Holocaust - Exemplarische Analyse der Jugendbücher "Damals war es Friederich" von Hans Peter Richter und "Ich bin ein Stern" von Inge Auerbacher


Seminararbeit, 2004

23 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung:

2 Deutschland nach Auschwitz
2.1 Die erste Generation:
2.2 Die zweite Generation:
2.3 Die dritte Generation:

3 Pädagogik nach Auschwitz:
3.1 Adorno:
3.2 Zur Praxis einer Erziehung nach Auschwitz:

4 Historische Entwicklung der Jugendliteratur nach Auschwitz und Diskurs:
4.1 Die Jahre der Verdrängung:
4.2 Schonraumliteratur:
4.3 Das politische Kinder- und Jugendbuch:
4.4 Ästhetik kontra Didaktik:
4.5 Die aktuelle Marktsituation:

5 Buchanalysen:
5.1 „Damals war es Friederich“ von Hans Peter Richter
5.1.1 Biographie:
5.1.2 Inhalt:
5.1.3 Analyse:
5.2 „Ich bin ein Stern“
5.2.1 Biographie:
5.2.2 Inhalt:
5.2.3 Analyse:
5.3 „Damals war es Friederich“ und „Ich bin ein Stern“ im Vergleich:

6 Fazit:

Literaturverzeichnis:

Warum soll ich trauern?

Warum soll ich trauern?

Was geht mich das an?

Wer sind die Opfer des Krieges?

Ich kenne sie nicht.

Ich bin jung, mir steht das Leben offen.

Warum soll ich da zurückschauen?

Meine Zukunft liegt doch nicht in der Vergangenheit.

Ich habe keinen, den ich betrauern muss.

Wer sind die Opfer des Krieges?

Ich kenne sie nicht.

Die Toten sollen mahnen.

Wen? Mich?!

Ich bin nicht dabei gewesen.

Was geht mich das an?[1]

1 Einleitung

Dieses 1994 von einer 18 jährigen Schülerin eines niedersächsischen Gymnasiums verfasste Gedicht spiegelt die Situation deutscher Jugendlicher und ihre heutige Sicht in Bezug auf den Nationalsozialismus und des Holocaust wieder. Gemeint ist die so genannte „Dritte Generation“, die sich teilweise emotional schuldig fühlt- obwohl sie gar keine Schuld trifft- die sich mit dem Thema überflutet sieht aber andererseits auf Distanz zum Thema geht, eben weil es zu ihnen persönlich und diesem Thema eine große Distanz gibt.

Der Auschwitz Überlebende Primo Levi mahnte: „ ‚ Es ist geschehen und kann deshalb wieder geschehen.’ Was können wir tun, damit es nicht wieder geschieht?“[2] Die Antwort sollte lauten, die Jugend zu einer kritisch- konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Holocaust zu bewegen. Dies ist überaus wichtig, da es in der Tat Ansätze von Bereitschaft für eine Wiederholung gab wie das so genannte Milgram Experiment im Jahre 1981 an einer amerikanischen Highschool gezeigt hat:

„Ihr habt gesagt, so etwas könne nie wieder geschehen. Aber denkt doch einmal darüber nach, wie nahe ihr selbst schon diesem Zustand gekommen seid. Ihr habt diejenigen bedroht, die nicht zu euch gehören wollten. […] Faschismus, das ist nicht etwas, das nur andere Menschen betrifft. Faschismus ist hier mitten unter uns und in jedem von uns.“[3]

Im Rahmen dieser Hausarbeit möchte ich mich mit der Lage der heutigen Jugendlichen befassen, die sich „erinnern“ müssen, was vor gut einem halben Jahrhundert in ihrem Land vorging und ihnen somit als historisches Erbe, das sie nicht ablehnen können, hinterlassen wurde. Diese Überlegungen führen unweigerlich dazu, über eine aktuelle und zeitmäßige „Erziehung nach Auschwitz“ für die heutige Zeit nachzudenken.

