Entwerfen, überarbeiten, veröffentlichen: Kreatives Schreiben. Eine Alternative zum traditionellen Aufsatzunterricht?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

31 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


1 Einleitung

„Die Schüler und Schülerinnen sollen schreiben lernen, nicht nach Mustern Texte aufsetzen, und zum Schreiben gehört ganz wesentlich auch die Überarbeitung des Geschriebenen.“ (Baurmann / Ludwig, 1996, S. 15)

Im traditionellen Aufsatzunterricht spielten Überarbeitungen keine Rolle. Hier wurde verbessert, d.h. überflüssige Satzzeichen eliminiert, fehlende ergänzt; offensichtliche Verstöße gegen die Grammatik ausgeräumt; Verknüpfungen von Sätzen verdeutlicht, usw. Von Überarbeitungen im eigentlichen Sinne (siehe Kapitel 4) konnte nicht die Rede sein.

Offensichtlich hat sich dieser Zustand in den letzten Jahren geändert, denn in fast allen Lehrplänen werden nun den SchülerInnen Überarbeitungen der eigenen Texte abverlangt. So liest man z.B. im RAHMENPLAN für die Grundschule in Hessen von 1995 (S. 97):

„Hilfreich können Schreib- bzw. Redaktionskonferenzen sein, in denen der Autor oder die Autorin den eigenen Textentwurf mit anderen Kindern (und der Lehrerin / dem Lehrer) unter orthografischen, zunehmend dann auch unter stilistischen und inhaltlichen Gesichtspunkten durchgeht. An Kriterien können z.B. entwickelt werden:

- Auf Widersprüche achten
- Missverständnisse ausräumen
- Um treffende Formulierungen ringen
- Störende Widerholungen durch Synonyme (Synonymlexikon) bzw. Pronomina ersetzen
- Ggf. Satzumstellungen ausprobieren
- Nach dem Höhepunkt der Geschichte zügig zum Schluss kommen
- Langatmige (chronologische) Passagen streichen ( Mut zur „Leerstelle“)

Man erkennt also sehr deutlich, dass sich die Aufmerksamkeit der Didaktiker nun auf die Überarbeitung von Schülerarbeiten richtet. Im unmittelbaren Zusammenhang damit steht eine Neuorientierung des Schreib- und Aufsatzunterrichtes. Im Gegensatz zum traditionellen Aufsatzunterricht begnügt sich der neue Schreibunterricht nicht mehr mit der Einübung von bloßen Aufsatzformen, sondern hat sich die Entwicklung und Ausbildung des (kreativen) Schreibvermögens der Kinder zum Ziel gesetzt. Hierbei kommt es nun darauf an, dass in den Klassen so lustvoll und intensiv wie möglich geschrieben wird, denn nur so werden zahlreiche kreative Texte produziert und nur so werden diese Texte in vielfältige Verwendungszusammenhänge gestellt: Sie werden vorgelesen, veröffentlicht, evtl. sogar zur Bewertung herangezogen (vgl. Böttcher / Wagner, 1993). Damit einhergehend stellt sich jedoch sowohl für die Schreibenden als auch für die Lehrenden die schwierige Frage:

Wie sollen und können wir die erstellten Texte überarbeiten?

In meiner Arbeit möchte ich zunächst mit Hilfe der Begriffe „traditioneller Aufsatzunterricht“, „kommunikatives Schreiben“, „freies Schreiben“, „personales Schreiben“ und „prozessorientiertes Schreiben“ die Entwicklungen in der Aufsatzdidaktik, die sich auf das kreative Schreiben ausgewirkt haben, skizzieren, bevor ich im nächsten Schritt das kreative Schreiben als Alternative und Ergänzung zum traditionellen Aufsatzunterricht darstelle. Hierzu werde ich die Grundlagen des kreativen Schreibens und einige kreative Schreibverfahren vorstellen, um die Bedeutung dieser neuen Schreibdidaktik für den Unterricht zu klären. Im weiteren Teil der Arbeit wende ich mich dem Umgang mit kreativen Schreibergebnissen zu und gehe dabei näher auf den Begriff der Überarbeitung ein. In Punkt 5 beschäftige ich mich schließlich mit den Schreibkonferenzen, die ich aufgrund ihrer Wichtigkeit in einem gesonderten Kapitel bearbeiten möchte.

2 Neuere Entwicklungen in der Aufsatzdidaktik

Bevor ich mich im nächsten Kapitel eingehender mit dem Ansatz des „kreativen Schreibens“ beschäftige, will ich zunächst mit den Begriffen „kommunikatives Schreiben“, „freies Schreiben“, „personales Schreiben“, „prozessorientiertes Schreiben“ und „kreatives Schreiben“ die Entwicklungen in der Schreibdidaktik skizzieren, welche sich im Anschluss an den „traditionellen Aufsatzunterricht“ herausgebildet haben, auf den ich im Folgenden auch kurz eingehen will.

