Migration für kleine und mittlere Dienstleister für den Umstieg von Closed-Source-ERP auf Open-Source-ERP am prototypischen Beispiel von Microsoft Dynamics NAV auf OpenERP


Masterarbeit, 2013

100 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Hintergrund
1.2 Stand der Wissenschaft

2 Aufgabenstellung
2.1 Ziele
2.2 Fragestellung, Hypothesen & Methodik

3 Grundlagen über ERP-Systeme
3.1 Definitionen
3.1.1 ERP-System
3.1.2 Closed Source Software
3.1.3 Open Source Software
3.1.4 KMU
3.1.5 Migration
3.2 Historische Entwicklung von ERP-Systemen
3.3 Der ERP-Markt
3.4 Systemarchitekturen
3.4.1 Aufbau eines ERP-Systems
3.4.2 Client-Server-Prinzip
3.4.3 Realisierungsvarianten von ERP-Architekturen
3.5 Lizenzierung von Open Source ERP
3.5.1 Die GNU General Public License (GPL)
3.5.2 Die GNU Lesser General Public License (LGPL)
3.5.3 Die GNU Affero General Public License (AGPL)
3.5.4 Die Berkeley Software Distribution License (BSD)
3.6 Der Prozess

4 Ablösende Migration von Microsoft Dynamics NAV durch OpenERP
4.1 Funktional-technische Betrachtung
4.1.1 Prototypisch modellierte Prozesse
4.1.1.1 Prozesslandschaft
4.1.1.2 Beschaffungsprozess
4.1.2 Allgemeine Merkmale
4.1.2.1 Installation und Inbetriebnahme
4.1.2.2 Lizenzierung
4.1.2.3 Architekturen
4.1.2.4 Dokumentation
4.1.2.5 Sprachenmanagement für den Client
4.1.2.6 Rollen-, Rechte- und Benutzerverwaltung
4.1.2.7 Benutzeranpassungen
4.1.2.8 Belegprinzipien
4.1.3 Spezifische Features im Beschaffungsprozess
4.1.3.1 Prozessschritte aus Sicht des Einkäufers
4.1.3.2 Prozessschritte aus Sicht des Lagermitarbeiters
4.1.3.3 Prozessschritte aus Sicht des Finanzbuchhalters
4.1.4 Reflexion zu Hypothese 1 und 2
4.2 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
4.2.1 Prozesskostenvergleich am Beschaffungsprozess
4.2.1.1 Prozesskostenstruktur am Beschaffungsprozess
4.2.1.2 Arbeitsplatzkosten für ERP
4.2.1.3 Prozesskostenkalkulation am Beschaffungsprozess
4.2.1.4 Reflexion zu Hypothese 3
4.2.2 Total Cost of Ownership-Betrachtung
4.2.2.1 Erläuterung des prototypischen Entscheidungsszenarios
4.2.2.2 Kalkulationsmodell auf Basis der Software-to-Services-Ratio
4.2.2.3 Kalkulation auf Basis empirischer Kennzahlen
4.2.2.4 Reflexion zu Hypothese 4
4.3 Usability (Reflexion zu Hypothese 5)

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

7 Abbildungsverzeichnis

8 Tabellenverzeichnis

9 Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Hintergrund

In Zeiten, geprägt von hartem Wettbewerb und unbeständigen Marktverhältnissen mit im- mer kürzer werdenden Produktlebenszyklen, suchen Unternehmen nach Möglichkeiten der Differenzierung, um sich im Wettbewerb einen Vorteil verschaffen zu können. Eine Mög- lichkeit der Differenzierung besteht in quelloffener, betriebswirtschaftlicher Anwendungs- software. Die Meinungen zu sogenannten Open Source ERP-Systemen in Hinblick auf deren Etablierung und Potential sind ambivalent, nichts desto trotz bieten sie kleinen und mittelständischen Unternehmen eine durchaus attraktive Alternative zu proprietären ERP- Systemen. Open Source ERP-Systeme gelten vor allem aufgrund Ihrer hohen Flexibilität, der Unabhängigkeit des Herstellers gegenüber als auch aufgrund von Potentialen zur Pro- zesskostensenkung als eine mögliche Alternative zu kommerziellen ERP-Lösungen für den Mittelstand.

Ein Enterprise Resource Planning System (kurz: ERP-System) unterstützt idealerweise sämtliche in einem Unternehmen ablaufenden Geschäftsprozesse (Siepermann, 2013) wie Beschaffung, Fertigung, Vertrieb, Finanzen, Personal u.a. und verfolgt dabei das Ziel, die Produktivität durch möglichst effiziente Ressourcenplanung zu erhöhen. Nach Gronau ist die Integration verschiedener Funktionen, Aufgaben und Daten in ein Informationssystem ein wesentliches Merkmal von ERP-Systemen (Gronau, 2004, S. 4). Des weiteren sieht Gronau die wesentlichen Vorteile von ERP-Systemen in einer Automatisierung von Abläufen und in einer Standardisierung von Prozessen.

In Großkonzernen gehört die Prozessunterstützung mittels ERP-Systemen bereits seit langem zum Geschäftsalltag. Der Anteil an mittelständischen Unternehmen, die bereits ERP-Software einsetzen, beträgt nach Angaben des deutschen IT-Magazins Computerwo- che rund 80% (Eberhard Hoffmann, 2013). Zu den bekanntesten Vertretern von kommer- zieller ERP-Software gehören etwa SAP, Oracle oder Microsoft. Kommerzielle ERP- Softwarelösungen werden mitunter als proprietäre, lizenzpflichtige oder Closed Source ERP-Systeme bezeichnet. Unter Closed Source versteht sich, dass der hinter der Anwen- dung liegende Programmcode in der Regel nicht offen einsehbar und auch nicht veränder- bar ist und damit für den Anwender eine „Black-Box“ darstellt. Für etwaige Softwareanpas- sungen steht dem Anwender die dafür vorgesehene Anpassungsfunktion zur Verfügung. Bei komplexeren Anpassungen, welche nur durch eine Änderung des Quellcodes bewerk- stelligt werden können, ist der Anwender auf eine Anpassung seitens des Software- Anbieters angewiesen (Bäumer, 2005, S. 6) und befindet sich gewissermaßen in einer Abhängigkeit.

