"Die kinetische Ableitung des Massenwirkungsgesetzes ist logisch falsch, wissenschaftlich fragwürdig, didaktisch unnötig und schädlich ...", mit diesen Worten beginnt ein Artikel, der vor einiger Zeit in einer chemiedidaktischen Zeitschrift erschienen ist .
Ein Widerspruch gegen den Artikel – der sich auf Argumente stützt, die bereits in den sechziger Jahren geäußert wurden – ist mir nicht bekannt geworden. Wird das Massenwirkungsgesetz in der gymnasialen Oberstufe wirklich falsch hergeleitet? Das sind genauer gesagt zwei Fragen: Wird die kinetische Herleitung wirklich verwendet und was ist daran falsch?
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Loecks Einwände treffen die kinetische Ableitung überhaupt nicht, wenn sie richtig aufgefasst und gehandhabt wird. Der zweite Teil dieser Arbeit wird diese These belegen.
Vor der Frage, welche Gesetzmäßigkeiten das chemische Gleichgewicht bestimmen, steht die Frage, warum chemische Reaktionen überhaupt ablaufen. Ein Erklärungsmodell mit offenbar hoher Suggestivkraft ist die Vorstellung: "Eine Reaktion kann ablaufen, wenn die Produkte eine niedrigere Energie haben, als die Edukte." Diese Vorstellung ist falsch – darauf haben schon van′t Hoff und von Helmholtz im vorigen Jahrhundert hingewiesen.
Wird diese Vorstellung in der GyO widerlegt? Im ersten Teil dieser Arbeit wird an einer Lehrbuch–Synopse und einer Kurzbefragung aufgezeigt, dass das, wenn überhaupt, dann nur selten geschieht. Statt dessen wird aus der falschen Vorstellung eine "unvollständige": aus der Existenz endothermer Reaktionen müsse auf ein „zweites“ Prinzip geschlossen werden – das der maximalen Entropie.
Gespeist wird diese Argumentation von einer Fehlinterpretation der Gibbs-Helmholtz- Gleichung. Im Theoriekapitel über die Triebkraft wird auf das moderne Verständnis der Gleichung eingegangen.
Die Kritik an den "zwei Prinzipien" ist keineswegs neu. Der originäre Beitrag der vorliegenden Arbeit ist es, ein "korrektes" Verständnis der Triebkraft chemischer Reaktionen aufzuarbeiten und die Unterrichtspraxis damit zu konfrontieren. Es wird deutlich, dass die herkömmliche Behandlung der Triebkraft einen didaktischen Schaden anrichtet: sie erschwert das Verständnis der Entropie.
Im Theoriekapitel zur Triebkraft versuche ich, das gegenwärtige Verständnis spontaner Vorgänge zu skizzieren. Man befindet sich dabei auf dem Feld der statistischen Thermodynamik – ein Gebiet, das nicht unbedingt zur Grundausbildung von Chemielehrern gehört.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Aufbau des ersten Teils
- Aufbau des zweiten Teils
- Triebkraft in Lehrbüchern.
- Behandlung der Triebkraft in der Literatur
- Der Fehler des Energieprinzips
- Welche Rolle spielt die Energie beim Elementarprozess
- Allgemeines zur Befragung
- Grundgesamtheit und Stichprobe
- Allgemeine Fragen.
- Die Frage 1 nach dem "Dienstalter".
- Die Frage 2 nach dem Durchschnittsabiturienten Gesamteindruck der Chemie-Kompetenz der
- Befragung zum Thema 'Triebkraft' bzw. 'Richtung chemischer Reaktionen'.
- Ergebnisse.
- Triebkraft-Konsequenzen für den Unterricht.
- Räumliche Verteilung.
- Energetische Verteilung.
- Quantitative Vertiefung.
- Einführung der freien Gibbs-Enthalpi..............
- Anwendung des qualitativen Entropiekonzepts auf verschiedene chemische Vorgänge
- Endotherme Vorgänge..
