Handlungsorientierter Unterricht

Chancen für ein schüleraktives und nachhaltiges Lehren und Lernen


Bachelorarbeit, 2012

39 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Handlungsorientierter Unterricht – ein Paradigmenwechsel?
1. Der Begriff des Handelns und des Handlungslernens
2. Ursprünge des handlungsorientierten Unterrichts
3. Begründungsebenen
a) Die anthropologische Begründungsebene
b) Die sozialisationstheoretische Begründungsebene
c) Die entwicklungspsychologische Begründungsebene
d) Die lernpsychologische Begründungsebene
e) Die berufspropädeutische Begründungsebene

III. Umsetzung des handlungsorientierten Unterrichts
1. Prinzipien des handlungsorientierten Unterrichts
a) Interessenorientierung
b) Produktorientierung
c) Selbsttätigkeit und Schüleraktivität
d) Ganzheitlichkeit
2. Vorrausetzungen für einen handlungsorientierten Unterricht
a) Die veränderte Lehrerrolle
b) Öffnung der Schule - Offener Unterricht
c) Institutionelle Voraussetzungen
3. Methoden – Vielfalt für den Unterricht
a) Übersicht über handlungsorientierte Methoden
b) Die Pro-Contra-Debatte
c) Konzeption eines Unterrichtsbeispiels

IV. Kritischer Diskurs
1. Chancen durch Handlungsorientierung
2. Schwierigkeiten und Missverständnisse

V. Schlussfolgerungen

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

VII. Anhang
1. Kognitionstheoretisches Lernmodell
2. Rollenverteilung Pro-Contra-Debatte
3. Material für das konzipierte Unterrichtsbeispiel

I. Einleitung

„Es gibt Dinge, die wir lernen müssen, bevor wir sie tun können. Und wir lernen sie indem wir sie tun.“ (Aristoteles, zit. nach: Prediger; Vernay 2005, S. 1). Bereits Aristoteles wusste zu seiner Zeit um den Wert eigenständiger Handlungen und Taten für die Entwicklung des Einzelnen. Indem der Mensch selbstständig handelt, neue Dinge ausprobiert, Erfolge erzielt oder auch Fehler macht, löst er eine Vielzahl an unterschiedlichen Lernprozessen aus. Selbst wenn das Individuum eine Handlung wiederholt ausführt, muss diese noch lange nicht stets in der gleichen Weise ablaufen. Unvorhergesehen Ereignisse und andere Rahmenbedingungen führen dazu, dass der Mensch stets lernt, solang er handelt. Dieses handelnde und entdeckende Lernen erfährt in der Entwicklung eines Kindes zum Erwachsenen eine besondere Bedeutung. Kinder und Jugendliche müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, müssen scheitern, Fehler machen und daraus lernen, um schließlich erfolgreich zu sein.

Dieses entdeckende Lernen fand noch vor einiger Zeit gar nicht vorwiegend in der Schule, sondern in der Privat- und Freizeitwelt der Kinder und Jugendlichen statt. Es wurde draußen gespielt, ob in Wald und Feld in ländlichen Gegenden oder auf der Straße in der Stadt: die Kinder erschlossen sich ihre Umwelt durch eigenes spielerisches Entdecken.

In den letzten Jahrzehnten jedoch haben sich durch den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel und den technischen Fortschritt auch die Lebenswelt und der kulturelle Aneignungsprozess der Kinder und Jugendlichen stark verändert. Sie wachsen nun in einer Welt auf, in der sie immer weniger Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten auffinden, in der die Primärerfahrungen durch Erfahrungen aus zweiter Hand überlagert werden (vgl. Detjen 2007, S. 335; Theurer 1997, S. 62). Dieser Prozess wird vor allem bei Kindern und Jugendlichen deutlich, die in der Stadt und nicht auf dem Land aufwachsen. Die Straße als einstiger Spiel- und Entdeckungsraum bietet vielfach keine Sicherheit und keinen Platz mehr zum Spielen oder wird als solcher überhaupt nicht wahrgenommen. Der technische Fortschritt und der steigende Medienkonsum verstärken diesen Prozess. Die Kinder und Jugendlichen machen ihre Erfahrungen vielfach nicht mehr selbst, sondern lernen aus den Erfahrungen und Handlungen anderer, die sie über die Medien (vor allem das Fernsehen und Internet) vermittelt bekommen.

