Ciceros Staatsverständnis. Res publica und populus im Dienste der Gerechtigkeit


Seminararbeit, 2003

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Definition des Staates
2.1 Ciceros Definition der res publica
2.2 Moderner Staat und römische res publica
2.3 Definition und Ursprung des Volkes

3 Analyse der Verfassungen
3.1 Die drei Einzelverfassungen und Ciceros Kritik
3.2 Die beste der drei Einzelverfassungen
3.3 Mischverfassung als beste Verfassung
3.4 Die römische Mischverfassung
3.5 Gefährdung der Stabilität der Mischverfassung

4 Der Staatsmann
4.1 Wesen des Staatsmannes
4.2 Aufgabe des Staatsmannes

5 Fazit und Ausblick

6 Bibliografie
6.1 Quellen
6.2 Literatur

1 Einleitung

Ciceros Schriften wurden in der Literatur unter verschiedensten philosophischen und philologischen Gesichtspunkten bereits ausführlich erörtert[1]. Der vorliegende Beitrag möchte einen Überblick über sein Verständnis von Staat, Volk und Staatsmann liefern und schließlich aufzeigen, dass dieses Verständnis weniger formal bestimmt ist als vielmehr von seinem Inhalt in Bezug auf den gerechten Sinn des Staates.

Dabei wird die Darstellung einer Biografie bewusst ausgeklammert: Sie müsste sinnvollerweise einen Bezug zwischen Leben und Werk herstellen, was in diesem Rahmen nicht leistbar ist.[2] Es sei hier nur erwähnt, dass der Theoretiker, Redner und Politiker Cicero sein Leben in den Dienst des römischen Staates stellte. Ebenso erfährt die Anthropologie Ciceros keine eigenständige Beachtung, sie mag jedoch im erörterten Thema anklingen. Auch die äußerst komplizierte Frage nach Quellen und Vorbildern soll nicht näher diskutiert werden, zumal um sie eine große Forschungskontroverse besteht[3] und erschwerend hinzu kommt, dass die Werke, die Cicero vermutlich geprägt haben, verloren und daher nicht bekannt sind.

Es sei noch auf weitere Schwierigkeiten bei der Interpretation von De re publica, dem zentralen Werk für Ciceros Staatsverständnis, hingewiesen: Es ist nur unvollständig überliefert und weist auch an zentralen Stellen Lücken auf. Seine späte Entdeckung im Jahr 1822 verhinderte eine jahrhundertelange Diskussion durch andere große Denker.[4]

Um Ciceros Vorstellung von Staat verständlich zu machen, werde ich nun zuerst seine Definition des Gemeinwesens, der res publica, und einige Unterschiede zum modernen Staatsbegriff darstellen. Untrennbar damit verbunden ist die Erläuterung seines Volksbegriffes. Im Anschluss erfolgt eine Darstellung der Verfassungsanalyse Ciceros: von seiner Kritik an den drei Einzelverfassungen über den Verfassungskreislauf bis zur Bevorzugung der Mischverfassung. Abschließend werden die Aufgaben des Staatsmannes und die zu ihrer Erfüllung notwendigen Fähigkeiten und Eigenschaften aufgezeigt.

2 Definition des Staates

2.1 Ciceros Definition der res publica

Cicero beginnt seine Definition mit der etymologisch begründeten Gleichsetzung von res publica und res populi: „Es ist also [...] das Gemeinwesen [ res publica ] die Sache des Volkes [ res populi ]“.[5] Diese Gleichung ist programmatisch für Cicero: Alle Bürger sind zum Dienst für den Staat verpflichtet[6] und in ihrer Gesamtheit als Volk artikuliert sich das Gemeinwesen. So tritt nie die res publica als Rechtssubjekt auf, sondern stets das römische Volk, der populus Romanus. Er ist es, der den persönlichen Charakter der res publica repräsentiert. Personale Bürgergemeinschaft und Gemeinwesen sind aber nicht einfach dasselbe: Die res publica ist - im Gegensatz zur res privata, der Angelegenheit eines einzelnen - die Gesamtheit der Interessen des Volkes und damit ein abstrakter Begriff.[7] Diese dingliche Seite der Definition kommt in dem Wort res zum Ausdruck, was so viel wie Sache bedeutet.[8] Es ist also eine Abstraktion, die von der Vielheit der einzelnen Bürger zur übergeordneten Einheit des Gemeinwesens führt. Daher „findet sich die doppelte Bezeichnung des populus als Gesamtheit der Bürger und der res publica als der unsichtbaren Einheit des gemeinen Wesens“[9].

