Die Entwicklung eines multilokalen intergenerationalen Verwandtschaftssystems in Deutschland


Hausarbeit, 2009

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Verwandtschaft in der Ethnologie
2.1. Lewis Henry Morgan
2.2. Das Eskimosystem

3. Das Verwandtschaftssystem in Deutschland
3.1. Die demographische Entwicklung
3.2. Die Entwicklung der intergenerationalen Verwandtschaftsstruktur
3.3. Die Multilokalität von Familien in Deutschland

4. Fazit und Kritik

5. Literatur

1. Einleitung

Diese Hausarbeit ist im Rahmen des Proseminars der Verwandtschaftsethnologie bei Frau Dr. Keck auf der Grundlage eines Referates über die Verwandtschaftstypologien von Lewis Henry Morgan entstanden.

Eine Basis dieser Arbeit bildet die Studie Die multilokale Mehrgenerationenfamilie von Wolfgang Lauterbach, welche Familienstrukturen in Deutschland in Zusammenhang mit der lokalen Mobilität von Familien untersucht.

Einleitend werde ich im 2. Kapitel auf die Bedeutung von Verwandtschaft und ihre Strukturen im Fach Ethnologie eingehen und die Arbeit von Lewis Henry Morgan mit ihrer Relevanz für die heutige Forschung knapp darstellen um im Anschluss das Eskimosystem zu erläutern, welches das von uns in Deutschland angewandte Familiensystem ist.

Im 3. Kapitel wird die demographische Entwicklung in Deutschland und die daraus resultierenden Veränderungen innerhalb der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Generationen thematisiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem für das Eskimo-System signifikanten Merkmal der lokal nicht gebundenen kleinen Familieneinheit.

In Kapitel 4 werden die Ergebnisse dieser Arbeit kurz zusammengefasst. Daran schließt sich meine Kritik an und welche Fragen sich (mir) aus diesem Feld der Verwandtschaftsethnologie ergeben.

2. Verwandtschaft in der Ethnologie

Der Verwandtschaft kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie die Grundlagen der sozialen, politischen und ökonomischen Organisation einer Gesellschaft darstellt. Sie bildet ein Beziehungsgeflecht, so Kohl (2000), dass „alle Lebensbereiche durchdringt“ und „ein Grundmuster menschlicher Beziehungen“ ist. Hierbei gibt es zwei Prinzipien universeller Merkmale für die verwandtschaftliche Zuordnung: die Abstammung (Deszendenz) und die Heirat (Affinalität). Sie bilden mit der Verwandtschaftsethnologie ein Grundlagengebiet der Ethnologie, das im 19. Jahrhundert durch Lewis Henry Morgan (1818-1881) begründet wurde.

Diese Grundlagen ermöglichen es dem Fach, verwandtschaftliche Strukturen in den unterschiedlichen Gesellschaften zu erkennen und zu beschreiben.[1]

2.1. Lewis Henry Morgan

Lewis Henry Morgan begann in seinem 1871 veröffentlichten Werk „Systems of Consanguinity and Affinity of the Human Family“ Verwandtschaftssysteme zu beschreiben und zu klassifizieren. Er führte erstmals Verwandtschaftsterminologien auf, die von ihm zum Verständnis unterschiedlicher Verwandtschaftssysteme entwickelt wurden und verglich die unterschiedlichen Systeme auf der Welt miteinander. Seine Arbeit war auf der Annahme begründet, menschliches Zusammenleben habe sich in unterschiedlichen Evolutionsstufen von einer „primitiven Promiskuität“ zu einer monogamen, patriachalen Familie entwickelt.

„Morgans Einteilungen reflektierten die europäischen Vorstellungen von Familie und

Verwandtschaft, die von „natürlichen“ Zusammengehörigkeiten ausgingen sowie von der Vorstellung einer Mutter, die das Kind zur Welt bringt und eines Vaters, der das

Kind zeugt.“[2]

Von den westlichen normativen Vorstellungen und Klassifikationen abweichende Verwandtschaftssysteme wurden als noch nicht so weit entwickelt angesehen und abweichende Vorstellung erklärte man mit dem mangelnden Wissen einer Gesellschaft.[3]

