Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einführung
1.1. Heranführung an die Thematik
1.2. Verwendete Quellen
2. Definition von Nachhaltigkeit
2.1. Die Stationen auf dem Weg zur ‚nachhaltigen Entwicklung‘
2.2. „Nachhaltigkeit“ im wissenschaftlichen Diskurs
2.3. Die drei Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung
2.3.1. Die ökologische Dimension
2.3.2. Die ökonomische Dimension
2.3.3. Die soziale Dimension
3. Indonesiens Palmölsektor
3.1. Die Entwicklung der indonesischen Palmölproduktion
3.2. Die relevanten gesellschaftlichen Akteure
4. Palmölproduktion - Wachstumsmarkt mit Nachhaltigkeitsgarantie?
4.1. Globale und lokale Ausmaße der indonesischen Palmölproduktion
4.2. ‚Sustainable Palm Oil‘ - Zertifizierte Nachhaltigkeit?
4.3. Die „Neukonfiguration von (gesellschaftlichen) Naturverhältnissen“
4.3.1. Die ökonomische Dimension- ökonomische Sicherheit
4.3.2. Die soziale Dimension- soziale Gerechtigkeit
4.3.3. Die ökologische Dimension- ökologisches Gleichgewicht
5. Fazit ‚Mehr Schein als Sein‘
6. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit. Quelle: Hofmann. TU Darmstadt
Abbildung 2: Weltkarte der Bewirtschaftung in 43 Palmöl-produzierenden Ländern. Quelle: Teoh.2010:
Abbildung 3: ungleiche Gewichtung im Drei-Säulen-Modell (nach Hofmann) bezogen auf Indonesiens Palmölsektor (eigene grafische Ergänzung)
1. Einführung
1.1. Heranführung an die Thematik
„Nachhaltigkeit“ ist ein zunehmend zentralerer Begriff in unserem alltäglichen Leben. Viele Produkte werden als „aus nachhaltiger Produktion“ deklariert und im großen Maße konsumiert. „Nachhaltige Entwicklung“ ist ein weltweit anerkanntes Leitbild in der Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, welches seit über 60 Jahren in der internationalen Debatte Eingang findet. Gegenwärtig ist die Nachhaltigkeitsdebatte, ausgelöst durch den globalen Klimawandel, so omnipräsent wie noch nie. Palmöl, als nachwachsender Rohstoff, wird dabei als „Schlüssel [im] Kampf“ [1] gegen den globalen Klimawandel und für die Versorgungssicherheit innerhalb der Gemeinschaft gesehen. Doch wie nachhaltig kann beispielsweise eine Palmölproduktion sein, wenn dafür Regenwälder degradiert und Menschen vertrieben werden?
Viele verschiedene Nachhaltigkeitsmodelle wurden in den letzten Dekaden formuliert. Von großer Bedeutung ist hier das Nachhaltigkeitsdreieck nach Carlowitz, welches die Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung vorgibt: Ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit[2]. Es zielt auf eine Umsteuerung auf globaler, nationaler und lokaler Ebene ab, um die Lebenssituation der heutigen Generation in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht zu verbessern. Gleichzeitig sollen die Lebens- und Entwicklungschancen künftiger Generationen nicht gefährdet werden. Diese drei integrativ betrachteten Nachhaltigkeitsdimensionen gelten international als die Grundziele um eine lebenswerte Existenzgrundlage für die Weltgemeinschaft zu schaffen. Diese Definition der Nachhaltigkeit wird seit 1983 von den Vereinten Nationen verwendet. Allerdings ist der Nachhaltigkeitsbegriff nur ein formaler Konzeptrahmen, mit dem einerseits markante Zielkonflikte einhergehen und der andererseits multiple Interpretationsmöglichkeiten bietet. Heute existieren über 70 Definitionen dieses Begriffs, welche durch unterschiedliche Auslegungen des Konzepts entstehen[3].
