Der Schuldbegriff in Friedrich Dürrenmatts "Die Panne"

Eine Auseinandersetzung mit dem Thema "moralische Schuld"


Seminararbeit, 2013

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Gerichtsspiel und die Anklage

3 Zwei Schuldbegriffe
3.1 Juristische Schuld
3.2 Moralische Schuld
3.2.1 Wo ist ihr Ursprung?
3.2.2 Welche Bereiche umfasst sie?
3.2.3 Wer ist schuldig bzw. unschuldig?
3.2.4 Wie ist sie zu bestrafen?

4 Bewertung der Justiz bezüglich der Schuldfrage
4.1 Die Juristen
4.2 Die Gerichtsverhandlung
4.3 Das Urteil
4.4 Die Urteilsvollstreckung

5 Fazit

6 Bibliographie

1 Einleitung

„[Ein] Verbrechen lasse sich immer finden“,[1] denn „zu gestehen habe man immer was“.[2] Das sind zwei zentrale Behauptungen bezüglich des Themas Schuld in Friedrich Dürrenmatts Die Panne. Doch warum lasse sich immer ein Verbrechen finden? Warum habe jeder Mensch etwas zu gestehen? Wohl kaum stand die gesamte Menschheit schon einmal vor einem Gericht, ist geschweige denn auf Grund irgend einer Straftat verurteilt worden. Dieses scheinbaren Widerspruchs will sich die vorliegende Hausarbeit widmen. Ein Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt in dem Unterschied von juristischer und moralischer Schuld. Um darauf eingehen zu können, ist es notwendig, eine kurze Einführung zur Erzählung Die Panne zu geben, in der das Gerichtsspiel und die Anklage des Hauptcharakters Alfredo Traps vorgestellt wird. Auf diesen Punkt wird ein Erklärungsversuch zu den Unterschieden von juristischer und moralischer Schuld folgen. Dabei wird insbesondere untersucht werden, was sich hinter dem Begriff ,moralische Schuld' verbirgt, wo ihr Ursprung zu finden ist, wer sich ihrer schuldig macht und wie eine mögliche Bestrafung aussehen könnte. Im weiteren wird diese Hausarbeit die Frage behandeln, ob die Schuld nur bei dem Hauptcharakter Alfredo Traps zu suchen ist oder ob auch die Juristen eine gewisse Schuld mit ins Gerichtsspiel bringen. Hierzu werden die Juristen an sich, sowie auch die Gerichtsverhandlung, das Urteil und die Urteilsvollstreckung untersucht werden. Zuletzt wird in einem Fazit zusammenfassend erklärt werden, warum die Frage nach der Schuld solch ein zentrales Thema in Dürrenmatts Werk Die Panne ist, und inwiefern dieses Thema auch als Kritik an die Menschheit zu verstehen ist.

Friedrich Dürrenmatts Die Panne erschien 1955 als Erzählung und wurde in den folgenden Jahren als Hörspiel (1956), als Fernsehspiel (1957) und als Komödie (1979) produziert. Die Erzählung unterscheidet sich von den drei anderen Varianten, da es Abweichungen im Geschehen gibt, insbesondere das Ende der Geschichte betreffend. Die Hausarbeit wird sich mit dem Original, der Erzählung, beschäftigen.

2 Das Gerichtsspiel und die Anklage

Alfredo Traps, Hauptcharakter in Die Panne, wird auf Grund einer Autopanne etwas unfreiwillig Gast im Hause des pensionierten Richters Herrn Wucht. Aus Höflichkeit sagt er zu, als er zu einem gemütlichen Herrenabend mit dem Gastgeber und drei seiner Freunde eingeladen wird. Die anfängliche Vermutung, es könne langweilig werden, bestätigt sich nicht, denn die vier alten Herren sind alle ehemaligen Juristen und versüßen sich den Lebensabend mit regelmäßigen Festmahlen, bei welchen sie ihre alten Berufe aufleben lassen und ein Gerichtsspiel veranstalten. Bei diesem Gerichtsspiel übernimmt der Gast immer den Posten des Angeklagten. Ist kein Gast da, nehmen sie sich „die berühmten historischen Prozesse“vor[3], wie zum Beispiel die Prozesse von Sokrates, Jesus oder Jeanne d'Arc, und fällen unter ganz eigenen Regeln ihr Urteil. So berichtet Herr Wucht voller stolz, dass einmal sogar „Friedrich der Große für unzurechnungsfähig erklärt worden“ sei.[4] Lieber sei ihnen dabei jedoch, „wenn am lebenden Material gespielt werde“[5]. Schon hier zeigt sich, was Eberhard Schmidhäuser dazu observierte: „Traps ist für [die Alt-Juristen] nicht so sehr Mitspieler, als vielmehr Spielobjekt.“[6] Das Gerichtsspiel sieht vor, dass der Angeklagte verhört wird und das eigentlich zu behandelnde Verbrechen erst gefunden werden muss. Der Staatsanwalt Zorn „übernimmt […] die Rolle des Detektivs“.[7] Er versteht sich darauf, den Angeklagten vorsichtig auszufragen und im späteren Verlauf die Ereignisse zu dramatisieren, sodass in der Anklagerede aus scheinbar unzusammenhängenden Lapidarien und Ereignissen ein durchgeplantes Verbrechen entsteht. Traps passiert dies, während er das umfangreiche köstliche Abendessen genießt und zuerst nicht versteht, dass die scheinbar harmlosen Fragen bereits das Verhör darstellen. Die pensionierten Juristen erlauben sich, sich über die den einstigen „unnötigen Wurst der Formeln, Protokolle, Schreibereien, Gesetze“ hinwegzusetzen und „ohne Rücksicht auf die lumpigen Gesetzbücher und Paragraphen“[8] ihr Urteil zu fällen. Vor diesem Hintergrund und unterstützt durch Traps Redseligkeit, findet der Staatsanwalt Zorn schnell ein Verbrechen: Traps wird des Mordes an seinem ehemaligen Chef Gygax angeklagt.

