Die entwicklungspolitische Bildung am Beispiel des Afrikabildes im deutschen Schulbuch


Vordiplomarbeit, 1999

45 Seiten, Note: 1,5

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführende Überlegungen

2. Die entwicklungspolitische Bildung
2.1 Die Entstehung der Entwicklungspädagogik
2.1.1 Der quantitative Aspekt
2.1.2 Der qualitative Aspekt
2.2 Der Ist- Zustand der Entwicklungspädagogik oder die Krise der entwicklungspolitischen Bildung

3. Über vorhandene afrikabezogene Schulbucha nalysen
3.1 Die Aufgabe des Schulbuches und der Schulbuchanalyse
3.2 Das Afrikabild in deutschen Schulbüchern

4. Das Bild Afrikas im deutschem Schulbuch - eigene Analyse
4.1 Die Wahl des Schulbuchs
4.2 Aufbau und Struktur des Untersuchungsgegenstands
4.3 Einige exemplarische Analyseergebnisse

5. Die eigenen Ergebnisse im Kontext der vorhandenen Analysen

6. Resümee und Perspektiven der entwicklungspolitischen Bildung

7. Zum Schluß

Literaturverzeichnis

1. Einführende Überlegungen

Regelmäßiges Beobachten des Tagesgeschehens, z.B. durch die Printmedien, führt zu der ins Auge springenden Erkenntnis, daß in allen Sparten, von Wirtschaft über Politik bis zu Kultur, viel und oft von der "Globalisierung" und ihren Folgen, ihren Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche unseres täglichen Lebens die Rede ist. Bezogen auf die, vor allem aufgrund des Internets, zunehmende potentielle Möglichkeit der umfassenden Informationsgewinnung, die eine auch zeitlich uneingeschränkte Kommunikation über alle nationalen Grenzen und ethnischen Schranken hinweg ermöglicht, wird bei unserem Planeten von einem "Globalen Dorf" gesprochen. Doch zeigt sich die Annahme, daß die modernen Möglichkeiten von den Medien genutzt würden, um eine ausgewogene Informationspräsentation zu verwirklichen, als fataler Irrtum. Themen aus der Weltperipherie, den sogenannten "Dritte- Welt"- Staaten und unter ihnen besonders die Staaten des subsaharischen Afrikas, finden sich nur sporadisch, und wenn, dann ist die Themenauswahl auffällig einseitig. Ein Blick in aktuelle Ausgaben von Tageszeitungen verschiedenster politischer Ausrichtung bestätigt diese Beobachtung: Die subsaharischen Staaten des sogenannten Schwarzafrikas erscheinen meist in Kombination mit Kriegen, Rebellionen, Hunger, Armut, Naturkatastrophen...; sie werden in einem Zustand geschildert, der den normalen Leser, welcher sich mit Hilfe seiner Zeitung umfassend informieren möchte, den Eindruck gewinnen lassen muß, Afrika benötige dringend umfassendste Hilfe von "uns" reichen, entwickelten Industrienationen. Der rasante Fortschritt der medialen Möglichkeiten der Informationstechnologie scheint dem politischen und bewußtseinsmäßigen Näherrücken der Bewohner dieses Planeten vorausgeeilt zu sein. Eine differenzierte, gleichberechtigte Verteilung auch der Informationsgüter auf alle Teile des Weltsystems ist nicht zu beobachten. Dabei gibt es Gründe genug, die für einen (m.E. überfälligen) Wandel der globalen hierarchischen Strukturen, die sich auch in der unausgewogenen Partizipationsmöglichkeit am Informationsaustausch zeigen, sprechen.