2.2 Moderner Staat und römische res publica

Der populus steht also im Mittelpunkt ciceronianischer und römischer Staatstheorie: Während nach der modernen Theorie ein Staat aus den Elementen Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt besteht, haben sich die Römer auf das Element des Volkes beschränkt. Die anderen Elemente werden behandelt wie „nur eine Art Zubehör“[10]. Der lokale Verband spielt kaum eine Rolle: Das römische Recht galt dort, wo sich römische Bürger befanden, auch wenn dieser Ort außerhalb Roms lag, während es umgekehrt keine Gültigkeit für Fremde auf römischem Boden besaß. Land spielte eher als Eigentum der Bürger eine Rolle. Das Element der Staatsgewalt spiegelte sich in der Amtsgewalt der Magistrate wieder, deren Entscheidung, deren consilium, war jedoch – wie später gezeigt wird – eng an den Gedanken der Gerechtigkeit und damit an die Interessen des Volkes geknüpft.

Diese Unterschiede zur heutigen Staatstheorie erklären, warum es problematisch ist die Ausdrücke res publica und Staat gleichzusetzen: Zum einen enthält der moderne Staat Aspekte, die nicht zur res publica gehören. Büchner spricht von der ihr als „Lebensbegriff, den mit Staat zu übersetzen [...] hieße, unsere Begrifflichkeit absolut zu setzen und damit Dinge in die res publica hineinzutragen, die ihr fremd sind.“[11] Andererseits geht die Bedeutung von res publica über die von Staat hinaus: „ Res publica – oft pflegen wir es mit `Staat´ zu übersetzen, und das kommt dem Richtigen oft nahe, erschöpft den Begriff aber keineswegs.“[12] Die Abweichungen sind im wesentlichen darin begründet, dass eben das Volk entscheidendes Element ist: Die res publica ist nicht in dem Maße entpersönlicht wie der moderne Staat, der dem Individuum als unsichtbare Machtinstanz gegenübertritt. Der Leser hat dies zu bedenken, wenn die Begriffe Staat und res publica im Folgenden synonym verwendet werden.

2.3 Definition und Ursprung des Volkes

Was aber ist nun dieses so zentrale Volk? Cicero definiert es als Rechts- und Interessengemeinschaft: „[...] ein Volk aber [ist] nicht jede irgendwie zusammengescharte Ansammlung von Menschen, sondern die Ansammlung einer Menge, die in der Anerkennung des Rechtes [ iuris consensu ] und der Gemeinsamkeit des Nutzens [ utilitatis communio ] vereinigt ist.“[13]

Zum Zweck der Interessengemeinschaft gehört die Sicherung von Körper und Leben sowie von Privateigentum[14]. Diese Aspekte treten jedoch in den Hintergrund, wenn Cicero im Laufe seines Werkes De re publica der Rechtsgemeinschaft wesentlich mehr Beachtung schenkt. Sie entsteht nicht nur durch gemeinsame Bürgerrechte, sondern vor allem durch eine übergeordnete Rechtsordnung in Anlehnung an den Gerechtigkeitsgedanken des Naturrechts: Nicht die Existenz gemeinsamer Rechte ist entscheidendes Kriterium für eine res publica sondern allein der gerechte Inhalt der Gesetze.[15]Iuris consensu geht also nicht so sehr auf die Gesetzgebung, sondern auf ein Bewusstsein und die gegenseitige Anerkennung von Recht und Gerechtigkeit überhaupt.“[16] Positive Gesetze und Naturgesetz sind untrennbar verbunden. Offen bleibt allerdings die Frage nach der faktischen Geltung eines Gesetzes, das nicht dem Naturrecht entspricht und daher ungerecht ist.[17]