Das Pendant zu proprietären Software-Lösungen stellen sogenannte Open Source Lösun- gen dar. Im Allgemeinen ist Open Source Software eine der Erscheinungsformen soge- nannter freier Software. Sie ist grundsätzlich kostenfrei erhältlich und kann unter Einhal- tung bestimmter Voraussetzungen frei verbreitet werden. Charakteristisch für Open Source Software und gegensätzlich zu proprietären Systemen ist, dass der Quellcode offen gelegt wird (BITKOM, 2013, S. 6). Populäre Vertreter sind Mozilla Firefox, Open Office oder di- verse Linux-Betriebssysteme.

Attraktiv ist Open Source Software unter anderem deshalb, da sie aufgrund des Wegfalls der Lizenzkosten eine mögliche Kosteneinsparung für den Anwender verspricht. Darüberhinaus bietet Open Source Software die Möglichkeit, den Quellcode einsehen und eigenständig adaptieren zu können. Vorteile die sich daraus ableiten lassen sind höhere Flexibilität und eine gewisse Unabhängigkeit dem Software-Anbieter gegenüber.

Während Open Source in der privaten, nicht-kommerziellen Nutzung bereits seit geraumer Zeit etabliert ist, stehen einige Zeichen dafür, dass auch Unternehmen zusehends gefallen an der lizenzfreien Software finden. Dazu berichtet eines der weltweit führenden IT- Consulting Unternehmen Gartner von einem überaus positiven Open Source Trend in den letzten fünf Jahren. 2010 befragte Gartner 547 IT-Führungskräfte von Unternehmen aus 11 Ländern. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, dass Open Source Lösungen ihrer IT-Strategie angehören, wobei es sich sowohl um unkritische als auch geschäftskritische Software handelt. Bemerkenswert ist der wachsende Anteil an Open Source Lösungen, der von weniger als 10% in 2006 auf erwartete 30% gegen Ende 2012 ansteigen sollte. Der Anteil an proprietärer Software hat im selben Zeitraum etwa im gleichen Ausmaß ab- genommen. (Gartner, Inc., 2011)

Die Gründung und Entwicklung der ersten namhaften Open Source ERP-Systeme begann vor ca. zehn bis zwölf Jahren zur Zeit der Jahrtausendwende. Diese zeigt, dass es sich um ein noch relativ junges Geschehen handelt, vor allem wenn man bedenkt, dass die Gründung des Branchenplatzhirschs, SAP, bereits im Jahre 1972 erfolgte. Zu den heute namhaften Open Source Lösungen zählen OpenERP, AvERP, ERP5, xTuple, ADempiere, Compiere, Openbravo, Tryton u.a.

In Hinblick auf Einsatz und Akzeptanz von Open Source ERP-Software liefert eine Umfra- ge des Netzwerks Elektronischer Geschäftsverkehr (NEG), eine Förderinitiative des Deut- schen Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, aufschlussreiche Erkenntnisse. Eine 2010 durchgeführte Umfrage unter kleinen und mittleren Unternehmen förderte zu Tage, dass bereits ein Drittel der befragten Unternehmen lizenzkostenfreie ERP-Software einsetzt. Interessant ist, dass lediglich 4% einen Einsatz von OS-ERP kategorisch ableh- nen. Durchaus überraschend ist die Tatsache, dass von den befragten Unternehmen 98% die Flexibilität der Software und damit verbundene Anpassungsmöglichkeiten als sehr wichtig, wichtig oder eher wichtig angaben. Es folgen der Kostenvorteil durch den Wegfall von Lizenzkosten (89%), Unabhängigkeit von einem Hersteller (87%) sowie die Offenheit des Quellcodes. Unter jener befragten Gruppe, welche bereits auf quelloffene ERP Soft- ware setzten, zeigte sich, dass die Kostenvorteile deutlich weniger wichtig waren (72%) als die Flexibilität (93%) sowie die Herstellerunabhängigkeit und Quelloffenheit (84%). Auf- grund der durchschnittlichen Nutzungszeit von acht bis zehn Jahren seien die Anschaf- fungskosten von ERP-Systemen bei der wirtschaftlichen Betrachtung häufig zu vernach- lässigen. (Peter Gruber, 2010)

Aufgrund des geringen Stichprobenumfanges wird darauf hingewiesen, dass die Befra- gung statistisch nicht repräsentativ ist. Nichts desto trotz liefert sie einen beachtenswerten Anhaltspunkt in Hinblick auf die Berechtigung von quelloffener ERP-Software für kleine und mittelständische Unternehmen. Ähnlich dürfte dies das Deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sehen. Es hat einen Leitfaden für ERP-Lösungen auf Basis freier Software für KMUs und Handwerksbetriebe herausgegeben (BMWi, 2010) und un- terstützt somit kleine und mittelständische Unternehmen, die einen Umstieg auf quelloffene ERP-Software in Betracht ziehen. Von einem erkennbaren Markttrend der Open Source ERP-Systeme spricht auch Prof. Norbert Gronau, seines Zeichens Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government an der Universität Potsdam.

1.2 Stand der Wissenschaft

In der Literatur als auch im Großteil der Studien wird Open Source vor allem im Bereich der Desktopanwendungen und Betriebssysteme thematisiert. Allseits bekannte Beispiele hierfür sind Mozilla Firefox bei Webbrowsern oder Linux bei Betriebssystemen. Verfügbare Literatur zu Open Source ERP-Software gibt es wenig, was bestimmt auch aufgrund der jungen Entstehungsgeschichte von Open Source ERP-Systemen herrührt. Jene Quellen, die sich mit Open Source ERP wissenschaftlich auseinandersetzen, können größtenteils elektronisch von Universitäten oder Instituten abgerufen werden. Es gibt sehr wohl Literatur, die Open Source ERP begleitweise erwähnt, meist aber nicht näher darauf eingeht. Im folgenden werden einige nennenswerte Werken im Bereich der Open Source Software, als auch im Bereich von Open Source ERP-Lösungen vorgestellt.