An dieser Stelle kommt der Schule eine entscheidende Funktion zu, die sie zwar schon immer inne hatte, die jedoch durch den beschriebenen Wandel der Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder und Jugendlichen stark an Bedeutung gewonnen hat. Sie muss mehr und mehr die Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten zu schaffen, die im Privat- und Freizeitraum der Schüler fehlen. Hier setzt das pädagogische Konzept des handlungsorientierten Unterrichts an, der eine Antwort auf den tiefgreifenden Wandel der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen darstellen und den Verlust an Möglichkeiten des unmittelbaren Erfahrens und Entdeckens kompensieren will.

Handlungsorientierung, Handlungslernen und handlungsorientierter Unterricht sind dabei Begriffe, die in jüngster Zeit beinahe inflationär verwendet werden. Das, was im Einzelnen darunter verstanden wird, stimmt dabei nicht immer überein. Vielfach werden die genannten Begrifflichkeiten eben gerade so verwendet und definiert, wie es für die eigene Forschung oder Anwendung angemessen und passend erscheint. Dies trägt dazu dabei, dass das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts mehr und mehr einen negativen Beigeschmack erhält. Vielfach wird kritisiert, der Handlungsbegriff sei nicht eindeutig festgelegt, die Forderung nach Projektunterricht sei Augenwäscherei oder das gesamte Prinzip sei im normalen Schulalltag schlichtweg nicht praktikabel. Dies führt dazu, dass das Konzept der Handlungsorientierung zwar mitunter bis an die Schmerzgrenze diskutiert und auseinander genommen, jedoch im Schulalltag an allgemein- und berufsbildenden Schulen nach wie vor nur spärlich umgesetzt wird.

Die folgende Arbeit soll dazu beitragen, die didaktische Kontroverse um das Thema des handlungsorientierten Unterrichts aufzuzeigen und die zugehörigen Aspekte zu strukturieren. Zentrales Ziel dabei ist es, den Wert und die Bedeutung des Prinzips der Handlungsorientierung für ein nachhaltiges und schüleraktives Lernen herauszustellen. Entsprechende didaktische Betrachtungen zum handlungsorientierten Lernen gibt es reichlich. Jedoch muss man die vorhandene Literatur gerade auf Grund der Fülle an Werken kritisch strukturieren und differenzieren, denn nicht jeder Autor betrachtet das Thema aus einer wissenschaftlich fundierten Perspektive. Als besonders geeignet für den Zweck dieser Arbeit haben sich die Werke von Hilbert Meyer herausgestellt: „Unterrichtsmethoden. II: Praxisband“ sowie „Didaktische Modelle“ (mit Werner Jank). Eine ebenfalls qualitativ hochwertige Analyse mit unterschiedlichen Impulsen und Anregungen bietet Herbert Gudjons „Handlungsorientiert lehren und lernen. Schüleraktivierung; Selbsttätigkeit; Projektarbeit.“ Zudem haben sich einige fachdidaktische Werke, besonders des Unterrichtsfaches Gemeinschaftskunde/Politische Bildung, als sehr geeignet und hilfreich erwiesen. Deren oftmals ausschließlich aus der fachdidaktischen Perspektive aufgestellten Betrachtungen wurden in dieser Arbeit auf die allgemeine Didaktik übertragen. Als besonders gewinnbringend haben sich dabei vor allem zwei Werke erwiesen: Joachim Detjens „Politische Bildung“ sowie Heinz Klipperts Aufsatz „Handlungsorientierter Unterricht. Anregungen für ein verändertes Lehr-/Lernverständnis“, welcher in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung „Methoden der politischen Bildung – Handlungsorientierung“ erschien.

