Leseprobe
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit entsteht im Rahmen des Proseminars „Schopenhauer: Die beiden Grundprobleme der Ethik“ und soll einen Einblick in die Philosophie Schopenhauers geben. Es soll sich hierbei vor allem um die Willensfreiheit und die Frage handeln, ob es im freien Willen des Menschen steht, seinen Charakter zu ändern.
Der ausbleibende Erfolg von seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ und weiterer Schriften, vor allem aber auch die nicht zu unterschätzende fehlende Akzeptanz in den akademischen Kreisen, ließen Schopenhauer zu Lebzeiten als gescheiterten Philosophen erscheinen. Doch nach seinem Tod wurde seine Lehre immer und immer interessanter für Wissenschaftler und Philosophen. Vor allem seine Lehre über die Verneinung der Willensfreiheit sorgte für Diskussionen und Forschungen in der Öffentlichkeit. So stellte man nach den Ergebnissen einer modernen Hirnforschung fest, dass die Entscheidung zu einer Handlung bereits zu einem Zeitpunkt fällt, bevor sich der Mensch seiner Handlung bewusst geworden ist.1Dies bedeutet, dass Entscheidungen nicht bewusst getroffen werden, so dass sich die Frage nach der Willensfreiheit stellt. Schopenhauer kam vor der heutigen Hirnforschung zu ähnlichen Ergebnissen und behauptete, dass es nicht im freien Willen des Menschen steht, seinen Charakter zu ändern. Er unterscheidet drei Arten von Freiheit; die physische, intellektuelle und moralische Freiheit. Der moralischen Freiheit widmet er sein besonderes Interesse, da die moralische Freiheit die eigentliche Willensfreiheit sei. Ob aber diese Willensfreiheit tatsächlich existiert oder nur determiniert ist, soll im Folgenden untersucht und analysiert werden.
Doch bevor das Thema aufgegriffen wird, ist es vorteilhaft sich zunächst mit Schopenhauers Persönlichkeit zu beschäftigen, um seine Philosophie und seinen Gedankengang besser nachvollziehen zu können. Anschließend werden auf einige andere Aspekte, wie auf seinen Freiheitsbegriff und sein Verständnis von Handlung, Wollen und Charakter eingegangen, um abschließend zu der Arbeit die eigentliche Fragestellung zu beantworten, ob es für Schopenhauer im freien Willen des Menschen steht, seinen Charakter zu verändern.
2. Freiheits- und Handlungsbegriff
Für Arthur Schopenhauer ist der Begriff der Freiheit nur sinnvoll als ein negativer zu fassen, der sich selbst wie folgt gestaltet:
„Wir denken durch ihn nur die Abwesenheit alles Hindernden und Hemmenden; dieses hingegen muss, als Kraft äußernd, ein positives sein. Der möglichen Beschaffenheit dieses Hemmenden entsprechend hat der Begriff drei sehr verschiedene Unterarten: physische, intellektuelle und moralische Freiheit. “3
Schopenhauer ist davon überzeugt, dass die Frage nach der Willensfreiheit zahlreiche Missverständnisse aufweist und diese Missverständnisse auf verschiedene Deutungen des Freiheitsbegriffs zurückzuführen sind. Beispielsweise war für Immanuel Kant Freiheit der Gegenbegriff zum Determinismus und zur Abhängigkeit des Willens von sinnlichen Auslösern. Diese Annahme ergibt jedoch einen Widerspruch, da dies bedeuten würde, dass jeder frei Handelnde moralisch richtig und jeder moralisch falsch Handelnde unfrei handelt. So dürfte man dem unmoralisch Handelnden keine Vorwürfe für seine Taten machen, da er nicht nach sinnlichen Auslösern handelt, sondern aus moralischen Grundsätzen.
Schopenhauer vertritt die Ansicht, dass der Mensch nicht absolut frei in seinen Entscheidungen ist, dass er aber auch für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden kann. Damit spricht er dem Menschen die Willensfreiheit zwar nicht ganz ab, aber er hält menschliche Willensentscheidungen für kausal bedingt. Für Schopenhauer ist ein Mensch dann frei, wenn er in seinem Willen und Handeln ungehindert ist. Er unterscheidet zwischen drei Arten von Freiheit; nämlich zwischen der physischen, intellektuellen und moralischen Freiheit, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.