Über Open Source Software im Allgemeinen gibt es eine Vielzahl an Studien. Eine Arbeit von Amberg liefert hierzu ein Analyseframework zur Bewertung von Open-Source- Migrationsstudien für mehr als 50 weltweite Studien, die die Wirtschaftlichkeit einer Migra- tion auf Open Source Software untersuchen. Amberg bezeichnet die Qualität und Aussa- gekraft der Studien als stark variierend und liefert mit seiner Arbeit eine Unterstützung die jeweilige Studie für das jeweilige Szenario zu finden. Der Schwerpunkt dieser im Jahre 2005 publizierten Arbeit liegt bei Migrationen von windows-basierten auf linux-basierte ITStrukturen. (Amberg, 2005) Nennenswert ist im Zuge dessen auch der vom Bundesministerium für Inneres der Bun- desrepublik Deutschland öffentlich zugängliche Migrationsleitfaden, welcher mittlerweile bereits in der vierten Version aufgelegt wurde. Der Leitfaden bietet IT-Entscheidern einen Überblick über alle wichtigen Aspekte von Software-Migrationen sowie ein praktisches Werkzeug für deren Planung und Durchführung mit Schwerpunkt auf konzeptionellem Vor- gehen. Die Zielgruppe des Dokuments richtet sich an Bedienstete des Bundes bzw. IT- Entscheider. (BMI/CIO, 2012)

Wird der Fokus näher in Richtung quelloffener betriebswirtschaftlicher Anwendungssoft- ware gelegt, also Open Source ERP, so finden sich einige Arbeiten, welche sich mit einem mehr oder weniger detaillierten Vergleich mehrerer Open Source ERP-Systeme ausei- nandersetzen. Nennenswert ist eine Arbeit von Thomas Herzog, TU Wien, aus dem Jahre 2006. Herzog vergleicht in seiner Arbeit mehrere Open Source ERP-Systeme und kommt zum einheitlichen Schluss, dass Open Source ERP-Systeme aufgrund der Zugänglichkeit des Quellcodes mehr Flexibilität und Funktionalität ermöglichen. Weitere Untersuchungen empfiehlt Herzog im Bereich der Dokumentation als auch dem konkreten Vergleich von Features verschiedener Open Source ERP-Systeme. (Herzog, 2006)

Das Fraunhofer Institut hat im Zuge einer Studie im Jahre 2011 die Relevanz von Open Source ERP-Systemen für produzierende kleine und mittelständische Unternehmen unter- sucht und analysierte dabei 14 unterschiedliche Open Source ERP-Systeme. Die Untersu- chung erfolgte auf Basis der Informationen, die auf Webseiten von ERP-Anbietern oder Distributoren verfügbar waren. Die Arbeit soll die Zielgruppen der IT-Anwender und IT- Entscheider über vorhandene Open Source-Planungssysteme informieren und sie bei der Softwareauswahl unterstützen. Die Autoren kommen zum Schluss, dass seit längerem bestehende ERP-Systeme sehr ausgereift und fortschrittlich wirken. Gravierende Unter- schiede werden bei Entwicklung und Support angegeben. (Fraunhofer, 2011)

Das Beste Zeugnis für Open Source ERP-Software als Alternative zu proprietären ERP- Systemen stellten Trappe et. al von der Universität Koblenz, Fachbereich Informatik, aus. Die Arbeit liefert eine Auswahl und Evaluierung von Open Source ERP-Systemen in Bezug auf effiziente Anwendbarkeit in Unternehmen mit Schwerpunkt auf KMUs. Es wurde eine Evaluierung der Funktionalitäten anhand der Prozesse Vertrieb und Buchhaltung durchge- führt. Als Grundlage der Evaluierung dienten vier namhafte Open Source ERP-Systeme. Die Autoren Trappe et. al. sind der Überzeugung, dass Open Source ERP-Systeme mitt- lerweile in verschiedenen Bereichen eine ernstzunehmende Alternative zu etablierten proprietären Systemen darstellen und sehen dabei ein wesentliches Argument im Wegfall der Lizenzkosten. Die Autoren erachten Open Source Software mittlerweile als Substitut zu proprietärerer Software, wobei nicht näher hervorgeht, ob damit auch ERP-Systeme gemeint sind (Trappe, Wallrad, Zenz, Adolphs, & Schubert, 2009).

Wissenschaftliche Arbeiten, die eine konkrete Migration von Closed Source ERP auf Open Source ERP evaluieren, gibt es nur wenige. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei Case Studies oder Studien ab. Nennenswert sei an dieser Stelle eine Arbeit von Hicham Nasri, TU Dresden, welche einen Entwurf und eine prototypische Realisierung einer Migrationsstrategie für ERP-Systeme liefert. Die Arbeit von Nasri baut auf einem Vergleich zweier Open Source ERP-Systeme, Adempiere und Openbravo auf. Anhand dieser wurde ein detaillierter Vergleich nach Funktionalitäten beider Systeme anhand eines prototypischen Pflichtenheftes durchgeführt. Nasri kommt zum Schluss, dass einige Open Source ERP Systeme bereits einen Reifegrad erreicht haben, sodass diese eine ernstzunehmende Konkurrenz für proprietäre Systeme darstellen. (Nasri, 2011)

Die verfügbaren Informationen über Open Source Software beziehen sich teilweise auf den öffentlichen als auch auf den privatwirtschaftlichen Sektor. Zudem sind viele Quellen be- reits fünf Jahre und älter, weshalb diese aufgrund der hohen Innovationsdynamik und der kurzen Halbwertszeiten für IT-Wissen gesondert zu prüfen und nur bedingt belastbar sind. Arbeiten zu Open Source ERP-Software beschränken sich in den meisten Fällen auf Eva- luierungen von Open Source ERP-Systemen und orientieren sich am Auswahlprozess für ein Open Source ERP-System. Der Fokus sämtlicher Arbeiten liegt am funktionalen Aspekt von ERP-Systemen, wobei dies meist auf Basis von Recherchen und Literaturvergleichen erfolgte. Ökonomische Gesichtspunkte werden, vor allem im Hinblick auf den Wegfall von Software-Lizenzen, mancherorts erwähnt. In keiner zugänglichen Arbeit erfolgt jedoch eine weitere Quantifizierung und Bewertung ökonomischer Vorteile. Eine wirtschaftliche Be- trachtung, etwa aus Sicht des Total Cost of Ownership, liefert keine Quelle, die im Zuge dieser Masterthese analysiert wurde.

2 Aufgabenstellung

2.1 Ziele

Im Sinne einer prototypisch modellierten Entscheidungssituation eines Unternehmens, soll eine Migration auf Open Source ERP-Software aus funktional-technischer als auch aus ökonomischer Sicht evaluiert werden, sowie entscheidungskritische Gesichtspunkte identi- fiziert und analysiert werden. Als Szenario für diese Fallstudie wird eine Entscheidungssi- tuation modelliert, welche dem Entscheidungsträger eines KMU zur Auswahl stellt, das bestehende proprietäre ERP-Altsystem auf eine neue Version des selben Herstellers up- zugraden oder alternativ dazu einen Umstieg auf eine quelloffene ERP-Lösung durchzu- führen.

