl derjenigen, die in Rumänien ein Erasmusjahr oder -semester machen ist im Vergleich mit anderen europäischen und außereuropäischen Staaten niedrig. Deswegen wurde auch ein Interview in Stuttgart geführt, weil sich keine anderen geeigneten Teilnehmer aus Freiburg oder dem Umland gemeldet hatten.

Tabelle 2: Teilnehmer Interviews

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.3. Datenschutz

Die Durchführung der Magisterarbeit bzw. der Interviews geschah auf der Grundlage der Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes. Zu Beginn jedes Interviews wurde auf die strenge Beachtung des Datenschutzgesetzes hingewiesen und eine Anonymisierung der Ergebnisse garantiert. Weiterhin stand die Interviewte für weitere Fragen bezüglich des Verlaufs des Interviews zur Verfügung. Dabei kam es zu keinen weiteren Fragen.

Am Ende jedes Interviews wurde ein Informationsblatt (s. Anhang B) ausgehändigt, in dem nochmals alle wichtigen Informationen bezüglich des Datenschutzes (s. Anhang C) zusammengestellt wurden. Auch eine Einwilligungserklärung wurde von den Teilnehmerinnen nach der Beendung des Interviews unterschrieben. Ebenso wurde ein Informationsdatenblatt zur Person der Interviewten ausgefüllt.

2.4. Durchführung der Erhebung

Die Interviews wurden, gemäß dem jeweiligen Wunsch der Interviewten, entweder in den persönlichen Räumlichkeiten der Interviewten oder der Interviewerin durchgeführt. Die Thematisierungsbereitschaft war mit Ausnahme weniger Fällen, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit eingegangen wird, hoch. Die durchschnittliche Länge der Interviews betrug etwa 40 Minuten.

Die Interviewerin ist Rumänin. Dieser Aspekt ist insofern von Bedeutung, als er typischerweise zwei Situationen provozieren kann. Die erste Situation bezieht sich auf die Interviews mit den deutschen Teilnehmerinnen. Hiermit könnten die Interviewten, wenn es um negative Aspekte in Rumänien bzw. Kritik ging, sozial erwünschte Antworten geben und somit eine Thematisierungsgrenze markieren. Dieselbe Situation kann auch aus Motiven der Höflichkeit heraus eingetreten sein.

Die zweite Situation bezieht sich auf die rumänischen Interviewten. Hiermit können gewissen Themen nicht genauer angesprochen worden sein, weil die Interviewten aus derselben Kultur stammen und sie es deswegen nicht für notwendig gehalten haben, etwas näher zu erklären. Dadurch, dass alle Interviews auf Deutsch geführt wurden, konnten diese Probleme teilweise vermieden werden. Das gilt vor allem für die rumänischen Interviewten. Somit konnten diese durch die Verwendung der deutschen Sprache sich auf die wesentlichen Aspekte konzentrieren und nicht abschweifen. Das ist jedoch nur eine Annahme.

2.5. Teilnahmebereitschaft der Befragten

Die Reaktion der Befragten war bereits bei der ersten Kontaktaufnahme äußerst freundlich und dem Interview freudig und ausgeschlossen entgegenblickend. Die deutschen Interviewten waren sehr interessiert und die zwei von ihnen haben den Wunsch geäußert, später die Arbeit lesen zu wollen.

Es entstand zu keinem Zeitpunkt der Eindruck, dass Meinungen zurückgehalten wurden oder Aussagen nicht ehrlich waren. Keine weiteren besonderen Interaktionsphänomene waren zu bemerken.

Wie zu erwarten sind manche Teilnehmende weniger ausführlich auf die Fragen eingegangen. Dies bedeutet jedoch keinen Mangel für die spätere Analyse. Die Mehrheit der Teilnehmer hat die Beantwortung der Fragen sehr ernst genommen, weshalb die Antworten auch lang und ausführlich waren. Die Aussagen wurden während des Interviews bzw. in einem späteren Zeitpunkt in vielen Fällen überarbeitet und viele Details hinzugefügt, so dass ein komplettes Bild entstehen konnte.

2.6. Auswertungsverfahren

Die qualitative Sozialforschung zählt längst zu einer „normal science“ (Flick 2001: 13) und das in unterschiedlichen Bereichen wie u.a. Soziologie, Psychologie bis hin zu den Wirtschaftswissenschaften. Das Instrumentarium der qualitativen Sozialforschung basiert auf dem im Moment des Sprechens interaktiv konstruierten kommunikativen Sinn. Hier miteinbegriffen sind auch alle paralinguistischen Phänomene wie Tonfall, Schnelligkeit, Langsamkeit der Sprache, Seufzen, Lachen und ähnliches. Demzufolge kann in der qualitativen Forschung vieles gedeutet und interpretiert werden. Unabhängig davon, was man tut, kommuniziert man etwas: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick 2007:51). Da jedes Individuum über ein eigenes Relevanzsystem verfügt, ist es unmöglich, den Gesprächspartner anhand von dem, was er sagt, genau zu verstehen. Demzufolge wurden unterschiedliche Verfahrensregeln, unterschiedliche „Leseschulen“ oder Verfahrensprinzipien entwickelt, wie etwa die Tiefenhermeneutik, objektive Hermeneutik, Ethnomethodologie oder die Konversationsanalyse. Sinn und Ziel dieser Methoden ist es, so genau wie möglich die soziale Wirklichkeit mit ihren Problemen zu deuten: „Die soziale Wirklichkeit stellt somit im Grunde genommen ein Gebilde aus geronnenem kommunikativem Sinn“ (Kruse 2006:13). Im Fokus des Auswertungsverfahrens steht die Rekonstruktion subjektiver Konzepte und Deutungsmuster gegenüber Rumänien und Deutschland.

