Cesare Pavese Paesi tuoi Die Stadt-Land-Thematik dargestellt an den vier Hauptfiguren


Seminararbeit, 2004

23 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung:

2.Cesare Pavese - Biographie:

3. „Paesi tuoi“:
3.1 Inhalt:
3.2 Zentralmotive Paveses:

4. Berto:

5. Talino:

6. Vinverra:

7. Gisella:

8. Resümee:

9. Literatur:
9.1 Primärliteratur:
9.2 Sekundärliteratur:

1. Einleitung:

Pavese schreibt den Roman „Paesi tuoi“ im Sommer 1939 innerhalb weniger Wochen. Sein zentrales Lebensthema, welches sich auch in seinem literarischen Werk manifestiert, ist das einzige, was ihn in seinem Leben Halt und Sicherheit gegeben hat, das ländliche Idyll (vgl.: Punkt 2, Biographie). Dieses in seiner Kindheit verwurzelte zentrale Thema konfrontiert Pavese im übertragenen Sinne mit der Situation, in welcher er sich als erwachsener Mann befindet, d.h. das Städtische, auf das Pavese alles projiziert, was ihm als schlecht und bedrohlich erscheint. So zieht sich diese Konfrontation von Land und Stadt, vereinfacht gesagt von Gut und Böse wie ein roter Faden durch sein literarisches Schaffen, sowohl in einfacher geographischer, als auch in geistig-seelischer Dimension.[1] Allerdings wirft der hier behandelte Roman die Frage auf, ob Pavese, in der Lebenssituation in der er sich befindet, als er den Roman schreibt, das Ländliche noch als Idyll sieht oder durch die Tatsache der eigenen Entfremdung von der glorifizierten Kindheit „campagna“ als etwas sieht, in das er nicht mehr zu integrieren ist. Mir scheint dieser Interpretationsansatz sinnvoller, da man in „Paesi tuoi“ nicht von einem klaren Verhältnis zwischen Gut und Böse sprechen kann, sondern das Ländliche mit seinen patriarchalischen Strukturen eher als etwas instinktiv agierendes, gerade nicht idyllisches empfindet, wie ich später zeigen werde.[2]

Ein weiteres zentrales Thema Paveses ist der unheroische „midddle class Held“, dessen verbale Kommunikation sich von der Hochsprache befreit hat und der sich über eine „slang-beladene Umgangssprache“ definieren lässt. Pavese gab diesen Romanhelden, inspiriert durch seine Übersetzungsarbeiten an amerikanischen Werken, Platz in seinem Werk, da eben diese Figuren für ihn genau das symbolisierten, was der seiner Meinung nach unbefriedigenden literarischen Situation seines Landes fehlt.

Die Problematik, die sich aus der Verwendung des Dialekts ergibt, ist allerdings die mangelnde Verständlichkeit eines solchen Werkes über die behandelte Region hinaus. Doch Pavese löst auch dieses Problem nach dem Vorbild amerikanischer Autoren, wie z.B. Lewis, Twain oder Withman, welche eine über den gesamten Sprachraum verständliche ursprüngliche Sprache des kleinen Mannes und des Provinzlers aus dem regionalen Fundus heraus entwickelten. Er bewältigt diese Herausforderung, indem er das Schrift-Italienische als Grundlage nimmt, aber dieser Sprache die Diktion des Dialekts aufprägt und ihr auch durch spezifische grammatikalische Abwandlungen und Variationen provinziellen Klang verleiht.[3]

2.Cesare Pavese - Biographie:

„Non sono un uomo da biografia. L’unica cosa che lascerò sono pochi libri, nei quali c’è detto tutto o quasi tutto di me.”[4]

Dieser, von Pavese selbst getätigte Ausspruch ist relativ charakteristisch für seine Biographie. Äußerlich betrachtet ist sie ohne größere spektakuläre Ereignisse geblieben. Verständlich, dass sein Selbstmord durch Schlaftabletten im Jahre 1950 Anlass zu wilden Spekulationen gab, stand der Autor zu diesem Zeitpunkt doch mit 42 Jahren mitten im Leben und gleichzeitig auf dem Höhepunkt seines literarischen Ruhmes.

Cesare Pavese wurde 1908 in Santo Stefano Belbo, einem kleinen Dorf in der Nähe Turins geboren. Sein Vater, ein Justizbeamter, hatte dort einen Landsitz, auf welchem Pavese im Laufe seiner Kindheit seine Sommerferien verbrachte. Diese Tatsache und spätere Aufenthalte bei Verwandten seines Vaters in Santo Stefano Belbo waren Ursache für eine enge Bindung des Schriftstellers an das kleine piemontesische Dorf. Pavese verbrachte seine Schul- und Studienjahre in Turin. Es folgten Lehrtätigkeiten an der Philosophischen Fakultät der Universität Turin und Mitarbeit an einer literarischen Zeitung.