Vor allen anderen Gründen fordert die heute unbestrittene Interdependenz aller Staaten hinsichtlich des ökologischen Zustands der Erde das Erarbeiten von Lösungsmöglichkeiten zur Verhinderung eines ökologischen Kollaps unseres Planeten. Doch die aktive Annahme dieser Verantwortung scheitert bis heute an den zu kurz greifenden nationalen Interessen. Das zähe Ringen um einen Freikauf von schadstoffreduzierenden Verpflichtungen im Verlauf der letzten Weltklimakonferenz im Herbst diesen Jahres illustriert diesen Sachverhalt leider nur allzu deutlich.

Auch die Wirtschaft ist heute nicht mehr national, auch nicht bloß bilateral, sondern ausschließlich multinational als Weltwirtschaft zu begreifen. Doch der, salopp formuliert, "alte Zopf" der ungleichen Güterverteilung, welcher zu einem immer rasanteren Auseinanderbrechen zwischen reichen, armen und absolut armen Staaten führt, besitzt heute eine nie gekannte Gültigkeit. Multinationale Konzerne diktieren den Fluß der Güter, der Gelder und damit auch die Machtverteilung. Ein echtes Bewußtsein für die angesprochene Interdependenz auch auf wirtschaftlichem Gebiet darf sich aber nicht auf Dauer seiner globalen Verantwortung für eine gerechtere Marktordnung im Sinne einer sozialen Weltmarktwirtschaft entziehen und daher jegliche ethischen Werte vernachlässigen.

Ein weiteres Argument gegen die bestehenden globalen Hierarchiestrukturen, welche insbesondere zu Ungunsten der sogenannten Entwicklungsländer ausgerichtet sind, ist ein historisches: die westliche Zivilisation hat in den letzten gut anderthalb Jahrhunderten wirtschaftlich wie auch kulturell einen nicht starken Impuls aus dem kolonialen "Kontakt" mit Staaten und Völkern Schwarzafrikas erhalten (und bereits zuvor aus Amerika seit dessen "Entdeckung"). Ich möchte an dieser Stelle nicht die Kolonialgeschichte mit ihren unsäglichen Folgen nachzeichnen, doch ist zu betonen, daß gerade wir, als angeblich aufgeklärte und verantwortungsbewußte Europäer, nicht länger die Augen vor den Verbrechen des Kolonialismus verschließen dürfen und endlich einen wichtigen Teil unserer Vergangenheitsbewältigung angehen müssen. Diese Forderung wird nicht entkräftet durch das Argument, daß weite Teile entwicklungspolitischer Aktivität (angeblich) nur auf einem Schuldkomplex beruhen. Ein moralischer Impetus auch aus der Bereitschaft, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, schadet weder Individuum noch Staat, doch sollte, darauf weist die Kritik zurecht hin, auf der Makroebene der politischen und wirtschaftlichen Systeme die Achtung vor den Mitmenschen und der Respekt vor den Menschenrechten jeden Hilfeimpuls hinreichend fundieren können, ohne den letztlich eigennützigen Grund "Abbau des Schuldkomplexes" als Legitimation heranziehen zu müssen.

Um gegen diese Defizite angehen zu können, muß m.E. auf mehreren, verschiedenen Ebenen gearbeitet werden. Vor allen anderen Bereichen ist die Politik in der Verantwortung, die strukturellen Mängel der internationalen Beziehungen zu beseitigen sowie die Wirtschaft in sozial ausgewogenere Bahnen zu lenken. Allerdings darf eine Veränderung nicht nur auf der Makroebene ansetzen, denn ausgefüllt, gelebt werden muß ein solcher Wandel von Menschen, von handelnden Subjekten. Doch wie an den Zeitungsartikeln zu erkennen, ist das Bewußtsein der "normalen" Bevölkerung nicht in der Lage, die umwälzenden, rasanten Veränderungen der modernen Welt zu verarbeiten und adäquate, neue Handlungsmuster auszubilden.