Die Einzelinterviews wurden mit dem integrativ texthermeneutischen Analyseverfahren bzw. der mikrosprachlichen Auswertungsmethode nach Helfferich und Kruse ausgewertet. Es wurden jeweils vier bis fünf Passagen pro Interview analysiert. (Diese sind auf der CD mit gelb markiert) Hierbei wurden abwechselnd ein Interview aus der deutschen Gruppe und eines aus der rumänischen Gruppe ausgewertet, um nicht in Leseroutinen zu geraten. Ziel der Einzelfallinterpretation ist die Rekonstruktion zentraler Motive und Thematisierungsregeln. Weiterhin wurde auf die Positioning Analyse nach Korobov und Bamberg sowie die Metaphernanalyse von Lakoff zurückgegriffen.

Der Text wird auf rekurrierende Motive, Kernthemen und erst später auf Deutungsmuster untersucht. Es erfolgt also eine gesprächslinguistische Fokussierung.

Im Mittelpunkt dieses Analysedreischritts stehen vier sprachlich-kommunikative Aspekte: der ganze Text wird syntaktisch, semantisch, nach dem Grad der Interaktion und unter dem Aspekt der verwendeten Erzählfiguren und Gestalten hin analysiert (Kruse 2008:112). Im zweiten Analysedurchgang wurden die Passagen mit den vorherigen Passagen abgeglichen und auf Konsistenzen oder Brüche hin geprüft und wiederum auf alle Aufmerksamkeitsebenen herausgearbeitet und gebündelt (Kruse 2008:116). Wie bereits aufgezeigt, ist das Ziel einer Fallrekonstruktion die Benennung von zentralen Motiven und Thematisierungsregeln. Zentrale Motive sind

„sprachlich-kommunikative Bündel aufeinander verweisender und in der Erzählung bzw. im Interview wiederkehrender, besonderer sprachlicher Wahlen bzw. Selektionen, die das Interview von anderen Interviews bzw. Fallstrukturen unterscheiden oder gerade auch als analog ausweisen“ (Kruse 2008:117).

Thematisierungsregeln beziehen sich darauf, was Erzählpersonen wie ausführlich thematisieren und was sie wiederum nicht thematisieren. Das letztere wird als Thematisierungsgrenze bezeichnet. Hauptaugenmerk der Thematisierungsregeln liegt auch auf dem „wie“ bzw. auf der Art und Weise, wie die Erzählpersonen das thematisieren was sie verbalisieren.

In der abschließenden Phase liegt ein Fallexzerpt vor. Dies dient der weiteren fallübergreifenden komparativen Analyse. Für jedes Interview wurde ein Inventar (s. Anhang CD, Inventare Ordner) erstellt. Die Interviews wurden auf Tonband aufgenommen und vollständig transkribiert (s. Anhang CD, Transkripte Ordner). Die Transkription ist größtenteils in Anlehnung an GAT. (Deppermann 2008 119; Kruse 2008:100)

Die Positioning Analyse wurde maßgeblich von Michael Bamberg und Neill Korobov (Korobov 2001) entwickelt (Kruse 2008:129). Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frage, wie mittels sprachlicher Äußerungen „Interaktanten den sozialen Raum bestimmen und ihre jeweiligen Positionen darin festlegen, beanspruchen, zuweisen und aushandeln“ (Kruse, zitiert nach Lucius-Hoene und Deppermann 2008:129). Die Metaphernanalyse von George Lakoff und Mark Johnson basiert auf der Annahme, dass Metaphern unser Denken und Handeln strukturieren. Danach ist unser alltägliches Konzeptsystem metaphorisch bestimmt (Lakoff und Johnson 2003:11).

Weil die ausführliche Darstellung der aufgezeigten Schritte den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt hätte, wurde darauf verzichtet. Es wurden stattdessen direkt die herausgearbeiteten Ergebnisse dieser methodischen Schritte vorgestellt.

Ein kollegiales Validieren der Ergebnisse fand in einer kleinen Gruppe statt, vor allem bei nicht so gut verständlichen Passagen. Das kollegiale Validieren ist in dem Sinne notwendig, damit nicht nur die Interviewerin selbst alles interpretiert sondern auch andere Kollegen die eine andere Perspektive an den Texten heranbringen. Somit ist der intersubjektive Nachvollzug geleistet. Die Ergebnisse wurden diskutiert und gegengelesen.