Schlussendlich möchte ich mich mit zwei konkreten Kinder- und Jugendbüchern beschäftigen, die in der Schule zum Einstieg in diese wichtige und zugleich hoch komplizierte Thematik genutzt werden können. Hierzu habe ich mich für einen Vergleich des „Klassikers“ „Damals war es Friederich“ von Hans- Peter Richter und „Ich bin ein Stern“ von Inge Auerbacher entschieden.

2 Deutschland nach Auschwitz

Die Geschehnisse des Dritten Reiches liegen nun schon über fünfzig Jahre zurück.

Daher betrifft sie mittlerweile mehrere Generationen, die bedingt durch das Aufwachsen in verschiedenen Zeiten, und den somit unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen jeweils ihre eigenen Fragen zum Thema und eben auch speziell zum Holocaust haben. Und eben genau darum ist es wichtig, Erziehung nach Auschwitz immer wieder neu zu denken und nie als fertiges Konzept zu verstehen, weil die Bedürfnisse der Schüler sich ständig ändern.

2.1 Die erste Generation:

Zur ersten Generation werden gemein hin die Menschen gezählt, die zwischen 1933 und 1945 Erwachsen und vom Nationalsozialismus geprägt waren.

Viele von ihnen hatten nach dem ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik große Hoffnungen in den Nationalsozialismus gesetzt. Jedoch konnte jeder nach 1933 sehen, dass das Privileg zu der so genannten „Herrenrasse“ zu gehören mit großem Leid der Juden erkauft war. Die Einrichtung der Konzentrationslager wie Dachau wurde in der Zeitung bekannt gegeben, somit wusste die Bevölkerung um die Diskriminierung und Verfolgung der Juden.

„Eine Generation der Täter, Mitläufer und Zuschauer stand mit dem Kriegsende 1945 vor dem Problem, mit ihrem Wissen und ihrer graduell unterschiedlichen Beteiligung am Geschehen weiterzuleben.“[4] So gab es diejenigen, die Trauer und Versagen verspüren, wenn sie an das Geschehene zurückdachten, aber auch diejenigen, die große Hoffnungen in das Regime gesetzt hatten und sich ihrer Ideale beraubt fühlten.

So kam es nach 1945 zum Schweigen über die Geschichte. Im psychologischen Fachjargon ist die Rede von „Derealisierung“. Dies bedeutet, dass Geschichte geleugnet, verfälscht und umgedeutet wurde. „Derealisierung war für die Mehrheit der einfachste Ausweg aus der Kalamität des Zusammenbruchs; er erwies sich auch als der Verhängnisvollste. […] [So haben die Menschen sich] das politisch -psychologische Lernen- die Identitätsarbeit [erspart].“[5] Dies ist durchaus verständlich und zu akzeptieren. Wie schwer muss es sein, sich und anderen die Fehleinschätzung der Situation oder gar das eigene Fehlverhalten einzugestehen? Nur leider hat dies zur Folge, dass die nachfolgenden Generationen nicht auf diese Erfahrungen und Erzählungen zurückgreifen können.

2.2 Die zweite Generation:

Unter der Zweiten Generation versteht man die Kinder der ersten Generation. Sie sind im Schatten der Erlebnisse ihrer Eltern in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Nur wenige wissen genaueres über die Geschichte ihrer Eltern im Nationalsozialismus.

