Das erkenntnisleitende Interesse, mich im Rahmen dieser Arbeit mit den Themen Empowerment und Selbstbestimmung auseinander zusetzen, resultiert aus meinen beruflichen und persönlichen Erfahrungen als Mitarbeiter in einem Ferienprojekt für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit geistiger Behinderung. Die ca. 15 Teilnehmer sind zwischen 10 und 25 Jahre alt; die diagnostizierten Behinderungen reichen von Trisomie-21 über Autismus bis hin zu unfallbedingten und/oder schwerst-mehrfachen Behinderungen. Ich habe oft Situationen erlebt, in denen die jungen Menschen aus meiner Sicht heraus in ihren Rechten und Selbstbestimmungsmöglichkeiten eingeschränkt und in denen ihre Bedürfnisse durch Mitarbeiter missachtet wurden. Kann ein junger Mann mit 20 Jahren nicht selbst entscheiden, ob er abends lange wach bleibt oder morgens länger schläft? Und muss ein Kind mit in den Zoo, wenn es lieber mit der anderen Gruppe zum Schwimmen fahren möchte? Empowerment und Selbstbestimmung sind zurzeit die dominierenden Themen der Sonder- und Heilpädagogik. Die Entwicklungen werden als wegweisend für die Behindertenhilfe betrachtet und gründen auf ein Menschenbild, dass den Menschen mit Behinderung als Experten in eigenen Angelegenheiten ausweist und zentral die Annahmen beinhaltet, dass die Betroffenen selbst in der Lage sind, ihre Stärken und Ressourcen zu mobilisieren, dass sie wie andere Men-schen auch nach Unabhängigkeit und Entfaltung streben und sich selbst verwirklichen möchten und können. Im Sinne eines Gesamtkonzeptes spielen auch länger bekannte Paradigmen wie Enthospitalisierung, Normalisierung und Integration eine wesentliche Rolle und verlieren durch die jüngeren Ansätze keineswegs an Bedeutung. Selbstbestimmt-Leben kann ich mir bei Menschen mit körperlichen Behinderungen und innerhalb einer Infrastruktur, welche die erforderlichen Hilfsangebote bereitstellt, zwar durchaus vorstellen, aber können die damit verbundenen Forderungen und Ziele ohne weiteres auch auf Menschen mit geistiger Behinderung übertragen werden? Was bedeutet Selbstbestimmung genau? Soll jeder alles selbst bestimmen oder gibt es Ausnahmen? Und wie muss ich als Helfer befähigt bzw. professionalisiert sein, um adäquat auf die Betroffenen eingehen zu können?
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Das Empowerment-Konzept
1. Begriffsbestimmung
2. Historische Skizzen
3. Zentrale Aspekte
4. Ebenen und Bezugwerte
4.1. Individuelle Ebene – Autonomie und Selbstbestimmung
4.2. Gruppen- und Organisationsebene – Partizipation
4.3. Strukturebene – Verteilungsgerechtigkeit
5. Widersprüche, Handlungsparadoxien und Machtverhältnisse
III. Menschen mit geistiger Behinderung und Selbstbestimmung
1. Geistige Behinderung
1.1. Definitionsansätze und Beschreibungsversuche
1.2. Geschichte der Behindertenarbeit und Enthospitalisierung
1.3. Von der Normalisierung zur Selbstbestimmung – Leitbilder in der Arbeit mit (geistig) behinderten Menschen
2. Selbstbestimmung für Menschen mit geistiger Behinderung?
3. Menschen mit geistiger Behinderung auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung
3.1. Alltagsbezogene Selbstbestimmung durch tagesstrukturierende Aufgaben
3.2. Wohnen, Arbeit und Freizeit –Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen
4. Perspektiven / Beispiel eines Handlungsmodells aus der Praxis
(Werkstatthaus Hamburg – Wohnen und arbeiten in der Stadt)
IV. Konsequenzen für professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit
1. Werte, Einstellungen und Bereitschaft der Mitarbeiter
2. Zur Rolle der professionellen Helfer
V. Schluss
VI. Literatur
I. Einleitung
Das erkenntnisleitende Interesse, mich im Rahmen dieser Arbeit mit den Themen Empowerment und Selbstbestimmung auseinanderzusetzen, resultiert aus meinen beruflichen und persönlichen Erfahrungen als Mitarbeiter in einem Ferienprojekt für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit geistiger Behinderung. Die ca. 15 Teilnehmer sind zwischen 10 und 25 Jahre alt; die diagnostizierten Behinderungen reichen von Trisomie-21 über Autismus bis hin zu unfallbedingten und/oder schwerst-mehrfachen Behinderungen. Ich habe oft Situationen erlebt, in denen die jungen Menschen aus meiner Sicht heraus in ihren Rechten und Selbstbestimmungsmöglichkeiten eingeschränkt und in denen ihre Bedürfnisse durch Mitarbeiter missachtet wurden. Kann ein junger Mann mit 20 Jahren nicht selbst entscheiden, ob er abends lange wach bleibt oder morgens länger schläft? Und muss ein Kind mit in den Zoo, wenn es lieber mit der anderen Gruppe zum Schwimmen fahren möchte?