Durch die Erziehung seiner calvinistisch geprägten Mutter entwickelte Pavese einen außergewöhnlich starken Leistungsanspruch sich selbst gegenüber. Dieser Leistungsanspruch bedingte womöglich seine Realitätsferne und seine Unfähigkeit sexuelle Bindungen einzugehen, ebenso wie die fehlende Vaterfigur in seiner Erziehung, welche allein durch die dominante Mutter geprägt war. Somit gelangte Pavese nie in die lebensstabilisierende Situation einer partnerschaftlichen Bindung an eine Frau. Pavese äußerte sich dazu in seinem post mortem veröffentlichten Tagebuch:

„Se nascerai un’altra volta dovrai andare adagio anche nell’attaccarti a tua madre. Non hai che da perderci.“[5]

Pavese begann sein literarisches Schaffen mit der Übersetzung amerikanischer Autoren ins Italienische.

Über seinen Bekanntenkreis geriet Pavese in Kontakt zu antifaschistischen Gruppen, nahm aber nicht aktiv an ihrem Kampf gegen das entstehende Regime teil. Trotzdem wurde er 1935, eher versehentlich, aufgrund bei ihm entdeckter antifaschistischer Schriften verhaftet und für drei Jahre, von denen ihm dann zwei erlassen wurden, nach Kalabrien verbannt.

Den Krieg erlebte Pavese als Zuschauer. Aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst befreit, flüchtete er vor den Bombardements in ein kleines Dorf im Montferrat.

Nach Ende des Krieges kehrte er nach Turin zurück und trat in die Kommunistische Partei Italiens ein. Die Freundschaft zu Giulio Einaudi, einem Verlagsinhaber, welcher seine Werke veröffentlichte, ermöglichte ihm auch längere Aufenthalte in Rom. Allerdings dominierte in Paveses Leben, trotz seiner vielfältigen linksintellektuellen Kontakte, das Gefühl einer tiefen Einsamkeit. Pavese ist es nie gelungen, sich auf eigene Beine zu stellen. Sein Vater starb während seiner Kindheit und nach dem Tod der Mutter 1930 lebte er bis zu seinem Tod bei seiner verheirateten Schwester. Diesem äußerlich anspruchslosen, beschränkten Leben eines Intellektuellen steht ein innerlich zerrissener Mensch gegenüber, unfähig eine Familie zu gründen und sein Leben über seine Bücher hinaus aktiv zu gestalten.

So kann man Paveses Freitod als endgültige Resignation eines Menschen sehen, dem es nie gelang, in der realen Welt wirklich Fuß zu fassen.

3. „Paesi tuoi“:

3.1 Inhalt:

Der Inhalt des Romans lässt sich in einigen wenigen Sätzen zusammenfassen.

Der junge Mechaniker Berto, der Ich-Erzähler, wird zusammen mit dem Bauerssohn Talino aus einem Turiner Gefängnis entlassen. Berto verbüßte seine Haftstrafe wegen eines Unfalls mit einem Radfahrer, Talino wegen Brandstiftung. Berto geht mit Talino auf den Hof dessen Vaters Vinverra, um dort bei der kommenden Ernte die Dreschmaschine zu bedienen.

Unter den zahlreichen Schwestern Talinos, die Berto eher als grobschlächtig empfindet, ist er nur von Gisella angetan, die am wenigsten bäurisch ist. Zwischen den beiden entwickelt sich eine erotische Beziehung. Talino allerdings stößt seiner Schwester in einer energiegeladenen Situation während der Heuernte eine Heugabel in den Hals, als diese ihn ermahnt beim Trinken nicht das Wasser zu verschmutzen.

3.2 Zentralmotive Paveses:

Von Paveses zentralen Motiven tritt in „Paesi tuoi“ das Thema „Konfrontation Stadt-Land“ verkörpert durch die beiden Hauptprotagonisten Berto (Stadt) und Talino (Land) auf. Auch entstammen beide Protagonisten der Mittelklasse und sind keine Helden im Sinne der klassischen Dichtung.

Ein weiteres stilistisches Motiv Paveses, die Sexualisierung der Landschaft, ist in diesem Roman auch sehr stark ausgeprägt. (Ich befasse mich intensiver mit den unterschiedlichen stilistischen Motiven im Hauptteil der Arbeit, siehe Punkt 4 bis 7.)

