Barbey d'Aurévillys Essay "Du dandysme et de George Brummell". Der Dandy auf den Thron gesetzt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

14 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.) Der barbeysche Dandy- Ästhet und Intellektueller

2.) Das Bildnis des George Brummell
2.1) Ein schmeichelhaftes Portrait
2.2) Die seltsame Macht des George Brummell

3.) Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Ich werde zunächst genau sagen, was der Dandysme ist; ich werde die Grundzüge entwerfen, das Gesetz aufstellen und endlich die Idee der Sache durch den Mann verdeutlichen, der diese Idee in ihrer großartigen Sinnlosigkeit am vollendetsten verkörpert hat.1

Mit diesen Worten beschreibt Jules Amédée Barbey d’Aurevilly, „der ausgewiesene Kenner dieser seltenen Menschengattung“2 Dandy, selbst sein Vorhaben, das Programm für seinen Essay „Du dandysme et de George Brummell“ aus dem Jahre 1844. Schon hier wird deutlich, dass es sich bei seiner Abhandlung über den Dandy, diesem schwer zu begreifenden Phänomen, das ab dem 18. Jahrhundert vor allem in England für Aufsehen sorgte, keineswegs um eine sachliche und neutrale Definition dieses Typus handeln wird. Vielmehr scheint es Barbey darum zu gehen, das Bild des Dandys neu zu entwerfen, einer Figur, die bis dato vorwiegend mit negativen Eigenschaften besetzt war, scharf kritisiert und der Lächerlichkeit preisgegeben wurde: „[...] quand Barbey élabore le projet de Du Dandysme et de George Brummell, [...] le dandysme est toujours considéré comme un phénomène sinon ridicule, en tout cas beaucoup trop superficiel pour constituer un objet de réflexion.“3

Was macht nun Barbeys Beschreibung des Dandys und sein Portrait der perfekten Verkörperung dieser außergewöhnlichen „Menschengattung“, George Brummell, so besonders? Was unterscheidet Barbey von seinen Vorgängern und sorgt damit dafür, dass seine Abhandlung zur grundlegenden Arbeit auf diesem Gebiet wird?4

Mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit, deren Ziel es ist, „Barbeys Dandy“ darzustellen, zu zeigen, wie der Autor eine geächtete Figur zum Helden zu erheben vermochte. Besonderes Augenmerk soll dabei auf seinem Portrait von George Brummell liegen, diesem Dandy in Perfektion, den wir laut Schaukal nur so wahrzunehmen im Stande sind, wie Barbey ihn durch seine Dichtung erschaffen hat: „Wir sehen heute Brummell nur mehr so, wie ihn Barbey zu dichten begnadet war. Die Sehnsucht des Bewunderers hat den Helden erschaffen [...].“5

Es soll dabei nicht darum gehen, biographische Aspekte des George Brummell abzuhandeln, vielmehr gilt das Interesse eben der „Dichtung Barbeys“, den besonderen Eigenschaften, die er, anders als seine Vorgänger, dem Dandy und besonders Brummell in seiner Abhandlung zuschreibt:

Barbey approached Brummell with absolute respect, even with awe, as no one before him had and as everyone who followed him would. His Brummell is twice as large as life, far more indistinct, essentially inexplicable. He was a significant figure in the history of his times; he is now a legend; he compels analysis.6

Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem von Barbey entworfenen Programm: in einem ersten Kapitel sollen die Grundprinzipien des barbeyschen Dandyismus vorgestellt werden um im Anschluss daran das Portrait des George Brummell näher zu analysieren, wobei eine klare Trennung dieser beiden Punkte auch Barbey nicht möglich war. Anhand ausgewählter Zitate sollen die Besonderheiten der barbeyschen Inszenierung des Dandys aufgezeigt werden; die vorliegende Arbeit zielt somit nicht darauf, die gesamte Abhandlung in ihrer Komplexität zu erfassen.