3. Empirischer Teil

Im Folgenden wird auf die einzelnen Interviews eingegangen. Die Interviews wurden wie folgt gruppiert: die ersten drei sind mit deutschen Studierenden, die nächsten drei sind mit rumänischen Studierenden geführt worden. Sowohl nach den ersten drei Interviews als auch den letzten drei folgt eine Zusammenfassung. Die ungeraden Zahlen stellen die deutschen Teilnehmer dar: P1, P3, P5, die geraden Zahlen die rumänischen Teilnehmer: P2, P4, P6. Im letzten Teil erfolgt ein Vergleich bzw. die Gegenüberstellung der zwei Interviewtengruppen.

3.1. Interview P1

In der Magisterarbeit „Bilder Rumäniens. Eine soziologische Studie“ war, wie schon in der Einleitung und den Ausführungen zur Methode aufgezeigt, das Ziel verfolgt worden, die Auffassungen und das Erleben Rumäniens aus Sicht deutscher Studierender zu dokumentieren und herauszuarbeiten.

Während des ersten Interviews haben sich unterschiedliche zentrale Motive ergeben. Einerseits positioniert sich die Interviewte, vor allem zu Beginn des Interviews, als eine Person, die den rumänischen Lebensverhältnissen hinsichtlich des Wohnens, der allgemeinen Organisation und der Lebensweise eher reserviert gegenübersteht. Sie verbalisiert oft ihre Überraschung und Verblüffung zu den vorgefundenen Verhältnissen. Andererseits zeigt sie eine hohe Disponibilität, die rumänische Lebensweise zu verstehen. Graduell verändert sich ihre Perspektive auf das Gastland mit dem Fortschreiten der subjektiv empfundenen Anpassungsphase. Es werden häufig zwei Ansichten gegenübergestellt, die aber überwiegend ineinandergreifen. Einerseits handelt es sich um die eigene kulturell geprägte Wahrnehmung der Interviewten, die stets mitschwingt und in dem Gesagten ihre Spur hinterlässt. Andererseits spielt die Erfahrung in dem fremden Land für sich eine große Rolle für die Selbstreflexion und Reinterpretation der Interviewten innerhalb der ihr schon bekannten Muster und Deutungsweisen.

In den Anfangszeilen des Interviews werden die ersten Tage in Rumänien von der deutschen Interviewten P1 als chaotisch beschrieben. Dieses Motiv war während des gesamten Interviews gegenwärtig, wenngleich in verschiedenen Intensitätsstufen. Damit wurden stets als Submotive Unübersichtlichkeit und Unverständnis in Bezug auf die rumänische Lebenswirklichkeit verbunden. Exemplarisch dafür steht der folgende Textbeleg:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der mehrmalige Rückgriff auf das Wort „chaotisch“ könnte im Sinne Lakoffs auf einen Prototyp von Kausalität hinweisen. Demzufolge gibt es einen Komplex von bestimmten Eigenschaften gewisser Handlungen, die sich immer in derselben Kombination in unserem täglichen Ablauf wiederholen und die wir somit als eine Erfahrungseinheit verarbeiten (Lakoff und Johnson 2003:86). Somit kann die Verwendung des Wortes „chaotisch“ auf einen Prototyp von Kausalität hinweisen, der für die Interviewte nicht normal oder erwartbar ist. Folglich wird eine implizite Abgrenzung zu den Erfahrungen prototypischer Handlungsweisen und Erfahrungswelten im eigenen Land gezogen, die sich nicht auf das Chaotische beziehen, sondern auf das Geregelte, was sich während des Interviews noch deutlicher herausgestellt hat.

In Zeile 19 wird darauf hingedeutet, dass die befragte Person „lange nichts“ vom Erasmus Office gehört hat. Lakoff zufolge könnte das einen Teil bestimmter Erfahrungsdimensionen konstituieren:

„Es gibt bestimmte Erfahrungsdimensionen nach denen wir in unseren direkten Interaktionen mit anderen Menschen sowie mit unserer unmittelbaren physischen und kulturellen Umwelt überwiegend leben und funktionieren“ (Lakoff und Johnson 2003:202).

Diese Erfahrungsdimensionen werden durch Interaktionen im jeweiligen Kulturkreis bzw. Land bestimmt. Nach den Äußerungen von P1 ist das „lange Warten“ erst durch die Interaktion mit der kulturellen Umwelt im Gastland wahrgenommen worden. Das verweist auf die Tatsache, dass es nicht zum eingelebten Erfahrungshorizont gehört. Dementsprechend wurde vermittelt, dass das lange Warten auf Etwas in der eigenen Kultur nicht als „normal“ gesehen und erlebt wird bzw. nicht regelmäßig vorkommt. Der alltagssprachliche metaphorische Ausdruck „Zeit ist Geld“ strukturiert unser Denken und unsere jeweiligen Auffassungen. Somit handeln Menschen, vor allem in Industriegesellschaften, entlang der Prämisse, dass Zeit ein sehr wertvolles Gut ist (Lakoff und Johnson 2003:16). Das lange Warten, das in Rumänien von P1 erlebt wurde, wird somit als etwas den Interessen der Menschen in Industriegesellschaften Gegenläufiges gesehen und somit nicht als positiv bzw. normal aufgefasst. Nicht nur in diesem Fall wurde die Zeit während des Interviews thematisiert. Es wurde auch deutlich, dass die Interviewte in Rumänien ein anderes Zeitgefühl erlebt hat.