Da die Problematik der Nachhaltigkeit kein einfach abgrenzbares policy-Feld ist, sondern ein Querschnittsthema, das andere gesellschaftliche und ökologische Bereiche tangiert, sollen im Folgenden jene komplexen Wechselwirkungen und Prozesse an dem paradigmatischen Beispiel der nachhaltigen Palmölproduktion in Indonesien, dem Land mit der höchsten Palmöl Produktions- und Exportquote, skizziert und verdeutlicht werden. Kein anderes Thema polarisiert die globale Diskussion so sehr, wie die energetische Verwendung von „Sustainable Palm Oil“ als erneuerbare Ressource. Der Anteil von Palmöl beim weltweiten Verbrauch von pflanzlichen Ölen ist in den letzten Jahren von 11 auf 34 Prozent gestiegen[4]. Da dieser „Boom“ der Palmölproduktion vor allem in Indonesien stattfindet, fällt der Fokus im Hinblick auf eine nachhaltige Palmölproduktion auf die dort verwendeten lokalen Methoden. Gravierende ökologische und soziale Folgen sind hier offensichtlich unvermeidlich und werden von internationalen sowie lokalen Umweltorganisationen und NGOs laufend dokumentiert. Dies zeigt sich beispielsweise auch in der aktuellen Debatte um den umstrittenen E10-Treibstoff, welcher größtenteils aus Palmöl besteht. Sogar der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel spricht sich aktuell gegen die europaweite Förderung aus: „ Das ist ein Konflikt zwischen Tank und Teller “ [5]. Dementsprechend sind Nachhaltigkeitsfragen in diesem Bereich umso relevanter und brisanter. Die indonesischen Ölpalmen werden auf Kosten von Regenwäldern angebaut, welche zum einen Lebensraum für Mensch und Tier und zum anderen riesige Kohlenstoffspeicher sind. Indonesien produziert derzeit über 20 Millionen Tonnen Palmöl jährlich und ist gleichzeitig drittgrößter Treibhausgas-Emittent weltweit[6]. Die Auswirkungen der stark expandierenden Palmöl- Industrie in Indonesien sind inzwischen unübersehbar.
Ein Lichtblick bei der nachhaltigen Produktion von Palmöl scheinen die Zertifizierungsversuche der indonesischen Regierung sowie des Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) zu sein, welche sich um Nachhaltigkeitsstandards in diesem Sektor bemühen. Hier wird versucht einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Interessen und umweltpolitischen Zielen zu erreichen. Mehrere 10.000 Tonnen zertifiziertes Palmöl konnten dadurch in den letzten fünf Jahren aus Indonesien exportiert werden. Allerdings sind anerkannte Standards und deren Zertifizierung für die nachhaltige Produktion von Palmöl bisher wenig erforscht, vor allem hinsichtlich der ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen. Deswegen wird in dieser Arbeit, auf Grundlage der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit - der indonesische Palmölsektor eingehend untersucht. Denn wie „nachhaltig“ kann die Palmölproduktion in Indonesien sein und wie wird Nachhaltigkeit in diesem Kontext überhaupt definiert?
Dafür wird zunächst der Begriff „Nachhaltigkeit“ nach internationalen Standards erläutert und im wissenschaftlichen Diskurs betrachtet, bevor auf das Drei-Säulen-Modell eingegangen wird, welches die Grundlage für die in dieser Arbeit durchgeführte Analyse darstellt. Anschließend wird der indonesische Palmölsektor hinterfragt, um folglich dessen Ausmaße auswerten zu können. Das Konzept des zertifizierten „Sustainable Palm Oil“ bildet dann den Anstoß für eine kritische Analyse der ökonomischen, sozialen und ökologischen Dimensionen der Palmölproduktion.
1.2. Verwendete Quellen
Wegen der kontroversen Debatte um dieses Thema wird in dieser Arbeit vorzugsweise auf Primärquellen zurückgegriffen. Dort wo diese keine Erkenntnisse bringen, wurde Sekundärliteratur genutzt. Ein Quellenschwerpunkt liegt dabei auf den wesentlichen Konventionen der internationalen Klimakonferenzen sowie Publikationen von Grunwald/Kopfmüller und Kleine bezüglich der Entwicklung der Nachhaltigkeitsidee. Darüber hinaus stützt sich die Arbeit auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen und eine Vielzahl von Forschungsberichten über die Entwicklung der Palmölindustrie speziell in Indonesien. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Studien von Marti (2008) und Hütz-Adams (2011), sowie einschlägigen Studien von Greenpeace International und Sawit Watch. Die Quellen, welche verwendet wurden sind oft subjektiv und von den Interessen und Zielen der Autoren geprägt (bspw. Greenpeace International und IPOB). Diese Arbeit setzt sich daher das Ziel der Erstellung eines objektiven Gesamtbildes.