Die Ansätze und Theorien von Morgen sind für den heutigen Erkenntnisgewinn sicherlich von großer Bedeutung, jedoch wird derzeit davon ausgegangen, dass der euro-amerikanische Blick die verwandtschaftsethnologischen Untersuchungen stark gefärbt hat. Zentrale westliche Kriterien von Verwandtschaft wurden demnach auf nicht-westliche Verwandtschaftssysteme übertragen und beeinflussten die Ergebnisse nachhaltig.[4]

Verwandtschaft wird nicht mehr als ein auf Anerkennung von genealogischen Verbindungen basierendes universelles Phänomen betrachtet. Die Vergleichbarkeit von Systemen unterschiedlicher Kulturen wird außerdem angezweifelt und die von Morgan angenommene natürliche Einheit von Familien durch Blutsverwandtschaft wird nur noch als ein mögliches Erklärungsmodell für soziale Beziehungen angesehen. Vielmehr werden die Vorstellungen einzelner Kulturen über ihre verwandtschaftlichen Beziehungen in den Mittelpunkt gerückt. Es geht also mehr um ein Verstehen anderer Betrachtungsweisen als um evolutionistisches Gedankengut.[5]

Dennoch ist Morgans Vorgehensweise der Klassifizierung einzelner Systeme eine Methode, die in der ethnologischen Forschung auch heute noch Verwendung findet, um einen Überblick über die verwandtschaftlichen Strukturen in einer Gesellschaft zu erhalten.[6]

Morgan ging bei seiner Beschreibung davon aus, dass die Institution Ehe zwischen Mann und Frau mit den gemeinsamen Kindern die Grundlage sozialer Ordnung bildet. Dabei stellte er Ego als Kind von Vater und Mutter in den Mittelpunkt und leitete Verwandtschaftsbeziehungen von Ego aus ab. Mittels genealogisch festgeschriebener Termini können die direkten Verwandten von den weiter entfernten unterschieden und begrifflich klassifiziert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Durch die Verknüpfung der einzelnen Symbole ist es möglich, nun auch komplizierte Verbindungen eindeutig zuzuordnen, auch wenn in der jeweiligen Gesellschaft dafür kein eigener Terminus vorhanden ist.[7]

Der Vorteil dieser Vorgehensweise wird beispielsweise im Deutschen deutlich, wenn man eine Cousine eindeutig in ihrer Abstammung zuordnen möchte. Sprachlich wird hier keine Unterscheidung getroffen, ob sich die Verwandtschaft nun väterlicher- oder mütterlicherseits ableitet oder ob es sich um die Tochter eines Onkels oder einer Tante handelt. Verwendet man aber zur Klassifizierung die Symbole, so würde die Bezeichnung: MBD eindeutig die Tochter des Onkels mütterlicherseits klassifizieren (Mutters Bruders Tochter). Andersherum wird der Verwandtschaftsterminus Vater im Deutschen nur dem Kintyp F zugeordnet wohingegen in zahlreichen anderen Sprachen terminologisch der Vater (F) vom Vaterbruder (FB) nicht unterschieden wird. In diesem Fall bilden die beiden Kintypen (F, FB) eine gemeinsame Kinklasse, so wie alle Cousinen im Deutschen eine Kinklasse bilden. Es gibt in einer Gesellschaft so viele Kinklassen wie es Verwandtschaftstermini gibt. Je nachdem, wie sich diese zusammensetzen, bilden sie nach Morgans Einteilung neben dem Eskimo-System weitere unterschiedliche Verwandtschaftssysteme wie das Irokesen-System oder das Hawaii-System, auf die hier leider nicht eingegangen werden kann.

[...]


[1] Kohl, K. -H.(2000): S.33

[2] Schröder, I. (2003), S. 17, Hervorhebungen im Original.

[3] Vgl. Morgan, H. L. (1970 [1871]) S. 476 ff.

[4] Vgl. Schröder, I. (2003)

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. Haviland, W.A. (2002)

[7] Vgl. Kohl, K. -H.(2000)

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung eines multilokalen intergenerationalen Verwandtschaftssystems in Deutschland
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Ethnologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
15
Katalognummer
V231182
ISBN (eBook)
9783656475958
ISBN (Buch)
9783656476078
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
demographische Entwicklung, Eskimo-System
Arbeit zitieren
Beate Limbach (Autor:in), 2009, Die Entwicklung eines multilokalen intergenerationalen Verwandtschaftssystems in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231182

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