Mittels der Aussage: „die ERSTEN tage waren RELATIV chaotisch“ positioniert sich die Befragte als eine Person, die das Chaotische nicht schätzt und gibt auch eine Erklärung dafür, eingeleitet durch den Kausalitätsmarker „weil“: „weil (ähm) ich wusste dass ich nach (Name der Stadt in Rumänien) gehe“. Das könnte darauf hindeuten, dass sie das Chaotische der ersten Tage mit dem neuen Studienort verbindet, aber auch, dass sie eine Anpassungsphase durchlebt hat, indem sie sich explizit auf die „ERSTEN tage“ (Z. 15) bezieht.

Darauffolgend positioniert sie sich als eine „erasmusstudentin“. Somit beansprucht sie eine hohe soziale Position. Die Aussage „ich hatte schon das einverständnis von der professorin a:ber ich hab (ähm) RELATIV lage nichts vom erasmus office gehört“ (Z.18-19) impliziert, dass die erzählende Person das Notwendige für die Einschreibung an der Universität erledigt hat, aber sich trotz dessen die für sie zuständigen Personen bzw. das Erasmus Office nicht gemeldet haben.

Die Verwendung des Personalpronomens „ich“ in „ich bin halt erstmal hinGEFAHREN“ (Z.20-21) zeigt an, dass die Handlungsinitiative bei der erzählenden Person liegt. Der darauffolgende Satz verweist jedoch auf das Gegenteil, indem sich die erzählende Person anonymen Mächten ausgesetzt sieht, weil sie die Gegebenheiten nicht steuern konnte. Diese Gefühle der Ungewissheit und des Ausgeliefertseins werden auch durch die Aussagen „ob ich ne wohnung hab ob ich unterkomm GAR NICHTS“ und „wusste nicht wo ich SCHLAF “ markiert. Somit positioniert die erzählende Person die Verantwortlichen

des Erasmus Office indirekt als uninteressiert an ihrer Lage als Erasmusstudentin und überlässt das der weiteren Interpretation durch die Interviewerin.

Durch den metanarrativen Kommentar[1] „so was alles“ könnte die befragte Person einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund voraussetzen (Lucius-Hoene und Deppermann 2002:240). Andererseits kann ebenso eine Aufzählung des gerade Erzähltem gemeint sein.

Ein Motiv, das in der Wahrnehmung Rumäniens oft thematisiert wurde, ist das des Rückschritts. Dieses wurde in der ersten Hälfte des Interviews nicht direkt verbalisiert, sondern zumeist durch indirekte, nicht explizite Positionierungen geäußert. Die Erzählerin hat ihre Familie, Bekannten und Freunde als Personen positioniert, welche explizit ihre fragliche Einstellung bezüglich ihres Erasmushalbjahres in Rumänien geäußert haben. In der zweiten Hälfte des Interviews werden die Einschätzungen Rumäniens immer vielfältiger und die Erfahrungen der Interviewerin immer gewichtiger in ihrer Darstellung. Es wird ein Stadt-Land-Unterschied eingeführt, in dem die Stadt als kapitalistisch orientiert und das Land als weniger entwickelt beschrieben wird. Dafür steht der folgende Textauszug:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Durch die Formulierung „ich glaub“ suggeriert die Sprecherin, dass sie dem Gesagten keine Allgemeingültigkeit zuspricht und dessen Status eher im Unklaren lässt (Lucius-Hoene und Deppermann 2002:247). Eine solche Abschwächung vermittelnde Formulierung dient dazu, „Einwände oder Kritik an der Darstellung vorzubeugen“ (ebd. 247). Die Verallgemeinerung durch das Indefinitpronomen „alle“ weist auf eine unbegrenzte Anzahl von Leuten hin. Der Übergang zum szenischen Präsens[2] wird in dem darauffolgenden Segment deutlich: „rumänien oh je was willst du da? Und bisschen RÜCKschrittlich und wer weiss ob die überhaupt jetzt englisch sprechen ( . ) und wer weiss wie du da wohnst und (2) keine ahnung“ (Z.37-3). Somit reinszeniert die erzählende Person die Meinungen und Kategorisierungen der anderen mithilfe des Wechsels von der Vergangenheits- in der Gegenwartsform ( Lucius-Hoene und Deppermann 2002:228). Die Interjektion „oh je“ wird direkt auf dem Kollektivnamen „rumänien“ bezogen (Kunze 2003:155). Diese Interjektion könnte sich einerseits auf eine negative Wertung beziehen, andererseits könnte es aber Ablehnung bedeuten (Schwitalla 2003:270). Laut Lakoff zeigt die Syntax des Satzes an, wie eng die Beziehung zwischen zwei Ausdrücke geknüpft wird (Lakoff 2003:52). Je näher die Form „rumänien“ (Z.37) zu der Form „oh je“ (Z.37) steht, desto unmittelbarer ist die Erfahrung oder Meinung, die damit zum Ausdruck gebracht wird und desto größer ist ihr Einfluss (vgl. ebd.).