Diese Arbeit dient als Entscheidungsunterstützung für kleine und mittelständische Unternehmen, die einen Umstieg auf quelloffene ERP-Software in Betracht ziehen und richtet sich somit an Unternehmer oder IT-Entscheider. Die Analyse und Bewertung der funktional-technischen als auch ökonomischen Aspekte einer ERP-Migration erfolgt prototypisch am Beispiel eines Umstieges von Microsoft Dynamics NAV auf OpenERP.

Diese induktive Untersuchung liefert konkrete Ergebnisse und Einflussfaktoren in Hinblick auf technische Machbarkeit als auch die Wirtschaftlichkeit eines ERP-Umstiegs von Micro- soft Dynamics NAV auf OpenERP. Neben der Ableitung und Interpretation bestimmter softwarespezifischer Aspekte wird der Versuch unternommen, einen allgemein zu erwar- tenden Geltungsbereich für eine Migration von einem proprietären auf ein quelloffenes ERP-System zu skizzieren.

Der Begriff einer Migration lässt eine unterschiedliche Interpretation zu. Im Kontext dieser Arbeit meint Migration nicht das Migrieren von ERP-Systemen auf Daten-, Konzept- oder Projektebene, sondern stellt vielmehr eine synonyme Bezeichnung zu einem Umstieg von einem bestehenden ERP-System auf ein alternatives dar. In Abgrenzung zu ähnlichen wissenschaftlichen Arbeiten liefert diese Arbeit keine Evaluierung verschiedener quelloffe- ner ERP-Systeme und behandelt die Thematik der Auswahl eines ERP-Systems als sol- ches nicht, sondern legt den Fokus auf technisch-funktionale als auch ökonomische As- pekte für eine Migration von einem proprietären ERP-System auf ein Open Source Sys- tem.

2.2 Fragestellung, Hypothesen & Methodik

Gegenstand dieser induktiven Untersuchung ist, ob, und wenn unter welchen Umständen ein Umstieg von einem proprietären ERP-System auf ein quelloffenes ERP-System für einen mittelständischen IT-Dienstleister mit einem hohen Anteil an kundenspezifischen Hardware-, Server- und Netzwerkinstallationen erfolgreich verlaufen kann. Grundlage der Evaluierung ist eine lokale Vor-Ort-Installation der ERP-Software. Als Kriterien für eine erfolgreiche Migration werden die funktional-technische Umsetzbarkeit, die Wirtschaftlichkeit sowie die Usability als Maß der Akzeptanz in der Organisation definiert. Die Untersuchung dieser Kriterien soll schwerpunktmäßig durch prototypische Modellierung und Evaluierung des Beschaffungspro- zesses für ein mittelständisches IT-Dienstleistungsunternehmen in der Größe von 150 Mitar- beitern mit einem erwirtschafteten Jahresumsatz von 60 Millionen Euro, erfolgen.

Um einen möglichst realistischen Bezug herstellen zu können, werden Unterlagen definiert, die in einem realen Fall zur Verfügung stehen. Das sind das Organigramm, die Prozessland- karte, der Beschaffungsprozess in Form der eEPK als auch bestehende Lizenz- und War- tungsverträge für den Betrieb von Microsoft Dynamics NAV. Des weiteren sind Netzwerkto- pologie und Infrastruktur als auch Vollzugriff auf Microsoft Dynamics NAV und dessen SQL- Datenbank gegeben.

Für Beantwortung der Fragestellung sind Literaturauswertung, IST-Analyse des gegenwärtigen Beschaffungsprozesses in Microsoft Dynamics NAV, SOLL- und IST-Analyse des Beschaffungsprozesses in OpenERP sowie Richt- und Erfahrungswerte für die Kalkulation einer ERP-Implementierung notwendig.

Beeinflusst wird der Bearbeitungsprozess durch das fiktive Modell eines Unternehmens und durch die damit einhergehende verringerte Komplexität der Prozesse und Strukturen. Dar- über hinaus bauen sämtliche Annahmen und Abschätzungen der IST-Kosten sowie der SOLL-Kosten auf Richt- und Erfahrungswerten aus Literatur, Best Practises und Studien auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Open Source Lösungen, im speziellen quelloffene ERP-Systeme, stellen für KMUs eine mög- liche Alternative zu proprietären ERP-Lösungen dar. In Hinblick auf die funktional-technische Umsetzbarkeit wird erwartet, dass OpenERP alle im Zuge dieser Fallstudie geforderten Funktionen und Features abdeckt und mit der bereits vorhandenen Infrastruktur kompatibel ist.

Bei einem ERP-Migrationsprojekt handelt es sich um eines der komplexesten und geschäftskritischsten IT-Projekte in einer Organisation. Eine Abschätzung der Investitionskosten, insbesondere jene, die einmalig anfallen, wird als anspruchsvoll erachtet. Ferner wird erwartet, dass sich das Ausmaß der einmaligen Investitionskosten wesentlich auf das Ergebnis der TCO-Betrachtung auswirken und somit die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung maßgeblich beeinflussen wird. Bei einer Migration auf ein Open Source ERP-System werden im Planungszeitraum von fünf Jahren nennenswerte Kostenvorteile erwartet.

In fachlichen Publikationen wird OpenERP neben anderen Anbietern häufig als einer der namhaften Kandidaten für quelloffene ERP-Software analysiert, diskutiert und gebenchmarkt. Aufgrund der positiven Berichte aus Fachmagazinen, Internet-Communities und Studien in Punkto Support und Dokumentation wird eine ausgereifte stabile ERP-Software erwartet, die der Usability von Microsoft Dynamics NAV um nichts nach steht.

