Die sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege nehmen im wohlfahrtstaatlichen Arrangement der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Stellung ein. Die Wohlfahrtsverbände sind an verschiedenen Momenten des Politikzyklusses als Akteur beteiligt sind: Die anwaltschaftliche Funktion beeinflusst ihr Bemühen, als Interessenorganisation den Prozess des agenda-setting sowie der Politikformulierung mitzugestalten, wohingegen die Dienstleistungsfunktion ihnen einen bedeutenden Part in der Implementation zuweist.
Angesichts der europäischen Integration ist jedoch eine erhöhte Unsicherheit innerhalb der Wohlfahrtsverbände deutlich, ihr Selbstverständnis begann zu bröckeln. Konkreter gefasst bedeutet dies, dass in den Wohlfahrtsverbänden erhebliche Ungewissheit über die Art und Weise sowie die Richtung der von Politik und Gesellschaft als notwendig erachteten strukturellen Reformen herrscht, und sie sich infolgedessen ihrer normativen, legitimatorischen Grundlegung nicht mehr sicher sind.
Es steht die Frage im Zentrum dieser Zwischenprüfungsarbeit, ob sich Politikprozesse der supranationalen Ebene für Akteure einer abgrenzbaren Politikarena der nationalen Ebene auswirken. Von besonderem Interesse ist hierbei die theoretische Diskussion. Sowohl in der Wohlfahrtsverbändeforschung als auch in der Integrationsforschung gibt es bisher nur wenige wissenschaftliche Arbeiten, die sich explizit mit der Europäischen Gemeinschaft und deren Auswirkungen auf die Verbände der freien Wohlfahrtspflege befassen. Die traditionelle Wohlfahrtsverbändeforschung orientiert sich naturgemäß an den nationalen Grenzen, innerhalb der die Verbände ihre Wirkung entfalten. Zunehmende Europäisierung nationaler Politiken und das Phänomen des Regierens im dynamischen Mehrebenensystem lassen m. E. eine nationale Begrenzung der Verbändeforschung jedoch als nicht ausreichend erscheinen.
Mein Erkenntnisinteresse für diese Arbeit richtet sich an der Frage aus, ob die Unsicherheit über die Zukunft der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland berechtigt ist. Ich versuche eine Aussage zu treffen über die Wahrscheinlichkeit eines von der europäischen Ebene induzierten substanziellen organisationellen Wandels der deutschen Wohlfahrtsverbände.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- A. Problemstellung und Relevanz der Fragestellung
- B. Methodisches Vorgehen und theoretische Anknüpfungen
- Teil I: Die Stellung der Wohlfahrtsverbände im bundesdeutschen Sozialstaatsgefüge aus Sicht der Wissenschaft und der Verbände
- A. Begriffliche Klärungen und Darstellung des Status Quo
- B. Die Bedrohungen durch "Europa" in der Perzeption der Wohlfahrtsverbände
- Teil II: Die Top-Down-Perspektive in der europäischen Integrationstheorie
- A. Begriffliche Klärung
- B. Das Konzept der Europäisierung als Analyseinstrument
- Teil III. Die Wohlfahrtsverbände und die europäische Integration
- A. Europäische Eigenheiten und deutsche Besonderheiten - die misfit-These als notwendige Bedingung für domestic change
- Gibt es einen policy misfit?
- Der strukturelle misfit
- Der symbolische misfit
- B. Die Wahrscheinlichkeit von Europäisierungsprozessen in der freien Wohlfahrtspflege - die "facilitating factors" als hinreichende Bedingungen
- Die policy Dimension
- Die strukturelle Dimension
- Die symbolische Dimension
- Teil IV: Diskussion der Ergebnisse und abschließende Bemerkungen
- A. Zur Wahrscheinlichkeit von Europäisierungstendenzen der freien Wohlfahrtspflege
- B. Abschließende Bewertung des Europäisierungsansatzes und dessen Anwendung auf diesen Fall sowie theoretische Konsequenzen für die Verbändeforschung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Auswirkungen der europäischen Integration auf die freien Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit die europäische Ebene den Reformbedarf der Wohlfahrtsverbände beeinflusst und ob die von ihnen wahrgenommene Unsicherheit über ihre Zukunft berechtigt ist. Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit eines von der europäischen Ebene induzierten substanziellen organisationellen Wandels der Wohlfahrtsverbände zu erforschen.
- Europäische Integration und ihre Auswirkungen auf die Wohlfahrtsverbände
- Die "misfit"-These: Europäische Eigenheiten und deutsche Besonderheiten
- Der Ökonomisierungsdruck auf die Wohlfahrtsverbände
- Die Rolle der Wohlfahrtsverbände im deutschen Sozialstaatsgefüge
- Die Wahrscheinlichkeit von Europäisierungsprozessen in der freien Wohlfahrtspflege
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Problemstellung und Relevanz der Fragestellung dar, beleuchtet die besondere Stellung der Wohlfahrtsverbände im deutschen Sozialstaat und die Unsicherheit über ihre Zukunft. Teil I untersucht die Rolle der Wohlfahrtsverbände aus wissenschaftlicher und verbandlicher Sicht und analysiert die Bedrohungen durch "Europa". Teil II erläutert die Top-Down-Perspektive der europäischen Integrationstheorie. Teil III beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die europäische Ebene den deutschen Wohlfahrtsstaat beeinflusst und welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit von Europäisierungsprozessen in der freien Wohlfahrtspflege beeinflussen.
Schlüsselwörter
Europäische Integration, Wohlfahrtsverbände, Sozialstaat, misfit-These, Ökonomisierung des Sozialen, Europäisierung, Reformbedarf, Politikprozess, Interessenorganisation, Dienstleistungsfunktion.
- Arbeit zitieren
- Anonym (Autor:in), 2001, Angst vor Europa?! Die Wohlfahrtsverbände und die Europäische Integration, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22949