Auf diesem Wege der Bewußtseinsbildung hin zu dem Ziel einer verallgemeinerten Handlungsfähigkeit, einer Persönlichkeit, die die im Zuge der Globalisierung potentiell entstehende supranationale Realität erträgt, ohne zur Sicherung der eigenen Identität in Nationalismen, Rassismen oder Ethnozentrismen verfallen zu müssen, diesen Prozeß zu begleiten, vielleicht auch mitzubestimmen und - formen, ist eine Aufgabe, der sich das Bildungssystem in Zukunft stellen muß.

Innerhalb des Bildungssystems ist in dem Kontext der vorliegenden Arbeit in erster Linie die entwicklungspolitische Bildung, auch Entwicklungspädagogik, Dritte- Welt- Pädagogik u.a. genannt, zu beachten. Sie ist das Teilgebiet der Bildungsarbeit, welches explizit auf die internationalen Verhältnisse eingeht, diese thematisiert und in ihrer Problematik versucht darzustellen.

Angesichts des eingangs skizzierten mangelhaften Zustands der Darstellung von Entwicklungsländern in den Printmedien, unter besonderer Berücksichtigung Afrikas, und des daraus sich offenbarenden Mangels an ausreichender entwicklungpolitischer Bildung, widmet sich vorliegende Vordiplomsarbeit folgenden Fragen:

1. Welchen quantitativen Umfang besitzt der Bereich der entwicklungspolitischen Bildung innerhalb des Bildungssystems?
2. Welche Prämissen und Ziele werden von der Entwicklungspädagogik verfolgt?
3. Wie werden die selbstdefinierten Ziele umgesetzt?
4. Welche Probleme und Perspektiven sind formulierbar?

Da nicht das gesamte Gebiet entwicklungspolitischer Bildung im Rahmen einer Vordiplomsarbeit zufriedenstellend abgedeckt werden kann, wird ein besonderer Bereich herausgegriffen: das Schulbuch. Die Wahl, obige Fragen anhand von Schulbüchern zu untersuchen, ist nicht willkürlich. Noch immer ist die Schule die herausragende Bildungsinstanz in modernen Gesellschaften, innerhalb welcher das Schulbuch nach wie vor das wichtigste Medium für die Vermittlung der Bildungsinhalte darstellt. Die besondere, den unmittelbaren Wirkungsraum (=die Schule) sprengende Bedeutung der Schulbücher wird ersichtlich an der Tatsache, daß das Wissen, welches in Schulbüchern für den Unterricht freigegeben und vorgesehen ist, qua Zulassungsüberprüfung - durch die demokratisch befugten Kultusministerien der Bundesländer - in gewisser Weise als das gesamtgesellschaftlich für weitervermittelnswert befundene Wissen legitimiert und anerkannt wird. Ausgehend von den vorigen Überlegungen hinsichtlich der auffallend stiefmütterlichen Behandlung des schwarzafrikanischen Kontinents in den Printmedien (es wäre unrealistisch anzunehmen, daß die Situation in anderen Medien signifikant anders aussähe), wird am Beispiel des Afrikabildes im deutschen Schulbuch versucht, obige Fragen zu klären.

Basierend auf einer neueren Untersuchung über die Genese der entwicklungspolitischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland soll zunächst ein Überblick über die Thematik als Ganzes gewonnen werden. Dabei sollen auch die Ziele, Aufgaben sowie die Möglichkeiten entwicklungspädagogischer Bildungsarbeit angerissen werden. Anschließend wird der Bogen auf das Kernthema dieser Arbeit geschlagen, in dem existente Untersuchungen über das in deutschen Schulbüchern vermittelte Afrikabild besprochen werden. Die durchgeführte Darstellung beschränkt sich jedoch nicht bloß auf die Wiedergabe der Ergebnisse des jeweiligen Autors, vielmehr wird die der entsprechenden Analyse zugrunde liegende Fragestellung auch Gegenstand der Betrachtung. Auf diese Weise wird ein knapper Kriterienkatalog für die Durchführung einer eigenen Analyse eines heute verwendeten Schulbuchs erarbeitet.