Der Autor hat in diesem Werk seine ureigene, neue Idee eines innovativen Sprachstils umgesetzt, wodurch der Roman eine ganz eigene linguistische Prägung erhält.

Die hier vorzufindende entgrammatikalisierte, parataktische, in den Tempora hin- und herspringende Sprache von „Paesi tuoi“, bestehend aus umgangssprachlichen Wendungen, vermischt mit Standarditalienisch entsteht inspiriert durch den Sprachstil von Cains „The Postman Always Rings Twice“:

„L’americano che per il suo «tempo», per il ritmo del narrare mi gravò sulle spalle davvero, nessuno al tempo di Paesi tuoi lo seppe dire: era il Cain.”[6]

Allerdings bleibt diese Vorbildfunktion rein sprachlicher, nicht aber inhaltlicher Natur, so übernimmt Pavese von Cain die plötzlichen Tempussprünge, welche eine nervöse Spannung aufbauen und nach und nach für Paveses Schreiben charakteristisch werden sollen. Pavese sagt über Berto, den “macchinista” aus Paesi tuoi:

„La lingua...è tutt’altra cosa da un impressionismo naturalistico. Non ho scritto rifacendo il verso a Berto – l’unico che parli – ma traducendo i suoi ruminamenti, isuoi stupori, i suoi scherni ecc., come li direbbe lui se «parlasse italiano». Ho solo sgrammaticato quando sgrammaticare indicava una sprezzatura, un’involuzione, una monotonia nell’animo suo. Non ho voluto far vedere come parla Berto sforzandosi di parlare italiano (che sarebbe impressionismo dialettale) ma come parlerebbe se le sue parole gli diventassero – per pentecoste – italiane. Come pensa, insomma.” [7]

Ich möchte im Weiteren vier Charaktere des Romans näher untersuchen. Als erstes Berto und seinen Gegenpart Talino, welche im Lauf der Erzählung am meisten Raum einnehmen. Zusätzliche Aufmerksamkeit möchte ich Talinos Vater Vinverra und seiner Schwester Gisella widmen.

4. Berto:

Wie bereits erwähnt, wird die Geschichte ausschließlich von Berto erzählt und somit aus einem sehr einseitigen Blickwinkel dargestellt.

Der Leser wird am Anfang der Geschichte sofort in den Erzählfluss genommen, ohne dass sich Pavese die Mühe macht, in die Handlung einzuführen und ohne detaillierte Angaben zu Ort, Zeit und Personen zu machen.

Berto führt als Ich-Erzähler in einer sprunghaften, ein wenig unkoordiniert wirkenden Art durch das Buch. Wir erfahren über ihn, wie auch über die anderen Personen, relativ wenig. Das äußere Erscheinungsbild wird bei jedem einzelnen nur gefiltert durch die Augen Bertos deutlich, ein logischerweise verzerrender Faktor.

Im klassischen Sinne eingeführt werden nur Vinverra und Gisella, wenn auch auf eine etwas rudimentäre Weise. Als Berto mit Talino auf dem Hof des Vaters ankommt, wird dieser von Berto kurz beschrieben:

„...,da dietro il carro esce un vecchio storto, con maniche di camicia, e ci guarda (...) Il vecchio aveva in testa una cappellinaccia sfondata...” [8]

Auch über Gisella, die man nach Berto und Talino als die wichtigste Protagonistin neben Vinverra bezeichnen kann, wird wenig Deskriptives gesagt. Pavese begnügt sich damit, Berto ein paar Worte zu ihrem allgemeinen Erscheinungsbild sagen zu lassen.

„..., somigliava a Talino ma solo un’idea: era la meno manza e la meno nera,...“[9]

Berto ist in seinen Beschreibungen überhaupt nicht neutral und so sind die Eindrücke, die der Leser von den anderen Charakteren erhält, mit Ausnahme Gisellas, alles andere als positiv.