Es wird auf die Rückschrittlichkeit des Landes hingewiesen, was jedoch mit dem Quantor „bisschen“ abgemildert wird. Die Verwendung des bestimmten Artikels „die“ könnt eine gewisse Distanzierung markieren. Die Partikel „überhaupt“ drückt Zweifel aus, ob die Voraussetzungen für die enthaltene Aussage erfüllt sind. Es wird angezweifelt, aber auch gefragt, ob die Rumänen Englisch sprechen können oder wie die erzählende Person dort wohnen wird. Weiterhin unterstreicht die Befragte, dass es sich um die Meinungen ihrer „beKANNTEN“ von daheim handelt, was darauf hindeutet, dass sie sich davon distanzieren möchte. Die Meinungen ihrer Freunde werden im szenischen Präsens wiedergegeben: „oder=oder freunde die halt eher gesagt haben so JA: BIST DU DIR SICHER WAS DU DA JETZT MACHST?“ Die Akzentuierung der gesamten Aussage zeigt eine klare Relevanzmarkierung an. Sie drückt somit implizit eine negative Äußerung aus, die Empörung und Unsicherheit markiert. Mittels der vorhin analysierten Aussagen ihrer Bekannten positioniert sie diese als Personen, die eine negative Meinung über das Land haben. Indem sie das Land als ein „bisschen rückschrittlich“ charakterisieren, werden sie als Personen positioniert, die leicht Urteile fällen können, ohne selbst im Land gewesen zu sein. Sie zeigen somit auch eine gewisse Ignoranz und Überheblichkeit. Es wird verallgemeinert an der englischen Sprachkompetenz der Rumänen gezweifelt als auch an der Zumutbarkeit der Wohnverhältnisse. Zum Schluss wird die Position der erzählenden Person durch einen metanarrativen Kommentar ausgedrückt: „ich war mir eigentlich schon sicher obwohl ich halt nicht wusst worauf ich mich einlass; also ich war halt eher neugierig (4)“ (Z.5-7). Diese Aussage beinhaltet eine Ambivalenz, die durch die Verwendung des Wortes „obwohl“ verbalisiert wird. Einerseits positioniert sie sich als eine Person, die sich sicher war, dass sie ein Erasmussemester in Rumänien machen wollte, andererseits sagt sie, dass sie nicht wusste worauf sie sich einlässt. Gleich danach positioniert sie sich als jemand, der aus Neugierde dahin wollte, was darauf hinweist, dass sie keine klare Vorstellung darüber hatte was sie im Land erwartet, dies aber auch nicht als Mangel erlebt, weil sie neugierig ist.

Rumänien wurde in diesem Gesprächsabschnitt durch das Wort „RÜCKschrittlich“ charakterisiert (Z.1). Das Wort „rückschrittlich“ impliziert nach Lakoff und Johnson eine Orientierungsmetapher, die mit Vorstellungen von „vorne“ und „hinten“ operiert (Lakoff und Johnson 2003:22). Orientierungsmetaphern haben ihren Ursprung in der kulturellen und physischen Welt. Somit ist in der westlichen Kultur, aber auch in anderen Kulturkreisen jeder der „vorne“ ist (etwa in sportlichen oder wissenschaftlichen Wettbewerben, in der Schule, bei der Forschung und Entwicklung, in der Wirtschaft etc.) gut angesehen. Analog dazu sind diejenigen, die „hinten“ bleiben, Verlierer in dem Sinne, dass sie nicht performant sind. Somit wird durch die Verwendung des Wortes „Rückschritt“ eine negative Dimension eingebracht, indem die vorne-hinten-Metapher umdreht wird. Demzufolge wird über Rumänien das Sich-Nach-hinten-bewegen unterstrichen, durch das Adjektiv „rückschrittlich“.

Ein anderes zentrales Motiv der analysierten Passagen stellt die explizite Trennung zwischen Individualismus und Kollektivismus dar. Die Interviewte hat anfangs die Teilung des Zimmers im Wohnheim mit einer anderen Kommilitonin als sehr unüblich empfunden. Auch die Unmöglichkeit, sich in ein eigenes Zimmer zurückzuziehen, wurde als ungewohnt aufgenommen. Nach einer gewissen Zeit ist aber ein explizit beschriebener Einstellungswechsel erfolgt, der sich in Reinszenierungen und direkter Rede sprachlich äußerte. Demzufolge war die Interviewte in einer Gruppe von Freunden integriert und konnte sich nicht mehr vorstellen, ein eigenes Zimmer zu haben und alleine dort zu sein. Das Submotiv des Kollektivismus war das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie in Rumänien erlebt hat und welches durchgängig im Interview zum Ausdruck kommt.

Mehrmals unterstrichen wurde auch, dass die Menschen im ländlichen Teil Rumäniens trotz der nicht modern ausgestatteten Wohnungen dort doch glücklich wären. Das Motiv des Habens bzw. Nichthabens von materiellem Besitz wurde darin thematisiert. Die Interviewte hat des Öfteren zwischen der materiellen und der geistigen Armut unterschieden. Diesbezüglich gäbe es in Rumänien durchaus materielle, aber keine geistige Armut.

