Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2.Theoretisches
2.1. Parodiebegriff
2.2. Satirebegriff
3. Textanalyse
3.1. Zur Vorlage: Schulaufsatz
3.2. Wortschatz
3.3. Wortspiele
3.4. Argumentationsstruktur
4. „Hitler und Goethe“ – Gesamtinterpretation
4.1. Die Einleitung (Z.2-9)
4.2. Die Erklärung (Z.10-22)
4.3. Die Begründung (Z.23-33)
4.4. Das Gleichnis (Z.49-55)
4.5. Das Beispiel (Z.56-72)
4.6. Der Beleg (Z.73-82)
4.7. Der Schluss (Z.83-92)
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Zielsetzung dieser Arbeit soll es sein, darzulegen, ob und inwiefern Tucholskys „Hitler und Goethe“ als Parodie oder Satire auf und gegen den Nationalsozialismus gesehen werden kann.
Um dies festzustellen werden im Folgenden zuerst die Begriffe der Parodie und der Satire erklärt und wird dann am Text belegt, ob und in welchem Maße sich Tucholsky den Stilmitteln und Formen der Parodie und der Satire bedient und ob man „Hitler und Goethe“ tatsächlich als Parodie oder Satire auf und gegen den Nationalsozialismus bezeichnen darf.
Der Text ist am 17.05.1932, also noch vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, in der Weltbühne erschienen und konnte somit noch Auswirkungen auf die Meinung des Volkes haben und dieses möglicherweise dazu veranlassen, sich dem NS-Regime zu widersetzen.
Ob und inwiefern Tucholsky eine Wirkung auf das Denken und Handeln des Volkes beabsichtigte und erreichte, ist dabei allerdings schwer festzustellen.
Es kann nur versucht werden, seine Wirkung anhand seiner eigenen Meinung dazu etwas deutlicher zu machen:
Schon 1919 schrieb er, sich Gedanken über seine eigene Wirkungskraft machend:
Es scheint aussichtslos. Wir kämpfen hier gegen das innerste Mark des Volkes, und das geht nicht. […] Ich kämpfe weiter, aber ich resigniere. Wir stehen hier fast ganz allein in Deutschland. […] Pathos tuts [sic] nicht und Spott nicht und Tadel nicht und sachliche Kritik nicht. Sie wollen nicht hören.“ (Tucholsky: GW I: S.545-546)
Aus heutiger Sicht beängstigend ist dabei, dass diese Kritik, „Sie wollen nicht hören“, auch über zehn Jahre später noch in genau demselben Maße zutrifft, und dass die Menschen aus dem ersten Weltkrieg scheinbar überhaupt keine Lehre gezogen haben.
1923 schrieb er: „Ich habe Erfolg, aber ich habe keinerlei Wirkung.“ (Tucholsky: Ausgewählte Briefe: S.154)
Zu den späteren Jahren sagt King:
1930 [rechnete] […] Tucholsky noch mit der erfolgreichen Mobilisierung der Linkskräfte gegen den Faschismus […]; schon im März 1931 heißt es jedoch bezeichnend: `Der Lebenswille der anderen [der Nationalsozialisten] war stärker, und wer stärker ist, hat das Anrecht auf einen Sieg. Beklagt euch nicht.` (King: Schriften: S.179)
Wobei eben dieser letzte kleine Satz auch die Wut Tucholskys über das Verhalten und die Uneinsichtigkeit des Volkes ausdrückt. Er kämpft jetzt seit über zehn Jahren gegen den Militarismus, die Rechten und einen eventuellen Rachekrieg, und fängt jetzt an zu resignieren, da nach wie vor scheinbar jede Wirkung ausbleibt.
King resümiert: „Diese Resignation nach hartem Kampf hat sich, wie gesagt, 1931 bemerkbar gemacht“. (S.180)
Im 1932 veröffentlichten „Hitler und Goethe“ kann man ebenfalls Tucholskys Wut erkennen. So schreibt er „Das bestimmen wir!“, ein letzter verzweifelter Aufruf an die Mitmenschen, sich dem Regime zu widersetzen. In der letzten Zeile steht dann „sehr gut!“. Landleute, ihr habt `sehr gut´ alles falsch gemacht. Ihr wolltet ja nicht auf mich hören. Kurze Zeit später hört Tucholsky auf zu schreiben.
„Hitler und Goethe“ ist also einer der letzten Texte, in denen sich Tucholsky noch öffentlich gegen den Nationalsozialismus bekannt hat und versucht hat, das Volk zur Vernunft zu bringen. Umso erstaunlicher erscheint es deshalb, dass es nur sehr wenige oder überhaupt keine Sekundärliteratur gibt, die sich mit diesem Text eingehender beschäftigt.
