Der ‚Ohrfeigenbrief‘ Zar Alexander des II. vom 3./15. August 1879

Krisenmanagement Bismarcks zu den deutsch-russischen Beziehungen unter Kaiser Wilhelm I.


Quellenexegese, 2012

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Quellenkritik
1.1 Quellenbeschreibung
1.2 Innere Kritik
1.2.1 Sprachliche Aufschlüsselung
1.2.2 Sachliche Aufschlüsselung

2. Quelleninterpretation
2.1 Inhaltsangabe
2.2 Einführung in den historischen Kontext
2.2.1 Grundzüge der deutsch(preußisch)-russischen Beziehungen bis zur Balkankrise
2.2.2 Orientalische Krise 1876 und der russisch-osmanische Krieg 1877-
2.2.3 San Stefano und Berliner Kongress
2.2.4 Russische Ziele des Ohrfeigenbriefes und Reaktion auf deutscher Seite bis zum Dreikaiserbündnis

3. Ergebnis und Ausblick

4. Quellen- und Literaturverzeichnis
4.1 Quellen
4.2 Literatur
4.3 Internetquellen

5. Anhang

1. Quellenkritik

1.1 Quellenbeschreibung

Es handelt sich bei der vorliegenden Quelle um einen Brief des russischen Zaren Alexander II. an seinen Onkel, den deutschen Kaiser Wilhelm I. vom 3.jul./15.greg. Oktober 1879. Alexander beschwert sich darin über deutsche Diplomaten, die sich während der Balkankrise und im Berliner Kongress auf die Seite Österreichs gestellt und Russland vernachlässigt hätten[1]. In der Geschichtswissenschaft ist der Text als „Ohrfeigenbrief“ bekannt. Die Quelle liegt in gedruckter Form innerhalb einer Aktensammlung des Auswärtigen Amtes vor.

1.2 Innere Kritik

1.2.1 Sprachliche Aufschlüsselung

Ein Begriff, der heute nicht mehr gebraucht wird, ist jeweils in Zeile 1 auf Seite 249 und 250 zu finden, sowie in Zeile 25 der Seite 250.[2] „Oheim“ ist ein heutzutage im Deutschen veralteter Begriff für „Onkel“.[3] Ursprünglich wurde der Brief in Französisch verfasst[4]. Inwieweit die Übersetzung den Wortlaut verändert hat, soll kein Gegenstand dieser Arbeit, jedoch ein Hintergrundgedanke sein. Zum Ende des Textes wird die wohl wichtigste Frage mithilfe größerer Buchstabenabstände hervorgehoben. Auf diese Art wird dem Brief mehr Leben eingehaucht und der Leser bekommt stärker das Gefühl, der Autor echauffiert sich über dieses Thema mehr als über andere Fragen. Weiterhin deutet es subtil die eigentliche Pointe, das Ziel, an.

1.2.2 Sachliche Aufschlüsselung

-„Augusta […] danken“ (S. 249, Z. 1-6)

Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach ist die Nichte von Zar Alexander I. Sie galt als intelligente, künstlerische Frau, die allem russischen eher abgeneigt gegenüberstand, dafür aber frankophil war, was zu Diskussionen mit Wilhelm geführt hätte, weshalb dieses Thema oft verschwiegen wurde. Die Hochzeit fand am 11. Juni 1829 (somit Goldene Hochzeit 1879) statt. Weiterhin sei sie strikt gegen Bismarck gewesen, traf hier jedoch bei Wilhelm auf taube Ohren, auf eine unüberwindliche Mauer.[5]

-„Gasteiner Kur“ (S. 249, Z. 7-10)

Bad Gastein ist ein auch heute noch als Kur- und Wintersportdomizil bekannter Ort im Gasteiner Tal in Österreich. Heute würde man von einer Rehabilitations-Maßnahme sprechen. Der Kaiser verweilte in Gastein, um sich von den Verletzungen zu erholen, die er aufgrund der auf ihn verübten Attentate von 1878 erlitten hatte.[6] Wahrscheinlich konnte Wilhelm die Erholungszeit aufgrund des Aufruhrs durch den Brief Alexanders nicht nutzen. Bismarck suchte Gastein einige Male zu dieser Zeit auf, um Absprachen mit Wilhelm sowie auch mit Andrássy, dem österreichischen Außenminister, der zu dieser Zeit zurücktreten wollte, zu treffen.[7]

