Bis(s) aufs Blut. Das Vampirmotiv in Jelineks "Krankheit oder Moderne Frauen"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Einleitung

2. Der Vampirmythos
2.1 Die Herkunft des Vampirmythos'
2.2 Die Modifizierung des Vampirmythos'

3. Jelineks Vampirinnen
3.1 Ihre Einführung in das Stück
3.2 Das Auflehnen und Scheitern der Frauen/Vampirinnen

4. Der Sinn hinter dem vermeintlichen Unsinn
4.1 Warum der Vampirmythos?
4.2 Das Schaurige Groteske

5. Die Regieanweisungen

6. Fazit

Literatur-/Materialverzeichnis

1. Einleitung

Die Bühne ist blutverschmiert, eine Mutter zerfleischt, zusammen mit ihrer neuen Lebensgefährtin, ihre eigenen Kinder. Sie sind lesbische Vampirinnen und verhalten sich wie Mann und Frau. Daneben stehen ihre Männer. Sie bemerken sie nicht, ihr Interesse gilt ausschließlich der Gebärfähigkeit ihrer Frauen und dem Eigenlob der Männlichkeit. Die Rede ist hier nicht von einem Horrorfilm, sondern von Elfriede Jelineks Krankheit oder Moderne Frauen.

Im Folgenden wird das von Jelinek verwendete Vampirmotiv untersucht. Hierbei wird herausgearbeitet, warum sich Jelinek dieses Motivs bedient, welches Ziel ihre Vampirfiguren verfolgen und ob sie es letztendlich erreichen. Hauptgegenstand der Arbeit wird die Frage sein, was Jelinek in ihrem Stück mithilfe des Vampirmotivs, derber Sprache, Perversion, Groteskem und Unverblümten in Bezug auf den Diskurs der Rolle der Frau bezweckt und wie sie das tut.

Dazu wird zuerst ein geschichtlicher Hintergrund geschaffen, um zu erklären, woher der Mythos des Vampirs stammt und wie mit dieser Thematik (heutzutage) umgegangen wird. Dann werden die Vampirfiguren des Stücks näher beleuchtet im Hinblick auf ihre Einführung in die Handlung des Stücks und ihre Verhaltensweisen. Hierbei wird ebenso untersucht, welchen Einfluss Haupt- und Nebentext aufeinander haben und wie ironisierend, verstörend und drastisch diese auf das Stück Einfluss nehmen. Der Haupttext wird im Folgenden den Sprechtext bezeichnen. Unter die Bezeichnung des Nebentextes sollen alle weiteren Angaben, wie Titel, Widmungen, Danksagungen, Personenauflistung, Kommentare der Autorin oder Regieanweisungen zählen. Zitate, die den Nebentext betreffen, werden kursiv geschrieben. Unter den Regieanweisungen sind alle im Text kursiv geschriebenen Anweisungen zu verstehen, die beschreiben, wie das Bühnenbild gestaltet sein soll oder was die Figuren tun und auf welche Weise sie dies tun. Darüber hinaus werden (wertende) Kommentare der Autorin wie bspw. „ Wie Sie das machen, Herr Vorsitzender, ist mir egal.“ (KMF[1], S.197) ebenfalls als Regieanweisung verstanden.

Im darauffolgenden Teil wird die Frage behandelt, weshalb Jelinek den Mythos der Vampire für ihr Stück nutzt und was der Sinn hinter den grotesken Szenerien sowie drastischen Beschreibungen und der teils äußerst derben Sprache ist. Anschließend wird sich auf die Regieanweisungen konzentriert, die oft wie Kommentare wirken. Hier wird untersucht, welche Mittel Jelinek einsetzt, um bspw. Komik zu erzeugen.

2. Der Vampirmythos

2.1 Die Herkunft des Vampirmythos'

Die Vampirthematik kommt ursprünglich aus dem Bereich der Sagen und gründet „auf einer moralisch begründeten Angst vor den Toten“[2]. Diese resultiert aus der Furcht vor einer Kontrolle über den Menschen, die unsichtbar und deshalb auch vor allem nicht abzuwehren oder beeinflussbar ist. Tote spielten in diesem Zusammenhang bis ins 19. Jahrhundert eine beängstigende Rolle in Sagen von Kulturen weltweit, die ihre Verstorbenen begruben. Der Höhepunkt der Vampirsagen lässt sich vom 17. bis zum 19. Jahrhundert datieren. Dabei gab es zwei Versionen. In der einen verbringt der Vampir sein (Nach-)Leben außerhalb seiner Todesstätte. In der anderen, am ehesten verbreiteten Version, steigt der Vampir nur nachts aus seinem Grab, um sich am Blut der Lebenden zu laben und dann wieder ins Erdreich zurückzukehren. Allgemein galt die Auffassung, ein gebissener und angesaugter Mensch werde selbst zu einem Vampir.