Zur Vervollständigung soll noch gesagt werden, dass Tucholsky 1933 in einem Brief an Maximilian Harden noch einmal erklärte: „[…] eine publizistische Wirkung auf einen ganzen Volkskörper in Deutschland haben wir nicht mehr.“ (Tucholsky: Politische Briefe: S.21)
Dies liegt auch daran, dass er, der schon kaum eine Wirkung erzielen konnte, als er sich noch innerhalb Deutschland befand, nun aus dem Exil heraus noch mehr von der Bevölkerung abgetrennt ist und somit noch weniger Beachtung innerhalb Deutschland erfährt.
Des weiteren muss erwähnt werden, dass Posdzech sogar in Erwägung zieht, dass die Satiren über den Nationalsozialismus eventuell sogar dazu beigetragen haben könnten, den Nationalsozialismus durch das Parodieren zu verharmlosen und so, anstatt die Gefahr vor dem Nationalsozialismus zu verdeutlichen, möglicherweise dazu beigetragen haben, dass die Gefahr unterschätzt wurde:
Eine angemessene Rezeption [der Faschismussatiren] verlangte, nicht nur über die objektiv-komischen Seiten des Faschismus zu lachen, sondern gleichzeitig seine Gefährlichkeit mitzudenken, eine Seite, die die satirische Darstellung aussparen konnte (Posdzech: Funktionsdominanzen: S.73)
Anzumerken ist auch, dass Tucholsky den Text unter dem Pseudonym Kasper Hauser veröffentlichte, einer Figur (bzw. eines Teils seiner selbst), die, wie Tucholsky selbst erklärte, nach dem Krieg (dem ersten Weltkrieg) die Augen aufschlug, die Welt sah und sie nicht verstand. (vgl. Tucholsky: Mit 5PS: S.6)
Um zur Fragestellung zurückzukommen, ob „Hitler und Goethe“ eine Parodie oder Satire ist, sollte man vielleicht zuerst klären, wie Tucholsky der Satire gegenüberstand.
Man kann annehmen, dass Tucholsky sich selbst als Satiriker sah, was man auch an der Existenz mehrerer Texte Tucholskys zum Wesen der Satire (z.B. „Was darf Satire?“, „Politische Satire“) festmachen kann. Der Begriff des Parodisten taucht allerdings weit weniger häufig bei ihm und in Zusammenhang mit ihm auf. Am Zehnhoff zufolge ist Tucholsky wohl oft im Zusammenhang mit der Satire behandelt worden, allerdings hat kaum einer bemerkt, dass er auch ein guter Parodist war, wobei „die parodistischen Schreibtechniken […] doch die interessantesten der Satire [sind]“. (Am Zehnhoff: Schreibtechniken: S.39)
Bevor wir nun zur Analyse des Textes kommen, werde ich eine kurze Definition des Parodie- und des Satirebegriffs anführen, die beiden Begriffe – soweit möglich - mit den Worten Tucholskys erklären und im Hinblick auf den behandelten Text erläutern.
2.Theoretisches
2.1.Parodiebegriff
Eine Parodie bezeichnet eine verzerrende, übertreibende oder verspottende Nachahmung eines Werkes, einer Person oder unter Umständen eines ganzen Genres, bei der die Form (bzw. die typische Verhaltensweise) des Originals beibehalten wird, der Inhalt jedoch ausgetauscht wird um einen humoristischen Effekt zu erzielen. Eine Parodie muss allerdings nicht zwingend einen verspottenden Charakter besitzen, sondern sie kann auch als humorvolle Respektbezeugung existieren. (vgl. Wikipedia: Parodie)
Die Parodie als solche ist zunächst nur eine bestimmte Technik des Schreibens. Verbindet sich mit der Parodie beispielsweise eine Gesellschaftskritik, so kann sie satirische Züge erhalten. Hier kann die Parodie also im Dienst der Satire stehen. (Wikipedia: Parodie)
Über die moderne Satire hat sich Tucholsky viele Gedanken gemacht und auch mehrere Texte dazu verfasst. Umso erstaunlicher ist es, dass er über das „Handwerkliche“, die Schreibtechniken, nichts geschrieben hat und die Parodie als Mittel der Satire sogar ablehnte.
Er lässt nur die sogenannten „Parodiestudien“ als Parodien gelten, innerliterarische Kollegenschelte oder satirische Polemik lehnt er dagegen ab. (vgl. Am Zehnhoff: Schreibtechniken: S.39)
Sein Parodiebegriff entwickelt sich allerdings im Laufe der Jahre und weitet sich wohl auch aus.