1.) Der barbeysche Dandy- Ästhet und Intellektueller

So systematisch Barbey seine Vorgehensweise für seine Abhandlung über den Dandysmus ankündigt, so unsystematisch erscheint der Essay auf den ersten Blick: Die Unterteilung in Kapitel anhand römischer Zahlen wirkt willkürlich, vor allem da Überschriften fehlen, der Text erscheint zerstückelt durch zahlreiche Anekdoten und Anmerkungen, die sich häufig in überlangen Fußnoten wiederfinden, nicht zuletzt sogar in einer Fußnote zur Fußnote.7 Barbeys Essay zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es keine systematische Abhandlung des Dandyismus ist, keine Biographie Brummells, die sich an die Chronologie der Ereignisse hält, sondern vielmehr danach strebt, dem Leser den Dandyismus sowie Brummells Persönlichkeit und deren Wirkung anhand ausgewählter Beispiele näherzubringen, sie zu inszenieren:

So teilt seine Argumentation den Gegenstand nicht systematisch auf, sondern betrachtet im Gegenteil repräsentative Beispiele und strebt somit keine vollständige Aufzählung an. […] Barbeys Text [entwickelt] keine linearen Gedankengänge, sondern hält mit jedem Satz inne und hebt neu an, kommt immer wieder auf den Gegenstand seiner Betrachtung zurück.8

Der Verfasser beginnt seine Schrift mit einer philosophisch anmutenden Überlegung zum Gefühl der Eitelkeit, spricht sich gegen deren moralische Verurteilung aus und legt damit den Grundstein für seine Abhandlung, die sich gleichermaßen gegen die damit einhergehende Verurteilung des Dandys richtet:

Und welches [Gefühl] wäre wohl für die Gesellschaft von größerem Nutzen als dieses nie beruhigte Streben nach der Anerkennung der andern, dieser unauslöschbare Durst nach dem Beifall der Galerie, dieser Eifer, den man, wenn es sich um große Dinge handelt, Ehrgeiz nennt, und wenn er kleinen gilt, Eitelkeit schilt? [...] Das alles hat gesagt werden müssen, ehe wir vom Dandytum reden, der Frucht dieser über Gebühr verlästerten Eitelkeit, und von dem Heros der Eitelkeit, Georges Brummell.9

„Vom Dandytum zu reden“ heißt für Barbey, den Bewunderer des Dandys10, dieses Phänomen zu verteidigen, dessen Existenz analytisch zu begründen und zu rechtfertigen um den Dandys ins rechte Licht zu rücken, sieht er sich doch als der erste, der diesem Phänomen mit dem gebührenden Respekt entgegentritt und es in angemessener Weise zu untersuchen imstande ist: „Leider bin ich weder Montesquieu noch Beyle, weder Adler noch Luchs; aber nichtsdestoweniger habe ich in einer Sache klar zu sehen versucht, die viele Menschen zweifellos als einer Erklärung nicht würdig würden befunden haben.“11

Nach dieser captatio benevolentiae bleibt Barbey aber keineswegs so bescheiden, sondern behauptet vielmehr, der einzige zu sein, der das Wesen des Dandyismus erkannt hat. Wurde dieser bisher als bloße Kunst der Kleidung abgetan, so sieht Barbey darin weit mehr, für ihn ist der Dandyismus eine Art des Seins, fast eine Philosophie:

Die Geister, die an den Dingen immer nur die geringfügigste Seite ins Auge fassen, bilden sich ein, Dandytum sei vor allem die Kunst der Kleidung, eine glückliche und kühne Herrschaft auf dem Gebiete des Anzugs, der äußerlichen Eleganz. Sicherlich gehört das dazu, aber der Dandy ist weit mehr. Der Dandysme ist eine ganze Art zu sein, und man ist nicht Dandy bloß im äußerlich, körperlich Sichtbaren.12

Hierzu merkt er in aller Deutlichkeit an: „Alle Welt, sogar die Engländer, irren darin.“13 Barbey grenzt sich somit klar von bisherigen Beschreibungen des Dandytums ab und zeichnet sich hier also vor allem dadurch aus, bei der Analyse dieses Phänomens besonders an den geistigen Wesenszügen des Dandys interessiert zu sein, in denen er über Kleidung und Ästhetik hinaus dessen konstituierendes Merkmal sieht.14