3 Grundlagen über ERP-Systeme

3.1 Definitionen

3.1.1 ERP-System

Ein ERP-System ist eine modular aufgebaute Software-Lösung, die eine prozessorientierte Sichtweise auf das Unternehmen und seine Geschäftspartner ermöglicht (Hinterhuber, 2005, S. 3). Idealerweise unterstützt ein ERP-System sämtliche in einem Unternehmen ablaufenden Geschäftsprozesse (Siepermann, 2013) wie Beschaffung, Fertigung, Vertrieb, Finanzen, Personal u.a. und verfolgt dabei das Ziel, die Produktivität durch möglichst effi- ziente Ressourcenplanung und Optimierung der Geschäftsprozesse zu erhöhen. Nach Gronau ist die Integration verschiedener Funktionen, Aufgaben und Daten in ein Informati- onssystem ein wesentliches Merkmal von ERP-Systemen (Gronau, 2004, S. 4). Nach Gronau besteht ein wesentlicher Vorteil von ERP-Systemen in der Automatisierung von Abläufen und in der damit einhergehenden Standardisierung der Geschäftsprozesse.

3.1.2 Closed Source Software

Durch die vom Geschäftsmodell abhängigen Lizenzbestimmungen für die Nutzung und den Betrieb von Closed Source Software, auch proprietäre Software genannt, ist die Ein- sichtnahme wie auch die Modifizierung des hinter der Anwendung liegenden Quellcodes in der Regel nicht möglich bzw. nicht gestattet. Ferner ist eine etwaige Verbreitung des Quellcodes untersagt. Für die Erlangung der Zugriffsrechte auf den Quellcode von Closed Source ERP-Software ist die Unterzeichnung einer Geheimhaltungserklärung erforderlich, wie es bei diversen Vertriebspartnern und Beratungsunternehmen von ERP-Software der Fall ist. (UniPD, 2011, S. 1f)

Der verborgene Quellcode kann auch als Geschäftsgeheimnis seitens des Software- Anbieters bezeichnet werden. Das Geschäftsmodell von Closed Source Software- Anbietern besteht darin, im Quellcode verborgenes Know-How vor Mitbewerbern und Nachahmern zu schützen und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu sichern bzw. die- sen aufrecht zu erhalten. Ein weiteres Geschäftsmerkmal der Quellcode-Geheimhaltung besteht in der Abhängigkeit des Anwenders dem Software-Anbieter gegenüber, dem so- genannten Vendor Lock-In. Entwicklung und Wartung von Closed Source Software erfolgt in der Regel durch ein Entwicklungsteam, wobei dem Markt Zugriff auf ein kompiliertes, ausführbares Softwareprodukt ermöglicht wird. Man bezieht also beim Erwerb eines Closed Source ERP-Systems nicht die Software an sich, sondern vielmehr das Recht, die- se Software zu nutzen. (UniPD, 2011, S. 2f)

Aus rechtlicher Perspektive ist proprietäre Software das Eigentum einer juridischen Person und in der Regel das Eigentum des Softwareherstellers. Dieser fixiert über die zu akzeptie- renden Geschäftsbedingungen seitens des Anwenders die Rechtsbestimmungen in Hinblick auf Verbreitung, Vervielfältigung, Modifizierung als auch die Nutzung der Software. (UniPD, 2011, S. 1). Zu den wohl bekanntesten Anbietern von Closed Source ERPSoftware gehören SAP, Oracle und Microsoft.

3.1.3 Open Source Software

Eines der wesentlichen Erkennungsmerkmal für Open Source Software ist der frei zugängliche und veränderbare Quellcode. Darüberhinaus impliziert Open Source nach der Definition der Open Source Initiative (OSI) eine Reihe weiterer Merkmale, speziell im Hinblick auf die Verbreitung der Software und des Quellcodes. Aus der Open Source Definition der Open Source Initiative werden folgende Kriterien verlangt: (OSI, 2013)

1. Freie Weitergabe

Die Lizenz darf niemanden darin hindern, die Software zu verkaufen oder sie mit anderer Software zusammen in einer Software-Distribution weiter zugeben. Die Lizenz darf keine Lizenzgeb ü hr verlangen.

2. Verf ü gbarer Quellcode

Die Software muss im Quellcode f ü r alle Nutzer verf ü gbar sein.

3. Abgeleitete Arbeiten

Die Lizenz muss von der Basissoftware abgeleitete Arbeiten und deren Distribution unter derselben Lizenz wie die Basissoftware erlauben.

4. Integrität des Autoren-Quellcodes

Die Lizenz muss explizit das Verteilen von Software erlauben, die auf einer modifizierten Version des Originalquellcodes beruhen. Die Lizenz kann ver- langen, dass solche Ä nderungen zu einem neuen Namen oder eine neuer Versionsnummer der Software f ü hren und solche Ä nderungen dokumen- tiert werden. Die Lizenz darf verlangen, dass nur Patches zum Original- code verteilt werden d ü rfen, wenn diese mit dem Quellcode verteilt werden d ü rfen.

5. Keine Diskriminierungen von Personen oder Gruppen

Die Lizenz darf nicht einzelnen Personen oder Gruppen die Nutzung der Software verweigern, z. B. den B ü rgern eines bestimmten Staates.

6. Keine Nutzungseinschränkung

Die Lizenz darf den Verwendungszweck der Software nicht einschränken, z. B. kein Ausschluss militärischer oder kommerzieller Nutzung o.ä.

7. Lizenzerteilung

Die Lizenz muss f ü r alle zutreffen, welche die Software erhalten, ohne z. B. eine Registrierung oder eine andere Lizenz erwerben zu m ü ssen.

8. Produktneutralität

Die Lizenz muss produktneutral gestaltet sein und darf sich z. B. nicht auf eine bestimmte Distribution beziehen.

9. Die Lizenz darf andere Software nicht einschränken

Sie darf zum Beispiel nicht verlangen, dass sie nur mit Open Source Soft ware verbreitet werden darf.

10. Die Lizenz muss Technologie-neutral sein

Sie darf z. B. nicht verlangen, dass die Distribution nur via Web/CD/DVD verteilt werden darf.

