„Erinnerung, sprich.“ Mit diesem Auszug aus dem gleichnamigen Werk Vladimir Nabokovs beginnt Friedhelm Marx seinen Beitrag über Uwe Timms Werk „Am Beispiel meines Bruders“, in welchem nach Marx die Erinnerung „selbst“ zu Wort kommt und der Roman so der Gefahr entgeht die deutsche Vergangenheit zu banal oder gar nachlässig zu behandeln.1 Doch was heißt im Fall von Timms Werk, dass die Erinnerung selbst zu Wort kommt? Durch die von ihm gewählte literarische Form der Geschichts- und Erinnerungsverarbeitung kann die Vergangenheit nur „durch“ den Autor sprechen und somit nur reflektiert und somit nur aus einer subjektiven Perspektive niedergeschrieben worden sein.
Unter diesem Aspekt will die folgende Arbeit Bezug auf die Ausarbeitungen von Jan und Aleida Assmann nehmen, welche sich mit der Theorie des „kollektiven Gedächtnisses“ von Maurice Halbwachs beschäftigen und diese um die Kategorien des „kommunikativen“ und des „kulturellen Gedächtnisses“ ausdifferenzieren.2 Anhand von Beispielen aus dem Roman soll analysiert werden, welche Gedächtnisformen bei Timm den überwiegenden Teil der Erinnerungen darstellen und ob eine Zuordnung des Werks zu einer der beiden Formen erfolgen kann. Hierzu soll die Suche nach der Identität des Bruders betrachtet werden, da diese sich aus Erinnerungen verschiedenster Form (Erzählungen der Eltern, eigene Erinnerungen sowie Briefe an die Familie und Tagebucheinträge) zusammensetzt.
Zudem soll ein Überblick gewonnen werden, welches Bild der damaligen Generation und ihres Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit von Timm entworfen wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Identität des Bruders
3. Der Roman als Manifestation Erinnerung
4. Gefahren der familiären Perspektive auf den historischen Prozess
5. Fazit
1. Einleitung
„Erinnerung, sprich.“ Mit diesem Auszug aus dem gleichnamigen Werk Vladimir Nabokovs beginnt Friedhelm Marx seinen Beitrag über Uwe Timms Werk „Am Beispiel meines Bruders“, in welchem nach Marx die Erinnerung „selbst“ zu Wort kommt und der Roman so der Gefahr entgeht die deutsche Vergangenheit zu banal oder gar nachlässig zu behandeln.[1] Doch was heißt im Fall von Timms Werk, dass die Erinnerung selbst zu Wort kommt? Durch die von ihm gewählte literarische Form der Geschichts- und Erinnerungsverarbeitung kann die Vergangenheit nur „durch“ den Autor sprechen und somit nur reflektiert und somit nur aus einer subjektiven Perspektive niedergeschrieben worden sein.
Unter diesem Aspekt will die folgende Arbeit Bezug auf die Ausarbeitungen von Jan und Aleida Assmann nehmen, welche sich mit der Theorie des „kollektiven Gedächtnisses“ von Maurice Halbwachs beschäftigen und diese um die Kategorien des „kommunikativen“ und des „kulturellen Gedächtnisses“ ausdifferenzieren.[2] Anhand von Beispielen aus dem Roman soll analysiert werden, welche Gedächtnisformen bei Timm den überwiegenden Teil der Erinnerungen darstellen und ob eine Zuordnung des Werks zu einer der beiden Formen erfolgen kann. Hierzu soll die Suche nach der Identität des Bruders betrachtet werden, da diese sich aus Erinnerungen verschiedenster Form (Erzählungen der Eltern, eigene Erinnerungen sowie Briefe an die Familie und Tagebucheinträge) zusammensetzt.
Zudem soll ein Überblick gewonnen werden, welches Bild der damaligen Generation und ihres Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit von Timm entworfen wird.
