Der § 1 der 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre' kann als Fokus jenes Denkens gelten, das die programmatische Bezeichnung einer "Grundsatzphilosophie" trägt. Ist es doch der Grundsatzcharakter selbst, der hier zum Grundsatz erhoben wird. Wie aber muss ein systembegründender Grundsatz beschaffen sein?
Fichtes 'Begriffsschrift' nimmt ihren Ausgang bei dem Postulat, es müsste in einer Wissenschaft "mindestens Ein Satz gewiss seyn, der etwa den übrigen seyne Gewissheit mittheilte". Doch wird diese erste Bedingung noch erweitert: Der aufzustellende Grundsatz "kann seine Gewißheit nicht erst durch die Verbindung mit den übrigen erhalten, sondern muss sie vor derselben vorher haben." Erst "ein solcher vor der Verbindung vorher und unabhängiger von ihr gewisser Satz heisst ein Grundsatz".
Sofern ein Grundsatz der absolut-erste eines Denksystems sein soll, muss er demnach nicht nur Gewissheit, sondern unbedingte, ja, schlechthin unbedingte Gewissheit vermitteln. Dieses letztgültig zu leisetn, stellt sich der § 1 der 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre' zur Aufgabe:
"Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen. Beweisen oder bestimmen läßt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz sein soll."
Es liegt notwendig im Begriff der Unbedingtheit, unmittelbar gewiss, nicht deduzierbar, lediglich auffindbar zu sein, denn ein Grundsatz, der sich begründen ließe, wäre nicht Grund-, sondern bereits Folgesatz und somit bedingt. Nun soll der gesuchte Grundsatz eine "Tathandlung" ausdrücken, und zwar eine solche, "die unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewußtseins nicht vorkommt". Auch dies ist eine zwingende Bedingung des Unbedingtheitsattributs - wie nämlich könnte ein auf dinglich-objektiver Erfahrung beruhendes Wissenschaftsprinzip jemals unbe-ding-t sein? Andererseits muss dieses Wissensprinzip ein wissbares, d.h. bewusstseinsfähiges sein, soll es doch Gewissheit systematisierbar und nicht etwa Intuition erahnbar machen. Also darf Fichtes erster Grundsatz zwar nicht empirisch sein, er muss aber doch "allem Bewußtsein zum Grunde" liegen, es transzendental ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- Die Beschaffenheit eines Grundsatzes
- HAUPTTEIL
- I. Der absolut-erste Grundsatz und die Methoden seiner Auffindung
- 1. Reflexion und Abstraktion
- 1.1 Reflektierende Abstraktion vom Satz der Identität
- 1.1.1 Reflexion über die formal-gehaltliche Verfaßtheit des Identitätssatzes
- 1.1.2 Abstraktion vom Gehalt der Identität
- 1.1.3 Reflexion über die Form der Identität
- 1.1.4 Abstraktion von der formal variabeln Identität des A = A bei gleichzeitiger Reflexion über die gehaltlich konstante Identität des 'Ich bin Ich'
- 2. Tathandlung
- 1. Das 'Ich bin' als schlechthin gesetzte Tatsache
- 2. Das 'Ich bin' als schlechthin setzende Tathandlung
- III. Das Ich als absolutes Subjekt
- 1. Das absolute Selbstbewußtsein des Ich
- 2. Das Sein des Ich als Für-sich-Sein
- 3. Die kategoriale Beschaffenheit des sich setzenden Ich
- 3.1 Das 'Ich bin' als logische Aussageweise
- 3.2 Das 'Ich bin' als kategoriale Seinsweise
- 4. Das 'Ich denke' als 'Ich bin'
- AUSBLICK
- Ich versus Substanz
- Die unbedingte Gewißheit und Unmittelbarkeit des Grundsatzes
- Die Rolle von Reflexion und Abstraktion bei der Ermittlung des ersten Grundsatzes
- Das 'Ich' als Tathandlung und absolutes Subjekt
- Die kategoriale Beschaffenheit des sich setzenden 'Ich'
- Das Verhältnis von 'Ich' und Substanz
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der vorliegende Text zielt darauf ab, den ersten Grundsatz der "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von Fichte zu analysieren und zu interpretieren. Der Fokus liegt dabei auf der Beschaffenheit des Grundsatzes selbst, der Methoden seiner Auffindung und dessen Rolle im Rahmen der Fichteschen Philosophie.
Zusammenfassung der Kapitel
EINLEITUNG
Der Text beleuchtet zunächst die Frage nach der Beschaffenheit eines Grundsatzes im Allgemeinen. Fichte definiert einen Grundsatz als einen Satz, der „wenigstens Ein Satz gewiss seyn, der etwa den übrigen seine Gewissheit mittheilte". Der Grundsatz muss unbedingte Gewissheit besitzen, bevor er mit anderen Sätzen in Verbindung gebracht wird.
HAUPTTEIL
I. Der absolut-erste Grundsatz und die Methoden seiner Auffindung
Der Autor beschreibt den Prozess der Auffindung des Grundsatzes als eine Art "Filtrationsprozess". Durch Reflexion und Abstraktion soll man von "empirischen Bestimmungen unseres Bewußtseins" absehen, um das eigentliche Substrat des Denkens zu ermitteln. Dieser Prozess ist jedoch nicht unabhängig von den Gesetzen des Denkens, die wiederum durch den ersten Grundsatz erst bewiesen werden sollen.
II. Tathandlung
Fichte betrachtet das "Ich bin" als eine "Tathandlung", die sowohl als gesetzte Tatsache als auch als setzende Handlung verstanden werden kann. Dieser Ansatz führt zu einem Verständnis des 'Ich' als aktivem und schöpferischem Prinzip.
III. Das Ich als absolutes Subjekt
Der Text analysiert das 'Ich' als absolutes Selbstbewusstsein, das sich selbst setzt und zum Ausgangspunkt des Denkens wird. Der Autor beschreibt die kategoriale Beschaffenheit des 'Ich', die sich in Form von logischen und ontologischen Kategorien manifestiert.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter des Textes sind "Grundsatz", "Reflexion", "Abstraktion", "Tathandlung", "Ich", "Selbstbewusstsein", "Kategorien", "Wissenschaftslehre". Diese Begriffe stehen im Zentrum der Fichteschen Philosophie und verdeutlichen das zentrale Anliegen des Textes, den ersten Grundsatz der "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" zu analysieren und dessen Bedeutung für das Fichtesche Denksystem aufzuzeigen.
- Arbeit zitieren
- Sandra Kluwe (Autor:in), 1996, Der erste Grundsatz von Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre' (1794), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22749