3.1.4 KMU

Auf europäischer Ebene wurde erstmals 1996 eine gemeinsame Definition für KMU aufge- stellt, die überall in der Europäischen Union und auf breiter Basis Anwendung fand. Aus- gehend von wirtschaftlichen Veränderungen bedurfte es einer Anpassung dieser Definition, um vor allem dafür zu sorgen, dass öffentliche Förderprogramme nur auf jene Unterneh- men abzielen, die eine Unterstützung tatsächlich benötigen. Die heute gültige Definition eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens (KMU), ist durch die Europäische Uni- on geregelt und trat per 1. Januar 2005 in Kraft. (Europäische Kommission, 2006, S. 6 ff)

Der Bestand an kleinen und mittleren Unternehmen in der europäischen Union beträgt 99% aller Unternehmen. In Zahlen ausgedrückt entspricht dies in den 25 EU- Mitgliedsstaaten 23 Mio. KMU, die rund 75 Mio. Arbeitsplätze stellen. Die in der Fassung vom 1. Januar 2005 angegebenen Schwellenwerte für KMUs richten sich nach Mitarbeiter- anzahl, Jahresumsatz und Bilanzsumme. Folgende Tabelle liefert eine detaillierte Ausfüh- rung der Schwellenwerte für die Unterscheidung innerhalb der Gruppe der KMUs nach Kleinstunternehmen, Kleines Unternehmen und Mittleres Unternehmen (Europäische Kommission, 2006, S. 5 ff):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Europäische Definition eines KMU (Europäische Kommission, 2006, S. 14)

Wagt man in Bezug auf die KMU-Klassifizierung einen Blick über den großen Teich, so findet sich in der Gesetzgebung der Vereinigten Staaten von Amerika bemerkenswerter- weise keine allgemein gültige und universell anerkannte Definition für ein KMU. Der engli- sche Begriff für KMU ist mit SME zu übersetzen, was als Abkürzung für „Small and Medi- um-Sized Enterprises“ steht. In einem Report der United States International Trade Com- mission (USITC) aus dem Jahre 2010 findet sich eine konsolidierte Version für die Definiti- on eines SME. Die konsolidierte Version wurde auf Basis der Richtlinien der jeweiligen zuständigen Ämter, wie dem U.S. Deparment of Commerce, der U.S. Small Business Ad- ministration und dem U.S. Department of Agriculture, erstellt. (USITC, 2010, S. 1-3)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: U.S.-amerikanische Definition eines KMU (USITC, 2010, S. 1-3)

Aus der Gegenüberstellung beider Definitionen lassen sich einige wesentliche Unterscheidungsmerkmale erkennen. Der Schwellenwerte für die Mitarbeiteranzahl liegt nach EUDefinition bei kleiner gleich 250 Mitarbeitern, wohingegen die U.S.-amerikanische Definition kleiner gleich 500 Mitarbeiter als primäres Kriterium für ein KMU festlegt. Die U.S.amerikanische Klassifizierung für ein KMU anhand der jährlichen Umsätze erfolgt getrennt, anhand der drei Wirtschaftszweige produzierende Industrie und nicht-exportierende Dienstleister, exportierende Dienstleister und Landwirtschaft. Die Klassifizierungen beider Definitionsmodelle divergiert stark, sodass bei der Literaturrecherche ein KMU nicht ohne weiteres mit einem SME gleichgesetzt werden kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die U.S.-amerikanische Auffassung für ein KMU eine andere ist, als es aus europäischer Sicht der Fall ist. Dieser Umstand sei vor allem bei der Recherche in U.S.-amerikanischer Literatur zu beachten, da ein in einem U.S.amerikanischen Medium als KMU bezeichnetes Unternehmen bis zu 500 Mitarbeiter beschäftigen kann. Nach europäischer Auffassung handelt es sich bereits ab 250 Mitarbeitern definitionsgemäß um ein Großunternehmen.

3.1.5 Migration

Der Begriff einer Migration lässt im Kontext von Software- und IT-Systemen eine unterschiedliche Interpretation zu, wenn dieser nicht näher definiert oder spezifischer formuliert wird. Zur weiteren Klärung werden Begriffe wie Migration, Datenmigration, ablösende Migration oder fortführende Migration erläutert.

„ Eine Migration ist eine wesentliche Veränderung der vorhandenen Systemlandschaft oder eines beträchtlichen Teils derselben. Sie kann sich sowohl auf Hardware als auch auf Software beziehen. “ (BMI/CIO, 2012)

Die Migration als solches beschreibt eine sehr allgemeine Auffassung für die Veränderung einer bestehenden Systemlandschaft und stellt einen abstrakten übergeordneten Begriff dafür dar. Um Missverständnisse auszuschließen, ist es empfehlenswert den konkreten Kontext zu erfassen oder nach spezifischeren Ausführungen zu untersuchen. Konträr zu diesem abstrakten Terminus meint der Begriff einer Datenmigration einen sehr IT- spezifischen Prozess, bei dem eine tatsächliche Manipulation von Daten erfolgt.

„ Unter Datenmigration versteht man die Auswahl, die Aufbereitung, die Entnahme, die Umwandlung und den permanenten Umzug von Daten, in der richtigen Qualität, am richti- gen Ort, zur richtigen Zeit, sowie die Stilllegung von Legacy Datensystemen. “ (Morris, 2012, S. 7)

Darüber hinaus gibt es zwei weitere Möglichkeiten der begrifflichen Unterscheidung einer Migration. Nach Hennig handelt es sich auch dann um eine Migration, wenn ein bestehen- des Altsystem durch eine neuere Version derselben Software abgelöst wird. Man spricht in diesem Fall von einer sogenannten fortführenden Migration. Im Gegensatz dazu beschreibt der Begriff einer ablösenden Migration jenen Fall, bei dem ein Altsystem wie bspw. Micro- soft Dynamics NAV durch ein anderes System abgelöst wird. (Hennig, 2009, S. 57)

Das prototypisch modellierte Fallbeispiel dieser Arbeit kreiert ein Entscheidungsszenario aus Sicht des Managements oder IT-Entscheiders eines mittelständischem IT- Dienstleistungsunternehmen mit 150 Mitarbeitern. Dabei werden zwei Varianten aus tech- nisch-funktionaler als auch ökonomischer Sicht evaluiert. Bei ersterer handelt es sich um eine fortführende Migration auf eine neue Version von Microsoft Dynamics NAV. Die zwei- te und alternative Variante stellt eine ablösende Migration von Microsoft Dynamics NAV auf OpenERP dar.