Barbey distanziert sich also von der zu oberflächlichen Definition des Dandys, der für ihn mehr ist als jemand, der lediglich einen Anzug spazieren trägt.15 Dieses Mehr, das aus dem Dandy eine Art zu sein macht, liegt für Barbey im Geiste, für ihn ist der Dandy somit nicht bloß ein Ästhet, sondern, und das ist die Novität seiner Beschreibung, ein Intellektueller, oder wie es bei Gnüg heißt, ein „geistiger Aristokrat“16:

To Barbey, dandyism is a spiritual achievement of considerable dimensions. He minimizes the place of clothes in Brummell’s dandyism, not because he considers the art of dress negligible (on the contrary) but because he wishes to emphasize what he calls the intellectual quality of Brummell’s irony, wit, impudence and poise.17

Was bisher als Unverschämtheit oder Arroganz bezeichnet wurde, ist für Barbey folglich Ausdruck der unanfechtbaren geistigen Überlegenheit des Dandys.18

Doch das Wesen des Dandyismus bleibt rätselhaft, diese Art sich zu benehmen, dieser Teil der Sitten, diese Wirkung lässt sich für Barbey nicht in Form von Gesetzen oder Prinzipien darstellen, die es sich zu verinnerlichen gilt, um selbst ein Dandy sein zu können. Die Regel ist, es gibt keine Regel:

[…] was den Dandy macht, ist die Unabhängigkeit. Sonst müßte es Gesetze des Dandysme geben, aber es gibt eben keine. Gäbe es solche, so wäre man Dandy, indem man sie befolgte. Jeder, der wollte, könnte Dandy sein. Man hätte eine Vorschrift zu beobachten; sonst nichts. Zum Unglück aller jungen Leute ist dem nicht ganz so. Zweifellos gibt es im Kapitel Dandytum einige Prinzipien und Überlieferungen; alles das aber ist von der Phantasie beherrscht, und Phantasie zu haben, darf sich nur der erlauben, dem sie steht und der sie durch den Gebrauch rechtfertigt.19

Um also zu verstehen was einen Dandy neben ästhetischer und intellektueller Überlegenheit ausmacht, gibt das Portrait von George Brummell, dem Dandyismus in Person, Aufschluss, denn es sind allein seine Wesenszüge, die als eine Art Gesetz proklamiert werden: „Les traits déterminants du dandy y sont inscrits noir sur blanc comme s’il s’agissait de lois intangibles ….“20

2.) Das Bildnis des George Brummell

Der Biographie von George Brummell, wie Barbey den zweiten Teil seiner Abhandlung ursprünglich ankündigte, kommt nun in seiner Abhandlung über den Dandy eine mehr als zentrale Rolle zu, und das aus einem scheinbar so einfachen Grund: Alles was zum Dandytum gesagt werden muss, führt unweigerlich auf Brummell zurück, denn Brummell ist die Verkörperung des Dandytums, ist nichts anderes als ein Dandy, aber gerade deshalb der Dandy in Perfektion:

[…] läßt man den Dandy weg, was bleibt dann von Brummell? Er war zu nichts anders fähig, aber auch nicht weniger als der größte Dandy seiner Zeit und aller Zeiten.[…] bei Brummell gab es, was selten vorkommt, keinen Zwiespalt zwischen Natur und Schicksal, zwischen Anlage und Glück. […] beschränkt auf die Kraft, die ihn einzig auszeichnete, erhob er sich zum Rang eines Dinges: er war der Dandysme selbst.21

Barbeys Argumentation beruht somit auf einem Zirkelschluss: alle genannten Eigenschaften sind deshalb „dandesk“, weil Brummell sie verinnerlicht hat, und andererseits ist Brummell deshalb der Dandy schlechthin, weil er diese Eigenschaften verkörpert. Hörner formuliert diesen Exklusivitätsanspruch, den Barbey für George Brummell proklamiert, wie folgt:

„Brummells einzige Eigenschaft besteht also darin, Dandy zu sein, und andersherum wird Brummell als einzige Person behauptet, die diesen Dandyismus verkörpert. Dadurch wird Brummell zu dem unerreichbaren Original, das eine eigene Kategorie bildet, in der nur er selbst enthalten ist.“22

[...]