- Auflösung eines Stoffes...
- Besonders große Triebkraft..
- Antreiben von antriebslosen Reaktionen.
- Fazit
- MWG-Herleitung in Lehrbüchern.
- Die Diskussion um die Herleitung des Massen-Wirkungsgesetzes..
- Elementare Stoßprozesse
- Fazit
- Befragung zur Herleitung des Massenwirkungsgesetzes............ 259.1
- Ergebnisse.
- Konsequenzen für den Unterricht..
- Fazit
- Warum laufen (chemische) Vorgänge spontan ab? Theorie........…………………..31
- Diffusion und Dissipation.
- Die Anzahl der Realisierungsmöglichkeiten..
- Entropie
- Das System in isothermer Umgebung.
- Die Wahrscheinlichkeit eines (Mikro-)Zustandes
- Zustandswahrscheinlichkeit, Entartung und freie Energie
- Die Rechnung für konstanten Druck : Freie Gibbs-Enthalpie
- Wie kommt das MWG zustande?
- Eine alternative Herleitung des MWG.
- Literaturverzeichnis .
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob chemisches Gleichgewicht und das Massenwirkungsgesetz im gymnasialen Oberstufen-Unterricht korrekt vermittelt werden. Dabei wird die Lehrbuchliteratur, die Unterrichtspraxis und die theoretische Grundlage des Themas analysiert.
- Analyse der in Lehrbüchern verwendeten Herangehensweise an die Triebkraft chemischer Reaktionen.
- Bewertung der theoretischen Grundlage und der didaktischen Qualität der häufigen Gleichsetzung von exothermen Reaktionen mit spontanen Reaktionen.
- Untersuchung der in der Unterrichtspraxis verbreiteten Herleitung des Massenwirkungsgesetzes und ihrer wissenschaftlichen Korrektheit.
- Präsentation eines umfassenden theoretischen Modells, das die Triebkraft chemischer Reaktionen erklärt.
- Ableitung von didaktischen Konsequenzen für den Unterricht, um ein korrektes Verständnis von chemischem Gleichgewicht und dem Massenwirkungsgesetz zu fördern.
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 2 untersucht die Darstellung der Triebkraft in gängigen Schulbüchern, um einen ersten Einblick in die Art und Weise zu erhalten, wie das Thema im Unterricht behandelt wird.
- Kapitel 3 analysiert die Aussagen der Lehrbücher kritisch und beleuchtet den Fehler der häufigen Gleichsetzung von exothermen Reaktionen mit spontanen Reaktionen.
- Kapitel 4 und 5 präsentieren die Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von Lehrern, um die Unterrichtspraxis im Bereich der Triebkraft und des Massenwirkungsgesetzes besser zu verstehen.
- Kapitel 6 zieht aus den Ergebnissen der Lehrbuch- und Unterrichtsanalyse didaktische Konsequenzen für den Unterricht.
- Kapitel 7 bietet eine Synopse einiger Lehrbücher, die sich mit der Herleitung des Massenwirkungsgesetzes befassen.
- Kapitel 8 setzt sich kritisch mit den Einwänden gegen die kinetische Ableitung des Massenwirkungsgesetzes auseinander.
- Kapitel 9 diskutiert die Ergebnisse der Befragung von Lehrern zum Thema der Herleitung des Massenwirkungsgesetzes.
- Kapitel 10 zieht aus den Ergebnissen der Analyse der Lehrbuchliteratur und der Befragung von Lehrern didaktische Konsequenzen für den Unterricht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen chemisches Gleichgewicht, Massenwirkungsgesetz, Triebkraft, Entropie, Gibbs-Helmholtz-Gleichung, kinetische Ableitung, didaktische Analyse, Lehrbuchkritik, Unterrichtspraxis, statistische Mechanik.
- Quote paper
- Dr. Frank Jürgensen (Author), 1995, Werden chemisches Gleichgewicht und Massenwirkungsgesetz in der gymnasialen Oberstufe falsch unterrichtet?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22082