Um den unterrichtspraktischen Ausführungen dieser Arbeit eine theoretische Grundlage zu geben, wird im ersten Hauptkapitel das handlungsorientierte Lernen mit der traditionellen Vermittlungsdidaktik in Beziehung gesetzt. In diesem Zusammenhang wird eine Definition des Handlungslernens erarbeitet, die den gesamten nachfolgenden Betrachtungen zugrunde gelegt wird. Dies ist von enormer Bedeutung, da somit einer unfundierten, pseudo-wissenschaftlichen Diskussion entgegengewirkt wird, wie sie nicht selten im Zusammenhang mit dem Thema praktiziert wird. Nachdem im Anschluss die historischen Umstände der Entwicklung des Konzepts der Handlungsorientierung betrachtet werden, erfolgt darauf aufbauend eine detaillierte Analyse der unterschiedlichen Begründungsebenen des Handlungslernens. Hierbei werden sowohl anthropologische, sozialisations- und entwicklungspsychologische als auch lernpsychologische und berufspropädeutische Argumente für einen handlungsorientierten Unterricht angeführt.

Im zweiten Hauptkapitel geht es dann verstärkt um die praktische Umsetzung der Handlungsorientierung im Schulalltag, wobei zunächst die zentralen Merkmale und Prinzipien sowie einige Voraussetzungen für die Anwendung des Konzepts herausgestellt werden. Noch näher an der Praxis des Unterrichts sind die sich anschließenden Ausführungen zur Methodenvielfalt des Handlungslernens orientiert. Nachdem in diesem Zusammenhang eine Strukturierung der einzelnen Methoden erfolgt, wird darauf aufbauend die „Pro-Contra-Debatte“ als spezifische handlungsorientierte Methode in ihrer Funktionslogik und ihrer gewinnbringenden Bedeutung dargestellt. Ergänzt wird dieses Kapitels um die Konzeption eines Unterrichtsbeispiels zur Pro-Contra-Debatte, in der die theoretischen Ausführungen zur Methode noch einmal anhand eines praktischen Beispiels verdeutlicht werden.

Als drittes Hauptkapitel schließt sich dann eine kritische Kontroverse an, die sowohl die Vorteile und Chancen des handlungsorientierten Lernens, als auch die damit verbundenen Schwierigkeiten und Restriktionen aufgreift und miteinander in Beziehung setzt. In diesem Zusammenhang werden außerdem einige der häufigsten Missverständnisse des Konzepts thematisiert und der Versuch unternommen, diese aufzulösen oder zu relativieren.

Die vorliegende Arbeit wird abgerundet durch eine zusammenfassende Reflexion der Betrachtungen, die vor allem noch einmal auf die Chancen zur Umsetzung des Handlungslernens im Schulalltag eingeht und einen motivierenden Ausblick in die Zukunft des handlungsorientierten Unterrichts ermöglichen will.

II. Handlungsorientierter Unterricht – ein Paradigmenwechsel?

1. Der Begriff des Handelns und des Handlungslernens

„Man kann sich Vorstellungen und Begriffe nicht in fertiger Form einverleiben. Man muss sie nachschaffen, konstruieren.“ (Aebli 1983, S. 182)

Die Auffassung, dass die traditionelle Vermittlungsdidaktik, in der die Schüler ausschließlich rezeptiv lernen, dem modernen Konzept von Bildung nicht länger entspricht, beschäftigt die Pädagogik verstärkt seit 20 – 30 Jahren. Seit dieser Zeit weist die allgemeine Didaktik einen spürbaren Paradigmenwechsel auf – von der Vermittlungsdidaktik zur handlungsorientierten Didaktik. Die Einsicht, dass jedes Lernen nur von den Lernenden initiiert und durchgeführt werden kann, lässt sich in der modernen Pädagogik nicht mehr von der Hand weisen (vgl. Bönsch 2002b, S. 143). Die traditionelle Vermittlungsdidaktik vermag es jedoch nur äußerst bedingt, dieses selbstständige Lernen anzuregen und nachhaltige Lernprozesse bei den Schülern auszulösen. Dem gegenüber ermöglicht es die seit nunmehr einer ganzen Reihe von Jahren diskutierte handlungsorientierte Didaktik, einen entscheidenden Schritt zu unternehmen: weg vom Verbalismus, hin zum eigenständigen Handeln.