Es lässt sich eine eindeutige Thematisierungsregel festhalten: Offenheit. Das ganze Interview lässt sich durch einen umfassenden, meist expliziten, beschreibenden Stil charakterisieren. Thematisierungsgrenzen gab es zumeist, wenn über die eher vorurteilsbehafteten Bilder von Rumänien gesprochen wurde. Meistens wurde das in Form der Positionierung anderer dargestellt, um eine klar formulierte und direkte Kritik zu vermeiden. Die Thematisierungsgrenze kann aber auch durch eine gewisse Höflichkeitsform gegenüber der rumänischen Interviewerin veranlasst gewesen sein. Zum Ende des Interviews wurde aber seitens der Befragten expliziter auf negative Einstellungen gegenüber Rumänien eingegangen. Eine zweite Thematisierungsgrenze hat sich in Bezug auf die Einschätzung der negativen Seiten der eigenen Kultur bzw. Deutschlands gezeigt. Es wurden Aspekte herausgegriffen, die jedoch nur kurz und knapp ausgeführt wurden. Hier zu nennen ist z.B. die Reserviertheit der Deutschen in Vergleich zu den Rumänen.

3.2. Interview P3

Das erste zentrale Motiv, das sich herausstellte, war die Andersartigkeit, die schon in der ersten Passage verbalisiert wurde. Es wurde sehr stark von der eigenen kulturellen Erfahrungswelt ausgegangen. Eine klare Gruppenzugehörigkeit deutet schon von Anfang an die Verwendung des Ethnonyms „Deutschland“ an. Es folgen sehr oft Vergleiche zu dem eigenen Erlebenshorizont bezüglich Infrastruktur, Bildungssystem, Glauben. Die Positionierungen markieren auch meistens explizit während des ganzen Interviews die oben genannten Voraussetzungen.

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Das Adjektiv „GENAU“ (Z.31) weist auf eine bestimmte Erinnerungsgewissheit hin. Diese bezieht sich auf die „große orthodoxe kirche“ von der P3 beeindruckt war. Sie charakterisiert die Kirche mit den Adjektiven „groß“ und „orthodox“ was eine Andersartigkeit anzeigen könnte, aufgrund derer sie „beeindruckt“ war. Weiterhin leitet die Konjunktion „weil“ eine Begründung ein: „und (2) weils des bei uns ja nit gibt hier in deutschland“ (Z.33). Durch die Verwendung des Personalpronomens „uns“ und die deiktische Verweisung „hier in deutschland“ wird eine Zugehörigkeit zur Gruppe der Deutschen artikuliert (vgl. Lucius-Hoene und Deppermann 2003:222f.). Die Partikel „ja“ hat die Funktion das Gesagte bzw. in diesem Fall die Negation der Existenz einer großen und orthodoxen Kirche im eigenen kulturellen Kontext zu unterstreichen (Z.33). Es wird ein impliziter Vergleich zwischen der bekannten Kultur der Deutschen und der eher fremden Kultur der Rumänen gezogen, die während des Aufenthaltes entdeckt wurde. Dieses kognitive Struktur wird durch folgende Aussage erneut sichtbar: „und (1) EINFACH ALLES das rumänisch war und der erschte eindruck von dieser sprache und dieses LAND in dem ich jetzt n halbes jahr sein werd“ (Z. 33-1). Die akzentuierte Partikel „einfach“ verstärkt die gemachte Aussage. Das Indefinitpronomen „ALLES“ drückt eine Generalisierung aus, die sich explizit auf alles, „das rumänisch“ war, bezieht. Dadurch positioniert sich P3 als eine Person, die von allem was als rumänisch erfahren wurde beeindruckt war. Somit wird sprachlich ein Gegensatz konstituiert zwischen der bekannten Gesellschaft, in der man aufgewachsen ist, und der neuen Gesellschaft, die anders ist. Was P3 weiterhin beeindruckt hat, wird in den Zeilen 34 und 35 beschrieben. Es handelt sich um „diese(r) sprache“ und „dieses LAND“. Die bestimmten Artikel zusammen mit den Substantiven „Sprache“ und „Land“ weisen auf eine Gewissheit bezüglich dessen hin, was von P3 als beeindruckend wahrgenommen wurde. Die Schlussbemerkung „weil doch vieles anders isch als hier in deutschland (1)“ (Z.1-2) fasst das bisher Gesagte noch einmal zusammen und unterstreicht die Differenzen zum Heimatland. Die Partikel „doch“ kann als eine verstärkende Zustimmung von P3 zu dem Erzählten betrachtet werden. Der Quantor „vieles“ deutet auf eine Pluralität von Unterschieden hin. Das Adverb „anders“ ist nicht näher bestimmt und kann als ein eher vager Ausdruck gelten. Dennoch wird damit eine klare Differenzierung zwischen der eigenen und der fremden Kultur begründet. Die Verwendung des Präsens „ist“ weist auf ein Sprechen aus Erfahrung, auf einen für P3 gültigen Sachverhalt hin. Die Konjunktion „als“ wird verwendet, um einen Gegensatz aufzumachen. Der deiktische Ausdruck „hier“ weist auf ein klares Raumverhältnis hin, was näher mit dem Ethnonym „deutschland“ umgrenzt wird. P3 weist sich durch diese letzte, evaluierende Aussage als jemand aus, der aus einer anderen Kultur stammt und vieles anders empfindet. Es kann daraus nicht gedeutet werden, ob diese Andersartigkeit als gut, schlecht oder indifferent bewertet wird. Es wird deutlich, dass die interviewte Person die zwei Kulturen unterschiedlich sprachlich konstruiert, aber nicht, mit welchen Wertungen sie diese Unterschiedlichkeit gegenwärtig verbindet.