Als ergänzende Entscheidungsunterstützung und zur genaueren Betrachtung des eigentli- chen Migrationsprozesses aus praktischer Sicht, bietet es sich an, die mit einer ablösen- den Migration verbundenen Erfordernisse, Umstände und Risiken tiefergehender zu unter- suchen. Da die praktische Durchführung bzw. Planung einer ablösenden Migration aller- dings nicht im Fokus dieser Arbeit liegt, sei an dieser Stelle auf fortführende Literatur wie bspw. „Softwaremigration in der Praxis - Übertragung alter Softwaresysteme in eine mo- derne Umgebung“ von Heilmann et al., 2010, verwiesen. In diesem Werk stellen die Auto- ren Grundlagen der Softwaremigration als auch Prozess- und Vorgehensmodell zur Migra- tion aus Literatur und Praxis vor. Der Leser erhält einen detaillierten Überblick über Metho- den, Techniken und Werkzeuge zur Durchführung einer Migration. In Hinblick auf moderne Softwarearchitektur liefert das Werk auch einen Leitfaden für die Migration in eine service- orientierte Architektur (SOA). Die Arbeit richtet sich an die Zielgruppe der Softwareentwick- ler, IT-Manager, Produktmanager, Projektleiter, Dozenten und Studenten. (Heilmann, Wolf, & Sneed, 2010)

3.2 Historische Entwicklung von ERP-Systemen

Die Entstehung und Weiterentwicklung von ERP-Systemen fand aus technologischorganisatorischer Sicht in mehreren Phasen statt. Die Ursprünge von heutigen ERPSystemen liegen rund 50 Jahre zurück und nahmen ihre ersten Anfänge in sogenannten Material Requirement Planning Systemen (MRP).

Die Zeit von 1960 bis 1980 war geprägt von Wachstum, Bestrebungen zu Kostensenkung und Reduktion der Durchlaufzeiten (Hinterhuber, 2005, S. 6). Aus den damaligen be- triebswirtschaftlichen Hauptanforderungen entstanden erste Materialbedarfsplanungssys- teme, auch Material Requirement Planning genannt, durch die Automatisierung einzelner Bereiche (Priebernig, 2012a, S. 25), insbesondere der Material- und Lagerhaltung. (Fähnrich, 2008, S. 7)

Die Hauptanforderung in der Zeit von 1980 bis 1990 bestand in einer ganzheitlichen Steuerung der Produktion (Hinterhuber, 2005, S. 6). Im Zuge der Erweiterung der Bedarfsplanungssysteme durch Finanz- und Kapazitätsplanung (Fähnrich, 2008, S. 7) entstanden die sogenannten Produktionsplanungssysteme, auch genannt Manufacturing Resource Planning (MRP II). Der Grad an Automatisierung nahm derart zu, dass nicht nur mehr einzelne Funktionen, sondern ganze Bereiche wie die Produktionsplanung von einem System bewältigt werden konnten (Priebernig, 2012a, S. 25).

Die Herausforderungen in den darauffolgenden zehn Jahren, in der Zeit von 1990 bis 2000, waren Optimierung der Wertschöpfungskette sowie die Verbesserung der Kunden- bindung (Hinterhuber, 2005, S. 6). Charakteristisches Merkmal dieser Entwicklungsphase war die Automatisierung aller internen Prozesse (Fähnrich, 2008, S. 7), wodurch die soge- nannten Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme (PPS) entstanden (Priebernig, 2012a, S. 25).

Mit fortschreitender Prozessintegration entstanden in den späten 1990er-Jahren schließ- lich die Enterprise Resource Planning Systeme (ERP), welche im Gegensatz zu PPS- Systemen die Integration sämtlicher interner, aber auch bereits die Integration betriebs- übergreifender Prozesse, anstrebten (Priebernig, 2012a, S. 25). Seit 2000 gewann die Vernetzung von Unternehmen und die Automatisierung von betriebsübergreifenden Pro- zessen immer mehr an Bedeutung. Diese unternehmensübergreifende Funktion von Stan- dardsoftware bildet auch die Grundlage für die Entstehung der neuesten ERP-Generation ERP II. Der Unterschied von ERP II zu ERP liegt in der schwerpunktmäßigen Integration externer Partner wie Lieferanten und Kunden durch die Vernetzung via Internet. Dabei bedient sich ERP II an Konzepten wie Supply Chain Management (SCM) oder Customer Relationship Management (CRM). Der Fokus von ERP II liegt in der Ausweitung und Syn- chronisierung der eigenen Prozesse über die Unternehmensgrenzen hinweg. (Blum, 2007, S. 18).

3.3 Der ERP-Markt

Der ERP-Markt ist aufgrund einer Vielzahl von Anbietern und aufgrund des in der Natur von ERP-Systemen liegenden breiten Funktionsumfanges sehr unübersichtlich. Eine Klassifizierung des Marktes ist nach Funktionsumfang, nach dem Grad der Branchenspezialisierung, nach der Zahl der Nutzer oder nach regionaler Verbreitung möglich.

Der deutsche ERP-Markt beherbergt 600 aktive Anbieter (Gronau, 2010, S. 15f). Aktuelle Marktdaten besagen, dass sich fünf Hersteller mehr als die Hälfte des weltweiten 24 Milliarden Dollar Marktes teilen, allen voran der deutsche Konzern SAP:

Marktanteile führender ERP-Anbieter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Marktanteile führender ERP-Anbieter bei einem Marktvolumen von 24 Milliarden Dollar (focus.de, 2012)

Open Source ERP-Systemen kommt bis dato noch keine entscheidende Rolle am kommerziellen ERP-Markt zu. Marktdaten zur Verbreitung von Open Source ERP-Systemen waren im Zuge der Recherchen (Stand 06.05.2013) nicht zugänglich. Im Markt für Open Source ERP-Systeme gibt es eine Reihe an namhaften Anbietern, auf welche auch vorhandene wissenschaftliche Arbeiten immer wieder zurückgreifen.

Gronau bezeichnet den Verbreitungsgrad an Open Source ERP-Systemen als gering. Als Vorteil von Open Source ERP-Software nennt er die moderne technologische Basis, die aufgrund der geringen Altlasten von jahrzehntealten Implementierungen erst möglich wird. In Bezug auf branchenspezifischer Funktionalität sieht Gronau häufige Beschränkungen bei Open Source ERP-Systemen.