Ausgangspunkt des handlungsorientierten Lernens ist dabei die Forderung nach einem realitätsbezogenen Unterricht, in dem die Schüler nicht nur theoretische Erkenntnisse erwerben, sondern ein Wissenszuwachs auch durch eigene praktische Anwendung möglich wird. Das rezeptive Lernen im Unterricht soll dabei verstärkt ersetzt und ergänzt werden um schüleraktive und praktische Lernformen, denn wie Axel Stommel äußerst treffend formuliert: „Lernen erwächst und erweist sich im Handeln, und zwar letztlich dort und nur dort“ (Stommel 1995, S. 18).

Definitionen von handlungsorientiertem Unterricht gibt es zahlreiche. In Hinblick auf die konkrete Umsetzung in der Schulpraxis erweist sich jedoch jene von Wolfgang Sander als besonders hilfreich. Dieser bestimmt das didaktische Prinzip der Handlungsorientierung als Praxis, in der „Lerngegenstände […] in Lernsituationen so thematisiert werden, dass die Lernenden vielfältige Gelegenheiten zu einem aktiv-handelnden Umgang mit ihnen erhalten“ (vgl. Sander 2007, S. 198; Auslassung: F.L.). Dies steht im Zusammenhang mit der Vorstellung, dass Unterricht deutlich weniger durch den Lehrer bestimmt und dominiert werden soll, sondern das Lernen vielmehr aus dem eigenständigen Handeln und dem kooperativen Umgang der Schüler miteinander heraus entsteht. Deshalb gilt es vermehrt, Wege zu einem Wissen zu finden, das nicht nur gelehrt und zur Kenntnis genommen, sondern eigenständig erlebt worden ist, mit den Händen greifbar und mit allen Sinnen nachvollzogen werden kann (vgl. Flitner 1986, zit. nach: Klippert 1991, S. 21). Nur so ist es möglich, den Schülern Wissen mit Gebrauchswert zu vermitteln und jene nachhaltigen Lernprozesse anzustoßen, die durch eine rein rezeptive Form des Lernens im Regelfall nicht so erfolgreich initiiert werden können. Dies impliziert jedoch auch einen Wechsel der Bezugspunkte des Lernens: vom Vortrag und Buch verstärkt hin zu Phänomenen, Problemen, Perspektiven und Situationen (vgl. Bönsch 2002b, S. 144).

Die Forderung nach einem Paradigmenwechsel von rein rezeptiven Lernformen hin zu einem schüleraktiven und handlungsorientierten Unterricht weist dabei einige grundlegende Ursachen auf. Der zentrale Gedanke dabei ist das Ziel, die Lernenden durch selbstständiges Handeln in der Schule auf das kritische Beurteilen von Situationen und Problemen vorzubereiten, um anschließend vielfältige Lebenssituationen in der Gesellschaft selbstständig handelnd verändern zu können (vgl. Rinschede 2007: 184). Grundlegend angestrebt wird also der Aufbau einer privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Handlungskompetenz. Erreicht werden soll dies durch das Probehandeln der Schüler anhand vielfältiger Handlungsmöglichkeiten und Lernsituationen, die durch den Lehrer bereitgestellt werden. Aber nicht nur das tatsächliche Ausführen von Handlungen, sondern auch das Üben einer vorherigen Bewertung und anschließenden Reflexion von Situationen und Problemen sowie deren Lösungsmöglichkeiten ist zentraler Bestandteil handlungsorientierter Lernvorhaben. Zudem geht es ganz gezielt darum, das häufig als gestört bewertete Verhältnis von Schule und öffentlichem Leben zu verbessern, indem der individuelle und gesellschaftliche Verwertungszusammenhang des Gelernten für die Kinder und Jugendlichen erfahrbar gemacht wird (vgl. Bönsch 1990, S. 6). Richtig eingesetzt und durchgeführt vermag es der handlungsorientierte Unterricht somit stärker als das traditionelle, rezeptive Lernen, den Gebrauchswert des vermittelten Wissens deutlich zu machen.