Die Einschätzung der selbst gewonnenen Erkenntnisse mit Blick auf die vorangegangenen Analysen, ihren Ergebnissen und Ausgangsthesen, mündet in die Kritik der bestehenden Praxis schulischer entwicklungspolitischer Bildungsarbeit, soweit sie aus der Bearbeitung von Schulbüchern besteht. Den Schluß dieser Arbeit bilden eigene Überlegungen, welche Kriterien - didaktischer als auch inhaltlicher - Art neu zu verfassende Schulbücher mit entwicklungspolitischer Thematik erfüllen sollten, um einen Schritt aus dem Defizit, welches in der bestehenden Praxis konstatiert worden ist, zu vollziehen.

2. Die entwicklungspolitische Bildung

Nach den einleitenden globalen Gedanken grenzt dieses Kapitel das Thema der vorliegenden Arbeit in einem ersten Schritt ein. Es widmet sich der Entwicklungspädagogik in seiner Ganzheit und fragt nach der Entwicklung und dem Ist- Zustand derselben. Zum Zwecke der Annäherung an die kommenden Arbeitsschritte findet jedoch besonders die Situation der entwicklungspolitischen Bildung im Medium Schulbuch Berücksichtigung, um den Übergang zu den spezielleren Inhalten dieser Arbeit zu erleichtern.

Das folgende Kapitel besteht aus zwei Teilen: erstens wird die Entstehungsgeschichte der Entwicklungspädagogik in ihrer quantitativen Dimension dargelegt, bevor in einem zweiten Schritt der qualitative Aspekt herausgestellt wird. Außerdem werden Fragen nach den Zielen, dem Selbstverständnis, aber auch den Grenzen und Möglichkeiten der entwicklungspolitischen Bildung gestellt.

2.1 Die Entstehung der Entwicklungspädagogik

Ende des 20. Jahrhunderts steht die Entwicklungspolitik der letzten vierzig Jahre vor einem Scherbenhaufen. Praktisch ist sie mißglückt und theoretisch blamiert. Alle ihre Hoffnungen haben getrogen. Ein Blick auf die Weltkarte beweist, daß von wenigen Ausnahmen abgesehen das Ergebnis ein schreckliches Desaster ist (SCHEUNPFLUG/TREML 1993, S.9).

Es mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, daß zu Beginn eines Kapitels über die Entstehungsgeschichte der Entwicklungspädagogik das faktische Scheitern und die hervorschimmernde Perspektivlosigkeit der Entwicklungspolitik angeführt werden. Deren Verfassung allerdings ist von entscheidender Bedeutung, stellt diese doch die orientierungsmaßstäbe setzende Instanz der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit dar. Dieses Zitat soll als eine Art Leitfaden verstanden werden, um das Spannungsfeld zu verdeutlichen, in dem sich der Verfasser dieser Arbeit immer bewegt. Einerseits ist die aktuelle Einschätzung von Entwicklungspolitik und der mit ihr in ihren Zielen, theoretischen Grundlagen sowie Problemen verknüpften entwicklungspolitischen Bildung von den zitierten Autoren treffend charakterisiert worden, andererseits erhebt diese Arbeit den Anspruch, trotz der existierenden Unsicherheit den Sinn und die Wichtigkeit von Entwicklungspädagogik zu verdeutlichen. Dieses Problem soll an dieser Stelle jedoch keine weitere Berücksichtigung finden, sondern lediglich als Hintergrundsschablone für die folgenden Kapitel dienen, bevor es im abschließenden Abschnitt wieder aufgegriffen und bearbeitet wird.1