Die von Cicero geforderte Gerechtigkeit wird verwirklicht durch ratio, durch Vernunft, die Inbegriff des Naturgesetzes ist: „Es ist aber das wahre Gesetz die richtige Vernunft, die mit der Natur in Einklang steht, sich in alle ergießt, in sich konsequent, ewig ist.“[18] Der Mensch kann sich diesem Gesetz nicht entziehen oder es außer Kraft setzen, wer ihm nicht gehorcht, verleugnet das Wesen des Menschen. Dabei versteht sich ratio „nicht als ein hinter und über den Dingen unverrückbar feststehendes Idealbild [...], sondern als ein menschlicher Geschichte immanentes Prinzip, das auf Perfektion drängt und einen Ausgleich zwischen Lebensnotwendigkeiten und höherem Sinn möglichst großer Selbstverwirklichung in Gemeinschaft, Freiheit und Gerechtigkeit anstrebt.“[19]

Der Ursprung dieser Gerechtigkeit liegt im natürlichen Gemeinschaftstrieb der Menschen.[20] Er bildet gleichzeitig den Ursprung des Staates: „Ihr erster Beweggrund aber zusammenzukommen, ist nicht so sehr die Schwäche als eine sozusagen natürliche Geselligkeit der Menschen; ist doch diese Gattung nicht einzellebend und einzelgängerisch [...]“[21] Mit dieser Aussage wendet sich Cicero mit Aristoteles von der Vorstellung Platons und Polybios´ ab, das Antriebsmoment menschlicher Gemeinschaft läge in der Schwäche des Einzelnen, der sich wegen seines Eigennutzens mit anderen zusammenschließt.[22] Statt dessen wird der Mensch als animal sociale betrachtet, dessen Natur es entspricht in Gemeinschaft zu leben.[23]

Damit das so entstandene Gemeinwesen überdauern kann, bedarf es ständig des consilium, der politisch klugen Lenkung.[24] Dieses consilium muss auf den Ursprung des Staates, auf die Gerechtigkeit, bezogen sein.[25] Sie sorgt dafür, dass jeder gemäß seiner dignitas, seiner Würde, am consilium beteiligt wird und bewirkt so concordia ordinum, Eintracht der Stände, und politische Stabilität.[26] Als Gefährdung für das dauerhafte Bestehen des Gemeinwesens – Cicero spricht von Ewigkeit – erscheint die Verletzung des Vernunftgesetzes: Handeln die Menschen wider ihre Natur, wird die res publica zerstört. Ihr Ende gleicht einem Weltuntergang.[27]

Im Vordergrund steht also „die philosophische Idee der Gerechtigkeit [...], die das ganze Staatsleben durchdringen muß, weil dies allein der Natur des Menschen entspricht und der Gesamtheit die Eudämonie gewährleistet.“[28] Es ist die Verwirklichung der vernünftigen Menschnatur, die zu einem friedlichen und glücklichen Zusammenleben in einem stabilen Staat führt.

[...]


[1] Einen kleinen Überblick liefert: Peter L. Schmidt: Cicero „De re publica“. Die Forschung der letzten fünf Dezennien, in: Hildegard Temporini (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung, Band 4, Berlin/ New York 1973.

[2] Als exemplarisch für diesen Versuch seien genannt: Matthias Gelzer: Cicero. Ein biographischer Versuch, Wiesbaden 1969; Marion Giebel: Marcus Tullius Cicero. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 11 1997; Friedrich Klinger: Cicero, in: ders.: Römische Geisteswelt, München 5 1965, S. 110-159.

[3] Beispielsweise: Viktor Pöschl: Römischer Staat und griechisches Staatsdenken bei Cicero. Untersuchungen zu Ciceros Schrift De re publica, Darmstadt 1976. Kritisch dazu: Pierre Boyancé: Études sur l'humanisme Cicéronien, Brüssel 1970, S. 222-247.

[4] Andere Probleme der Interpretation vgl.: Karl Büchner: De re publica. Kommentar, Heidelberg 1984, S. 15-20.

[5] Marcus Tullius Cicero: De re publica, I 39. Hier wie im Folgenden zitiert nach: Karl Büchner: De re publica. Vom Gemeinwesen, lat./ dt., Stuttgart 2001.