Bis zu Beginn der 70er Jahre stand der sprachgestaltende Aufsatz, der auch als traditioneller oder normativer Aufsatzunterricht bezeichnet wird, im Mittelpunkt der Aufsatzdidaktik. Seit den 70er Jahren machte sich jedoch eine Unzufriedenheit mit dem traditionellen Aufsatzunterricht breit. Dies stellte eine günstige Bedingung dar, um neue aufsatzdidaktische Entwicklungen auszulösen; so kann man ca. die letzten 30 Jahre als ausgesprochen bewegte und anregende Zeit ansehen. Leider bestehen in der schulischen Praxis oft noch Vorbehalte, den Unterricht für neue Strömungen zu öffnen. Eine dieser neuen Strömungen ist das kreative Schreiben, welches als Alternative zum sprachgestaltenden Aufsatz dienen soll.

Bevor das kreative Schreiben die Diskussion um die Didaktik des Schreibens in Bewegung brachte, stellte der traditionelle Aufsatzunterricht, dessen kennzeichnendes Merkmal die Vermittlung von Darstellungsformen ist, in der Grundschule die gängige Art des Schreibunterrichts dar. So zeichnete sich bis in die 70er Jahre hinein ein recht gleichförmiges und starres Bild des Schreibens ab:

Das Schreiben galt als Einübung stilistischer Normen und bestimmter Aufsatzformen; eingeübt wurden die Erzählung, der Bericht, die Beschreibung, die Schilderung sowie die Erörterung. Ziel des Unterrichts war, dass die SchülerInnen dem Idealtyp der verschiedenen Formen möglichst nah kommen. Da der sprachgestaltende Aufsatz durch seine klaren Regelformulierungen den Bedürfnissen des Lehrers entgegenkommt, beeinflusst er auch heute teilweise noch den Aufsatzunterricht. Obwohl es sich nicht bestreiten lässt, dass auch viele SchülerInnen im traditionellen Unterricht das fiktive Schreiben mehr oder weniger erlernt haben, richtete sich in den 70er Jahren massive Kritik gegen diesen Ansatz, dessen Ausgangspunkt der fehlende Adressatenbezug des Schreibens war.

2.1 Kommunikatives Schreiben

Wie bereits erwähnt, erfuhr der traditionelle Aufsatzunterricht seit den 70er Jahren massive Kritik, die umfassende Veränderungen und Neuorientierungen nach sich zog. Diese Neuorientierung führte zur so genannten „kommunikativen Wende“ und somit zur kommunikativen Aufsatzdidaktik.

„Das Schreiben wird als intentionaler Akt, als Handlung verstanden und an seiner Wirksamkeit in einer jeweiligen Situation gemessen.“ (Spinner, 1993, S.78)

D.h., dass Schreiben nur in echten Situationen mit einer realen Intention des Schreibers und konkreten Partnern, denen man sich aus eigener Motivation mitteilen will, eingesetzt und eingeübt werden kann. Der Schreiber soll sich am Leser als „Adressat“ orientieren.

2.2 Freies Schreiben

In den 80er Jahren wurde das „freie Schreiben“ in Anlehnung an reformpädagogische Vorstellungen (Freinet) zu Beginn des 20. Jahrhunderts als weitere Gegenbewegung zum traditionellen Aufsatzunterricht wieder entdeckt. Bei diesem Ansatz rückt das schreibende Subjekt in den Mittelpunkt. Ausgangspunkt des Schreibens sind demnach die Interessen, die Bedürfnisse und das Erlebnis des einzelnen Kindes. Neben Inhalt und Form sind auch Ort und Zeit des Schreibens freigestellt. Im unmittelbaren Zusammenhang damit erfährt dieser Ansatz durch G. Spitta mit dem Aspekt des Besprechens und Überarbeitens von frei verfassten Texten eine deutliche Akzentuierung. Schreibkonferenzen (siehe dazu auch Kapitel 5) „stellen […] ein Verfahren dar, einen selbst verfassten Text einer kleinen kritischen Öffentlichkeit zur Diskussion zu präsentieren, um aus den Reaktionen der Teilnehmer Hinweise für eine eventuelle Überarbeitung des Textes zu erhalten.“ (Spitta, 1992, S.13)

Dieses Verfahren wurde Anfang der 80er Jahre in England von einer Lehrer- und Forschergruppe um Donald H. Graves eingeführt. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass mit den Schreibkonferenzen ein deutlicher Bezug zur Schreibprozessforschung hergestellt wird, welche weniger das Ergebnis, also das Schreibprodukt, berücksichtigt, sondern primär den Prozess im Auge hat (vgl. Winter, 1998).

2.3 Personales Schreiben

Neben dem freien Schreiben ist auch das „personale Schreiben“ als Gegenbewegung zum traditionellen Aufsatzunterricht zu sehen. Dieser Ansatz betont die Auseinandersetzung mit der eigenen Subjektivität beim Schreibvorgang. „Das Schreiben wird hier als eine Suchbewegung auf dem Weg zur eigenen Identität verstanden“ (Spinner, 1993, S.18). Schreiben wird so zum Medium der Ich-Entwicklung und kann als bloßes Notieren von Gedanken und Gefühlen therapeutische Formen annehmen.