2. Definition von Nachhaltigkeit
Um Nachhaltigkeit in Bezug auf den Palmölsektor in Indonesien untersuchen zu können, wird in diesem Kapitel zunächst der Begriff an sich näher beleuchtet. Dafür ist zunächst ein geschichtlicher Abriss des Nachhaltigkeitskonzepts notwendig. Einige ausgewählte Stationen zum Begriff der „Nachhaltigkeit“ beziehungsweise „Sustainable Development“ sollen vor allem in Bezug auf die Erhaltung der Regenwälder aufgezeigt werden. Im Anschluss wird der teilweise unscharfe Nachhaltigkeitsbegriff im wissenschaftlichen Diskurs veranschaulicht, bevor auf das Drei-Säulen-Modell eingegangen wird.
2.1. Die Stationen auf dem Weg zur ‚nachhaltigen Entwicklung‘
Bereits im 18. Jahrhundert wurde der Begriff „Nachhaltigkeit“ angeführt und fand bis zum Ende der 1960er Jahre hauptsächlich in der Forstwirtschaft Beachtung. Er bezeichnet seitdem die Verpflichtung, Reserven für künftige Generationen zu erhalten. Das von Hans Carl von Carlowitz 1713 erstmals beschriebene Dreieck der Nachhaltigkeit - ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit - nimmt heute als Begriff des „Sustainable Development“ im internationalen Diskurs seinen Platz ein. Hans von Carlowitz gilt daher als Schöpfer des noch heute gültigen forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriffes[7].
„ Der Mensch m ü sse in dem ‚ grossen Welt-Buche der Natur studiren ‘ . Er m ü sse erforschen, wie ‚ die Natur spielt ‘ , und dann ‚ mit ihr agiren ‘ und nicht wider sie. “ [8]
Der Ursprung moderner Umweltpolitik liegt in den 1960er beziehungsweise 1970er Jahren. Durch die vom Club of Rome 1972 aufgezeigten „Grenzen des Wachstums“ („The limits to growth“) wurde der begrenzte Handlungsspielraum der damaligen Umweltpolitik deutlich und die UNO begann das alte Konzept von Carlowitz zu überdenken[9]. Die Aktualität dieses Themas war vor allem durch die Erkenntnis begründet, dass die natürliche Umwelt und ihre Ressourcen durch menschliches Handeln zerstört und ausgebeutet wurden und werden.
1983 wurde die von den Vereinten Nationen eingerichtete Weltkommission f ü r Umwelt und Entwicklung (WCED)[11] unter Vorsitz des ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten Gro Harlem Brundtland gegründet. Unter dem Titel „Our Common Future“ veröffentlichte die Brundtland-Kommission 1987 einen Zukunftsbericht für die internationale Gemeinschaft, die nachhaltige Entwicklung wie folgt definiert:
„ Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. ” [12]
In diesem Bericht wurde erstmals das Leitbild einer integrativen nachhaltigen Entwicklung konzipiert. Diese Definition sollte die Grundlage für viele der darauf folgenden Ansätze und Konzepte zur Nachhaltigkeit bilden[13].
Bei dem Weltklimagipfel der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 wurde ein Aktionsprogramm für eine weltweite nachhaltige Entwicklung beschlossen. Zu erwähnen sind hier vor allem die „Agenda 21“ und die aus ihr hervorgegangenen lokalen Initiativen, wie die „Konvention zum Schutz der Artenvielfalt“ und die „Waldgrundsatzerklärung“[14]. Die Agenda 21 zielt auf einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Interessen und umweltpolitischen Zielen. Dadurch soll ein Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie eingestellt werden. „Nachhaltigkeit“ bedeutet in diesem Zusammenhang qualitatives Wirtschaftswachstum und sieht zugleich ökologieverträgliches Handeln als Voraussetzung dafür an. In Kapitel 11 bezieht sich die Agenda 21 auf die Bekämpfung der Entwaldung. In Abschnitt 11.1 heißt es:
„ Die politischen Konzepte, Verfahren und Mechanismen zur Unterst ü tzung und Stärkung der vielfältigen ö kologischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rolle der Bäume, Wälder und Waldgebiete weisen gravierende Schwachpunkte auf “ [15] .