Empowerment und Selbstbestimmung sind zurzeit die dominierenden Themen der Sonder- und Heilpädagogik. Die Entwicklungen werden als wegweisend für die Behindertenhilfe betrachtet und gründen auf ein Menschenbild, dass den Menschen mit Behinderung als Experten in eigenen Angelegenheiten ausweist und zentral die Annahmen beinhaltet, dass die Betroffenen selbst in der Lage sind, ihre Stärken und Ressourcen zu mobilisieren, dass sie wie andere Menschen auch nach Unabhängigkeit und Entfaltung streben und sich selbst verwirklichen möchten und können. Im Sinne eines Gesamtkonzeptes spielen auch länger bekannte Paradigmen wie Enthospitalisierung, Normalisierung und Integration eine wesentliche Rolle und verlieren durch die jüngeren Ansätze keineswegs an Bedeutung.
Selbstbestimmt-Leben kann ich mir bei Menschen mit körperlichen Behinderungen und innerhalb einer Infrastruktur, welche die erforderlichen Hilfsangebote bereitstellt, zwar durchaus vorstellen, aber können die damit verbundenen Forderungen und Ziele ohne weiteres auch auf Menschen mit geistiger Behinderung übertragen werden? Was bedeutet Selbstbestimmung genau? Soll jeder alles selbst bestimmen oder gibt es Ausnahmen? Und wie muss ich als Helfer befähigt bzw. professionalisiert sein, um adäquat auf die Betroffenen eingehen zu können?
Diesen Fragen möchte ich mich im Folgenden widmen und herausarbeiten, wie optimale Bedingungen dafür geschaffen werden können, dass auch geistig behinderte Menschen ein möglichst sinnerfülltes und befriedigendes Leben führen können.
Die Arbeit besteht (neben Einleitung und Schluss) aus 3 Themenbereichen. Nach dem Überblick über die Hauptaspekte und Forderungen des Empowerment-Konzeptes, innerhalb dessen die angestrebte Verwirklichung des Selbstbestimmungsgedankens sowohl auf persönlicher als auch auf struktureller Ebenen eine wesentliche Rolle spielt, werde ich im Anschluss daran auf den Begriff der geistigen Behinderung Bezug nehmen und auf die vergangenen und aktuellen Lebensbedingungen von Menschen, die als geistig behindert gelten, eingehen. Darauf aufbauend sollen die bisherigen Überlegungen dann zusammengeführt werden. Es wird um die Frage gehen, wie das Selbstbestimmungsparadigma auf Menschen mit geistiger Behinderung übertragen werden kann und welche bisherigen Errungenschaften und Erfolge in der Praxis bereits zu verzeichnen sind. Um den persönlichen Nutzen dieser Arbeit auch auf die handlungspraktische oder. fachlich-professionelle Ebene auszudehnen, gebe ich im letzten Teil Anregungen dazu, wie sich professionelle Helfer in Bezug auf ihr berufliches Selbstverständnis orientieren sollten und welche Rolle ihnen in der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung zuteil werden muss, um Empowerment und Selbstbestimmung als „neue Kultur des Helfens“ zu fördern und zu unterstützen.
Ich möchte an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass mir die kritische Haltung gegenüber der Bezeichnung "geistig behindert" bekannt ist. Vor allem direkt Betroffene selbst kämpfen dagegen an, was aus dem Forderungskatalog des People First Netzwerkes eindeutig hervorgeht. Trotz der Diskussionen über die als abwertend empfundene Bedeutung des Begriffes, ist er zurzeit der gebräuchlichste; (der Begriff der mentalen Behinderung hat sich in deutschsprachigen Ländern noch nicht durchgesetzt). Ich werde die Bezeichnung in den folgenden Ausführungen verwenden, ohne damit eine Abwertung der Personengruppe zu bezwecken. Ich denke, eine Abwertung hängt von der Intention des Benutzers dieser Umschreibung ab und davon möchte ich mich distanzieren.
