Die Kritik an der sozialen Oberschicht in der „Traumnovelle“ und „Eyes Wide Shut“

Ein Vergleich der Orgienszenen


Hausarbeit, 2013

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. „Eyes Wide Shut“ – Übersetzung oder Adaption?

III. Die Kritik an der sozialen Oberschicht und ihre Umsetzung in beiden Werken
1. Männer / Frauen
2. Fahrt zur Orgie
3. Raum
4. Farbensymbolik
5. Musik

IV. Resümee

V. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Schon in den 60er Jahren trug sich Stanley Kubrick mit der Idee, die Traumnovelle (1926) Arthur Schnitzlers zu verfilmen. Zur Realisierung dieses Projekts kam es dann aber erst in den 90er Jahren, genauer gesagt im Jahre 1994, als die Arbeiten an dem Drehbuch zu Eyes Wide Shut [1] begannen. Zuvor war Kubrick zwischen vielen anderen Ansätzen für diesen Film geschwankt, mal komödiantischer, mal historischer Natur. Er entschied sich jedoch letztlich für eine ernste Ausführung und versetzte das Geschehen der Traumnovelle in das New Yorks der 90er Jahre. Diese Entscheidung erschien erst risikoreich, da die Übertragung des Stoffes in die neuere Zeit wegen des Themas der ehelichen Treue überholt zu sein schien. Der Film spielt jedoch mit den beständigen Problemen der Menschen, die heute wie damals immer noch die Welt von Mann und Frau erschüttern und zeigt sie im neuen Licht der Erkenntnisse von Biologie und Medizin. So zum Beispiel die Prostituierte Domino, die nicht wie in der literarischen Vorlage[2] eine unbestimmte Geschlechtskrankheit hat, sondern AIDS.[3]

Was sich jedoch sowohl bei Schnitzler, als auch bei Kubrick finden lässt, ist – neben dem Aufzeigen der eben genannten Probleme und Anklängen der Traumanalyse – eine harsche Kritik an der sozialen Oberschicht, die sich natürlich aufgrund der versetzten Raum- und Zeitgegebenheiten ebenfalls verändert hat. So setzt sich diese Oberschicht in der Traumnovelle vorwiegend aus Adel und hochrangigem Militär zusammen, während in Eyes Wide Shut die High Society Manhattans, also vor allem die reiche, kapitalistisch denkende Schicht, diese bildet.

Im Folgenden soll es nun um eine Aufschlüsselung dieser Kritik gehen, die sich in mannigfaltiger Art in beiden Werken präsentiert. Dabei soll vor allem darauf geachtet werden, wie Kubrick in Eyes Wide Shut die in der Traumnovelle vorhandene Gesellschaftskritik im Hinblick auf die veränderte Zielgruppe übertragen hat. Zu diesem Vergleich sollen die Orgienszenen beider Werke herangezogen werden, da sich in ihnen diese Kritik am deutlichsten zeigt.

Die andere, nach der Vorlage benannte Verfilmung der Traumnovelle des Regisseurs Wolfgang Glück von 1969 bleibt in dieser Arbeit unberücksichtigt, da sich die Arten der Übertragung von Literatur zu Film am Beispiel von Eyes Wide Shut sehr viel anschaulicher darstellen lassen. Glücks Verfilmung versucht sich nämlich an einer genauen „Übersetzung“, während Eyes Wide Shut sich nicht nur in der Orientierung an einem literarischen Stoff erschöpft, sondern auch eigene Interpretationsmöglichkeiten bietet. Eine genauere filmtheoretische Einordnung Eyes Wide Shut s soll im Folgenden ebenfalls vollzogen werden.

II. „Eyes Wide Shut“ – Übersetzung oder Adaption?

Der Begriff Literaturverfilmung wird seit je her kritisch gesehen. Da Eyes Wide Shut allerdings eine solche ist, soll im Folgenden der Begriff an sich erst näher erläutert werden, bevor es um den genaueren Umgang des Films mit seiner Vorlage gehen soll.

Franz-Joseph Albersmeier meint zur Begrifflichkeit in „Literaturverfilmungen“, man müsse eigentlich von einer „filmischen Adaption literarischer Texte“[4] und nicht von Literaturverfilmungen sprechen, allerdings hat sich dieser Begriff schon eingebürgert, so soll er auch in dieser Arbeit weiterhin verwendet werden. Nun gliedert Albersmeier die Literaturverfilmungen in die „Adaptation bzw. Adaption, Transposition bzw. Transformation, Umwandlung oder auch Bearbeitung“.[5] In dieser Arbeit verwende ich seine Begriffe „Adaption“ und „Transposition“ (auch: „Übersetzung“), wobei der erste einen freieren Umgang mit der Literaturvorlage beinhaltet, also eine „offene Form“[6] ist, der letztere für eine genaue Übertragung dieser in das Medium Film durch „Werktreue“ steht.