Wie Am Zehnhoff schreibt, kann man, obwohl er seine Gedanken zu seinen eigenen Parodien und seinen Techniken nie niedergeschrieben hat, wohl davon ausgehen, dass er die Parodie als rein literarische Technik sah und dass er wohl zustimmen würde, dass es sich bei der Parodie um eine textuelle Imitationstechnik handelt. (vgl. S.40)
Des Weiteren wird die Parodie hier als „eine innerliterarische Polemik, wobei der Kritiker mit einer verzerrten Imitation der Stilmittel des Gegners angreift“ definiert. (S.41) Durch diese Verzerrung werden die Stilmittel des Gegners deutlich und können lächerlich gemacht werden.
Am Zehnhoff zufolge können wir bei Tucholsky davon ausgehen, dass „die parodistischen Texte des Satirikers Kurt Tucholsky hinsichtlich ihrer Intention Satiren sind. Betrachten wir aber eher die schreibtechnischen Aspekte, so nennen wir dieselben Texte Parodien.“ (S.41)
2.2. Satirebegriff
Laut dem Fischer Lexikon geht der Begriff der Satire auf das lateinische „satura“ zurück und bezeichnete eine antike Literaturform. Heute versteht man aber unter Satire weniger eine Gattung, sondern vielmehr einen literarischen Modus, der Kritik üben will, belehren will und durch seine Nähe zur Komik und Parodie auch unterhalten will. Die moderne Satire „spottet und straft, sie brandmarkt und entlarvt, befaßt [sic] sich mit der Widersprüchlichkeit und Verkehrtheit des Wirklichen“, indem sie das Bestehende verneint und unter Umständen ein Gegenbild entwirft. (Fischer Lexikon: Satire: S.1725)
Satire und vor allem politische Satire steht also immer in der Opposition.
Posdzech zufolge wurde die Satire als Ausdrucksform von Autoren wie Tucholsky, Weinert und Kästner auch deshalb bevorzugt, weil sich „die satirische Kritik auf die Negation des Bestehenden beschränken konnte, ohne dem Autor bereits eine Formulierung seines politischen Gegenentwurfs abzuverlangen“. (Posdzech: Funktionsdominanzen: S.69)
Des Weiteren konnte die Satire aufgrund ihrer Haltung der reinen Ablehnung zur Förderung des Zusammenschlusses der gemeinsamen Gegner beitragen, die in der gemeinsamen Ablehnung die Gleichheit ihrer Interessen erkennen konnten.
Tucholsky selbst hat schon 1919 seine Gedanken darüber, was Satire sein soll und sein darf, öffentlich mitgeteilt. Er schrieb im Aufsatz „Was darf die Satire?“:
Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große bunte Landknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist. […] Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an. […] Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird […] (Tucholsky: GW I: S.362-363)
Am Ende des Aufsatzes fragt Tucholsky „Was darf die Satire?“. Seine Antwort lautet „Alles.“ (Tucholsky: GW I: S.364)
Einige Jahre später nimmt er jedoch eine Eingrenzung vor:
Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unter. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen. (Tucholsky: GW III: S.1029)
Doerfel zufolge gab Tucholsky später im Sammelband „Fromme Gesänge“ eine Definition der politischen Satire, zu der Hass, Witz und Kampf gehören sollten. (Doerfel: Politiker: S.204)
Des Weiteren behauptet Doerfel, Tucholsky würde „in seinen Äußerungen zum Thema Satire keine Trennung zwischen Polemik und Satire“ vornehmen und die Mehrzahl seiner Arbeiten seien polemischer Natur, da er oft mit groben Vereinfachungen gearbeitet habe. (Doerfel: Politiker: S.205/206)
Zum Wesen des Satirikers sagt Gabriel Laub folgendes:
Satiriker […] können nicht aufhören es zu sein. Denn Satire ist keine literarische Gattung, sondern eine Methode, die Welt zu sehen: Eine Art Verantwortung, die man für die Welt übernimmt, obwohl man auf sie keinen Einfluss hat. (Gabriel Laub, zitiert nach Becker: Mit geballter Faust: S.105)
Man muss Laub, zumindest was Tucholsky betrifft, zustimmen, denn dieser konnte tatsächlich nicht aufhören, Satiriker zu sein; sogar in seinen Jahren des Schweigens schrieb er noch Unmengen an Briefen und hatte stets den Drang, sich in irgendeiner Form gegen den Nationalsozialismus zu wehren.
3. Textanalyse
3.1. Zur Vorlage: Schulaufsatz
Kurt Tucholsky übernimmt in seinem Text „Hitler und Goethe“ – der Untertitel ´Ein Schulaufsatz´ besagt es schon – die formale Gestaltung der Schulaufsätze Anfang der dreißiger Jahre. Es gab damals vier Aufsatzgrundformen; die Erzählung, der Sachbericht, die Schilderung und die Betrachtung. Der Sachbericht sollte dabei sachbetont sein, die Schilderung gefühlsbetont und die Betrachtung verstandesbetont.
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