Als konzeptionelle Schwäche des Prinzips der Handlungsorientierung wird jedoch vielfach die Vagheit des Begriffes des „Handelns“ angeführt, so kann in einem analytischen Sinne jedwede Form des menschlichen Verhaltens als „Handlung“ verstanden werden, selbst das Schweigen (vgl. Sander 2007, S. 198). Dies ist natürlich für ein Verständnis von handlungsorientiertem Lernen als selbstständiges, aktives Tun der Schüler wenig hilfreich. Vielmehr ist eine genaue Präzisierung dessen, was unter „Handlung“ und „Handeln“ verstanden werden soll, erforderlich. Eine konkrete und für den Unterricht sinnvolle Definition von „Handlung“ schlägt Herbert Gudjons vor. Für einen inhaltlich pädagogischen Handlungsbegriff bestimmt er zwei wesentliche Merkmale: Zum einen muss der Handelnde selbst (oder in der Gruppe mit anderen) über das Vorhaben bestimmen und sich mit dem Sinn und Zweck des Tuns identifizieren (vgl. Gudjons 2008a, S. 69). Zum zweiten hat zum Beginn einer solchen Handlung eine Dissonanz zu stehen, also ein wirkliches Problem, das es zu lösen oder eine konkrete Fragestellung, die es zu beantworten gilt (vgl. ebd., S. 69). Erst wenn beide Bedingungen erfüllt sind, kann man im pädagogischen Sinne von einer Handlung sprechen. Anders ausgedrückt: „Die Handlung hat ein […] gesetztes Ziel, sie ist eine bewusste und gewollte Tätigkeit [,] […] eine entdeckende Auseinandersetzung mit der den Menschen umgebenden Welt“ (ebd., S. 68). Eine weitere Präzisierung des Handelns im Unterricht führen Tulodziecki, Herzig und Blömeke an. Sie beschreiben das menschliche Handeln als bedürfnis- und situationsbedingte physische Aktivität, in der es darum geht, einen befriedigenden oder als bedeutsam empfundenen Zustand zu erreichen (vgl. Tulodziecki; Herzig; Blömeke 2009, S. 39).

Im Laufe dieser Arbeit soll deshalb stets von folgendem Handlungsbegriff ausgegangen werden: Handeln wird verstanden als zielgerichtete und von der jeweiligen Situation und den Bedürfnissen des Handelnden abhängige Tätigkeit, die bewusst und eigenständig ausgeführt wird und auf die Herstellung eines ganz bestimmten Zustands ausgerichtet ist. Dieser Handlungsbegriff dient als Grundlage sämtlicher Betrachtungen und leitet die folgenden didaktischen Überlegungen an. Erfolgt eine solche Festlegung, was unter Handeln im pädagogischen Sinn verstanden werden soll, nicht, besteht die Gefahr, dass handlungsorientiertes Lernen ohne konzeptionelle Grundlage und klaren Fokus das eigentliche Ziel des Prinzips verfehlt und in Aktionismus oder gar völliger Sinnlosigkeit endet. Ein bloßer Aktionismus jedoch verkennt den Zusammenhang von Denken und Handeln (vgl. Reinhardt 2007, S. 148). Eine Verknüpfung des praktischen Handelns mit kognitiven Aufgaben und Herausforderungen ist unabdingbar, um den handlungsorientierten Unterricht erfolgreich durchzuführen und nachhaltige Lernprozesse zu initiieren: „Schulen sollten Orte des praktischen Tuns […], aber zugleich Orte des Nachdenkens und der Reflexion sein“ (Aebli 1983, S. 184ff.). Eine veränderte Ausrichtung von rein rezeptivem Lernen hin zu ausschließlich eigenständigem Lernen ohne Vermittlung wäre jedoch nicht nur ein klares Missverständnis des didaktischen Konzepts, sondern auch schlichtweg nicht durchführbar. Das Unterrichten jüngerer Klassen, die noch eine deutliche Führung durch den Lehrer benötigen, ist dabei ein besonders klares Argument. Der Kern des handlungsorientierten Unterrichtsprinzips liegt also in der Integration von Denken und Handeln.