2.4 Prozessorientiertes Schreiben

Basierend auf der kognitivistischen Schreibforschung in den USA, die speziell auf die mentalen Prozesse während der Textherstellung eingeht, wurden auch in Deutschland Modelle für die Darstellung des Schreibprozesses erarbeitet. Bei dieser Konzeption wird der Schreibprozess als komplexe Leistung aufgefasst, dessen Teilprozesse (konzeptionelle, innersprachliche, motorische, redigierende Teilprozesse) bei der Textproduktion ineinander greifen. Neben den Teilprozessen spielen auch situative und motivationale Bedingungen, sowie Hintergrundwissen während des Schreibprozesses eine bedeutsame Rolle. Eine möglichst vielseitige Ausbildung und Entfaltung der Schreibpotentiale der Kinder wird für wichtig erachtet. „An die Stelle vorgegebener Merkmale eines Textes (z.B. Einleitung, Höhepunkt, Schluss als Aufbau einer Erzählung oder sachlicher Stil beim Bericht usw.), deren Einhaltung am Produkt überprüft wird, treten Hilfen der Lehrkräfte während des Schreibens“ (Spinner, 1993, S.18).

2.5 Kreatives Schreiben

Die Vorstellung einer außerschulischen Schreibbewegung fußt auf einem Kreativitätsbegriff, der in den 80er Jahren auf die Deutschdidaktik Einfluss nahm. In dieser Zeit ist eine Subjektivierung des Kreativitätsbegriffs eingetreten: „Unter Kreativität wird nun in erster Linie Selbstausdruck, Entäußerung der verborgenen inneren Welt, Entwurf einer neuen, subjektbestimmten Wirklichkeit verstanden.“ (Spinner, 1993, S.17)

Diese Auffassung fand seit den 80er Jahren mit dem „kreativen Schreiben“ Eingang in den Deutschunterricht.

3 Grundlagen des kreativen Schreibens

Bevor ich nun unter 3.1 versuche, eine passende Definition für das kreative Schreiben zu finden, möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass dies sehr schwierig ist, denn bereits der Begriff der Kreativität hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. So will ich im Folgenden erst einmal einen kurzen Einblick in den Kreativitätsbegriff der 70er und 80er Jahre geben, um die verschiedenen Sichtweisen und Akzentuierungen deutlich zu machen.

In den 70er Jahren verstand man Kreativität als ein „divergentes Denken“, welches überraschend zu neuen Problemlösungen führt und somit aus gewohnten Mustern ausbricht. Bezogen auf den Deutschunterricht bedeutet dies vor allem das Durchbrechen sprachlicher Normen. Dies äußerte sich darin, dass neue Unterrichtsverfahren wie das Spielen mit Sprache, das Verfassen von Unsinnstexten, das Verfremden von Textvorlagen usw. durch die Kreativitätsdiskussion Eingang in den Deutschunterricht fanden und bis heute fortwirken (vgl. Spinner, 1993).

In den 80er Jahren fand der Kreativitätsbegriff durch außerschulische Schreibbewegungen, wie z.B. Volkshochschulkurse, Jugendarbeit, private Initiativen u.ä., auch den Einzug in den Deutschunterricht. Durch die zunehmende Subjektivierung des Kreativitätsbegriffs, wurde dieser nun als „Selbstausdruck“ und „Entäußerung der verborgenen inneren Welt“ gesehen (s. Kapitel 2.1). Schreiben wurde nun in der Regel am Konzept der Selbsterfahrung ausgerichtet und wurde oft mit therapeutischen Erwartungen verbunden.

Stellt man die 70er Jahre den 80er Jahren gegenüber, so stellt sich heraus, dass der Kreativitätsbegriff der 70er Jahre durch den Normenbezug gesellschaftlich fundiert war. Die 80er Jahre dagegen unterstützten durch lyrische Gedichte, tagebuchartige Notizen, Erzählungen von Erlebtem und andere autobiographische Ausdrucksformen den Rückzug ins Private. „Man kann im kreativen Schreiben einen Versuch sehen, sich gegen die zunehmende Anonymisierung in unserer Gesellschaft zu wehren, sich zu behaupten in einer Welt, in der durch Medienflut und Bürokratisierung der einzelne immer mehr aus dem Blick gerät“. (Spinner, 1993, S.18)

[...]

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Details

Titel
Entwerfen, überarbeiten, veröffentlichen: Kreatives Schreiben. Eine Alternative zum traditionellen Aufsatzunterricht?
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Prozessorientierter Schreibunterricht
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
31
Katalognummer
V22135
ISBN (eBook)
9783638255592
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwerfen, Veröffentlichen, Kreatives, Schreiben, Eine, Alternative, Aufsatzunterricht, Prozessorientierter, Schreibunterricht
Arbeit zitieren
Claire Bäcker (Autor:in), 2003, Entwerfen, überarbeiten, veröffentlichen: Kreatives Schreiben. Eine Alternative zum traditionellen Aufsatzunterricht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22135

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