In den verschiedenen Kulturen gab/gibt es zwar noch weitere mögliche Ursachen der Vampirwerdung, doch auffällig ist, dass der Vampirismus vor allem Menschen traf/trifft, die sich sozialen oder moralischen Gesetzen widersetzen. So kam dem Vampirismus die Funktion eines Strafvollzuges für Außenseiter der Gesellschaft zu. Als Schutzmaßnahmen gegen Vampire gelten unter anderem das Ausstreuen von Knoblauch, der Gebrauch von Kruzifixen, geweihten Hostien und Rosenkränzen. Um schon im Vornherein effektiv gegen einen möglichen Vampir vorzugehen, empfahl/empfiehlt sich, die verdächtige tote Person auszugraben, ihr mit einem Spaten den Kopf abzutrennen, ihr einen Pflock durch das Herz zu schlagen und sie anschließend zu verbrennen.

Die Vampirsagen nahmen vor allem in den slawischen Gebieten ihren Anfang und gelangten erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den deutschsprachigen Raum. Allerdings beschäftigte sich die Dichtung erst im 19. Jahrhundert mit der Vampirthematik, da sich die damalige Auffassung von Kunst von dem Fantastisch-Wunderbaren eher distanzierte. Als besondere Form des englischen Schauerromans gelangte das Vampirmotiv in der Dichtung über Frankreich nach Deutschland. Vor allem in der Romantik fanden sich gute Grundlagen für Werke wie Turgenews Gespenster, Baudelaires Verwandlungen des Vampirs oder Goethes Braut von Korinth.[3]

In den Sagen, der Literatur und auch in den Vampirfilmen des 20. Jahrhunderts handelt es sich vorwiegend um männliche Vampire. In der Vampirliteratur, wie bei Goethes Braut von Korinth, taucht allerdings auch ein weiblicher Vampir auf, der seinen Geliebten ins Todesreich holt, um ihn nicht der Schwester zu überlassen. In Theodor Hildebrands Roman Der Vampyr oder die Totenbraut sucht eine Verstorbene ihren untreuen Geliebten auf, heiratet diesen, saugt ihn bis zum Tode aus und rächt sich so an ihm. In Friedrich August Launs und Johann August Apels Gespensterbuch wird der untreue Liebhaber vom Geist seiner Frau getötet. Hier wird deutlich, dass die vor allem von Männern entworfenen Vampirinnen meistens von Rache angetrieben werden. Sie holen sich das zurück, was ihnen von Vornherein zugestanden hätte. So werden sie zu Verfechtern der Moral. Im Gegensatz dazu scheinen die männlichen Vampire ihr Dasein ohne emotionale Bindung und ungezielt zu fristen, indem sie sich keine bestimmten Opfer zum Aussaugen suchen.

2.2 Die Modifizierung des Vampirmythos'

Die Verfilmungen des Vampirstoffs zeigen sich zunächst noch vor allem durch männliche Vampirfiguren geprägt. So unter anderem Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens nach der Romanvorlage Bram Stokers Dracula. Sehr beliebt sind auch die Verfilmungen von Tod Browning.[4] Hier fällt vor allem die Modifizierung des Vampirs auf. War er bei Murnau noch ein kahlköpfiges untersetztes Wesen in dunkler Kleidung mit überlangen Fingernägeln, spitzen langen Ohren und an Hasen erinnernde großen Schneidezähnen, wirkt bei Browning der Vampir gentlemanhaft und adrett. Außerdem werden in den Filmen weder Fangzähne noch Blut gezeigt. Die Modifizierung des Vampirs verlief weiter bis hin zur Erotisierung. Ebenso wurde nunmehr auf heterosexuelle Strukturen geachtet, um dem Vampir einen verführerischen Beigeschmack zu verleihen. Vor allem durch Terence Fisher und seinem Film The Brides of Dracula wurde im Bezug hierauf ein Beispiel etabliert. So wurden die Opfer des Vampirs nun fast ausschließlich Frauen. Der Durst nach Blut wurde mit sexuellen Gelüsten gleichgestellt. Der Vampir strahlt so nicht mehr Todesangst aus, sondern übernimmt die Rolle eines Don Juan, der als Vampir zügellose Freiheit suggeriert.