Es gibt derzeit nur eine Publikation, die sich die Aufgabe gestellt hat, die entwicklungspolitische Bildung in ihrer Gesamthe it zu erfassen, zu bilanzieren und Perspektiven aufzuzeigen, "Die Geschichte der entwicklungspolitischen Bildung" von SCHEUNPFLUG/SEITZ (1995). Dieses dreibändige Werk ist als ausführliche Darstellung eines Forschungsvorhabens gleichen Namens von den Autoren konzipiert worden, welche als wissenschaftliche Mitarbeiter bei und mit TREML dieses Gebiet erforschten. In "Die pädagogische Konstruktion der "Dritten Welt"" (1996) faßt letzterer die Ergebnisse zusammen, interpretiert sie und möchte "konzeptionelle Perspektiven" (ebd., S.3) entwerfen. Da es sich bei TREML um einen Vertreter der allgemeinen systemtheoretischen Evolutionstheorie handelt, ist seine Interpretation der empirischen Forschungsergebnisse aus dieser Sicht geschrieben - allerdings in Auseinandersetzung mit der von ihm in der entwicklungspolitischen Bildung als vorherrschend erkannten und gekennzeichneten handlungstheoretischen Forschungstradition. Die wissenschaftstheoretische Herkunft Tremls sollte zumindest nicht unerwähnt bleiben, obwohl sich vorliegende Arbeit nicht mit der theoretischen Grundlage der Entwicklungspädagogik beschäftigt, sondern sich der Praxis derselben in Form von Schulbüchern zuwendet, um am Beispiel des vermittelten Afrikabildes der Frage nach zu gehen, ob sie den selbstgesteckten Zielen genügt und wenn nicht, vielleicht Anregungen zu einer Fortentwicklung zu geben.2

2.1.1 Der quantitative Aspekt

(vgl. besonders: TREML 1996, S.35- 55)

TREML untersuchte einen großen Teil der entwicklungspädagogischen Publikationen im Zeitraum zwischen 1950 und 1990. Forschungsobjekte waren die einschlägige Theorieliteratur, Unterrichtsmaterialien, Schulbücher, Lehrpläne und Materialien für die Lehreraus- und fortbildung, solche für die Jugendarbeit und die Erwachsenenbildung. Angesichts der Fülle an Schulbüchern hat er sich bei diesem Medium auf zwei Bundesländer, Bremen und Baden- Württemberg (BW), konzentriert (vgl. TREML 1996 S.37ff). Diese Einschränkung erscheint allein deshalb notwendig, da er und seine Mitarbeiter sich nicht auf bestimmte Fächer beschränkt haben, sondern die Schulbücher in ihrer disziplinübergreifenden Gesamtheit erfassen wollten. Im Hinblick auf die formulierte Zielsetzung vorliegender Arbeit wird sich bei der Darstellung der entwicklungspädagogischen Bildung als Ganzes vorwiegend auf Schulbücher beschränkt; dieses Vorgehen ist auch deshalb legitim, da sich die verschiedenen untersuchten Medien - oder entwicklungspädagogischen "Kommunikationsofferten" wie Treml sie nennt (vgl. hierzu besonders: ebd., S.13) - in signifikant ähnlicher Weise entwickelt haben.

Immer wieder teilt er die Entwicklung der entwicklungspädagogischen Bildung in vier idealtypische Phasen ein, welche er aufgrund einer stets wiederkehrenden, auf der Basis der erhobenen quantitativen Daten erscheinenden "Megafigur" (vgl. besonders: ebd., S.74ff u. S.151ff) legitimiert sieht. Die "Vorlaufphase" setzt Treml in die Jahre 1947- 1950, in welcher ein bloß marginaler Anteil entwicklungspolitisch bezogener Inhalte in den Schulbüchern festzustellen ist. Die folgende Phase bis 1975 wird als die "Take- Off- Phase" bezeichnet, innerhalb der die Bedeutung immer mehr zunimmt, beispielsweise erkennenbar an dem prozentualen Anteil der entwicklungsländerbezogenen Buchseiten, bis schließlich in einer "Zenitphase"der Höhepunkt überschritten wird und ab 1985 die "Stabilisierungsphase"eintritt, mit der Konsequenz einer zunächst rückläufigen quantitativen Entwicklung. Im Jahr 1990 wird der entwicklungsbezogene Seitenanteil in BW mit unter 10% (in Bremen im selben Jahr mit 16%) angegeben. Ohne näher auf weitere Untersuchungsergebnisse eingehen zu wollen ist zu sagen, daß diese Größenordnung auf den gesamten Anteil entwicklungspolitischer Bildungsmaterialien annähernd zu übertragen ist.

