Das Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation Homosexueller in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft von der christlich-theologischen Zwangsjacke des Hochmittelalters über Renaissance, Reformation und Humanismus zur säkularisierten und zumindest teil- und zeitweise aufgeklärten Denkart des 19. Jahrhunderts entwickelte. Die Institutionalisierung der weltlichen Strafverfolgung und -gerichtsbarkeit sowie der einhergehenden Zurückdrängung der kirchlichen Inquisition spielen ebenso eine Rolle wie die Umwandlung der gesellschaftlichen Normen von der scholastischen Sexualtheologie hin zur reformierten puritanisch-naturrechtlichen Moralvorstellung.
Es zeigt sich, dass gleichgeschlechtliche Neigungen einerseits seit der Urzeit zur menschlichen Natur dazugehören und auftreten, und andererseits diese privateste und ursprünglichste, weil den menschlichen Fortpflanzungs- und Zuneigungswunsch betreffende Normabweichung verfolgt, gefürchtet, oder zumindest (wie in der Antike) in bestimmte kontrollierbare Bahnen gelenkt und dezent verschwiegen wurde.
Die Darstellung der gesellschaftlichen Möglichkeiten zum Ausleben homosexueller Neigungen in der frühen Neuzeit ist ein Unterfangen, das noch gezielterer Forschungsarbeit bedarf. Die moralischen und juristischen Normentwicklungen, zumindest die der obrigkeitlichen, verschaffen uns leider noch keinen Einblick, wie es jenseits der Gerichtssäle und des öffentlichen Raumes aussah. Abgesehen von der Erwähnung vom kriminellen Umfeld von Sodomitern in Regensburg und Andeutungen von zaghaften Vernetzungen von Sodomitergruppen findet sich leider fast nichts über die Alltagswirklichkeit Homosexueller im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Lohnend sollte es auf jeden Fall sein, denn wie sich gezeigt hat, war nicht das „dunkle Mittelalter“ die Zeit der schlimmsten Verfolgung und Ächtung Homosexueller, sondern danach, während der Reformation und Ausbildung des angeblich so liberalen Bürgertums und modernen Staates, geschahen die schlimmsten Verfolgungen, Folterungen und Ermordungen gleichgeschlechtlich L(i)ebender bis zu den Gräueln des Naziregimes.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Forschungssituation
- Zur Abgrenzung des Begriffs „Homosexualität“
- Christliche Sexualmoral und weltliches Sittlichkeitsrecht
- Die Säkularisierung des moralischen und juristischen Disputes über „Sodomiter“ im 18. Jahrhundert
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation Homosexueller in der frühen Neuzeit, einer Epoche, die von einem Wandel vom christlichen Dogma des Hochmittelalters hin zu einer säkularisierten und aufgeklärten Denkweise im 19. Jahrhundert geprägt war. Sie untersucht die Institutionalisierung der weltlichen Strafverfolgung und die zunehmende Zurückdrängung der kirchlichen Inquisition, sowie die Veränderung der gesellschaftlichen Normen von der scholastischen Sexualtheologie hin zur reformierten, puritanisch-naturrechtlichen Moralvorstellung.
- Die Entwicklung der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation Homosexueller in der frühen Neuzeit
- Der Einfluss der christlich-theologischen Zwangsjacke des Hochmittelalters auf die Wahrnehmung von Homosexualität
- Die Rolle der Säkularisierung und der Institutionalisierung der weltlichen Strafverfolgung
- Die Veränderung der gesellschaftlichen Normen von der scholastischen Sexualtheologie zur reformierten Moralvorstellung
- Die Bedeutung von Devianz und Kriminalität in der frühen Neuzeit
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt den historischen Kontext der Arbeit dar und beschreibt die aktuelle Debatte über die Legitimation der Homo-Ehe in Deutschland. Sie verdeutlicht, dass auch nach der Streichung des Paragraphen 175 aus dem Strafgesetzbuch noch immer weit verbreitete christlich-moralische Wertvorstellungen und Ängste gegenüber Homosexualität bestehen. Die Arbeit zielt darauf ab, die rechtliche und gesellschaftliche Situation Homosexueller in der frühen Neuzeit zu beleuchten.
- Die Forschungssituation: Dieses Kapitel analysiert den Forschungsstand zur Geschichte der Homosexualität und stellt fest, dass ein Mangel an wissenschaftlichen Arbeiten zur frühen Neuzeit besteht. Die bestehende Literatur befasst sich entweder mit dem Mittelalter oder dem 19. Jahrhundert, wobei die rechtliche und gesellschaftliche Situation Homosexueller in der frühen Neuzeit kaum untersucht wurde. Die Arbeit argumentiert, dass eine umfassende Untersuchung dieses Zeitraums notwendig ist, da das Mittelalter und die frühe Neuzeit nicht unter randgruppenspezifischen Aspekten voneinander getrennt werden können.
- Zur Abgrenzung des Begriffs „Homosexualität“: Dieses Kapitel setzt sich mit der Begriffsgeschichte von Homosexualität auseinander und beleuchtet die Problematik der Begriffsbestimmung gleichgeschlechtlicher Menschen und deren Verhalten. Es stellt die Frage, inwieweit sich das Verständnis von gleichgeschlechtlicher Sexualität und Verhalten vom späten Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert verändert hat.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Homosexualität, Devianz, Kriminalität, Sexualmoral, Strafverfolgung, Säkularisierung, frühe Neuzeit, mittelalterliche Sexualtheologie, reformierte Moralvorstellung, Sodomie, Knabenschänderei.
- Quote paper
- Robert Rädel (Author), 2002, Homosexualität in der frühen Neuzeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22726