3 Zwei Schuldbegriffe

3.1 Juristische Schuld

Was hier als juristische Schuld benannt ist, kann laut Karl Jaspers' Die Schuldfrage auch „kriminelle Schuld“ heißen. Jaspers erklärt, dass kriminelle Schuld dann vorliegt, wenn „objektiv nachweisbare Handlungen […] gegen eindeutige Gesetze verstoßen.“[9] In Deutschland ist dabei das „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“[10] mit seinen 146 Paragraphen ausschlaggebend. Sofern eine Handlung begangen wird, die gegen dieses Grundgesetz verstößt, muss die jeweilige Instanz, d.h. also „das Gericht, das in formellem Verfahren die Tatbestände zuverlässig festlegt und auf diese Gesetze anwendet“,[11] den Schuldigen bestrafen. Ausschlaggebend ist dabei „die Anerkenntnis des Schuldigen seitens des Richters in seiner freien Willensbestimmung“.[12] Juristische Schuld betrifft also nur den öffentlichen, äußerlichen Bereich der Menschheit. Schuld liegt in diesem Sinne nur vor, wenn eine Handlung festzustellen ist, die gegen das Grundgesetz des jeweiligen Landes begangen worden ist. Jegliche Schuld, die darüber hinaus geht und zum Beispiel das moralische Empfinden einer Gesellschaft betrifft, kann nicht als juristische Schuld geahndet werden.

3.2 Moralische Schuld

3.2.1 Wo ist ihr Ursprung?

Den Ursprung moralischer Schuld festlegen zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen und drängt einen dazu, Eingrenzungen vornehmen zu müssen. Karl Jaspers schreibt, dass „das eigene Gewissen“[13] ausschlaggebend ist, wenn man moralische Schuld bewerten will. Doch spricht man vom eigenen Gewissen, drängt sich sofort die nächste Frage auf: Nach welchen Maßstäben richtet sie das eigene Gewissen? Kann man eine Basis festlegen, die bei allen Menschen gleich ist? Hat überhaupt jeder Mensch ein moralisches Empfinden, kann dementsprechend also auch moralisch schuldig werden? Allgemein ist eine Grundtendenz feststellbar, dass Menschen sich in ihrem moralischem Empfinden von der jeweiligen Kultur – und noch wichtiger – von der jeweiligen Religion des Landes beeinflussen lassen, selbst wenn sie nicht unbedingt Gläubige oder Anhänger dieser Religion sind. So kann es durchaus sein, dass sich das moralische Empfinden von beispielsweise Islamisten, Buddhisten oder Christen unterscheidet, da sich die Gesetze und Regeln dieser Religionen in manchen Punkten sehr, in anderen Punkten weniger stark voneinander unterscheiden.

Man kann davon ausgehen, dass Die Panne in einem christlich geprägten Land spielt.[14] So muss man die Religion des Christentums als weitere Instanz sehen, die das moralische Empfinden der Charaktere prägt. So beschäftigt man sich also nun mit dem Ursprung der moralischen Schuld vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens. Diese Annahme wird dadurch verstärkt, dass der Autor Friedrich Dürrenmatt selbst Sohn eines protestantischen Pfarrers war,[15] also seine Werke auch mit Hinblick auf den christlichen Glauben geschrieben haben könnte. Folglich kommt dann der christliche Begriff für Schuld ins Spiel: der Begriff der Sünde. Sünde bezeichnet all jene Taten, die gegen den Willen und gegen die Gesetze des Gottes der Bibel verstoßen. Oberste Instanz und Richter ist dabei Gott selbst.

3.2.2 Welche Bereiche umfasst sie?

Festzuhalten ist, dass die Bewertung von moralischer Schuld in dieser Hausarbeit nun vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens stattfindet. Deshalb umfasst sie also alle Bereiche, die in der Bibel als Sünde bezeichnet werden. Diese Bereiche aufzuzählen, wäre zu umfangreich und nicht im Sinne der Hausarbeit. Doch angewandt auf Die Panne ist es notwendig wenigstens solche Bereiche wie Habsucht, Ehebruch, Lüge und – wofür der Hauptcharakter Traps letztendlich auch angeklagt wird – Mord zu erwähnen, da man dadurch einen Anhaltspunkt hat, inwiefern Traps Verfehlungen zu bewerten sind.