Geht man von einem solchen Handlungsbegriff aus, fällt es nicht schwer, den Zusammenhang zwischen Handeln und Lernen aufzuzeigen.[1] Ausgangspunkt ist hierbei stets ein vorhandenes Problem, welches es zu lösen oder eine Situation, die es zu bewältigen gilt. Zur Lösung stehen unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, deren Auswahl durch den Wissens- und Erfahrungsstand, das intellektuelle Vermögen und den sozial-moralischen Entwicklungsstand des Handelnden beeinflusst wird (vgl. Tulodziecki; Herzig; Blömeke 2009, S. 61). Durch das eigenständige Handeln wird dann ein zumeist unbewusster Lernprozess initiiert, der sich bei allem menschlichen Tun als Nebeneffekt einstellt (vgl., S. 58). Dieser Lernprozess stellt sich als Rückwirkung dar, indem der Handlungsablauf und die Folgen des Tuns reflektiert werden und sich auf den Wissens- und Erfahrungsstand und das sozial-moralische Entwicklungsniveau rückwirken und dieses gegebenenfalls verändern (vgl. ebd., S. 61). Diese Veränderung ist dann der Wissens- oder Kompetenzzuwachs, der in der Schule angestrebt wird und Ziel allen Lehren und Lernens ist.

2. Ursprünge des handlungsorientierten Unterrichts

„Kein anderes Buch als die Welt, kein anderer Unterricht als die Tatsachen“ (Rousseau 1998, S. 159). Die didaktischen Grundgedanken des handlungsorientierten Unterrichts sind nicht gänzlich neu. Zwar erfuhren diese in der modernen Pädagogik eine starke Wiederbelebung und erhielten erneut Einzug in die Diskussion um grundlegende didaktische Prinzipien, ihre Ursprünge liegen jedoch weitaus früher.

Bereits für die Klassiker der Pädagogik war es offensichtlich, dass Bildung ein wohl balanciertes Zusammenspiel von Kopf, Herz und Hand voraussetzt und dieses nicht erreicht werden kann, wenn sich die Schüler ausschließlich mit Büchern, Papier und Stiften beschäftigten (vgl. Jank; Meyer 2002, S. 319). So forderte schon Johann Amos Comenius (1592 – 1670) das Lernen mit allen Sinnen (vgl. ebd., S. 319) und wandte sich gegen eine einseitige geistige Aktivität in der Schule.

Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) kritisierte Mitte des 18. Jahrhunderts in seinem Werk „Emile oder Über die Erziehung“ den dominierenden Verbalismus in der Schule und forderte eine verstärkte Hinwendung zum praktischen Unterricht. Den Schülern solle ein eigenes Erfahren der Dinge ermöglicht werden, insbesondere durch die handwerkliche Arbeit in Garten und Werkstatt (vgl. Hillebrand; Tunat 2006, S. 45). Denn, so Rousseau, „Ein Kind das liest, denkt nicht; es liest nur“ (Rousseau 1998, S. 159).

Aufgegriffen wurden diese Gedanken durch Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827). In der Wende zum 19. Jahrhundert prägte er seine Pädagogik des Lernens mit „Kopf, Herz und Hand“ (vgl. Hillebrand; Tunat 2006, S. 45). Nicht nur der Kopf, sondern auch Herz und Hand sollten demnach für ein erfolgreiches und ganzheitliches Lernen gefordert und gefördert werden.

