Zeit der Traurigkeit - lesbischer Alltag im Nationalsozialismus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

25 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


In der hier vorliegenden Hausarbeit soll ein Einblick gegeben werden über das Alltagsleben lesbischer Frauen zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema ist noch nicht weit fortgeschritten. Während es über manche Themen, besonders für die Zeit von 1933 bis 1945, zahlreiche Publikationen unterschiedlichster Verfasser gibt, sind zum Thema „Lesbische Frauen in der NS-Zeit“ nur wenige zu finden. Am intensivsten hat sich die Berliner Historikerin Claudia Schoppmann mit diesem Thema beschäftigt, so daß ich mich in dieser Hausarbeit vornehmlich auf ihre Veröffentlichungen stütze.

Zunächst soll dargestellt werden, wie die nationalsozialistische Frauen- und Bevölkerungspolitik aussah und welchen Einfluß sie auf das Leben lesbischer Frauen hatte. Ferner beschäftige ich mich mit der rechtlichen Grundlage und der Zerschlagung und Auflösung der Homosexuellenbewegung. Ich verweise auf die von Deutschland verschiedene Gesetzeslage in Österreich nach der Annexion 1938. Ausführlicher betrachte ich sowohl die Situation lesbischer Frauen innerhalb der nationalsozialistischen Konzentrationslager als auch die autobiographischen und biographischen Zeitzeuginnenberichte.

Nationalsozialistische Frauenpolitik

Die nationalsozialistische Frauenideologie galt nur für „arische“ und „erbgesunde“ Frauen. Sie vertrat „eine prinzipielle Bestimmung der Frau zu Mutterschaft und Ehe sowie strikt getrennte Lebens- und Arbeitsbereiche für Mann und Frau“. Dies war jedoch eher Theorie als Praxis[1]. Hauptanliegen der Nationalsozialisten war die Erhöhung der Geburtenrate, denn in den Jahren 1915 bis 1933 gab es, im Vergleich zu den vorhergegangen 18 Jahren, einen Rückgang von 14 Millionen Geburten. Reichsinnenminister Frick hatte so 1933 vor dem „Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik“ zusätzlich „30 % an Gebärleistungen der deutschen Frauen“ gefordert, denn 1934 sollten schon 300.000 Geburten fehlen. Die Ehe war dieser Auffassung nach also nicht nur eine rein private Angelegenheit, sondern wurde zum politischen Instrument. „Die ‘echte Frau’, so hieß es im schwarzen Korps, dem Organ der SS, leide schwer unter Ehelosigkeit, ‘aber sie leide nicht an dem ihr fehlenden Ge­schlechtsverkehr, sondern an dem ihr fehlenden Kind, an der Nichterfüllung ihrer Bestimmung zur Mutterschaft.’“[2] Kinderlose Ehen wurden angefeindet und beispielsweise als „völkische Fahnenflucht“ und „biologische[r] Hochverrat“ bezeich­net[3]. Abtreibungen wurden verboten und Eheschließungen materiell gefördert, finanziert durch die sogenannte „Ledigensteuer“. Ehepaare, die länger als fünf Jahre kinderlos blieben, mußten ab Februar 1938 „Strafsteuersätze“ zahlen. Das Heiratsalter wurde gesenkt und das Scheidungsrecht erneuert: nach § 48 StGB konnte eine Ehe bei Nachwuchsverweigerung und Unfruchtbarkeit geschieden werden. Die Zahl der Scheidungen stieg von 1938 bis 1939 erheblich an, bei 60 % der Scheidungen wegen Fortpflanzungsverweigerung oder Unfruchtbarkeit gab man der Frau die Schuld. Ab Mai 1933 wurden Abtreibung und Sterilisation per Gesetz stärker bestraft, Abtreibung mit bis zu zweijähriger Gefängnishaft, ab 1943 gar vereinzelt mit der Todesstrafe.[4] Die tatsächliche Zahl der heimlichen Abtreibungen ist nicht bekannt. Für die Jahre zwischen 1933 und 1939 ist ein Geburtenzuwachs tatsächlich zu erkennen, der dadurch entstand, daß mehr Frauen Kinder bekamen. Kleinfamilien waren die bevorzugte Lebensweise[5].