3.2.3 Wer ist schuldig bzw. unschuldig?

Konnte man in Falle der juristischen Schuld ganz klar erkennen, dass nur derjenige schuldig ist, der gegen das Grundgesetz verstößt, ist dies bei moralischer Schuld nicht so einfach festzustellen. Geht man vom christlichen Glauben aus – was in dieser Hausarbeit nun der Fall ist – muss man die Antwort auf die Frage „Wer ist schuldig bzw. unschuldig?“ in dem Buch suchen, dass den Willen und die Gesetze Gottes wiedergibt: der Bibel. Haben wir zuvor gesehen, dass moralische Schuld im Sinne des christlichen Glaubens mit Sünde gleichgesetzt werden kann, so findet man in der Bibel sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament den Vers: „Alle sind abgewichen [...] da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer.“[16] Gemeint ist hierbei, dass alle Menschen von der obersten Instanz, von Gottes Gesetzen, abgewichen sind und sich somit schuldig gemacht haben. So kann man nun auch die eingangs zitierten Sätze „[Ein] Verbrechen lasse sich immer finden“,[17] denn „zu gestehen habe man immer was“[18] verstehen. Nimmt man den christlichen Glauben als Instanz um die moralische Schuld eines Menschen zu bewerten, so ist die einzig zulässige Schlussfolgerung, dass sich jeder Mensch moralisch schuldig gemacht hat. Dürrenmatt lässt in seiner Erzählung durchscheinen, dass sich ähnlich wie Traps die wenigsten Menschen jedoch dieser Schuld, ihrer moralischen Schuld, bewusst sind. „Wer von uns kennt sich, wer weiß von seinen Verbrechen und geheimen Untaten?“[19] lässt er den Staatsanwalt Zorn rhetorisch fragen. Schmidhäuser folgert daher, dass es in unserer Gesellschaft „einen unsubstanziierten Generalverdacht gegen jeden Menschen“ gibt, und dass die Folge davon ist, dass kein „wechselseitiges Vertrauen“ mehr vorherrschen kann.[20]

[...]


[1] Friedrich Dürrenmatt: „Die Panne“. In: (o. Hg.).: Das Versprechen / Die Panne. Zürich o.J. S. 177-244, hier: S. 191.

[2] Friedrich Dürrenmatt: „Die Panne“. In: (o. Hg.).: Das Versprechen / Die Panne. Zürich o.J. S. 177-244, hier: S. 210.

[3] Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 190.

[4] Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 190.

[5] Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 190.

[6] Eberhard Schmidhäuser: Verbrechen und Strafe. Ein Streifzug durch die Weltliteratur von Sophokles bis Dürrenmatt. München 1995. S. 221.

[7] Ira Tschimmel: Kriminalroman und Gesellschaftsdarstellung. Eine vergleichende Untersuchung zu Werken von Christie, Simenon, Dürrenmatt und Capote. Bonn 1979. S. 111

[8] Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 204.

[9] Karl Jaspers: Die Schuldfrage. Heidelberg 1946. S. 31.

[10] „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“. http://www.bundestag.de/dokumente/ rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg.html. (01. Juni 2012).

[11] Karl Jaspers: Die Schuldfrage. Heidelberg 1946. S. 31.

[12] Jaspers: Die Schuldfrage. S. 35.

[13] Jaspers: Die Schuldfrage. S. 31.

[14] Vgl. Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 236

[15] Vgl. Heinrich Goertz: Friedrich Dürrenmatt: mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1997. S. 134.

[16] Die Bibel. Psalm 53,4 und Römer 3,12.

[17] Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 191.

[18] Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 210.

[19] Dürrenmatt: „Die Panne“. S. 217.

[20] Eberhard Schmidhäuser: Verbrechen und Strafe. Ein Streifzug durch die Weltliteratur von Sophokles bis Dürrenmatt. München 1995. S. 215.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Schuldbegriff in Friedrich Dürrenmatts "Die Panne"
Untertitel
Eine Auseinandersetzung mit dem Thema "moralische Schuld"
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltung
Kriminalerzählungen von Schiller bis Dürrenmatt
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V230107
ISBN (eBook)
9783656461296
ISBN (Buch)
9783656461883
Dateigröße
513 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schuld, Dürrenmatt, Die Panne
Arbeit zitieren
Carolin Kotthaus (Autor:in), 2013, Der Schuldbegriff in Friedrich Dürrenmatts "Die Panne", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230107

Kommentare

  • Gast am 29.2.2020

    Der juristische Teil ist kompletter Nonsens! Zum einen besteht das Grundgesetz aus Artikeln, zum anderen richtet es sich und verpflichtet den Staat. Nicht eine Straftat wird dort normiert, sondern höchstens Grundsätze des Strafverfahrens: nullem crimen sine lege, zum Beispiel. Straftaten stehen im Strafgesetzbuch und diese werden nach "Objektivem und subjektivem Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld" festgestellt.

    Das ist wirklich nicht eindrucksvoll für eine Arbeit, für die man auch noch Geld bezahlen soll.

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