In der Waldgrundsatzerklärung von Rio de Janeiro wurden Leitsätze für die Bewirtschaftung, Erhaltung und nachhaltige Entwicklung der Wälder der Erde aufgestellt. Durch diese eher unverbindliche Absichtserklärung sollen Wälder nach ökologischen Maßstäben bewirtschaftet, erhalten und geschützt werden. Eine Reihe von Grundsätzen untermalen diese Vorgaben, wie zum Beispiel der Vorsatz, dass „alle Länder sich an der ‚Begrünung der Welt‘ beteiligen, indem sie ‚Wälder aufforsten und erhalten‘ (sic), oder ‚jedes Land eine umweltgerechte Forstplanung‘ braucht, die auf dem ‚Grundsatz der Umweltverträglichkeit‘ beruht“[16]. Die Industriestaaten forderten eine verbindliche Walddeklaration, jedoch scheiterte diese am Widerstand der Entwicklungsländer. Diese betrachteten den Wald nicht ausschließlich als wichtigen Faktor für das ökologische Gleichgewicht, sondern besonders als Wirtschaftsfaktor. Sie beriefen sich daher auf die Souveränität über ihre nationalen Ressourcen. In weiteren Verhandlungen wurde die Walddeklaration konkretisiert, bei welcher die wirtschaftlichen Interessen der Schwellen- und Entwicklungsländer stärker berücksichtigt wurden.
1993 wurde die Weltwaldkonferenz in Jakarta ausgerichtet, an der rund 350 Vertreter aus 33 Ländern teilnahmen. Ziel dieser Konferenz war es, den internationalen Handel gerechter zu gestalten, um die Einnahmen der Entwicklungs- und Schwellenländer zu verbessern, damit diese mehr in den Naturschutz investieren könnten[17]. Die Holzexportländer Südostasiens forderten daher von der UNO ein, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die eine weltweit verbindliche Walddeklaration ausarbeiten sollte.
Beim Klimagipfel im japanischen Kyoto 1997 wurde das gleichnamige Kyoto-Protokoll von 183 Staaten unterzeichnet. Dieses sieht bis 2015 die Reduzierung der CO2-Emissionen um fünf Prozent gegenüber dem Stand von 1990 vor[18]. Dieses Protokoll enthält erstmals rechtsverbindliche Begrenzungs- und Verringerungsverpflichtungen für die Industrieländer und ist somit ein Meilenstein in der Umsetzung der UN-Klimakonventionen. Die einzelnen Länder haben dabei unterschiedliche Vorgaben angenommen, die vor allem von ihrer wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Für Schwellen- und Entwicklungsländer, welche auf eine gleichwertige wirtschaftliche Entwicklung bestanden, waren keine Beschränkungen vorgesehen[19].
Die gemeinsame Ausarbeitung der Millenniumsentwicklungsziele im Jahr 2000 durch die Vereinten Nationen, die Weltbank, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und mehrere Nichtregierungsorganisationen ist eine weitere wichtige Station auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung. Das siebte der acht Entwicklungsziele beschreibt „ die Sicherstellung der ö kologischen Nachhaltigkeit “[20]. In diesem Rahmen sollten die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in der Politik und in den Programmen der einzelnen Staaten verankert und die Vernichtung von Umweltressourcen, vor allem durch Entwaldung, eingedämmt werden. Außerdem sollte der Verlust der Biodiversität verringert und bis 2010 eine signifikante Drosselung der Verlustrate erreicht werden[21].