Dies ist nicht die einzige jedoch die zentrale und bedeutendste Definition der res publica durch Cicero, weshalb ich mich auf sie konzentriere. Einen Überblick über weitere Stellen, an denen Cicero res publica definiert, liefert: Hans Drexler: Res publica, in: Maia. Rivista di letterature classiche, Bologna Jg. 9 (1957), S. 270-271.

Zum Wandel von Ciceros Staatsverständnis siehe: Richard Heinze: Ciceros „Staat“ als politische Tendenzschrift, in: ders.: Vom Geist des Römertums. Ausgewählte Aufsätze, Darmstadt 3 1960, S. 148-152.

[6] Vgl.: Marcus Tullius Cicero: De officiis. Vom rechten Handeln, lat./ dt., übersetzt und hrsg. von Karl Büchner, Zürich 4 1994, I 71-73.

[7] Vgl.: Ernst Mayer: Römischer Staat und Staatsgedanke, Zürich 4 1975, S. 250-251.

[8] Auf die äußerst vielseitige Verwendbarkeit dieses Wortes sei hier nur hingewiesen, näheres vgl.: Drexler: Res publica (wie Anm. 5), S. 249-250.

[9] Ulrich von Lübtow: Das römische Volk. Sein Staat und sein Recht, Frankfurt 1955, S. 474.

[10] Ebd., S. 470.

[11] Büchner: Kommentar (wie Anm. 4), S.14.

[12] Richard Heinze: Von den Ursachen der Größe Roms, in: ders.: Vom Geist des Römertums. Ausgewählte Aufsätze, Darmstadt 3 1960, S. 12-13.

[13] Cicero: De re publica, I 39.

[14] Vgl.: Cicero: De officiis, II 73.

[15] Vgl.: Cicero: De re publica, III 43.

[16] Karl Büchner: Die beste Verfassung, in: ders.: Studien zur römischen Literatur II, Wiesbaden 1962, S. 79.

Die Betonung des Inhalts von Gesetzen findet sich auch in Ciceros Werk De legibus, vgl.: Konrat Ziegler: Cicero. Staatstheoretische Schriften, lat./ dt., Berlin 4 1988, .

[17] Vgl.: Cicero: De legibus, II 13-14.

[18] Cicero: De re publica, III 33.

[19] Karl Büchner: Das neue Cicerobild. Der Denker Cicero, in: ders. (Hrsg.): Das neue Cicerobild, Darmstadt 1971, S. 22.

[20] Vgl. Cicero: De re publica, I 41; Cicero: De legibus, I 43.

[21] Cicero: De re publica, I 39.

[22] Diese Meinungsabgrenzung mag ein Grund dafür sein, warum Cicero in seinen Betrachtungen den Aspekt der Interessengemeinschaft weniger beachtet als den der Rechtsgemeinschaft.

[23] Cicero betont dies immer wieder in seinem Werk De officiis, vgl.: I 157, I 158, auch I 12, I 153, III 21.

[24] Vgl.: Cicero: De re publica, I 41.

[25] Vgl.: Theo Mayer-Maly: Gemeinwohl und Naturrecht bei Cicero, Wien 1960, in: Büchner, Karl (Hrsg.): Das neue Cicerobild, Darmstadt 1971, S. 371-387.

[26] Vgl.: Cicero: De re publica, II 69, auch I 43.

[27] Vgl.: Ebd., III 34.

[28] Max Pohlenz: Cicero. De re publica als Kunstwerk, in: ders.: Kleine Schriften II, Hildesheim 1965, S. 396.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Ciceros Staatsverständnis. Res publica und populus im Dienste der Gerechtigkeit
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für wissenschaftliche Politik)
Veranstaltung
Proseminar: Klassiker der Staatsphilosophie. Politik - Gesellschaft - Staatsmodelle
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V22642
ISBN (eBook)
9783638259248
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ciceros, Staatsverständnis, Dienste, Gerechtigkeit, Proseminar, Klassiker, Staatsphilosophie, Politik, Gesellschaft, Staatsmodelle
Arbeit zitieren
Magistra Artium Eva Christensen (Autor:in), 2003, Ciceros Staatsverständnis. Res publica und populus im Dienste der Gerechtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22642

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