Hinsichtlich der Bilder über Rumänien haben sich hier unterschiedliche zentrale Motive ergeben: einerseits Sicherheit vermittelt durch negative Stereotype, andererseits Unwissen und Unsicherheit. Die negativen Meinungen wurde nicht direkt wiedergegeben, sondern durch die Positionierung von anderen verbalisiert. Die Unwissenheit wird zumeist dadurch legitimiert, dass man erst nach bzw. mit dem Aufenthalt im Land selbst wissen konnte, wie es eigentlich ist.

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Die Interviewte macht teilweise ihre innere Erlebnisperspektive sichtbar, indem sie ihre Evaluation des Rumänienbildes vor ihrem Aufenthaltes dort offenlegt: „ich hatte großes fragezeichen“ (Z.14). Das Fragezeichen steht für eine bestimmte Ungewissheit und Unsicherheit, aber auch für Meinungen, die eher negativ konnotiert sind. P3 positioniert sich somit als eine unsichere Person, die dem Aufenthalt in Rumänien eher misstrauisch bzw. vorsichtig gegenüberstand.

Die nächste Aussage weist auf die negativen Vorurteile hin: „hatte viel negative sachen gehört“ (Z.14-15) Der Quantor „viel“ bedeutet eine große Quantität und bezieht sich in diesem Kontext explizit auf „negative sachen“. Die Passivkonstruktion durch „gehört“ steht für eine Distanznahme der Erzählerin gegenüber diesen Meinungen. Die Interviewte positioniert sich als jemand, die darüber nur „gehört“ und das nicht selbst gesagt hat. Die anderen, von denen sie das gehört hat, werden im Gegensatz dazu als Personen positioniert, die diese negativen Meinungen explizit vertreten. Indem sie sich selbst von einer direkten Meinungsäußerung fernhält kann sie zeigen, dass sie nicht als jemand verstanden werden möchte, der die negativen Urteile direkt übernimmt, sondern sich davon eher distanzieren will. Es kann außerdem ein Ausdruck von Höflichkeit sein.

Die Konjunktion „wie“ leitet einen Vergleich ein bzw. hat die Funktion, eine Aussage zu illustrieren: „wie da wohnen nur ZIGEUNER und (.) die KLAUEN viel man muss aufpassen“ (Z.15-16). Der deiktische Ausdruck „da“ verweist auf eine klare Lokalisation bzw. auf Rumänien. Die Verallgemeinerung, nach der in Rumänien nur Zigeuner wohnen, könnte darauf hindeuten, dass ihre Interaktionspartnern Zigeuner als Bewohner Rumäniens sehen, oder dass diese die Mehrheit stellen. Die Partikel „nur“ wird verwendet, um die verallgemeinernde Aussage zu betonen. Die Zigeuner werden als Angehörige einer Ethnie charakterisiert, die „viel klauen“. Erneut vertritt der Quantor „viel“ eine große Menge. In diesem Kontext verweist es auf ein „Mehr“ der negativ behafteten Tätigkeit des Klauens. Mittels der kollektiven Agency, eingeleitet durch „man“, wird ein Fokuswechsel von der bis zu diesem Zeitpunkt berichteten Erfahrungen ihrer Interaktionspartner zu einer generalisierenden Aufforderung „man muss aufpassen“ vorgenommen. Mit der Verwendung von „man“ kann auch eine „Betonung von strukturellen Gegebenheiten“ intendiert werden (Kruse 2008:144).