Auf der 11. UN- Klimarahmenkonferenz in Montreal 2005 wurde dann ein neuartiger Mechanismus vorgeschlagen, der Entwicklungsländern finanzielle Anreize bietet, Entwaldung zu vermeiden und damit klimaschädliche Treibhausgas- Emissionen (THG) zu verringern. Bei der Folgekonferenz auf Bali (2007) wurde beschlossen, diese Maßnahmen unter dem Namen REDD[22] zusammenzufassen. In den folgenden Jahren wurde der REDD- Mechanismus weiterentwickelt und es wurden auch Maßnahmen eingeschlossen, die beispielsweise die Auf- forstung von Wäldern sowie die nachhaltige Waldbewirtschaftung berücksichtigen. Das REDD-Modell spielt bei den Verhandlungen im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, der Nachfolgeregelung zum Kyoto-Protokoll, eine Rolle als ein möglicher Weg zur Reduktion von Treibhausgasen und zur Nutzung von Wäldern als Kohlenstoffspeicher. Diese erweiterten Maßnahmen laufen unter der Bezeichnung „REDD+". Das Programm umfasst 29 Länder aus Afrika, dem asiatisch-pazifischen Raum und Lateinamerika[23], darunter auch Indonesien. „ Sustainable development is a term that everyone likes, but nobody is sure of what it means ” .[24]
2.2. „Nachhaltigkeit“ im wissenschaftlichen Diskurs
Dieses Zitat von Daly verdeutlicht den Nachhaltigkeitsbegriff als einen formalen Konzeptrahmen, der multiple Interpretationsmöglichkeiten aufweist. Der auf der Makroebene scheinbar eindeutige Begriff ist auf der Mikroebene nicht mehr so leicht zu fassen. Ausgehend von unterschiedlichen Perspektiven existieren heute, laut Geiss et al. über 70 Definitionen. Nach mehreren Jahrzehnten wissenschaftlichen Diskurses besteht folglich immer noch keine klare Auslegung des Konzepts „Nachhaltigkeit“[25]. Die kontroverse Betrachtung der globalen Entwicklungsfrage entsteht durch unterschiedliche normative Vorstellungen über Interessen, Wertvorstellungen und moralische Grundhaltungen der verschiedenen Gesellschaften. Daher fällt es schwer, das „richtige“ Zusammenleben in einer Weltgemeinschaft zu definieren[26]. Robert W. Kates et al. kritisieren in diesem Zusammenhang “Sustainable development” als Oxymoron. Mit dem widersprüchlichen und unvereinbaren Charakter scheint das globale Ziel geradezu belanglos und verzeichnet nur unter dem Deckmantel des „Greenwashing“ Erfolge[27]. Jedoch erklären Robert W. Kates et al., dass jeder einzelne Definitionsversuch ein wichtiger Bestandteil eines fortlaufenden Dialoges ist, welcher die Entwicklung von „Sustainable development“ als global anerkanntes Konzept beeinflusst.
„ The concrete challenges of sustainable development are at least as heterogeneous and complex as the diversity of human societies and natural ecosystems around the world ” .[28]
Durch diese eher vielschichtige und offene Definition haben die beteiligten Parteien die Möglichkeit, den Begriff so auszulegen, dass er ihrer spezifischen Situation gemäß den globalen Nachhaltigkeitsstandards entspricht. Diese Freiheit kann positiv als auch negativ gedeutet werden. Ohne allgemeingültige Standards und Indikatoren fällt es schwer Verträge wie die Walddeklaration global durchzusetzten. Demgegenüber muss eine individuelle Analyse der länderspezifischen Situation gewährleistet sein. Entwicklungs- und Schwellenländer haben beispielsweise andere wirtschaftliche, ökologische und soziale Voraussetzungen als die Industrieländer. Diese ungleichen Verhältnisse müssen berücksichtigt werden.
Ferner bestehen Kontroversen bei Definitionsfindungen. Zum Beispiel bei der Frage wie ein „Wald“ definiert werden soll. Nach der Definition der Klima-Rahmenkonvention von 2001 ist ein Wald, ein „ mindestens 0,5 bis 1 Hektar gro ß es Gebiet, das zu 10-30 % von Pflanzen bedeckt ist, die ausgewachsen mindestens 2-5 Meter hoch sind “ [29] . Diese Rahmenwerte können von den einzelnen Parteien genutzt werden, um eine nationale Definition des Begriffs „Wald“ zu prägen. Diese Definition unterscheidet nicht spezifisch zwischen Naturwäldern, Wirtschaftswäldern und Plantagen. Dadurch würden nach diesem Maßstab weder eine Degradierung natürlicher Wälder durch holzwirtschaftliche Nutzung noch die Umwandlung in eine Palmölplantage als Waldverlust gewertet werden.