II. Das Empowerment-Konzept
1. Begriffsbestimmung
Der Begriff „Empowerment“ stammt aus den USA und kann wörtlich übersetzt werden mit Selbstbefähigung oder auch Selbstermächtigung.[1] Damit bezeichnet werden Entwicklungsprozesse, in deren Verlauf Menschen ihre Ressourcen in einer Art und Weise aktivieren und nutzen können, um ein nach eigenen Maßstäben ´besseres` Leben führen zu können.[2]
Eine bloße Übersetzung ist allerdings unzureichend. Es besteht die Gefahr, den Begriff mit der in der sozialen Arbeit verbreiteten „(Leer)-Formel“ (vgl. GALUSKE 2000, S.264) von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ gleichzusetzen, die in der Praxis im Grunde auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit als Grundlage einer eigenfinanzierten Lebensführung reduziert wird, gleichzusetzen und dadurch wesentliche Merkmale und Zusammenhänge des Empowerment-Konzeptes unberücksichtigt zu lassen.[3] Zudem ist diese Begriffsübersetzung offen für widersprüchliche Interpretationen und ideologische Instrumentalisierungen. HERRIGER beschreibt den Empowerment-Begriff in diesem Zusammenhang als „Begriffsregal, das mit unterschiedlichen Grundüberzeugungen, Werthaltungen und moralischen Prämissen aufgefüllt werden kann.“ (HERRIGER 1997, S.11).
Demzufolge ist die vorhandene Anzahl von Beschreibungsversuchen in der Fachliteratur beachtlich. Um zu verdeutlichen, dass verschiedene Aspekte eine Rolle spielen, habe ich im Folgenden eine beispielhafte Auswahl unterschiedlicher Sichtweisen und Definitionen zusammengestellt:
„Empowerment beschreibt ein Spektrum von politischen Aktivitäten, das vom individuellen Widerstand bis hin zu kollektiven politischen Widerstandsbewegungen reichen kann, die die basale Machtstruktur einer Gesellschaft zu verändern suchen. Eine solche Definition untersucht Empowerment als einen Prozess, der (…) darauf ausgerichtet ist, die Strukturen und Verteilungen von Macht in einem spezifischen kulturellen Kontext zu verändern“ (BROWNE 1995, S.359 zit. n. HERRIGER 1997, S.13)
„Empowerment ist (…) als ein Prozess zu betrachten, in dem Menschen, Organisationen oder Gemeinschaften ihren ökologischen und sozialen Lebensraum gestalten und so mit einschränkenden Bedingungen und problematischen Situationen kreativ und ihren Bedürfnissen gemäß umgehen lernen. Der Blickwinkel richtet sich hier gezielt auf die Ressourcen und Stärken der Menschen, auf ihre Potentiale zur Lebensbewältigung und –gestaltung – auch unter den eingeschränkten Bedingungen des Mangels oder vor dem Hintergrund vielfältiger persönlicher und sozialer Defizite“ (STARK 1996, S.107 f. zit. n. HERRIGER 1997, S. 14)
„Empowerment meint den Prozess, innerhalb dessen Menschen sich ermutigt fühlen, ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen, ihre eigenen Kräfte und Kompetenzen zu entdecken und ernst zu nehmen und den Wert selbsterarbeiteter Lösungen schätzen zu lernen“… Empowerment-Prozesse vollziehen sich in der Regel im Kontext eines „solidarischen Unterstützungszusammenhangs“, der die potentielle Einsamkeit überwindet, in dem Erfahrungen mit adäquaten Bewältigungs- und Normalisierungsstrategien ausgetauscht werden, in dem ein Stück Unabhängigkeit von der übermächtigen Expertenseite, Vertrauen in die eigene Stärke und Kompetenz gewonnen werden kann…“ (KEUPP 1992, S.149 und 152 zit. n. HERRIGER 1997, S. 15)