2. Die Identität des Bruders
Der zentrale Inhalt von Timms Roman ist die Frage nach der Identität des Bruders, nach der Beschaffenheit seines Charakters, seines Seins und schlussendlich, warum er sich freiwillig zur Waffen-SS meldete.[3] Um eine Antwort auf die zuletzt genannte Frage zu finden, aber auch um sich selbst ein Bild von der Person des Bruders zu schaffen, analysierte Timm alle erhaltenen Briefe und vorhandenen Tagebucheinträge, die der Bruder anfertigte, obwohl dies verboten war. Einen Großteil der Identitätssuche bestreitet Timm auf der Grundlage jener Aufzeichnungen, die zweifelsohne dem kommunikativen Gedächtnis im Sinne Assmanns zugeordnet werden können, da sie für den Bruder eine Form der Alltagskommunikation dargestellt haben dürften, auch wenn ihm beim Erstellen nicht bewusst gewesen sein kann, unter welchen Umständen seine Eintragungen eines Tages erneut gelesen werden.
Um anhand eines Beispiels die fehlende Organisation und „thematische Unfestgelegtheit“[4] der Tagebucheinträge darzustellen, soll die folgende Eintragung des Bruders vom 05.07.1943 dienen:
„0.30 Abfahrt zum Bereitstellungsraum. 3-4 St Ari und D-Werfer Vorbereitung. Ab 4 uhr Stukaangriff TV (Totenkopfverbände) im Angriff über Minenfeld Solo Kräder kaputt über gesprengten Panzergraben über Russengräben 2 Schichten Bunker usw. Panzer durch Bach geschleust. Tiger bleiben stecken nichts zu essen Ladung von Brücke entfernt Brücke ausgebessert Holzminen gesprengt Handgrant Tiger Ketten ganz ausgerissen. Nacht auf Rollbahnstellung. Kursk – Bjegorod“[5]
Hier wird deutlich, dass bei den verwendeten Tagebucheinträgen Alltagsnähe gegeben ist und dieser Teil der Erinnerung definitiv zum kommunikativen Gedächtnis der Familie Timm gezählt werden kann. Neben der neben der alltagsnahen Form der Berichterstattung untermauern auch die zeitliche Distanz von 70 Jahren und die Darstellung historischer Fakten diese These.
Die Briefe, welche der Bruder regelmäßig an seine Eltern schickt, bilden neben den Tagebucheinträgen eine weitere zentrale Form der Aufzeichnung von Erinnerung, stellen in diesem Fall jedoch auch durch die Konstellation der Familie Timm ein Problem dar. Der Bruder hatte zusammen mit dem Vater beschlossen, der Mutter zu verschweigen, dass er bereits im Einsatz und somit in die Kampfhandlungen involviert war[6], weshalb die Briefe an Vater und Mutter sehr unterschiedlich ausfallen. Als erstes Beispiel zu dieser Problematik soll ein Brief an die Mutter vom 22.07.1943 dienen:
„Es ist ja in einer Art traurig, wenn wir nie eingesetzt werden, man kann nie zu einer Auszeichnung kommen und wird ständig als Spund angesehen.
Aber du weißt, daß ich da wenig drauf gebe, die Hauptsache ist, ich komme ganz nach Hause.“[7]
[...]
[1] Vgl. Friedhelm Marx: Erinnerung, sprich. Göttingen 2007, S. 27f.
[2] Vgl. Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis. München 2011, S. 13f.
[3] Vgl. Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders. München 2005, S. 19
[4] Vgl. Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis. München 2011, S. 13f.
[5] Vgl. Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders. München 2005, S. 92
[6] Ebd. S. 91
[7] Ebd. S. 93
- Arbeit zitieren
- Christopher Hauck (Autor:in), 2013, Geschichtskultur im Familienroman "Am Beispiel meines Bruders". Das kulturelle Gedächtnis im Werk Uwe Timms, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232242
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