Berto, der mit Talino aus dem Gefängnis entlassen wird, fühlt sich dem Landburschen überlegen. Als Städter bewegt er sich in seinem Gebiet und es fällt ihm schnell auf, wie deplaziert Talino auf den Strassen Turins ist, „Non aveva mai traversato un corso, si vede,...“[10] Er hält ihn für ein wenig beschränkt und belegt Talino von Anfang an mit animalischen Attributen, „Cosa credi di fare, goffo, con la gente civile? Volevo dirgli; ritorna alla tua stalla.“[11] Trotz Bertos „Heimvorteil“ und seiner angenommenen intellektuellen Überlegenheit, schafft er es nicht, sich gegen den Bauerssohn Talino durchzusetzen. Es wird nicht klar, wer wen durch Turin führt, „... andavamo come i buoi senza sapere dove, (...)...e non so chi guidasse: lui veniva con me, io lo guardavo, lo lasciavo camminare, e venivo con lui.”[12] Auch steht Berto Talinos Vorschlag, ihn zum Hof des Vaters zu begleiten, um die Erntemaschine zu bedienen erst indifferent gegenüber, „Senza rispondergli né sí né no, (...). Vado o non vado. Cosa poco“[13], sieht sich selbst und Talino aber, als er dann doch mit ihm im Zug in Richtung „Campagna“ sitzt, als „due vitelli“ (vgl.: Paesi tuoi, S. 15), ein Anzeichen dafür, dass er mit der Entscheidung, ihn zu begleiten, nicht zufrieden ist, da er sich selbst durch diese Bezeichnung mit Talino auf eine Stufe stellt. Er lässt sich hier, wie auch im ganzen restlichen Verlauf des Buchs eher von seinen Instinkten treiben, als rational fundierte Entscheidungen zu treffen.

Auch andernorts wird Bertos Unzufriedenheit mit seiner Situation deutlich. So sagt er zu sich selbst im Laufe der Reise aufs Land, angesichts eines zusehends rustikaler werdenden Umfeldes, bevölkert von den entsprechenden Menschen: „Guardali bene, Berto, dico senza fermarmi, è in mano a questa gente che ormai ti sei messo.“[14], und stellt während seiner Ankunft leicht verunsichert fest: „Sono proprio in campagna, - mi dico,- qui piú nessuno mi trova.“[15]

[...]


[1] Schlumbohm, Dietrich: Die Welt als Konstruktion, Untersuchungen zum Prosawerk Cesare Paveses, (Münchener Romanistische Arbeiten), Wilhelm Fink Verlag München, 1978, S. 11

[2] vgl. dazu auch: Kanduth. Erika: Cesare Pavese im Rahmen der pessimistischen Italienischen Literatur, (Wiener Romanistische Arbeiten), Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagbuchhandlung Ges. m. b. H., Wien, 1971, S. 251

[3] vgl. Schlumbohm, Dietrich: Die Welt als Konstruktion, Untersuchungen zum Prosawerk Cesare Paveses, München, 1978, S. 14

[4] Guiducci, Armanda: Il mito Pavese (La cultura e il tempo), Firenze 1967, zitiert in: Schlumbohm, Dietrich: Die Welt als Konstruktion, Untersuchungen zum Prosawerk Cesare Paveses, (Münchener Romanistische Arbeiten), Wilhelm Fink Verlag München, 1978

[5] Pavese, Cesare. Il mestiere di vivere, (Diario 1935-1950), Torino, 1967

[6] vgl.: Schlumbohm, Dietrich: Die Welt als Konstruktion, Untersuchungen zum Prosawerk Cesare Paveses, München, 1978, S. 73

[7] Pavese, Cesare. Il mestiere di vivere, (Diario 1935-1950), Torino, 1967, S. 156

[8] Pavese, Cesare: Paesi tuoi, Giulio Einaudi editore s.p.a., Torino, 2001, S. 22

[9] Pavese: Paesi tuoi, Torino, 2001, S. 26

[10] Pavese: Paesi tuoi, Torino, 2001, S. 7

[11] Pavese: Paesi tuoi, Torino, 2001, S. 8

[12] Pavese: Paesi tuoi, Torino, 2001, S. 7 f

[13] Pavese: Paesi tuoi, Torino, 2001, S. 9 ff

[14] Pavese: Paesi tuoi, Torino, 2001, S. 17

[15] Pavese: Paesi tuoi, Torino, 2001, S. 21

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Cesare Pavese Paesi tuoi Die Stadt-Land-Thematik dargestellt an den vier Hauptfiguren
Hochschule
Universität Augsburg  (Phil.-Hist.)
Veranstaltung
Proseminar: Italienische Romane des 20. Jahrhunderts
Note
2,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V21650
ISBN (eBook)
9783638252171
ISBN (Buch)
9783638647212
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cesare, Pavese, Paesi, Stadt-Land-Thematik, Hauptfiguren, Proseminar, Italienische, Romane, Jahrhunderts, Italien, Romanistik
Arbeit zitieren
Tobias Reff (Autor:in), 2004, Cesare Pavese Paesi tuoi Die Stadt-Land-Thematik dargestellt an den vier Hauptfiguren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21650

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