„Psychosoziale Arbeit im Sinne des Empowerment-Ansatzes muss Bedingungen bereitzustellen versuchen, die es Menschen ermöglichen, sich ihrer ungenutzten, vielleicht auch verschütteten Ressourcen und Kompetenzen (wieder) bewusst zu werden, sie zu erhalten, zu kontrollieren und zu erweitern, um ihre Leben selbst zu bestimmen und ohne expertendefinierte Vorgaben eigene Lösungen für Probleme zu finden“ (WEIß 1992, S. 162 zit. n. HERRIGER 1997, S.16)
Angesichts einer Fülle an verschiedenen Definitionen und Interpretationen erscheint es schwierig, ein kollektives Verständnis von Empowerment entwickeln und es für die psychosoziale Praxis handhabbar machen zu können. Um eine erste Ordnung in der Unübersichtlichkeit verschiedener Definitionsangebote zu schaffen, hat HERRIGER vier begriffliche Zugänge zu einer Definition von Empowerment herausgearbeitet:[4]
(1) Empowerment zielt darauf ab, dass sich Menschen bzw. Gruppen aus dem Zustand einer relativen Machtunterlegenheit zu befreien und so ihren Einfluss auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene vergrößern.[5] Dieser Aspekt bezieht sich also auf eine Umverteilung von politischer Macht durch die Emanzipation von Gruppen und Menschen.[6]
(2) Ein weiterer, lebensweltorientierter Zugang bezieht sich nicht hauptsächlich auf die politische Ebene, sondern verweist auf die grundsätzlich vorhandenen Stärken und Ressourcen von Menschen, um ihren Alltag zu organisieren, Krisen zu bewältigen und ein relativ autonomes Leben zu führen. Durch ihre Kompetenz und Durchsetzungskraft organisieren und gestalten die Menschen ihren Alltag aus eigener Kraft.
(3) In einem reflexiven Sinn ist Empowerment ein Prozess, in dem sich die „ohnmächtigen“ Betroffenen selbständig Macht, Kraft und Gestaltungsvermögen aneignen, um sich von bestimmten Abhängigkeiten zu lösen. Infolgedessen regeln Randgruppen der Gesellschaft ihre Angelegenheiten selbst, werden sich ihrer Fähigkeiten bewusst, entwickeln eigene Kräfte und nutzen soziale Ressourcen.[7] Betont wird in diesem Aspekt der Selbsthilfe die aktive Selbstorganisation der Betroffenen, z.B. in Form von Selbsthilfegruppen oder Unterstützungsnetzwerke.
(4) Ein weiterer Zugang zum Verständnis von Empowerment eröffnet sich in pädagogischer Hinsicht. Im Mittelpunkt steht das Ermöglichen, die Unterstützung und Förderung von Selbstbestimmung durch die bedarfsorientierte Bereitstellung von Ressourcen für ein gelingendes Lebensmanagement. Folglich richtet sich diese Sichtweise an die Mitarbeiter psychosozialer Dienste, deren Aufgabe darin bestehen soll, Prozesse der Selbstgestaltung aktiv zu fördern und zu ermöglichen.[8]
Diese begrifflichen Zugänge umfassen bereits verschiedene Dimensionen und machen dabei auch deutlich, dass in diesem differenzierten Verständnis von Empowerment nicht nur ideologische Überzeugungen und Leitlinien im Mittelpunkt stehen, sondern auch Ansätze für die Praxis abgeleitet werden können. Um eine handhabbare Arbeitsdefinition entwickeln und die Bedeutung des Empowerment fassen zu können, halte ich es für hilfreich, die geschichtliche Entstehung und bisherigen Entwicklung von Empowerment-Bewegungen rückblickend zu betrachten.