-„Der Tod meines Adjutanten, des Generals von Reutern“ (S. 249, Z. 11-16)

Alexander Evgrafovitsch von Reutern war seit August 1876 Generaladjutant von Alexander II.[8] Als Sohn des Deutsch-Balten Gerhardt Wilhelm von Reutern, der Offizier war, aber besonders als Maler bekannt ist, lag die Militärkarriere nahe.[9] Er starb am 17.7.1879 in Berlin.[10]

-„Haltung der […] deutschen diplomatischen Vertreter in der Türkei“ (S. 249, Z. 19-25)

Alexander hatte sich schon während der Konstantinopeler Konferenz beim deutschen Botschafter von Schweinitz beschwert, dass Botschafter von Werther sich nicht ausreichend für Russland eingesetzt hätte. Dies entsprach auch dessen politischer Anweisung. Er sollte sich solange Russland und Österreich nicht einig waren, mit einem Votum zurückhalten und selbst dann auf keinen Fall Partei für einen von beiden ergreifen.[11]

-„nach den Worten des Fürsten Bismarck“ (S. 249, Z. 27-31)

Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck hatte im Vorhinein erklärt, die Belange der Christen in der Türkei seien nicht wichtig für die Politik des Deutschen Kaiserreichs.[12]

-„im Jahre 1870 einen Dienst geleistet“ (S. 250, Z. 13-18)

Angespielt wird hiermit auf die Haltung Russlands während der sogenannten deutschen Reichsgründungskriege von 1864 gegen Dänemark, 1866 Österreich und 1870/71 gegen Frankreich.[13] Bei Schulze Wessel heißt es hierzu, Russland fürchte eine „antirussische Barriere, […] im Falle eines Sieges einer französisch-österreichischen Allianz über Preußen […]“. Dies sei „ein wesentliches Motiv der russischen Außenpolitik gewesen, Preußen 1870/71 nochmals die nötige Rückendeckung zu gewähren“. Offenbar wird Deutschland somit Undankbarkeit vorgeworfen,[14] obwohl Bismarck (s. oben) schon Ende August und Wilhelm Anfang September im Zusammenhang mit der Orientalischen Krise an Alexander schrieben, um die „freundschaftliche Gesinnung“ zu Russland und die Dankbarkeit für deren Haltung während der genannten Kriege zu erklären.[15]

-„Gesundheit meiner Frau“ (S. 250, Z. 23-24)

Maximiliane Wilhelmine Auguste Sophie Marie von Hessen und bei Rhein heiratete Alexander am 16./28. April 1841. Sie erkrankte 1863 an Tuberkulose und konnte trotz einiger Kuraufhalte keine Linderung, geschweige denn Heilung erfahren. Sie starb knapp ein Jahr nach Verfassung des Ohrfeigenbriefes im Juni 1880.[16]

2. Quelleninterpretation

2.1 Inhaltsangabe

Zu Beginn des Briefes hakt Alexander nahezu protokollarisch einzelne Themen ab, mit denen er sein Interesse und Mitgefühl für die Belange Wilhelms zum Ausdruck bringt. Er kommt jedoch schnell zur eigentlichen Intention des Briefes. Wilhelm wird in mehreren Formulierungen die Frage gestellt, weshalb seine Untertanen gegen russische Interessen zu handeln scheinen, der Kaiser selbst jedoch immer wieder seine Freundschaft beteuert. Der Zar weist auf die für Preußen positiven Handlungen („im Jahre 1870 einen Dienst geleistet“)[17] Russlands hin, für die ihm die notwendige Dankbarkeit fehle und bezweifelt weiterhin Wilhelm hätte in Bismarck einen würdigen Staatsmann gefunden. Letztendlich droht Alexander seinem Onkel, es würde militärische Konsequenzen geben, sollten sich diese Missverständnisse nicht in Wohlgefallen auflösen, wobei aufgrund des Briefes sowie den darin enthaltenen Worte (im Besonderen im Schlusssatz) zu merken ist, dass der Zar nicht glauben möchte, sein Onkel würde sich von Russland abwenden und somit einen Konflikt riskieren.[18]