Weiterhin wird aufgezählt, was P3 noch über Rumänien „gehört“ hat: „gibt sehr viel ARMUT (2) sehr viel (1) zigaretten (.) drogen (.) bla bla (3)“ (Z.16-17). Der Quantor „viel“ zusammen mit der Intensität markierenden Partikel „sehr“ verweist auf eine sehr große Menge von „zigaretten“ und „drogen“ und eine „sehr“ große Prävalenz von Armut. Durch diese Aussage wird eine eher negative Meinung kommuniziert. Es bleibt unklar, was mit den vielen Zigaretten und Drogen gemeint ist, aber die Aussage legt die Deutung nahe, dass es sich um Drogenschmuggel bzw. illegalen Handel von Drogen handelt oder dass es viele Drogen und Drogenkonsumenten in Rumänien gibt, ohne dass dies einer strikten staatlichen Kontrolle unterliegt. Auch hinsichtlich der Zigaretten könnten Zigarettenschmuggel oder illegaler Handel von Zigaretten gemeint sein. Armut wird als ein hervorstechendes Merkmal der sozialen Wirklichkeit gekennzeichnet. Der code-switch, markiert durch die Verwendung des umgangssprachlichen „bla bla“, könnte auf eine beliebige Weiterführung des eben Aufgezählten hinweisen. Laut Lakoff und Johnson strukturiert, wie bereits aufgezeigt, die Metapher „Nähe ist Einfluss“ unsere Denkweise. Je näher eine beliebige Form A einer beliebigen Form B ist, desto stärker ist der Einfluss der Bedeutung von A auf die Bedeutung von B (Lakoff und Johnson 2003:150). Bezogen auf die getätigten Aussagen steht somit das Bild Rumäniens sprachlich-syntaktisch sehr nahe zu den Begriffen „Fragezeichen“, „Zigeuner“, „klauen“, „Drogen“, „Armut“ „Zigaretten“, und weit weg von den Begriffen „schön“, „Natur“ und „Geschichte“. Die Konjunktion „aber“ leitet eine Kontrastierung ein: „aber auch dass es n sehr schönes land sei (.) reich an (.) natur und (2) auch geschichte“ (Z.18-19). Diese Beschreibung steht, wie vorhin schon erwähnt, in Gegensatz zu den vorherigen Charakterisierungen. Genauer gesagt, geht es hier um eine Kontrastierung von Kategorisierungen bzw. Beschreibungen (Lucius-Hoene und Deppermann 2002:216). Folglich wird Rumänien durch die Stimmen anderer als ein Land kategorisiert, in dem nur Zigeuner leben, wo viel geklaut wird und Armut vorherrschend ist. Andererseits wird Rumänien als ein sehr schönes Land beschrieben, reich an Natur und Geschichte.

Im letzten Teil der Antwort zur gestellten Frage wird ein klarer Ich-Bezug deutlich: „also so viel so KLISCHEE und vorurteilsachen (2) wusst ich halt (.)“ (Z.26-27) Diese Aussage kann als ein metanarrativer Kommentar betrachtet werden, in dem die Erzählerin aus dem Erzählten heraustritt und das davor Erläuterte aus ihrer jetzigen Sicht kommentiert. Somit werden „viele“ Informationen die sie zu Rumänien hatte als „KLISCHEE“ und „vorurteilsachen“ beurteilt. Sie positioniert sich somit als eine Person, die nicht vollständig an die dargebotenen Informationen glaubt, und zeigt damit, dass sie manche Urteile nur als Klischees oder Vorurteile auffasst.[3] Das Verb „wissen“ wirkt rationalisierend und weist auf eine geglaubte Gewissheit hin. Die Interviewte relativiert ihre Vorerfahrungen: „also so richtig (2) wies tatsächlich war wusst ich net“. Damit positioniert sich P3 als eine Person, die Unsicherheit in Bezug auf ihren Wissensstand über Rumänien aufweist. Das Adverb „richtig“ bezogen auf „wies tatsächlich war“ deutet auf eine mögliche Nicht-Konkordanz zu dem vorgestellten Rumänienbild in den Zeilen davor hin. Das könnte aber auch zeigen, dass die bis jetzt geäußerten Meinungen eher auf Vorurteilen und Klischees basieren und nicht auf etwas „tatsächlichem“: „gut (.) das weiß man aber immer erscht wenn man dort war (1)“ (Z.18-19). Die Erläuterung ist im Sinne einer Botschaft bzw. einer Erfahrung zu sehen. P3 positioniert sich somit als ein „lebensweltlicher Experte“, der aus seiner Erfahrung im Gastland etwas gelernt hat (Lucius-Hoene und Deppermann 2002:258f). Die Interviewte beansprucht damit für sich eine kognitive und praktische Kompetenz (vgl. ebd.). Durch das Indefinitpronomen „man“ wird ein Anspruch auf Allgemeinheit der Aussage erhoben.

[...]


[1] Mittels metanarrativer Kommentare „tritt der Erzähler aus dem Erzählprozess heraus, kommentiert ihn als ganzen oder einzelne seiner Segmente und gibt damit Bestimmungen, wie sie zu verstehen sind.“ (Lucius-Hoene und Deppermann 2002:240)

[2] Der szenische Präsens hat eine aufmerksamkeitssteuernde Funktion für den Hörer. Als Stilmittel suggeriert es Dramatik und Teilhabe an einer stattfindenden Erfahrung. (Lucius-Hoene und Deppermann 2002:149)

[3] Ein Vorurteil stellt etwas Unechtes dar und ein Klischee ist ein Stereotyp. Darauf wird näher im Kapitel „Vom Fremden zum Vorurteil“ eingegangen

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Bilder Rumäniens. Eine soziologische Studie
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für Soziologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
117
Katalognummer
V215765
ISBN (eBook)
9783656444268
ISBN (Buch)
9783656444565
Dateigröße
1141 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bilder, rumäniens, eine, studie
Arbeit zitieren
Anamaria Denisa Nemet (Autor:in), 2011, Bilder Rumäniens. Eine soziologische Studie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215765

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