2.1.2 Der qualitative Aspekt

Die qualitativen Ergebnisse von Tremls Untersuchung über die Schulbücher lassen sich ebenfalls ohne allzu große Vereinfachungen exemplarisch für die Gesamtsituation der entwicklungspolitischen Bildung heranziehen. Treml unterscheidet, wie bereits bei seinen quantitativen Ergebnissen, ebenfalls vier inhaltsbezogene Phasen innerhalb der Entstehungsgeschichte der Entwicklungspädagogik. Die Phase I steht thematisch noch ganz im Zeichen des Kolonialismus. Die Menschen der Dritten Welt werden als primitiv und unterlegen dargestellt und demgemäß der sich bereits abzeichnende Prozeß der Entkolonialisierung problematisiert oder gar dagegen polemisiert. In der zweiten Phasedient der Kalte Krieg als Legitimation für die einsetzende Entwicklungshilfe (um gegen den "Feind aus dem Osten" an Stärke zu gewinnen). Inhaltlich wandeln sich die Themen aber nur unwesentlich, d.h. das paternalistisch- diskriminierende Weltbild und ein verstärkter technologischer Fortschrittsglaube wird weiterhin vermittelt, jedoch in semantisch subtilerer Ausprägung. Der Rückgang länderkundlich bezogener Inhalte zugunsten zunehmender problemorientierter Darstellung der Entwicklungsländer zeigt in der dritten Phase eine sich durchsetzende Differenzierung in der Sichtweise auf die "Dritte Welt". Doch kann m.E. lediglich von einem weiteren Grad der Subtilisierung in der Präsentationsform an und für sich eurozentrischer Inhalte gesprochen werden, sind die Entwicklungsländer doch nach wie vor als Objekt und als zivilisatorisch defizitär dargestellt. Die letzten Jahre des Untersuchungszeitraums (vierte Phase) stehen schon im Zeichen der um sich greifenden Erkenntnis, daß die bisher eingeschlagenen Wege der Entwicklungspolitik nicht weiterhelfen (bezogen auf eine hier nicht näher definierte "Entwicklung"). So zeichnet sich die Situation bis 1990 durch zunehmende Heterogenität und Vielfalt der in Schulbüchern behandelten Themen und didaktischen Ansätzen aus. Es wird zu zeigen sein, ob diese Entwicklung sich in den 1990er Jahren fortgesetzt hat.

2.2 Der Ist- Zustand der Entwicklungspädagogik oder die Krise der entwicklungspolitischen Bildung

Nachdem die strukturelle und inhaltliche Entwicklung der entwicklungspädagogischen Bildung nachgezeichnet wurde, muß in diesem Abschnitt geklärt werden, wie mit diesen Informationen umzugehen ist hinsichtlich der bisherigen Ziele der Entwicklungspädagogik und in welchem Zustand diese sich heute präsentiert.

Bezogen auf die knapp besprochene Untersuchung läßt sich mit TREML sagen, daß das "zentrale Ergebnis das der Heterogenität und Vielfalt in stofflicher und didaktischer Sicht" (1996, S.204) ist. Er interpretiert dieses Ergebnis dahingehend, daß es auf den "Verlust an Gewißheit über den richtigen Weg von Entwicklung und Entwicklungspädagogik" (ebd.) hinweist.