Weitere Kontroversen finden sich vor allem bei der Analyse des sogenannten “Green New Deal“, welcher eine „grüne“ Wirtschaft beziehungsweise einen grünen Kapitalismus beschreibt[30]. Hierbei stellt sich die Frage, ob die systematischen Eigenschaften des Kapitalismus - Profit, Privateigentum, Wachstum - im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzip mit dem Grundgedanken der Suffizienz - eine Ökonomie des „Genug“ - und den vom Club of Rome aufgezeigten „Grenzen des Wachstums“ in Einklang gebracht werden können. Auch Daly befürwortet Wachstum nur so lange, wie die Ökosysteme dies tragen können und kritisiert, dass darüber hinausgehender Wachstum unökonomisch sei[31]. Vor allem die gegensätzlichen Auffassungen bezüglich wirtschaftlichen Wachstums als Voraussetzung für die Lösung von Verteilungskonflikten einerseits und einer sinnvollen Umweltpolitik beziehungsweise wirtschaftliches Wachstum als Grund für globale Umweltprobleme andererseits zeigt die Komplexität dieses Forschungsfeldes. Wie weit und mit welchen Nebenfolgen eine Entkopplung von Wirtschaftsleistungen und Umweltverbrauch denkbar ist, gehört zu den offenen Fragen in der Nachhaltigkeitsdebatte[32]. Der Trend zur Nachhaltigkeit hat währenddessen die moderne Konsumgesellschaft längst eingeholt. Nun wird anstatt in Kohlekraftwerke und Atomenergie in „grüne“ Technologien wie Solarenergie und Biodiesel investiert. Anstatt das kapitalistische Konsumverhalten grundlegend zu hinterfragen, kommt es zu einer „Verschiebung“ des Konsums. Mit dem „Green New Deal“ wird ein System geschaffen, welches lediglich die Aufgabe hat, die Umwelt zu ökonomisieren und die Nachfrage zu steigern. Dabei kommt es zwar zu einem kulturellen Wandlungsprozess, jedoch zu keiner grundlegenden Neuorientierung[33].
Eine weitere, grundlegende Differenz findet sich bei den Konzepten, die als Säulen- oder Dimensionenmodelle bezeichnet werden. Im wissenschaftlichen Diskurs werden als Dimensionen die Bereiche bezeichnet, die als relevant für nachhaltige Entwicklung betrachtet werden. Bereits das von Carlowitz beschriebene „Dreieck der Nachhaltigkeit“ verdeutlicht die enge Beziehung zwischen ökologischer, ökonomischer und sozialer Entwicklung. Andere Modelle beziehen noch die kulturelle und institutionelle Entwicklung mit ein, wiederum andere Modelle setzen den Fokus auf die ökologischen Belange, das sogenannte Ein-Säulen- Konzept. Innerhalb des Diskurses hat sich jedoch weitgehend das Drei-Säulen-Modell als konzeptioneller Ausgangspunkt einer nachhaltigen Entwicklung durchgesetzt, welches sich gleichermaßen auf die drei Gebiete Ökologie, Ökonomie und Soziales stützt[34]. Dieses Konzept ist dem „Dreieck der Nachhaltigkeit“ am ähnlichsten.
2.3. Die drei Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung
In diesem Kapitel soll auf das Drei-Säulen-Modell und die damit einbezogenen drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung eingegangen werden, welche in den folgenden Kapiteln die normative und analytische Grundlage für die durchgeführte Analyse bilden, welche die ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen für den indonesischen Palmölsektor herausarbeitet.