Der Begriff „Werktreue“ wird von der neueren filmtheoretischen Literatur sehr kritisch gesehen. An sich ist er nicht sinnlos, jedoch reicht er in den meisten Fällen nicht aus. So bringt Albersmeier das Beispiel von Eric Rohmers Verfilmung der Erzählung Kleists, „Die Marquise von O…“, die trotz des Bemühens des Regisseurs und der wörtlichen Übernahme der Dialoge eine Reinterpretation wurde.[7] Anne Bohnenkamp schreibt in ihrem Beitrag zu Literaturverfilmungen, dass die „Behältertheorie“, also das „adäquate“ Übertragen eines Stoffes von Literatur zu Film unter Berücksichtigung von „Treue“ zum Werk und „Lesbarkeit“[8] nun als überholt gilt, die aktuelleren „übersetzungstheoretischen Konzeptionen im Umfeld dekonstruktivistischer Text- und Sprachtheorie“ stellen nicht mehr den Aspekt des Verlusts durch Verfilmung in den Vordergrund, sondern den Aspekt der Bereicherung, so wird die Verfilmung als „Antwort, Echo oder Fortsetzung“ gesehen.[9]

Bohnenkamp gibt auch Untersuchungsebenen für einen Vergleich von Literatur und ihrer Verfilmung an, aufgrund derer sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausstellen lassen. Diese Ebenen sind Story, Handlung, Plot oder Aussage/Botschaft im Hinblick auf die Darstellungsverfahren und Vermittlungsformen.[10] In dieser Arbeit soll es um letzteres gehen, also eine semiotische Analyse des Films.

Nun zu Eyes Wide Shut im Speziellen. Obwohl er sehr nah am Plot bleibt (sogar manche Dialoge wurden unverändert übernommen), geht der Film an manchen Stellen doch auch recht frei mit der Geschichte um. Am besten sieht man dies an der komplett neuen Einführung des Millionärs Ziegler als Figur in der Geschichte.[11] Zur genauen Beurteilung, wie nah oder weit entfernt von der Vorlage sich Eyes Wide Shut befindet, müssen die filmischen Mittel betrachtet werden, die eine Übertragung von literarischen Mitteln gewährleisten können.

Die Traumnovelle ist ein schwer zu übertragendes Buch, da darin viele eigentlich nicht darstellbare Emotionen Fridolins beschrieben werden, wie z.B. „Er lachte wieder und kannte sein Lachen nicht“[12].

Kubrick benutzt für die Übertragung von Gedanken und Gefühlen in den Film z.B. die Schwarz-Weiß-Szenen von Alice, wie sie mit dem Marineoffizier schläft und stellt damit die inneren Vorstellungen Bills visuell (und metaphorisch) dar. Auch kommen Wiederholungen bestimmter handlungstragender Sätze immer wieder vor, die der Charakter in seinem Inneren hört. Hier wird die Methode der Stimme aus dem Off in Eyes Wide Shut angewandt. Die Gelegenheit einer exzessiveren Nutzung dieser Methode durch Gedanken des Protagonisten, die eine Stimme aus dem Off dem Zuschauer hörbar macht oder auch Selbstgespräche von Charakteren, nimmt Kubrick in Eyes Wide Shut jedoch nicht wahr. Zwei weitere Methoden gibt es, die Kubrick nicht einsetzt: Zum einen können Erzählerstimmen oder Charaktere die Gefühle eines anderen erklären, zum anderen „verraten“ Charaktere ihre Gefühle mit Überreaktionen auf nicht funktionierende Vorgänge oder andere Schwierigkeiten. In Eyes Wide Shut könnte diese letzte Methode jedoch gar nicht angewandt werden, da alles perfekt funktioniert. Es gibt keine Stürme, keinen Regen, keine Schneefälle, über die sich jemand aufregen könnte. Es geht einfach alles seinen gewohnten Gang.[13]

So kann im Film niemand in die Köpfe der Charaktere hineinsehen. Auch die Stelle, als Bill den Offizier mit seiner Frau beim Liebesspiel imaginiert, gibt uns keinen wirklichen Rückschluss auf seinen genauen Gefühle dabei, also ob er verstört, verärgert oder gleichgültig ist.[14] Nur in den schauspielerischen Ausdrücken, z.B. dem hohen Lachen Nicole Kidmans in der Szene im Hause Harford finden sich Ausdrücke des Innenlebens der Charaktere wieder.[15]