Die Bezeichnung des „Vamp“ wurde durch den Film Louis Feuillades Les Vampires (1915) geprägt und bezieht sich ausschließlich auf die Frau. Dieser Begriff konstituierte sich in den folgenden Jahren und wurde der Inbegriff der skrupellosen, äußerst attraktiven, dämonischen, verführerischen und gefährlichen Frauenfigur.[5]

Die Entstehung der Vampirsage resultierte aus einer kollektiven Angst vor der Rache oder Schuldeintreibung der zurückgekehrten Verstorbenen. Diese Angst wurde im Laufe der Zeit verdrängt durch die Sexualisierung des Vampirmotivs. Der Vampir wurde zum adretten Gentleman, die Vampirin wurde zur Wunschprojektionsfläche der männlichen sexuellen Idee.

3. Jelineks Vampirinnen

3.1 Ihre Einführung in das Stück

Die Besonderheiten Jelineks Vampirinnen werden schon in der dem Stück vorangestellte Personenauflistung deutlich. Hier werden Emily und Carmilla nicht nur als Figur aufgelistet, sondern genau geäußert, um was es sich bei ihnen handelt. Emily ist „ Krankenschwester und Vampir[6], Carmilla „ Hausfrau, Mutter und Vampir, österr. “, und zuletzt sind beide „ Ein Doppelgeschöpf (Emily und Carmilla, zusammengenäht) “.[7] Emily wird zuerst mit ihrer Berufsbezeichnung eingeführt. Sie ist Krankenschwester. Dies steht als Paradox ihrem Vampirismus gegenüber, denn jemand, der anderen das Leben rettet bzw. ihnen hilft, scheint nicht vereinbar mit einem Wesen, das anderen das Blut aussaugt, um sich selbst zu erhalten. Allerdings steht in der Personenauflistung fest: Emily ist Beides: Leben(-sretter) und Tod zugleich. Carmillas Beschreibung hingegen zeigt zuerst ihren Status in der Gesellschaft. Sie ist nicht nur Hausfrau, sondern auch Mutter. Darüber hinaus ist sie Vampir. Das angehängte „ österr.“ untermalt noch einmal, ihren gesellschaftlichen Status. Eine „biedere österreichische Hausfrau“[8]. Dies ist ebenso wie bei Emily ein Paradoxon. Carmilla, die für Ordnung sorgende Hausfrau und lebenspendende Mutter ist zugleich auch wieder ein Geschöpf, das die Ordnung stört, weil es Angst verbreitet und gefährlich ist und vor allem den Lebenden den Lebenssaft entzieht. Als Letztes wird das aufgelistet, was aus ihnen beiden wird. Sie sind keine eigenständigen Figuren mehr, sondern bilden ein Doppelgeschöpf, „ zusammengenäht“.

[...]


[1] Jelinek, Elfriede: Krankheit oder Moderne Frauen. Wie ein Stück. In: Theaterstü>

[2] Caduff 1991, 119.

[3] Siehe Caduff 1991, 122.

[4] Siehe Caduff 1991, 125.

[5] Siehe Caduff 1991, 127/128.

[6] KMF, S.192.

[7] KMF, S.192.

[8] Hoffmann 1991, 194.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Bis(s) aufs Blut. Das Vampirmotiv in Jelineks "Krankheit oder Moderne Frauen"
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft)
Veranstaltung
Theorie und Ästhetik - Das Drama vom Beiwerk des Dramas. Verhandlungen des Nebentexts im Buch und auf der Bühne
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
24
Katalognummer
V229920
ISBN (eBook)
9783656452980
ISBN (Buch)
9783656455530
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elfriede Jelinek, Jelinek, Vampir, Drama, Mythos, Nebentext, Regieanweisungen, Krankheit oder Moderne Frauen, Grotesk, Rolle der Frau, Emanzipation
Arbeit zitieren
B.A. Bachelor of Arts Stefanie Zellmann (Autor:in), 2013, Bis(s) aufs Blut. Das Vampirmotiv in Jelineks "Krankheit oder Moderne Frauen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/229920

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