Bevölkerungspolitik und weibliche Homosexualität

Natürlich waren lesbische Frauen von den oben genannten Maßnahmen gegen ledige und kinderlose Frauen besonders betroffen. Es kann also davon ausgegangen werden, daß es einige homosexuelle Frauen nach 1933 vorzogen, zu heiraten und sich dadurch vor Verdächtigungen zu schützen[6]. Ein unauffälliger Lebenswan­del wurde für die Frauen wichtiger, als er vorher war[7]. Viele Frauen zogen es nach 1933 auch vor, ihr Äußeres zu verändern, wie z. B. die Haare länger wachsen zu las­sen oder sich weiblicher zu kleiden.[8]

Innerhalb der von lesbischen Frauen eingegangen Ehen war der Ehemann nicht immer von der wahren sexuellen Orientierung seiner Frau unterrichtet. Beliebt waren auch Josefsehen zwischen homosexuellen Männern und Frauen, da dadurch auch dem Mann die Möglichkeit gegeben wurde, einer Verfolgung zu entgehen. Dazu führt Claudia Schoppmann folgendes Beispiel an:

„Ich lebte schon seit Jahren mit meiner Freundin zusammen. Manchmal munkelten die Leute: Haben die was? Als das Dritte Reich ausbrach, hieß es dann bösartig: Die haben was zusammen! Da waren Blockwarte und Hauswarte, die in unser Privatleben hin­einleuchteten und Meldungen erstatten sollten. Unsere Zimmerver­mieterin wurde ausgefragt, ob sie etwas über unser Intimleben wüßte. Eines Tages kam unser Chefredakteur zu mir ins Atelier und sagte ungedulgig, ich müsse endlich heiraten oder er könne mich nicht weiter beschäftigen.“

Daraufhin beschließen die zwei Frauen, mit zwei schwulen Freunden zusammenzuziehen.

„Aber damit hatten wir den Geboten der neuen Zeit noch nicht ge­nüge getan. Wieder war es der Hauswart mit dem Parteiabzeichen, der uns sagte: Sie können doch nicht in wilder Ehe leben, das ist nicht im Sinne des Führers. Dabei war der Mann nicht böswillig, sondern ein netter Berliner. Immerhin, wenn der schon so redete ... Also beschlossen wir zwei Frauen, unsere beiden Freunde zu heira­ten. Das jedoch stürzte uns in neue Konflikte. Ich brauchte jeden­falls lange, um mich daran zu gewöhnen, daß mich jemand fragte, wie es meinem Man ginge. Wieso? fragte ich zurück. Und erst dann fiel mir ein, daß ich mich mit einer Heirat tarnte.“[9]

Solche Verhaltensweisen waren keine Einzelfälle.[10]

Oftmals reagierten homosexuelle Frauen auf die politischen Veränderungen nach 1933 auch dahingehend, daß sie sich vollkommen aus den homosexuel­len Kreisen zurückzogen. Häufig gingen sie aus den Metropolen, wie z. B. Ham­burg und Berlin, wo sie ja zum Teil zumindest in der Nachbarschaft bekannt waren, in die Provinz, um dort ein unbehelligtes Leben führen zu können.[11]

Strafverfolgung und weibliche Homosexualität

Daß die politische Veränderung nicht nur im Privaten ihre Auswirkung hatte, zeigen die Strafrechtsdebatten im Reichsjustizministerium über die Verschärfung des § 175 StGB und dessen Erweiterung auf lesbische Frauen.

Die Bestrafung von homosexuellen Handlungen hat eine lange Tradition. Im Gegensatz zu früheren Strafgesetzen sah jedoch der § 175 des Strafgesetzbu­ches der Kaiserzeit, den die Nationalsozialisten, in dieser Beziehung unverän­dert, übernahmen[12], die Bestrafung weiblicher Homosexualität nicht vor.[13]

Der größte Teil der Juristen und Bevölkerungspolitiker war auch weiterhin der Mei­nung, daß die Gefahr für den „Volkskörper“ durch lesbische Frauen bei weitem nicht so groß war wie die Gefahr durch schwule Männer, da „eine verführte Frau dadurch nicht dauernd dem normalen Geschlechtsverkehr entzogen werde, sondern bevölkerungspolitisch nach wie vor nutzbar bleiben werde“. Die „les­bisch veranlagten Frauen“ seien außerdem dennoch „fortpflanzungsfähig“[14]. Der Philosoph Ernst Bergmann äußerte sich 1933 dahingehend, das „Geschlecht der Mannweiber“ „zwangsweise zu begatten, um sie zu kurieren, müßte man nicht fürchten, daß sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben“[15].