TREML reiht sich mit dieser Aussage in eine Reihe anderer Autoren, die ähnliche Aussagen treffen, ein. Prangert MELBER noch 1986 den "inneren Kolonialismus" an und spricht von der Umwandlung der Dichotomie "entwickelt - unterentwickelt" in "Wir Reichen - Die Armen" (1986 S.29; vgl. auch MELBER 1992) und unterstellt somit die Existenz eines evolutionär hierarchischen Entwicklungsbegriffs, so sieht MENZEL "das Scheitern der großen Theorie" (1992) gekommen und STERNECKER meint, einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungspädagogik, welcher sich an "der Abkehr vom dichotomischen Modell der "Ersten" und der "Dritten" Welt" (1992, S.22) zeigt, beobachten zu können.

Welche Konsequenzen besitzen obige Ausführungen für den Fortgang der vorliegenden Arbeit? Wie lassen sich obige Fragen vor diesem Hintergrund nach den Zielen und dem Zustand der Entwicklungspädagogik beantworten?

Die entwicklungspolitische Bildung stellt sich als eine Disziplin dar, die sich mittlerweile ihren Platz in den deutschen Bildungsangeboten gesichert hat. Ob sie mit einem Anteil vo n etwa 10% am Gesamtvolumen der Bildungsofferten eine ihrer Bedeutung gemäße Größe erlangt hat, steht an dieser Stelle nicht zur Diskussion, kann aber als zumindest zweifelhaft gekennzeichnet werden..

Die Entwicklungspädagogik steckt, so ist nun erkennbar, am Ende dieses Jahrzehnts in einer Krise, und dies aus mehrfacher Sicht: die Heterogenität ihres Erscheinungsbildes mag zwar auf eine gewisse lebendige Offenheit hinweisen, was prinzipiell zu begrüßen ist, doch scheint dies m.E. eher Ausdruck von Rat- und Perspektivlosigkeit denn von Stärke zu sein. Dieser Zustand resultiert aus der Erkenntnis, daß sich, nach vierzig Jahren Entwicklungspolitik - und damit auch entwicklungspolitischer Bildung - die Probleme in der "Dritten Welt" nicht zum Besseren gewendet haben. Die neuen Demokratiebewegungen in Afrika z.B. stehen in globalem Zusammenhang mit den Umwälzungen im ehemaligen Ostblock und nicht mit den Bemühungen westlicher Entwicklungspolitik. Auch das Erscheinungsbild der "Dritten Welt" in weiten Teilen der entwicklungspädagogischen Bildungsmaterialien hat sich nicht wesentlich bzw. in letzter Konsequenz, sondern in subtilere Formen von Vorurteilen, Verkürzungen und Eurozentrismen gewandelt - welche Formen hiermit gemeint sind und diese am Beispiel des Afrikabildes in deutschen Schulbüchern zu zeigen ist eine wichtige Aufgabe dieser Arbeit. Zentrale Ziele entwicklungspolitischer Bildung, so ist ersichtlich, wurden demnach verfehlt.

Ein weiterer Punkt, der zu der Krise der Entwicklungpädagogik beisteuert, ist die Tatsache, daß sich auch das Bild der "Dritten Welt" im Bewußtsein der Bevölkerung nicht wesentlich gewandelt hat (bezogen auf deutsche Schülerinnen und Schüler vgl. besonders: TRÖGER 1993) und damit ein weiteres ihrer wesentlichen Ziele, welches in nahezu allen mir bekannten entwicklungspädagogischen Publikationen angeführt wird, gemeint ist das der Bewußtseinsbildung, völlig verfehlt wurde.3 Erschwerend für die Situation der entwicklungspolitischen Bildung kommt hinzu, daß mit dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges die Aufmerksamkeit der westlichen Welt zunehmend nach Osten gerichtet worden ist, daß nicht bemerkt wird, "daß die Mauern, die zwischen Ost und West gefallen sind, mittlerweile zwischen Nord und Süd immer höher wachsen" (STERNECKER 1992, S.9). Der originäre Zusammenhang - neben den Folgen des imperialistischen Kolonialismus - zwischen der vierzigjährigen Dichotomisierung der globalen Strukturen und dem desolaten Zustand weiten Teilen Afrikas - als in meinen Augen der Hauptvertreter der "Dritten Welt" - weil unter besagten doppelt hemmenden Ursachen leidend, wird in der öffentlichen Diskussion weitgehend ausgeblendet und nicht berücksichtigt.