2.2 Einführung in den historischen Kontext

2.2.1 Grundzüge der deutsch(preußisch)-russischen Beziehungen bis zur Balkankrise

Beginnend mit der „Heiligen Allianz“ nach der Niederschlagung Napoleons 1815 setzen sehr enge Beziehungen zwischen Preußen und Russland ein.[19] Während der polnischen Aufstände 1863 unterstütze Preußen die Russen logistisch, blieb aber offiziell neutral. Auch in den Jahren des Krimkriegs 1853-56 schloss Preußen sich nicht, wie Österreich, dem gegen Russland gerichteten westeuropäischen Bündnis an.[20] Deininger vermutet, das Zarenreich würde aus Enttäuschung Österreich gegenüber, Preußen in den erwähnten späteren Reichsgründungskriegen freie Hand gewähren.[21] Das bekannteste Werk Alexanders II., das am 19. Februar 1861 unterschriebene Gesetz zur Abschaffung der Leibeigenschaft, führte zu einer Möglichkeit, aufgrund gewaltiger neu zur Verfügung stehender Arbeitskraft und mithilfe fortgeschrittener europäischer Unterstützung zum Industriestaat zu wachsen. Der Blick fiel aus politischen, ökonomischen und geographischen Gründen auf Preußen.[22] Als es nun im Januar 1863 erneut polnische Aufstände gab, zeigte Bismarck, damals noch preußischer Gesandter in St. Petersburg, sein außenpolitisches Geschick. Er warnt vor „liberalen Zugeständnissen“ Polen gegenüber, um Russland weiter an ein preußisches Bündnis zu binden und dadurch eine Annäherung Russlands mit dem zu Nationalbewegungen positiv eingestellten Frankreich zu verhindern, da Gortschakow zeitweise damit liebäugelte.[23]

[...]


[1] Schwertfeger, Bernard, S. 69, Z.25 ff.

[2] Ebenda, S. 249 f.

[3] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache

[4] Schwertfeger, S. 69, Z. 25.

[5] http://www.preussen.de/de/geschichte/1861_wilhelm_i./kaiserin_augusta.html (13.3.2012, 20:55)

[6] Braun, Sigismund Freiherr von, S. 255, Z. 25 ff. auch in Marcks, S. 370.

[7] Diószegi, István, S. 439. s. hierzu auch Nr. 509, Wilhelm I. an Alexander II. in Schwertfeger, Bernhard, S. 252 f.

[8] Erik-Amburger-Datenbank

[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Gerhardt_Wilhelm_von_Reutern (13.3.2012, 20:50)

[10] Erik-Amburger-Datenbank

[11] Schwertfeger, S. 47 f.

[12] Ebenda, S.44.

[13] Deininger, Helga, S. 24.

[14] Schulze Wessel, Martin, S. 213 f. – s. hierzu auch Braun, Sigismund Freiherr von, S. 261, Z. 14 f. „man hätte angesichts des russischen Stillhaltens in den Kriegen von 1964, 66 und 71 mehr Dankbarkeit erwartet“.

[15] Schwertfeger, S. 41 und 223, sowie in Gall, S. 515.

[16] http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_von_Hessen-Darmstadt (13.3.2012, 21:00)

[17] s. Quelle.

[18] Gall, S. 592, sowie Marcks, S. 375 und Schwertfeger, S. 69.

[19] Deininger, S.23 f.

[20] Schulze Wessel, S. 108.

[21] Deininger, S. 23 f.

[22] Ebenda. Sowie im Einzelnen Troyat, Henri, S. 59-74.

[23] Schulze Wessel, S. 125. S. dazu auch: Gall, S. 272 f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der ‚Ohrfeigenbrief‘ Zar Alexander des II. vom 3./15. August 1879
Untertitel
Krisenmanagement Bismarcks zu den deutsch-russischen Beziehungen unter Kaiser Wilhelm I.
Hochschule
Universität Rostock  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Einführungskurs in die Geschichtswissenschaften
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
24
Katalognummer
V231501
ISBN (eBook)
9783656478027
ISBN (Buch)
9783656479901
Dateigröße
1275 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bismarck, Wilhelm I., Kaiserreich, Zar, Alexander, 1879, Ohrfeigenbrief, Berliner Kongress, Balkankrise
Arbeit zitieren
Fritz Beise (Autor:in), 2012, Der ‚Ohrfeigenbrief‘ Zar Alexander des II. vom 3./15. August 1879, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231501

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