Die wohl wichtigsten Impulse für den handlungsorientierten Unterricht in der heutigen Diskussion stammen jedoch aus den reformpädagogischen Strömungen. In der deutschen Reformpädagogik meint dies vor allem Georg Kerschensteiners (1854 – 1932) Arbeitsschulbewegung. Er betonte mit einem neuen Schulkonzept die Wichtigkeit einer praktischen Betätigung neben der geistigen Aktivität in der Schule. Gegen die reine Buchschule setzte Kerschensteiner sowohl die Handarbeit als auch die eigentätige geistige Aktivität und vereinte damit in der Selbsttätigkeit des Schülers beide Faktoren: praktisches Tun und geistige Leistungen (vgl. Gudjons 2008b, S. 101).

Die deutlichsten Impulse für seine Didaktik erhielt Kerschensteiner dabei durch den Kontakt mit dem amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey (vgl. ebd., S. 101; Moegling 2006, S. 16). Dessen pädagogische Ansätze werden zumeist unter dem Konzept des „learning and doing“ zusammengefasst. Als allgemein anerkannter Begründer des erfahrungsorientierten Lernens stellte er den Wert einer Integration von „Denken“ und „Machen“ in den Vordergrund seiner Didaktik (vgl. Moegling 2006, S. 16). Nur indem der Schüler das theoretisch Gelernte auch handelnd erfährt und selbsttätig anwendet, so Dewey, sei ein nachhaltiges Lernen möglich. Dabei stellt er die Bedeutung eines tatsächlich praktischen Arbeitens in der Schule als Ausgleich zur geistigen Aktivität heraus. Der Unterricht in der Schule solle nicht ausschließlich als theoretische und geistige Vorbereitung auf das berufliche Leben angesehen werden, sondern vielmehr selbst praktische Erlebnisse und Erfahrungen ermöglichen: „Erziehung solle selbst das Leben sein und nicht Vorbereitung auf das zukünftige Leben“ (Hillebrand; Tunat 2006, S. 45).

Zusammen mit William Heard Kilpatrick (1871 – 1965) entwickelte Dewey die Projektmethode, in der alle Elemente eines selbstbestimmten und ganzheitlichen Lernens verknüpft werden (vgl. ebd., S. 45). Diese gilt auch heute noch, sofern sinnvoll eingesetzt entsprechend vorbereitet, als Musterbeispiel für den handlungsorientierten Unterricht.

3. Begründungsebenen

Die Begründung des handlungsorientierten Lernens stellt einen äußerst wichtigen Argumentationsbereich dar. Nur durch das Aufzeigen von unterschiedlichen Gründen, die für eine Durchführung von Handlungsorientierung in der Schule sprechen, kann der Wert dieser Art von Unterricht deutlich gemacht werden. Schließlich hat es nur Sinn, nachhaltig für etwas einzutreten, wenn man plausible Gründe für dessen Notwendigkeit vorlegen kann.

Für die Begründung des handlungsorientierten Unterrichts spielen sowohl anthropologische, lern – und entwicklungspsychologische Argumente, als auch sozialisationstheoretische und berufspropädeutische Begründungsebenen eine wichtige Rolle.

[...]


[1] Als Grundlage dient hierfür das kognitionstheoretische Lernmodell, siehe Anhang 1.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Handlungsorientierter Unterricht
Untertitel
Chancen für ein schüleraktives und nachhaltiges Lehren und Lernen
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Schulpädagogik und Grundschulpädagogik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
39
Katalognummer
V231903
ISBN (eBook)
9783656488460
ISBN (Buch)
9783656490975
Dateigröße
983 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
handlungsorientieter, unterricht, chancen, lehren, lernen
Arbeit zitieren
Franziska Letzel (Autor:in), 2012, Handlungsorientierter Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231903

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