Die unterschiedliche Bewertung der männlichen und weiblichen Homosexualität ist vor allem darauf zurückzuführen, daß Frauen eine eigene Sexualität abge­sprochen wurde. „Basierend auf einer jahrhundertealten patriarchalischen Tradi­tion, die Passivität zum weiblichen Geschlechtscharakter erklärte, schien eine selbstbestimmte weibliche Sexualität undenkbar.“[16] Somit wurde gerade die weibli­che Homosexualität für unmöglich gehalten. Daß weibliche Homosexuali­tät nicht als Strafbestand ins StGB aufgenommen wurde, liegt also einerseits im patriarchalischen Weltbild der Nationalsozialisten begründet.

Ähnliche Diskussionen der Kaiserzeit zeigen einen weitere Gründe auf, warum die weibliche Homosexualität straffrei blieb. Zunächst wurde, wie Claudia Schoppmann ausführt, schlicht die Penetration als Form der männlichen Sexualität als Norm gesetzt. „Als strafbar sah man allein ‘beischlafähnliche Handlungen’ an, also im wesentlichen Analverkehr, nicht jedoch bspw. gegenseitige Onanie.“[17]

Abgesehen davon wurde weibliche Homosexualität als nicht so stark verbreitet angesehen wie die männliche, was ein weiterer Grund war, weshalb sie 1871 nicht unter Strafe gestellt wurde.[18]

Zudem wurde, vor allem im Hinblick auf die männliche, bei der Homosexualität auf die soziale Schädlichkeit verwiesen mit der Begründung, „sie gefährde die Integrität ‘öffentlichen Lebens’ und wirke sittenverderbend. Außerdem werde Zeugungskraft vergeu­det, die benötigt werde, um den Geburtenrückgang aufzuhalten.“[19]

Es gab jedoch durchaus Interesse daran, den Paragraphen 175 auch auf weibliche Homosexualität auszudehnen. Es wurde behauptet, daß ein Anstieg weiblicher Homosexueller registriert worden sei, bewiesen wurde diese Aussage jedoch nicht.[20] Zudem wurde gefordert, im Zuge der Gleichberechtigung auch die Strafverfolgung für Männer und Frauen gleich anzuwenden.[21] Weiterhin argumentierte man mit der Gefahr der Verführung heterosexueller Frauen und Mädchen durch lesbische Frauen..[22]

[...]


[1] Schoppmann, Claudia, Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität, Pfaffenweiler, 2., überarbeitete Auflage 1997, S.18

[2] Ebd., S.18

[3] Ebd., S.18

[4] Ebd., S.19

[5] Ebd., S.20

[6] Ebd. S.21

[7] Ebd., S.168

[8] Schoppmann, Claudia, Zeit der Maskierung, Frankfurt am Main, 1998, S.101

[9] K. v. Sch.: Wir erlebten das Ende der Weimarer Republik, hg. Von Rolf Italiaander, Düsseldorf 1982, S.98f., zitiert nach Schoppmann, 1997, S.21

[10] Schoppmann, 1997, S.22

[11] Kokula, Ilse, Jahre des Glücks, Jahre des Leids, Kiel 1986, S.71

[12] Ebd., S. 81

[13] StGB § 175, Absatz 1: „Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Der Kommentar von Otto Schwarz erläutert dazu: „[...] Unzucht mit Frauen, auch von Frauen mit Frauen (sog. lesbische Liebe) ist nicht strafbar.“ Strafgesetzbuch. Nebengesetze, Verordnungen, Kriegsstrafrecht; hrsg. Von Otto Schwarz, München und Berlin, 10., verbesserte und vermehrte Auflage 1941 [Beck’sche Kurz-Kommentare, Band 10], S. 282

[14] Schoppmann,1997, S.22

[15] Ernst Bergmann, Erkenntnisgeist und Muttergeist, Eine Soziosophie der Geschlechter, Breslau 2 1933, zitiert nach Schoppmann, 1997, S.22

[16] Schoppmann,1997, S.24

[17] Ebd., S.81

[18] Ebd., S.82

[19] Schoppmann, 1997, S.81

[20],Ebd., S.82

[21],Ebd., S.83

[22],Ebd., S.85

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Zeit der Traurigkeit - lesbischer Alltag im Nationalsozialismus
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Deutscher Alltag im Zweiten Weltkrieg
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
25
Katalognummer
V2162
ISBN (eBook)
9783638113236
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeit, Traurigkeit, Alltag, Nationalsozialismus, Deutscher, Alltag, Zweiten, Weltkrieg
Arbeit zitieren
Imke Bittner (Autor:in), 2001, Zeit der Traurigkeit - lesbischer Alltag im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2162

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