„Die zweite Generation sind die Kinder der ‚Überleber’, die deren gepanzertes

Schweigen in den sechziger Jahren zu beenden versuchten und dafür sorgten, daß

über den Faschismus gesprochen wurde.“[6]

Pauschalisieren lässt sich diese Aussage jedoch nicht. Es gab sicherlich viele, auch Lehrer, die dieses Thema aufgriffen, dabei aber immer noch von Ahnhängern des Schweigens blockiert wurden. Weiterhin neigten einige der Lehrer zu einer zu schnellen Abhandlung des Themas, bevor die Schüler sich selbst und ihre Familie dazu in Bezug setzen konnten. Weiterhin neigten Lehrer dieser Generation leicht dazu eine bloße Anti- Identität zur Nazi- Herrschaft von ihren Schülern zu verlangen. Oft führte der Unterricht auch durch zu häufiges Identifizieren mit den Opfern dazu, dass bei den Schülern so genannte „entlehnte Schuldgefühle“ ausgelöst wurden.

2.3 Die dritte Generation:

Die dritte Generation ist nun genau diese Schülerschaft. Sie ist die erste Generation, die in einer deutschen Demokratie ohne wesentliche zeitgeschichtliche Erschütterungen aufwächst. Sie selbst hat also keinerlei Erinnerungen an den Holocaust. Die Geschichte wird ihnen lediglich als dunkles Erbe vermittelt, das sie nicht zurückweisen können. Die Art der Vermittlung ist nun entscheidend, denn diese darf bei den Schülern keine „enlehnten Schuldgefühle“ auslösen, denn sie hatten keinen Einfluss auf die Geschehnisse vor über fünfzig Jahren, also trifft sie auch keine Schuld. Junge Menschen sollen durch Geschichtswissen zu einem Geschichtsbewusstsein gelangen, ohne welches ein politisches Bewusstsein kaum denkbar ist. „Der Psychoanalytiker S. Speier stellt die Fähigkeit, unsere Gegenwart und Zukunft zu gestalten, in ein enges Verhältnis zu unserem Vermögen, eine vernünftige Beziehung zur Vergangenheit zu entwickeln.“[7]

Jedoch ist es häufig so, dass der Einzelne um die Geschichte weiß, sie aber nicht in Bezug zu sich selbst und zur eigenen Familie setzt. Viel zu oft haben Schüler die Vorstellung des Nazis als eindeutiger Täter, selten als Mitläufer. Von daher werden die eigenen Vorfahren häufig aus den Überlegungen herausgelassen, da sie diese nur als ältere, gebrechliche Menschen kennen gelernt haben und ihnen solche Taten von daher nicht zutrauen.

3 Pädagogik nach Auschwitz

3.1 Adorno:

Bei der Beschäftigung mit einer „Erziehung nach Auschwitz“ wird heute immer noch auf den zum Basistext für diese Thematik gewordenen Vortrag von Adorno aus dem Jahre 1966 zurückgegriffen. Er war der erste Text, der nach langem Schweigen die grausamen Geschehnisse um Auschwitz offen diskutierte:

„Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. […] Daß man aber die Forderung und was sie an Fragen aufwirft, so wenig sie sich bewusst macht, zeigt, daß das Ungeheuerliche nicht in die Menschen ein gedrungen ist, Symptom dessen, daß die Möglichkeit der Wiederholung, was den Bewußtseins- und Unbewußtseinsstand der Menschen anlegt, fortbesteht. Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, daß Auschwitz nicht sich wiederhole. Es war die Barbarei, gegen die alle Erziehung geht. Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigen, wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen.“[8]