Die physische Freiheit setzt Schopenhauer gleich mit der Handlungsfreiheit. Solange der Mensch ohne äußeres Hindernis seinen Willen ausführen kann, ist er frei in seiner Handlung. Diese Handlungsfreiheit ist für die Menschen der vertrauteste und am häufigsten verwendete Freiheitsbegriff. Schopenhauer erklärt in seinen Werken, dass ein gebildeter Mensch dazu neigt, seinen Willen für absolut frei zu halten, da sein Selbstbewusstsein ihm die Einsicht gibt, dass er tun kann, was er will. Dass dieses Wollen bedingt ist durch Ursachen, berücksichtigte er nicht. Dieses Wollen ist nur eine physische Freiheit, die nicht gleich bedeutend ist mit der Willensfreiheit. Die intellektuelle Freiheit ist die durch mangelndes Wissen und mangelnde Fähigkeit beschränkte Freiheit. Wer intellektuell unfrei ist, will und tut nicht das, was er eigentlich will. Entweder er tut das, von dem er nicht weiß, was er tut, oder aber er tut etwas ohne dass es seinem Willen entspricht. Die moralische Freiheit bezeichnet Schopenhauer als liberum arbitrium (die freie Willensentscheidung). Im Gegensatz zur physischen Freiheit, die bei Abwesenheit der Hindernisse sofort eintritt, ist die moralische Freiheit der Menschen ohne Notwendigkeit, ohne vorhergegangene Ursache. Sie ist mit dem Kausalprinzip unvereinbar. Das zu tun, was man will, entspricht nicht dem Prinzip der moralischen Freiheit. Nur wenn die Frage „Kannst du -wollen, was du willst?“ positiv beantwortet werden kann, ist die moralische Freiheit gegeben. Schopenhauer aber bestreitet eine positive Antwort auf diese Frage. Wer sich auf eine dieser Frage einlasse, verfalle der Illusion, dass hinter dem Wollen ein anderes Wollen stecken könne, das immer und immer wieder ein zurückliegendes Wollen voraussetze. Nach Schopenhauer kann Freiheit immer zurück geführt werden auf die Abwesenheit von Notwendigkeit.
„Notwendig ist, was aus einem gegebenen zureichenden Grunde folgt: welcher Satz, wie jede richtige Definition, sich auch umkehren lässt. Je nachdem nun dieser zureichende Grund ein logischer, oder ein mathematischer, oder ein physischer, genannt Ursache, ist, wird die Notwendigkeit eine logische, eine mathematische oder eine physische, reale sein; immer aber hängt sie, mit gleicher Strenge, der Folge an, wenn der Grund gegeben ist.Nur sofern wir etwas als Folge aus einem gegeben Grunde begreifen, erkennen wir es als notwendig, und umgekehrt, sobald wir etwas als Folge eines zureichenden Grundes erkennen, sehen wir ein, dass es notwendig ist: denn alle Gründe sind zwingend. “4
Schopenhauer erklärt die Abwesenheit der Notwendigkeit für identisch mit der Abwesenheit eines bestimmten zureichenden Grundes. Demnach kann es für diese Art Freiheit keine Vorstellung in unserem Verstand geben, weil es ja gerade die Aufgabe des Verstandes ist, alle Vorstellungsinhalte miteinander in Zusammenhang zu bringen. Eine Handlung, für die es keine angemessenen Gründe gibt, zu beschreiben, ist undenkbar, wie man es dem terminus technicus entnehmen kann „liberum arbitrium indifferentiae“, das so viel bedeutet wie „freie, nach keiner Seite hin beeinflusste Willensentscheidung“. So kann Freiheit als Umkehrung dessen aufgefasst werden, was unser Verstand stets Dingen zuschreibt. Für Arthur Schopenhauer ist ein deterministisches Weltbild die Grundlage seiner Überlegungen. Er ist der Überzeugung, dass der Mensch nicht anders handeln kann, als er handelt, weil jeder Handlung ein Motiv zugrunde liegt. Bevor dieser Gedankengang näher untersucht wird, ist es nun wichtig nach der Erläuterung des von Schopenhauer angeführten Freiheitsbegriffs auch den Begriff der Handlung zu präzisieren. Handlungen sind für Schopenhauer die „äußeren, mit Bewusstsein geschehenden Aktionen aller tierischen Wesen“.5 Es geht hierbei um äußere Handlungen, die beobachtbar sind, das heißt innere Handlungen, wie beispielsweise das Lösen einer Aufgabe im Kopf, sind keine Handlungen, sondern bloße Gedanken, da diese nicht zu beobachten sind.
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1Geyer; Christian: Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente. Frankfurt am Main 2004, Seite 9-13
3 Schopenhauer, Arthur: Über die Freiheit des menschlichen Willens. Über die Grundlage der Moral. Zürich 1977, Seite 43
4 Schopenhauer, Arthur: Über die Freiheit des menschlichen Willens. Über die Grundlage der Moral. Zürich 1977, Seite 47
5 Schopenhauer, Arthur: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Über den Willen in derNatur. Zürich 1977, Seite 62