Im folgenden finden sich einige derzeit verfügbare Open Source ERP-Systeme, wobei erwähnt sei, dass sich Einsatzgebiet, Lizenzierungsart und Geschäftsmodell außerordentlich unterscheiden können (Gronau, 2010, S. 24f):

- Adempiere
- Apache OFBiz
- AVErp
- Compiere
- ERP5
- Openbravo
- Opentaps
- LXOffice
- SQL-Ledger
- OpenMFG
- TinyERP (nun: OpenERP)
- WebERP

Bei Betrachtung des Marktsegments der kleinen und mittelständischen Unternehmen gibt es unterschiedliche und stark divergierende Informationen über den Verbreitungsgrad von ERP-Systemen unter KMUs. Das IT-Magazin Computerwoche spricht von einem Verbrei- tungsgrad in Höhe von 80% bei deutschen KMUs (Eberhard Hoffmann, 2013). Dagegen zeichnen eine Befragung von steierischen KMUs (Pichler & Peßl, 2011) und eine Studie über Schweizer KMUs (Kusters, Equey, Varone, & Montadon, 2008) ein anderes Bild. Bei- de empirischen Evaluierungen geben an, dass weniger als 20% der KMUs ERP-Systeme einsetzen. Zur weiteren Klärung dieser Frage müsste eine tiefergehende Untersuchung der Evaluierungsdaten durchgeführt werden, zumal es sich bei einem KMU definitionsgemäß um ein Ein-Mann-Unternehmen als auch um einen Betrieb mit 250 Mitarbeitern handeln kann. Ferner wäre der Begriff von ERP zu klären, da ohne weitere Informationen nicht si- cherstellbar ist, ob bei den Informationen von Computerwoche voll- oder teilintegrierte ERP-Systeme gemeint sind, oder ob auch artverwandte Insellösungen wie bspw. Buchhal- tungssoftware oder Lagerverwaltungssysteme in den Ergebnissen inkludiert sind.

Wirft man einen Blick auf eine Studie von i2s Research, die 2009 an österreichischen KMUs mit vorhandenen ERP-Installationen durchgeführt wurde, so zeigt sich, dass die vier am häufigsten eingesetzten Module Buchhaltung, Vertrieb/Auftragsabwicklung, Materialwirtschaft /Beschaffung und Controlling/Kostenrechnung sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Top 10 ERP-Module bei österreichischen KMUs (i2s Research, 2009, S. 21)

Weitere Module wie etwa Lohnbuchhaltung, CRM, Anlagenbuchhaltung und Personalverwaltung kommen bei jeder zweiten ERP-Installation zum Einsatz. Auffallend ist, dass nur rund 40% der befragten Unternehmen die Produktionsplanung mittels ERP-Software unterstützen, wobei nicht näher bekannt ist, wie hoch der Anteil an produzierenden Unternehmen in der befragten Gruppe war.

3.4 Systemarchitekturen

3.4.1 Aufbau eines ERP-Systems

Der Aufbau heutiger ERP-Systemen umfasst nach Gronau mehrere Ebenen. In folgender Abbildung ist der Aufbau von ERP-Systemen schematisch in einem vierschichtigen Modell dargestellt. Im Gegensatz zur klassischen, dreischichtigen Unterscheidung von Benut- zungsschicht, Applikationsschicht und Datenhaltungsschicht zieht Gronau eine weitere Ebene zwischen Benutzungsschicht und Applikationsschicht ein: die Adaptionsschicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Aufbau eines ERP-Systems (Gronau, 2010, S. 9)

Den Kern eines ERP-Systems stellt eine zentrale Datenbank dar. Diese kann aus einzel- nen Datenbeständen bestehen, welche über ein Datenbankmanagementsystem zu einer logischen Einheit verbunden sind. In der Datenhaltungsschicht befinden sich in der Regel auch Schnittstellen zur Anbindung anderer Datenbanken fremder Informationssysteme. (Gronau, 2010, S. 9 ff)

Die Applikationsschicht beherbergt typischerweise eine Programmierumgebung zur Ergän- zung oder Erweiterung von Anwendungen. Den zentralen Bestandteil bildet der Applikati- onskern, welcher einen Zugriff auf die durch das Datenbankmanagementsystem verwalte- ten Daten gestattet. Das „Aufrufen anderer Programme“ als auch „User Exits“ sind Teile der sogenannten Middleware. Unter Middleware versteht sich eine Technologie, die die Integration anderer Applikationen ermöglicht (Serain, 2002, S. 1). Mittels „User Exits“ ist die Integration von Programmbausteinen anderer Programmiersprachen möglich. (Gronau, 2010, S. 9 ff)

Die darüber liegende Adaptionsschicht ermöglicht die Konfiguration von Funktionalitäten und Workflows. Dabei können Funktionalitäten an die Erfordernisse der Prozesse und Datenstrukturen angepasst werden, man spricht vom sogenannten Customizing. Mittels konfigurierbarer Workflows lassen sich unterschiedliche Informationssysteme in einem einheitlichen Modell abbilden und dadurch Weiterleitungs- oder Benachrichtigungsmechanismen modellieren. (Gronau, 2010, S. 9 ff)

Die oberste Schicht bildet die Benutzungsoberfläche. Neben traditionellen Benutzungs- oberflächen kann diese auch als Web-Client ausgeprägt sein. Vorteilhafterweise ergibt sich durch die Nutzung eines Web-Client der Wegfall der Client-Installation. Zudem ermöglicht ein Web-Client einen plattformunabhängigen Zugriff, da lediglich ein Web-Browser zum Aufruf erforderlich ist. Gronau spricht bei Web-Clients von etwaigen Einschränkungen ge- genüber dem Standard-Client. Bei Software, die jedoch standardmäßig für den Web-Client entwickelt wird, dürfte dies erwartungsweise nicht gelten. (Gronau, 2010, S. 9 ff)

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Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Migration für kleine und mittlere Dienstleister für den Umstieg von Closed-Source-ERP auf Open-Source-ERP am prototypischen Beispiel von Microsoft Dynamics NAV auf OpenERP
Hochschule
Fachhochschule Technikum Wien  (Internationales Wirtschaftsingenieurwesen)
Veranstaltung
Enterprise Resource Planning (ERP)
Note
2,00
Autor
Jahr
2013
Seiten
100
Katalognummer
V230820
ISBN (eBook)
9783656465140
ISBN (Buch)
9783656467427
Dateigröße
2427 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Enterprise Resource Planning, ERP, betriebswirtschaftliche Anwendungssoftware, Open Source, Funktionalität, Kostenstruktur, Lizenzkosten, Ablösende Migration, Risiken, Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, Total Cost of Ownership, TCO
Arbeit zitieren
Markus Kontschieder (Autor:in), 2013, Migration für kleine und mittlere Dienstleister für den Umstieg von Closed-Source-ERP auf Open-Source-ERP am prototypischen Beispiel von Microsoft Dynamics NAV auf OpenERP, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230820

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