„Gewiss eine der merkwürdigsten Erscheinungen der gesamten Literatur ist das Buch, das wir unter dem Namen »Physiologus« kennen […]“1 – das bemerkt schon Friedrich Lauchert über jenes Werk, das im Zentrum der folgenden Untersuchung steht. Tatsächlich wird man sich des Eindruckes nicht erwehren können, dass diese Schrift eine Sonderstellung in der Literaturgeschichte beansprucht, sobald das Augenmerk auf ihre Wirkungsgeschichte2, ihre über viele Jahrhunderte fortdauernde Tradierung sowie die zahlreichen handschriftlichen Sonderfassungen gerichtet wird. So ist um kaum ein anderes Werk hinsichtlich seiner Quellenfragen eine so umfassende und bisweilen kontroverse Diskussion geführt worden, ohne dass heute von einer wirklich gesicherten Erkenntnis über Entstehungszeit, Abfassungsort und Gestalt des Archetypus gesprochen werden kann. Obgleich die oftmals in der Forschungsliteratur für den Physiologus angewandte Diminutivkennzeichnung „Büchlein“3 verwunderlich anmuten mag, so kann es nicht über den unbestrittenen Autoritätsrang hinwegtäuschen, dessen es sich im Mittelalter rühmen konnte, denn neben der Bibel galt es als wesentliche Quelle der patristischen Dingexegese und besaß einen lang anhaltenden Vorbildeinfluss auf die Naturlehre des Mittelalters. Was genau sich hinter diesem Physiologus, dessen Bezeichnung aus dem griechischen Wort Fusiologoz (physiológos = Naturforscher, Naturkundiger)4 abgeleitet wird, verbirgt und von welcher Beschaffenheit das Buch ist, soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Die Arbeit soll zunächst über die Entstehungsgeschichte und die allgemeinen Charakteristika der unterschiedlichen Physiologus-Schriften informieren, bevor sie den altdeutschen Physiologus – vor allem die Millstätter Reimfassung in ihrer kritischen Transkription, in der sie von Friedrich Maurer herausgegeben wurde5, fokussiert. In einem weiteren Themenkomplex sind dann die Grundlagen über den geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter zu vermitteln, bevor ich mich der Millstätter Reimfassung in speziellem Bezug auf ihre Symbolik widmen werde. In Kapitel 5 sind schließlich in nuce der zu bestimmende Belehrungsanspruch des Physiologus im Mittelalter und eine kurze Zusammenfassung zu geben. Die Auflistung der Fußnoten erfolgt – der Übersichtlichkeit halber vor dem abschließenden Quellenverzeichnis.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zur Charakteristik des Physiologus
- Allgemeine Informationen und Entstehungsgeschichte
- Der altdeutsche Physiologus
- Der mehrfache Schriftsinn in der Bibelhermeneutik
- Charakteristik und Funktionsweise der Schriftsinne
- Bedeutung der Schriftsinne für den Physiologus
- Tierbeschreibungen im altdeutschen Physiologus exemplifiziert an vier Darstellungen
- Allgemeine Bemerkungen
- Der Löwe
- Die Schlange
- Der Elefant
- Der Ibis
- Belehrungsanspruch der „Naturkundigen-Schrift“ und kurze Gesamtbeurteilung des Physiologus
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem altdeutschen Physiologus, einer naturkundlichen Schrift, die im Mittelalter eine bedeutende Rolle spielte. Ziel ist es, die Entstehung und Charakteristik des Physiologus zu beleuchten, den mehrfache Schriftsinn in der Bibelhermeneutik zu erklären und die Tierbeschreibungen im altdeutschen Physiologus anhand von Beispielen zu analysieren.
- Die Entstehung und Charakteristik des Physiologus
- Der mehrfache Schriftsinn in der Bibelhermeneutik
- Die Tierbeschreibungen im altdeutschen Physiologus
- Der Belehrungsanspruch der „Naturkundigen-Schrift“
- Die Bedeutung des Physiologus im Mittelalter
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik des Physiologus ein und beleuchtet dessen Besonderheit in der Literaturgeschichte. Kapitel 2 befasst sich mit den allgemeinen Informationen und der Entstehungsgeschichte des Physiologus, wobei der altdeutsche Physiologus im Fokus steht. Kapitel 3 beleuchtet die Bedeutung des mehrfachen Schriftsinns in der Bibelhermeneutik und dessen Relevanz für den Physiologus. Im vierten Kapitel werden Tierbeschreibungen des altdeutschen Physiologus anhand von Beispielen analysiert. Abschließend wird im fünften Kapitel der Belehrungsanspruch der „Naturkundigen-Schrift“ im Mittelalter und eine kurze Zusammenfassung der Arbeit gegeben.
Schlüsselwörter
Physiologus, altdeutsche Literatur, mittelalterliche Literatur, Bibelhermeneutik, Schriftsinne, Tierallegorie, Naturkunde, christliche Symbolik, Allegorese.
- Arbeit zitieren
- Tim Brüning (Autor:in), 2004, Der altdeutsche Physiologus - Seine Tiersymbolik unter dem Aspekt des mehrfachen Schriftsinns und christlicher Allegorese., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22210