Unterschiedlicher hätten die Bewertungen der beteiligten Nationen kaum ausfallen können: Während der deutsche Außenminister Joschka Fischer den vom Konvent verabschiedeten Entwurf für eine europäische Verfassung als „entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem Jahrhundertprojekt“ bezeichnete 1 , empfand der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker denselben aufgrund seiner Unausgegorenheit und Unklarheit als „gespenstische Wanderung durch einen völlig abgedusterten Raum“ 2 . Umso interessanter erscheint es, den Verfassungsentwurf, wertneutral verstanden als Ergebnis eines politischen Prozesses, fernab dieser persönlichen, von nationalen Interessen beeinflussten Empfindungen zu bewerten. Die Aktualität dieser Unternehmung vermag zwar deren Attraktivität zusätzlich zu steigern, zieht aber zugleich eine begrenzte Auswahl an Sekundärliteratur nach sich.
Grundlage jeder Wertung sind zunächst bestimmte Kriterien, die aus logischen Gründen eine inhaltliche Kohärenz aufweisen und sich somit zu einem Maßstab zusammenfassen lassen sollten. Abstrakt formuliert sind bei der Bewertung eines Prozessergebnisses drei solcher Maßstäbe denkbar: ein externer oder prozessunabhängiger und zwei interne oder prozessintegrierte. Der externe wird an das fertige Prozessergebnis von „außen“ herangetragen. Die internen sind selbst Teil des Prozessablaufes, wobei sie sich dadurch von einander unterscheiden, als dass der eine das Produkt an der Zielsetzung des Prozesses misst, der a ndere dagegen die Nutzung der durch den Prozessablauf gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten als Maßstab heranzieht. Konkret formuliert ließe sich das Prozessprodukt also anhand der folgenden drei Fragestellungen bewerten: 1. Wie sollte ein Verfassungsentwurf für Europa idealerweise aussehen? 2. Erfüllt der Verfassungsentwurf die ihm gestellten Aufgaben? 3. Welcher Verfassungsentwurf war unter den gegebenen Umständen zu realisieren? Während die Heranziehung des externen Maßstabes (1.) die Festlegung auf ein bestimmtes Weltbild erfordert und somit letztlich auf Beliebigkeit fußt, erscheinen der interne zielorientierte Maßstab (2.) und der interne prozessorientierte (3.) eine objektivere, wissenschaftlich ertragreichere Analyse zu ermöglichen. In der vorliegenden Arbeit soll der Verfassungsentwurf des Konvents anhand der ihm vorgegebenen Ziele, also mittels eines internen zielorientierten Maßstabes bewertet werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Bewertungsmaßstab – Die Erklärung von Laeken
- Der normative Rahmen
- Die wahrgenommene Wirklichkeit
- Der individuelle Anspruch
- Die zu lösenden Probleme
- Vertikale Gewaltenteilung
- Handlungsmöglichkeiten der Union
- Organisation der handelnden Organe
- Rechtliche Grundlage der Union
- Der normative Rahmen
- Das Bewertungsobjekt – Der Vertrag über eine Verfassung für Europa
- Rechtliche Grundlage der Union
- Organisation der handelnden Organe
- Das Europäische Parlament
- Der Europäische Rat
- Der Ministerrat
- Die Europäische Kommission
- Handlungsmöglichkeiten der Union
- Vertikale Gewaltenteilung
- Die Bewertung
- Vertikale Gewaltenteilung
- Handlungsmöglichkeiten der Union
- Organisation der handelnden Organe
- Rechtliche Grundlage der Union
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert den Entwurf des Vertrages über eine Verfassung für Europa anhand der Erklärung von Laeken. Ziel ist es, den Verfassungsentwurf anhand der ihm vorgegebenen Ziele, also mittels eines internen zielorientierten Maßstabes, zu bewerten. Die Arbeit untersucht, inwieweit der Entwurf die in der Erklärung von Laeken formulierten Herausforderungen und Ziele der Europäischen Union aufgreift und beantwortet.
- Bewertung des Verfassungsentwurfs anhand der Erklärung von Laeken als Maßstab
- Analyse des normativen Rahmens der Erklärung von Laeken
- Untersuchung der in der Erklärung von Laeken identifizierten Probleme und Herausforderungen
- Bewertung des Verfassungsentwurfs in Bezug auf die Organisation der Organe der Europäischen Union
- Analyse der rechtlichen Grundlage der Union und ihrer Handlungsmöglichkeiten
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung skizziert die unterschiedlichen Bewertungen des Verfassungsentwurfs durch verschiedene Akteure und stellt die Notwendigkeit einer objektiven und wertneutralen Analyse des Entwurfs heraus. Sie definiert drei mögliche Bewertungsmaßstäbe: einen externen und zwei interne Maßstäbe. Die Arbeit wählt den internen zielorientierten Maßstab und begründet diese Wahl. Die Einleitung stellt den Aufbau der Arbeit dar und führt den Leser in das Thema ein.
Der Bewertungsmaßstab – Die Erklärung von Laeken
Dieses Kapitel stellt die Erklärung von Laeken als Bewertungsmaßstab vor und beleuchtet deren normativen Charakter. Es zeigt, dass die Erklärung von Laeken zwar Fragen offen lässt, aber dennoch einen Rahmen für die erwarteten Antworten liefert. Dieser normative Rahmen wird durch die wahrgenommene äußere Bedrohung und den individuellen Anspruch auf Reformierung der EU geprägt.
Schlüsselwörter
Verfassungsentwurf, Europäische Union, Erklärung von Laeken, Bewertung, normative Rahmen, Vertikale Gewaltenteilung, Handlungsmöglichkeiten, Organe der EU, Rechtliche Grundlage.
- Quote paper
- Florian Jung (Author), 2003, Verfassungsvertrag für Europa - eine Bewertung anhand der Erklärung von Laeken, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22965