Während der letzten 40 Jahre wurde der Begriff „Sustainable development“ innerhalb der internationalen Gemeinschaft immer weiter ausgebaut und neu definiert. Die Unterscheidung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie-Ökonomie-Soziales hat sich seit Mitte der 1990er Jahre durchgesetzt[35]. Der Begriff, der vor fast 300 Jahren von Hans Carl von Carlowitz zum ersten Mal geprägt wurde, ist heute weltweit zu einem Schlüsselbegriff geworden. „Die Konturen seines ‚Rezeptes‘ werden jedoch immer komplexer und drohen zu verschwimmen“[36]. Sein „Dreieck der Nachhaltigkeit“ definiert auf einer unverkennbaren Basis die drei Grundsäulen - ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit - die auf lange Sicht und im weltweiten Gleichgewicht stabilisierend auf die Nachhaltigkeit wirken sollen. Die drei Säulen gehen auf die Diskussionen um Umweltschutz versus Wirtschaftswachstum sowie auf die Frage nach einer angemessenen menschlichen Entwicklung zurück. Somit stellen die Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales keine allgemeingültige Struktur dar, sondern haben sich letztlich als Kategorien aus den Diskussionen heraus etabliert[37]. Sie stellen Entscheidungsregeln dar, wie ökologische, ökonomische und soziale Belange im Prozess der nachhaltigen Entwicklung integrativ berücksichtigt werden sollen. Somit kann „Sustainable development“ als eine „regulative Idee“ verstanden werden[38]. Das Postulat der gleichberechtigten Berücksichtigung dieser Dimensionen ist jedoch nicht geeignet bei der Findung einer operationalen Definition des Nachhaltigkeitsprinzips. Laut Voss ist im Drei-Säulen-Modell nicht klar definiert, in welchem Verhältnis Freiheit, wirtschaftlicher Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz stehen[39]. Den Referenzmaßstab müssen dabei die Wünsche, Interessen und Bedürfnisse der betroffenen Menschen bilden[40]. Daher kann das Drei-Säulen-Modell als eine Art Konsens- Strategie bezeichnet werden.
[...]
[1]Europäische Kommission, КОМ. 2008:S.4
[2]Carlowitz. 2000: S.4
[3]Vgl. Geiss et al. 2003: S.31
[4]Hütz-Adams. 2011: S.9
[5]Spiegel. Online. 08/2012
[6]Dera. 2009: S.10
[7]Grober. 1999: S.l
[8]Carlowitz. 2000: S.4ff
[9]Meadows et al. 1972: S.17
[11]World Commission on Environment and Development
[12] WCED. 1987: S.43
[13]Dem Brundtland-Bericht wurde zunächst weltweit zugestimmt. Die Ursachen für diese Einvernehmung war jedoch vor allem der später häufig kritisierte niedrige Konkretisierungsgrad, der Interpretationsspielräume offen ließ und es dadurch ermöglichte, zwischen den stark polarisierten Positionen verschiedener Länder zu vermitteln (vgl. von Hauff/ Kleine 2009, S.7)
[14]Vgl. UN 1992
[15]Vgl. Lexikon der Nachhaltigkeit. Schlagworte: Agenda 21, Kapitel 11
[16]Vgl. ebd.
[17]Vgl. Lexikon der Nachhaltigkeit. Schlagworte: Weltwaldkonferenz 1993
[18]Vgl. UN 1998
[19]Vgl. ebd.
[20]Vgl. UN 2000
[21]Diese Zielvorgaben sind ausführlich in MDG 7.A und 7.B aufgeführt. Vgl. BMZ, http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/ziele/hintergrund/ziele/millenniumsziele/zielvorgaben
[22]Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation, deutsch: Minderung von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern
[23]Donner/Winter.2011: S.2
[24]Daly 1996: S.1
[25]Vgl. Geiss et al. 2003: S.31
[26]Vgl. ebd.:S.31-32
[27]Kates, R.W. et al.2005: S.20
[28]Vgl. ebd.: S.20
[29]Vgl. COP 7. 2001
[30]Kaufmann/Müller.2009: S.157ff.
[31]Vgl. Daly 2002. S.3
[32]Grunwald/ Kopfmüller.2006: S.44
[33]Vgl. Kaufmann/Müller. 2009: S.160-166
[34]Vgl. Kleine. 2009:S.5
[35]Vgl. Kleine. 2009:S.5
[36]Grober.1999: S.2
[37]Kleine.2009: S.5
[38]Vgl. Voss.1997: S.24
[39]Vgl. ebd.: S.24
[40]Vgl. ebd.:S.24