Angesichts dieser Fülle von Entwicklungen und Problemen, in deren Folge ein konstituierender Begriff der Entwicklungspädagogik, der der "Dritten Welt" (vgl. besonders MENZEL 1992), an Legitimation verliert und in Frage gestellt wird, sehen sich Entwicklungspädagogen zunehmendem Legitimationsdruck in ihrer Tätigkeit ausgesetzt.

Nachdem die entwicklungspolitische Bildung in ihrer Genese und in ihrem heutigen Zustand gekennzeichnet und eine Krise derselben festgestellt worden ist, spitzt sich die Fragestellung dieser Seiten ein weiteres Mal zu: Es wird versucht, bisher Gesagtes anhand von Schulbuchanalysen zu verdeutlichen. Dabei werden ältere Untersuchungen hinzugenommen und ein aktuelles Lehrbuch bearbeitet, um die Veränderungen der entwicklungspädagogischen Arbeit zu veranschaulichen, die Ergebnisse als Grundlage für Kritik an der bisherigen Praxis zu nehmen und eigene Vorschläge zu unterbreiten. Die Rezeption der Schulbuchanalysen steht unter folgenden Fragestellungen:

a) Welches Ziel haben die AutorInnen mit ihren Analysen verfolgt?
b) Zu welchen Aussagen über die Schulbücher sind sie gekommen?
c) Welches sind die eklatantesten Mängel und Probleme?

[...]


1 Es soll an dieser Stelle bereits klargestellt werden, daß vorliegende Arbeit keine elaborierte Stellungnahme zur jetzigen entwicklungstheoretischen Diskussion leisten kann, obwohl durchaus Bedarf dafür gesehen wird, um die Probleme der entwicklungspolitischen Bildung in ihrer politischen (im Gegensatz zur pädagogischen) Komponente besser verständlich zu machen.

2 Es sollte deutlich geworden sein, daß auch der Verfasser vorliegender Arbeit von einer Defizitannahme in der bestehenden Praxis ausgeht.

3 Dieses Problem allerdings ist keineswegs alleine typisch für die Entwicklungspädagogik, sondern besitzt Geltung für die Pädagogik als Ganzes. So verschiedene Autoren der Allgemeinen Pädagogik wie TREML und W. FLITNER sind sich darüber einig, daß der innere Mensch, d.h. der Aufbau einer reifen, selbständigen und bewußten Persönlichkeit, nur durch Selbstbildung, durch Selbstorganisation (Autopoiesis) zu erreichen ist. Pädagogik kann dies nicht vollbringen, sondern nur versuchen, günstige Umstände zu schaffen für diesen Prozeß. Aus dieser Problemlage resultiert das sogenannte Technologiedefizit der Pädagogik (vgl. hierzu u.a.: W. FLITNER 1950 und TREML 1987).

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Die entwicklungspolitische Bildung am Beispiel des Afrikabildes im deutschen Schulbuch
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Erziehungswissenschaften)
Note
1,5
Jahr
1999
Seiten
45
Katalognummer
V22946
ISBN (eBook)
9783638261678
ISBN (Buch)
9783638691871
Dateigröße
617 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bildung, Beispiel, Afrikabildes, Schulbuch
Arbeit zitieren
Anonym, 1999, Die entwicklungspolitische Bildung am Beispiel des Afrikabildes im deutschen Schulbuch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22946

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