Die nationalsozialistische Ideologie hat ihre grausame Spitze im Holocaust gefunden, der systematischen Vernichtung der Juden. Die „Erziehung nach Auschwitz“ muss zum Ziel haben, die Wiederholung solcher Grausamkeiten zu verhindern. Adorno benennt den wohl wichtigsten Grund, warum es zu dieser Barbarei kommen konnte, im Fehlen von Wärme und dem Unvermögen zur Identifikation. „Unfähigkeit zur Identifikation war fraglos die wichtigste psychologische Bedingung dafür, daß so etwas wie Auschwitz sich inmitten von einigermaßen gesitteten und harmlosen Menschen hat abspielen können[…] Nicht zuletzt darin liegt die Gefahr, daß es sich wiederhole, daß man es nicht an sich herankommen lässt und den, der auch nur davon spricht, von sich wegschiebt, als wäre er, wofern er es ungemildert tut, der Schuldige, nicht die Täter.“[9] Von daher sieht Adorno das Ziel von Erziehung darin die Menschen zu Reflexion, Selbstbestimmung, Autonomie und letztlich zum „nicht mitmachen“ zu bringen, wenn es um das blinde Folgen eines Kollektivs geht. „Menschen, die blind in Kollektive sich einordnen, machen sich selber schon zu so etwas wie Material, löschen sich selbst als selbstbestimmte Wesen aus. Dazu passt die Bereitschaft, andere als amorphe Masse zu behandeln.“[10] Diese Sicht der Menschen führt hin zu der These Adornos, dass die Menschen zu wenig Liebe geben und empfangen, und von daher zu sehr ihre eigenen Interessen verfolgen. „Was man so ‚Mitläufertum’ nennt war primär Geschäftsinteresse: daß man seinen eigenen Vorteil vor allem anderen wahrnimmt und, um nur ja nicht sich zu gefährden, sich nicht den Mund verbrennt.“[11] Jedoch warnt Adorno davor, die Liebe künstlich zu vermitteln, weil gerade dies schnell zum Gegenteil führen könne. Würde man aber hier mit einer Präventionsmaßnahme gegen eine Wiederholung von Auschwitz einsetzten, quasi den Menschen auftragen mehr zu lieben, so würde dies, eher zu noch mehr Kälte führen, denn die aufgetragene Liebe wäre nicht aufrichtig und somit kontraproduktiv.

[...]


[1] Wermke, Michael (Hrsg.): Die Gegenwart des Holocaust- „Erinnerung“ als religionspädagogische Herausforderung. Münster: 1997, S. 6

[2] Dahrendorf, Malte(Hrsg.): Beiträge Jugendliteratur und Medien. Die Darstellung des Holocaust

in der Kinder- und Jugendliteratur. 10. Beiheft. Weinheim 1999. S. 15

[3] Rhue, Morton: Die Welle. New York 1981. S. 176

[4] Abram, Ido und Heyl, Matthias: Thema Holocaust. Ein Buch für die Schule, Hamburg 1996. (Künftig zitiert als: Abram/ Heyl: Thema Holocaust) S. 84

[5] Beck, C.H., Im Warschauer Ghetto- Das Tagebuch des Adam Czerniakow 1939-1942: München, 1986, S.19. Zitiert nach Abram/ Heyl: Thema Holocaust, S. 85

[6] Morshäuser, B.: Hauptsache Deutsch, Frankfurt 1992, S.114f. Zitiert nach Abram/ Heyl: Thema Holocaust, S. 91

[7] Abram/ Heyl: Thema Holocaust. S.88

[8] Adorno, Theodor W.: Stichworte. Kritische Modelle 2. 3. Auflage. Frankfurt am Main, 1969. (Künftig zitiert als: Adorno: Kritische Modelle) S.85

[9] ebenda S. 98

[10] ebenda S.94

[11] ebenda S.98

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Holocaust - Exemplarische Analyse der Jugendbücher "Damals war es Friederich" von Hans Peter Richter und "Ich bin ein Stern" von Inge Auerbacher
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik)
Veranstaltung
Literatur über den Holocaust im Deutschunterricht
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V22768
ISBN (eBook)
9783638260350
Dateigröße
406 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Holocaust, Exemplarische, Analyse, Jugendbücher, Damals, Friederich, Hans, Peter, Richter, Stern, Inge, Auerbacher, Literatur, Holocaust, Deutschunterricht
Arbeit zitieren
Christina Kühn (Autor:in), 2004, Holocaust - Exemplarische Analyse der Jugendbücher "Damals war es Friederich" von Hans Peter Richter und "Ich bin ein Stern" von Inge Auerbacher, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22768

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