2. Historische Skizzen
Die Civil-Rights-Bewegung:
Die Frage nach dem Ursprung des Begriffes Empowerment als Handlungsmodell für die pädagogische und soziale Arbeit wird in der gängigen Fachliteratur übereinstimmend mit einem ersten Auftauchen in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (civil-rights-Bewegung) der 50er und 60er Jahre beantwortet. Die schwarze Minderheitsbevölkerung kämpfte zu dieser Zeit in Form selbstorganisierter und gewaltfreier Initiativen für soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und demokratische und politische Partizipation.[9]
Dieser erstmalig organisierte Widerstand in den 40er Jahren richtete sich gegen die offen-rassistische Politik und Alltagspraxis der Vereinigten Staaten. Als erstes Zeichen eines kollektiven Selbstbewusstseins von Menschen mit dunkler Hautfarbe wird gerne der ´Marsch nach Washington` herangezogen. Dabei wurde für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes und für Mindeststandards in der Sicherheit von Arbeitsverhältnissen demonstriert. Mitte der 50er Jahre folgten direkte Aktionen gewaltfreien Widerstandes z.B. durch „zivilen Ungehorsam“ in Form von Sitzblockaden oder dem Besetzen von Ämtern und verschiedene Programme zur Bewusstseinsbildung und Aufklärung, mit dem Ziel, Schwellen abzubauen und Zugänge zu schaffen, z.B. durch Recht auf Bildung, Gesundheitssicherung und der Teilnahme an Wahlen.[10]
Diese Aktionen dienten in der nachfolgenden Zeit als Vorbild auch für andere Randgruppen und soziale Bewegungen wie z.B. die Frauenrechtsbewegung, aus der dann verschiedene Selbsthilfegruppen hervorgingen, die soziale Netzwerke nutzten und neben einer lokalen Orientierung auch überregional ausgerichtet waren. Sie initiierten selbstorganisierte Hilfen und Dienstleistungen, soziale Nähe, Gemeinschaft und die Ausübung von politischer Einflussnahme. Die Betroffenen sollten kritische Konsumenten sozialer Dienstleistungen sein und aufgrund ihrer Erfahrungen als Experten in eigener Sache gelten.
Die Independent-Living-Bewegung:
Mit der ´independent-living-Bewegung` entstand in den 70er Jahren die erste Selbstbestimmt-Leben-Bewegung von Menschen mit (körperlichen) Behinderungen. Sie forderten eine Veränderung von Umwelt- und Rahmenbedingungen und architektonisch bedingten Barrieren sowie den Abbau sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung durch Fremdbestimmung in allen Lebensbereichen und damit ein höchstmögliches Maß an Selbstbestimmung und autonomer Lebensgestaltung.[11]
Es ist unbestritten, dass diese Bewegung für Menschen mit Behinderung in Bezug auf die Anerkennung von Menschen- und Bürgerrechten, gesellschaftliche Integration und Partizipationsmöglichkeiten beachtliche Erfolge verzeichnen konnte, was mitunter aus einem ungewöhnlich hohen Maß an Zuspruch und Solidarität durch renommierte amerikanische Fachwissenschaftler begründet werden kann. Diese Kooperation zwischen Betroffenen, Angehörigen und Professioneller Fachwelt hat dazu geführt, dass Empowerment in der amerikanischen sozialen Arbeit und Sonderpädagogik heute ein fester und nicht mehr wegzudenkender Bestandteil geworden ist.[12] Zentral bei der praktischen Umsetzung des Selbstbestimmt-Leben-Konzepts ist ein Dienstleistungsverständnis, nach dem die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund stehen und sie im Rahmen einer angebotenen Auswahl verschiedener Dienstleistungen selbst darüber entscheiden, welche davon sie in Anspruch nehmen möchten.[13]
Auch amerikanischen Ursprungs ist die so genannte Gemeindepsychologie, deren Ziel es ist, Hilfsangebote für die maßgeschneiderte Nutzungsmöglichkeit von lebensweltlichen (materiellen, sozialen und kulturellen) Ressourcen bereitzustellen. Im Mittelpunkt stehen Gemeindenähe, Netzwerkförderung und demokratische Partizipation.[14]
Eingebunden in die Bürgerrechtsbewegung entwickelte sich ein Verständnis, wonach Empowerment ein Prozess der Selbstbemächtigung ist, in dem sich Menschen durch kollektive politische Selbstorganisation (Entscheidungs-) Macht verschaffen, um soziale Ungleichheiten auszuräumen. Es geht also aus dieser Sicht um die (Wieder)Herstellung einer politisch ausgerichteten Selbstbestimmung. Jüngere Bewegungen wie die independent-living-Bewegung gehen in ihrem Empowerment-Verständnis noch einen Schritt weiter und verstehen es als tragfähiges Handlungskonzept für eine verberuflichte Soziale Arbeit mit dem Ziel die Selbstgestaltungskräfte anzuregen, zu unterstützend und fördernd zu begleiten und die nötigen Ressourcen dazu bereitzustellen.