1 Barbey d’Aurevilly zitiert nach: Schaukal, Richard von : Einleitung. In : Barbey d’Aurevilly, Jules Amédée: Vom Dandytum und von G. Brummell. Ins Deutsch übertragen und eingeleitet von Richard von Schaukal. Nördlingen: 1987. S. 20.

2 Grundmann, Melanie: Der Dandy: wie er wurde, was er war. Eine Anthologie. Köln: 2007. VII.

3 Natta, Marie-Christine: Introduction. In: Barbey d’Aurevilly, Jules Amédée: Du dandysme et de George Brummell. S. 9.

4 Diese zentrale Rolle der Abhandlung Barbeys hebt auch Moers hervor: „Dandy biographies, Regency memoirs, fashionable novels were not reading matter for serious people in mid-century England. But mid- century France was different. In 1845 […], Jules Amédée Barbey d’Aurevilly laid the foundations of his literary career in France with a splender volume in praise of Brummell’s dandyism. Barbey’s book is the pivotal work upon which the history of the dandy tradition turns. Little that came after it […] cannot somehow be traced to Barbey’s Du Dandysme et de Georges Brummell.” (Moers, Ellen: The Dandy. Brummell to Beerbohm. London: 1960. S. 256.)

5 Schaukal, Richard von : Einleitung, S. 22.

6 Moers: The Dandy, S. 261-262.

7 Dazu Barbey selbst: „Ich habe die löbliche Absicht, hier deutlich und verständlich zu sein. Ich will sogar die Gefahr der Lächerlichkeit nicht scheuen und eine Anmerkung zu einer Anmerkung machen.“ (Barbey d’Aurevilly, Jules Amédée: Vom Dandytum und von G. Brummell. Ins Deutsch übertragen und eingeleitet von Richard von Schaukal. Nördlingen: 1987. S. 48.)

8 Hörner, Fernand: Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie . Bielefeld: 2008. S. 107.

9 Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummell, S. 41-42.

10 Mann, Otto : Der moderne Dandy. Ein Kulturproblem des 19. Jahrhunderts. Heidelberg: 1925. S. 76.

11 Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummell, S. 30.

12 Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummell, S. 47-48.

13 Ebd., S. 47.

14 Vgl. Schickedanz, Hans-Joachim : Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus. In: Kreuzer, Helmut/ Riha, Karl/ Schnell, Ralf (Hrsg.): Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. Bd. 66. Frankfurt a. M. (u.a.): 2000. S. 100.

15 Vgl. Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummell, S. 48.

16 Gnüg, Hiltrud: Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur. Stuttgart: 1988. S. 46. (Hervorhebung im Original)

17 Moers: The Dandy, S. 262.

18 Vgl. hierzu auch die Darstellung Brummells: „Er war im Gespräch so beißend wie Hazlitt in seinen Schriften. Seine Worte gingen wie Nägel durchs Fleisch, aber in seiner Unverschämtheit war zu viel Breite, als daß sie sich verdichten, in Epigrammen hätte sammeln können. Von den geistreichen Worten, die sie verlauteten, ließ er seine Impertinenz übergehn in seine Handlungen, seine Haltung, seine Bewegungen, den Ton seiner Stimme. Und er übte sie mit der unanfechtbaren Überlegenheit, die in der guten Gesellschaft ihre Zulässigkeit überhaupt bedingt […].“ (Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummell, S. 78-79.)

19 Barbey d’Aureyvilly: Vom Dandytum und von G. Brummell, S. 70.

20 Delbourg-Delphis, Marylène: Masculin singulier. Le dandysme et son histoire. Paris : 1985. S. 34.

21 Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummell, S. 46-47.

22 Hörner: Die Behauptung des Dandys, S. 225.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Barbey d'Aurévillys Essay "Du dandysme et de George Brummell". Der Dandy auf den Thron gesetzt
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,3
Jahr
2010
Seiten
14
Katalognummer
V215865
ISBN (eBook)
9783656445500
ISBN (Buch)
9783656446361
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
barbey, aurévillys, essay, george, brummell, dandy, thron
Arbeit zitieren
Anonym, 2010, Barbey d'Aurévillys Essay "Du dandysme et de George Brummell". Der Dandy auf den Thron gesetzt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215865

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