Die Frage nach der Komplexität von Sprache ist eine schwierige und daher nicht leicht zu beantworten. Denn was für den einen schwer ist, ist wiederum für andere leicht zu erlernen und auch die Gefahr weniger komplexe Sprachen als primitiv zu werten bestand v. a. im 19. Jahrhundert. Komplexität zu berechnen, stellt Forscher vor Probleme verschiedenster Art, sei es die angewandte Methode oder die Schwierigkeit der Definition von Komplexität an sich. Daher wird in folgender Arbeit versucht die Entstehung der romanischen Sprachen aus dem Vulgärlatein im Zusammenhang mit sozialen und sprachlichen Aspekten der Theorien sprachlicher Komplexität zu erklären.
Das Vulgärlatein gilt als protoromanische Ausgangssprache. Es ist ein Komplex von Varietäten der lateinischen Nähesprache und die Fortsetzung des Altlateins in ununterbrochener Kontinuität (vgl. Koch/Österreicher 2001).
Auch das Vulgärlatein war einem stetigen Sprachwandel unterworfen und stand im Konflikt zum Schriftlatein. So kam es schließlich nach einer langen Diglossiesituation zum Ende der vertikalen Kommunikation und somit zur Ausgliederung der romanischen Sprachen (vgl. Banniard 1992). Zum besseren Verständnis erläutere ich kurz die sozialen und sprachlichen Aspekte der sprachlichen Komplexität anhand derer ich v. a. die Morphologie des Vulgärlatein und der romanischen Sprachen untersuchen werde.
Die sozialen Aspekte der Romanisierung behandeln vor allem den Grad des Sprachkontakts im Gegensatz zur Isolation, die Größe der Sprachgemeinschaft und den Normbezug (vgl. Trudgill 2009). Wohingegen mit den sprachlichen Aspekten das Vulgärlatein und die romanischen Sprachen im Vergleich untereinander und mit dem klassischen Latein vor allem in Bezug auf die Flexionsmorphologie auf Regelmäßigkeit, Transparenz und Stammalternanz untersucht werden wird.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Soziale Aspekte der sprachlichen Komplexität: Romanisierung
- 2.1 Sprachkontakt: L2-Sprecher
- 2.2 Exkurs Isolation: Das Sardische
- 2.3 Größe der Sprachgemeinschaft
- 2.4 Normbezug
- 3 Sprachliche Aspekte der sprachlichen Komplexität
- 3.1 Vulgärlatein: Merkmale sprachlicher Einfachheit
- 3.1.1 Morphologie des Nomens: Transparenz
- 3.1.1.1 Genus
- 3.1.1.2 Deklinationen
- 3.1.1.3 Kasus
- 3.1.1.4 Adjektive
- 3.1.2 Morphologie des Verbs
- 3.1.2.1 Tempus: analytisches Perfekt
- 3.1.2.2 Genus Verbi: Deponentien
- 3.1.3 Satz: Schwund von AcI
- 3.2 Romanische Sprachen: Merkmale sprachlicher Komplexität
- 3.2.1 Morphologie des Nomens
- 3.2.1.1 Herausbildung des Artikels und klitischer Pronomina
- 3.2.1.2 Re-synthetisierte Umschreibungen
- 3.2.2 Morphologie des Verbs
- 3.2.2.1 Tempus: synthetisches Futur
- 3.2.2.2 Modus: synthetischer Konditional
- 3.2.2.3 Aspekt: Herausbildung von Verbalperiphrasen
- 3.2.3 Satz: SVO
- Die soziale und sprachliche Komplexität der Romanisierung und ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung der romanischen Sprachen
- Die Rolle des Sprachkontakts und der Sprachisolation in der sprachlichen Entwicklung
- Der Vergleich der morphologischen Strukturen von Vulgärlatein und romanischen Sprachen
- Die These der wieder komplexeren romanischen Sprachen im Vergleich zum Vulgärlatein
- Die Untersuchung des Einflusses von sozialen Faktoren auf die sprachliche Komplexität
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Komplexität der romanischen Sprachen, die ihren Ursprung im Vulgärlatein haben. Sie versucht, die Entwicklung der romanischen Sprachen anhand von Theorien der sprachlichen Komplexität zu erklären, wobei sowohl sprachliche als auch soziale Aspekte betrachtet werden. Die Arbeit verfolgt das Ziel, die These zu überprüfen, dass das klassische Latein eine komplexere Sprache war als das Vulgärlatein und die romanischen Sprachen. Außerdem soll gezeigt werden, dass die romanischen Sprachen einen höheren Grad an Komplexität aufweisen als das Vulgärlatein. Im Rahmen der Untersuchung wird der Einfluss sozialer Faktoren auf die sprachliche Komplexität während der Romanisierung, wie beispielsweise die Größe der Sprachgemeinschaft und der Grad des Sprachkontakts, beleuchtet. Schließlich soll auf sprachlicher Ebene die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die romanischen Sprachen komplexer sind als das Vulgärlatein, obwohl dieses teilweise die Grundlage für komplexe Strukturen, insbesondere im Bereich der Morphologie, geschaffen hat.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Fragestellung der Arbeit und das zu untersuchende Thema vor. Sie erläutert den Zusammenhang zwischen der Komplexität von Sprache und der Entstehung der romanischen Sprachen aus dem Vulgärlatein im Kontext von sozialen und sprachlichen Theorien der Komplexität. Das Kapitel "Soziale Aspekte der sprachlichen Komplexität: Romanisierung" behandelt den Einfluss sozialer Faktoren wie Sprachkontakt und Sprachisolation, Größe der Sprachgemeinschaft und Normbezug auf die sprachliche Komplexität während der Romanisierung. Das Kapitel "Sprachliche Aspekte der sprachlichen Komplexität" vergleicht Vulgärlatein und romanische Sprachen im Hinblick auf morphologische Strukturen und untersucht dabei Merkmale der Einfachheit im Vulgärlatein sowie Merkmale der Komplexität in den romanischen Sprachen.
Schlüsselwörter
Romanische Sprachen, Vulgärlatein, Sprachliche Komplexität, Romanisierung, Sprachkontakt, Isolation, Sprachgemeinschaft, Morphologie, Flexionsmorphologie, Transparenz, Regelmäßigkeit, Stammalternanz.
- Arbeit zitieren
- Johanna Eierstock (Autor:in), 2013, Romanisierung und Vulgärlatein im Zusammenhang mit den Theorien sprachlicher Komplexität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231767