3. Zentrale Aspekte
Im Hinblick auf die geschichtliche Entstehung und Entwicklung der Empowerment-Bewegungen werden also zwei Traditionslinien sichtbar: (1) Empowerment als Leitformel einer Politik der Selbstbemächtigung und Selbstbestimmung in Zusammenhang mit Bürgerrechts- und Selbsthilfebewegungen (2) und Empowerment als Leitprinzip zur Entwicklung und Bereitstellung neuer Handlungsmodelle für die professionelle (psycho-)sozialerArbeit,[15] innerhalb derer die professionellen Helfer den Menschen mit der Behinderung nicht mehr nur pflegen, betreuen und erziehen, sondern Prozesse anregen, begleiten und ihm assistieren.
Das Menschenbild der Empowerment-Philosophie gründet nicht mehr auf einer Defizit-Sicht, innerhalb der die Menschen durch professionelle Helfer vordergründig im Lichte von Bedürftigkeit, Mängeln und Hilflosigkeit wahrgenommen werden, sondern Empowerment vollzieht sich auf der Grundlage eines absoluten Vertrauens in die Stärken, Kompetenzen und Fähigkeiten jedes Einzelnen und der Annahme, dass der Mensch grundsätzlich nach Entwicklung und Entfaltung strebt.
Vorausgesetzt wird dabei die grundsätzlich vorhandene Selbstbestimmungsfähigkeit von Menschen – d.h. selbst zu wissen, was für sie am besten ist.[16] Die Ursprünge dieser Perspektive liegen im Selbstbestimmt-Leben-Konzept, welches darauf abzielte, dass möglichst alle Formen von Abhängigkeit und Fremdbestimmung, die durch das institutionalisierte System der Behindertenhilfe überhaupt erst produziert und verstärkt würden, abgebaut werden sollen und sich Betroffene selbst die nötigen Ressourcen für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung selbst zur Verfügung stellen.
Entgegen einiger Interpretationen zielt die grundsätzliche Kritik an den Institutionen aber nicht darauf ab, diese abzuschaffen, sondern es geht darum, dass Betroffene künftig selbst entscheiden, welche Dienstleistungen in Anspruch genommen werden (à Regiekompetenz).[17]
Weil eine allzu einseitige Auffassung von Selbstbestimmung mitunter die Gefahr birgt, dass sie missverstanden wird, wenn sie nur auf die Ich-Perspektive von Individuen bezogen wird und die sozialen und gesellschaftlichen Bezüge dabei nicht berücksichtigt werden,[18] wurden die im Folgenden beschriebenen Bezugswerte formuliert, nach denen sich Selbstbestimmung auf verschiedenen Ebenen vollziehen kann.
4. Ebenen und Bezugwerte
4.1. Individuelle Ebene – Autonomie und Selbstbestimmung
„Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen bedeutet die Kontrolle über das eigene Leben, die auf der Wahl von akzeptablen Möglichkeiten basiert, die das Angewiesensein auf andere beim Treffen von Entscheidungen und der Ausübung von alltäglichen Tätigkeiten minimieren“ (US-amerik. Definition; vgl. OSBAHR 2000, S. 121). Betrachtet man Selbstbestimmung als allgemeines Bürgerrecht, steht sie für die Wahl- und Entscheidungsautonomie von Individuen.
Das kann in der Praxis bedeuten:
[...]
[1] vgl. THEUNISSEN 2002(a), S.178
[2] vgl. HERRIGER 1997, S.11
[3] vgl. GALUSKE 1998, S.264
[4] vgl. HERRIGER 1997, S. 12
[5] vgl. THEUNISSEN 2002(a), S. 178
[6] vgl. HERRIGER 1997, S.12
[7] vgl. THEUNISSEN 2002(a), S.178
[8] vgl. HERRIGER 1997, S. 15
[9] vgl SOLOMON 1976 in THEUNISSEN 2002 (a), S.178
[10] vgl. HERRIGER 1997, S. 20 f.
[11] vgl. THEUNISSEN/PLAUTE 1995 in HERRIGER 1997, S. 26 fff.
[12] vgl. THEUNISSEN 2002(a), S. 178
[13] vgl. OSBAHR 2000, S. 138 f.
[14] vgl. HERRIGER 1997, S. 31
[15] vgl. HERRIGER 1997, S. 16 f.
[16] vgl. THEUNISSEN 1999, S. 104
[17] vgl. OSBAHR 2000, S. 132
[18] vgl. THEUNISSEN 2002, S. 179
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.