Resümierend lässt sich also feststellen, dass Kubrick stark in Schnitzlers Vorlage eingreift, indem er dem Rezipienten größtenteils keinen Einblick in die Gefühlswelt der Charaktere gewährt und den Schauplatz der Geschichte vom Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts in das New York der 90er Jahre verlegt. Somit muss Eyes Wide Shut als Literaturverfilmung der Adaption zugeordnet werden, auch wenn die teilweise übernommenen Dialoge und das Festhalten am Plot der Traumnovelle für keine von der Vorlage beinah losgelöste Adaption sprechen, wie es zum Beispiel bei dem Film „Werther“ (2008) von Uwe Janson der Fall ist, der auf Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) basiert.[16]

III. Die Kritik an der sozialen Oberschicht und ihre Umsetzung in beiden Werken

1. Männer / Frauen

Die Zugehörigkeit der Teilnehmer der Orgie zur sozialen Oberschicht wird – zumindest größtenteils – sowohl in der Traumnovelle, als auch in Eyes Wide Shut recht deutlich, trotz der Masken, die sie alle tragen.

In der Traumnovelle entlarvt Fridolin in Gedanken die männlichen Teilnehmer: „Eine geheime Gesellschaft? Nun ja, jedenfalls geheim. Aber untereinander kannten sie sich doch? Aristokraten, vielleicht gar Herren vom Hof? Er dachte an gewisse Erzherzöge, denen man dergleichen Scherze schon zutrauen konnte.“[17] Dass die Frauen dort jedoch ebenfalls aus dieser Schicht stammen, kann man aus der Erzählung der mysteriösen Warnerin Fridolins herauslesen, die von einem schönen Mädchen „aus fürstlichem Hause“[18] berichtet, dem auf einer Orgie der Geheimen Gesellschaft der Schleier vom Gesicht gerissen wurde und das sich daraufhin vergiftete.

[...]


[1] Aus Gründen der Veranschaulichung soll im folgenden Text auf die Anführungszeichen bei den Werktiteln der Traumnovelle und Eyes Wide Shut verzichtet werden.

[2] In der Traumnovelle heißt diese Prostituierte Mizzi.

[3] Chion, Michael: Eyes Wide Shut, London 2002, S. 16

[4] Albersmeier, Franz-Josef: Einleitung: Von der Literatur zum Film. Zur Geschichte der Adaptionsproblematik, In: Albersmeier, Franz-Josef (Hrsg.) / Roloff, Volker (Hrsg.): Literaturverfilmungen, Frankfurt am Main 1989, S.15 – 37, hier: S. 35 f.

[5] Ebd, S. 35

[6] Ebd. S. 19

[7] Ebd, S. 18

[8] Bohnenkamp, Anne: Literaturverfilmung als intermediale Herausforderung, In: Lang, Tilman (Hrsg.) / Bohnenkamp, Anne (Hrsg): Literaturverfilmungen. Interpretationen, Stuttgart 2005, S.9 – 40, hier: S. 24

[9] Ebd., S. 26

[10] Ebd., S. 34

[11] Chion: Eyes Wide Shut, S. 18

[12] Schnitzler, Arthur: Traumnovelle. Mit einem Nachwort von Hilde Spiel, Berlin 1976, S. 67

[13] Chion: Eyes Wide Shut, S. 22 f.

[14] Ebd., S. 23

[15] Ebd., S. 27

[16] Bartetzko, Dieter: Bleib mir weg mit dem schönen Drama, faz.de, online im Internet: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/goethes-werther-verfilmt-bleib-mir-weg-mit-dem-schoenen-drama-1694997.html, zuletzt aufgerufen am 13.4.2013

[17] Schnitzler: Traumnovelle, S. 105

[18] Ebd., S. 68

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Kritik an der sozialen Oberschicht in der „Traumnovelle“ und „Eyes Wide Shut“
Untertitel
Ein Vergleich der Orgienszenen
Hochschule
Universität Augsburg  (Neuere deutsche Literatur)
Veranstaltung
Literatur und Film
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
22
Katalognummer
V224319
ISBN (eBook)
9783656445395
ISBN (Buch)
9783656446392
Dateigröße
25849 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eyes wide shut, traumnovelle, orgie, kritik, oberschicht, schnitzler, kubrick, film, literatur
Arbeit zitieren
Julian Schumertl (Autor:in), 2013, Die Kritik an der sozialen Oberschicht in der „Traumnovelle“ und „Eyes Wide Shut“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/224319

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