Cartesianischer Zweifel und Husserlsche Reduktion.

Ein Vergleich zwischen den „Meditationes de Prima Philosophia“ René Descartes und den „Cartesianischen Meditationen“ Edmund Husserls


Essay, 2013

13 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

1 Cartesianischer Zweifel

2 Husserlsche Reduktion

3 Ein Vergleich

Weiterführende Literatur

Vorwort

Am 23. und 25. Februar 1929 hielt Edmund Husserl (1859-1938) an der Pariser Uni- versität Sorbonne zwei Vorträge, die die Grundlage für die 1931 erschiene Schrift Car- tesianische Meditationen bildeten. Husserl baut in seinen Ausführungen auf die 1641 erschiene Schrift Meditationes de prima philosophia René Descartes (1596-1650) auf.

Mit dem Ziel der sicheren Erkenntnisbegründung in der Philosophie zieht Descartes in dieser Schrift alles methodisch in Zweifel, in dem er sich täuschen könnte. Im Zweifeln und Denken erfährt er sich selbst notwendig als existierend und hat damit eine grund- legende gesicherte Erkenntnis gefunden, auf der er aufbauen kann. Sichere Erkenntnis über die Außenwelt konstruiert Descartes, indem er einen Gottesbeweis führt und auf die Wahrhaftigkeit Gottes schließt. In Gott hat Descartes dadruch einen Garanten, der dafür einsteht, dass die Außenwelt existiert und dass alles das wahr ist, was er klar und deutlich erkennt.

Husserl nimmt die Idee Descartes einer sicheren Erkenntnisbegründung in der Philosophie auf und übernimmt Descartes Entdeckung, sich selbst im Zweifeln und Denken notwendig als existierend zu erfahren. Er möchte den Weg Descartes nachgehen und in seinem Sinne umbilden und weiterführen,

„wenn ich an diejenigen Motive der Meditationes de prima philosophia an- knüpfe, denen, wie ich glaube, eine Ewigkeitsbedeutung zukommt, und wenn ich daran anschließend die Umbildungen und Neubildungen kennzeichne, in welchen die transzendental-phänomenologische Methode und Problematik entspringt.“1

Wir wollen hier zunächst die Gedankengänge der Meditationes de prima philosophia René Descartes und der Cartesianische Meditationen Edmund Husserls nachzeichnen, um anschließend in einem Vergleich den gemeinsamen Ausgangspunkt und die unterschiedlichen Wege herauszuarbeiten.

1 Cartesianischer Zweifel

In seiner 1637 erschienen Schrift Discours de la M é thode zeigt sich René Descartes un- zufrieden mit den Wissenschaften seiner Zeit, da sie kein gesichertes Wissen vermitteln können:

„Seit meiner Kindheit bin ich inmitten von Büchergelehrsamkeit aufgewach- sen, und da man mich überzeugt hatte, sie sei das einzige Mittel, eine klare und gesicherte Erkenntnis all dessen zu erlangen, was für das Leben nützlich ist, hatte ich den starken Wunsch, sie zu erlernen. Sobald ich aber den gan- zen Studiengang durchlaufen hatte, nach dessen Abschluß man gewöhnlich in den Stand der Gelehrten aufgenommen wird, änderte ich meine Meinung völlig. Denn ich fand mich in so viele Zweifel und Irrtümer verstrickt, daß es mir schien, der einzige Gewinn, meines Bemühens, mich zu unterrichten, wäre nur der, zunehmend meine Unwissenheit entdeckt zu haben.“2

Die Philosophie ist nach Descartes Grundlage aller anderen Wissenschaften. Doch „findet sich in ihr nichts, worüber man nicht streitet und das folglich nicht zweifelhaft ist“3. Daher sieht er in der Philosophie „alles als nahezu falsch an, was nur wahrscheinlich war“.4 Die anderen Wissenschaften haben die Philosophie zur Grundlage, sodass wahre Erkenntnis auch in den anderen Wissenschaften auf wackeligen Grundlagen steht, da „auf so wenig festen Fundamenten nichts hatte aufgebaut werden können, das zuverlässig war“.5

So macht sich Descartes in seiner 1641 erschienen Schrift Meditationes de prima phi losophia daran, die Erkenntisse der Philosophie und damit auch die aller anderen Wissenschaften, auf ein sicheres Fundament stellen zu wollen. Er schreibt, dass

„einmal im Leben alles von Grund auf umgeworfen und von den ersten Fun- damenten her neu begonnen werden müsse, wenn ich irgendwann einmal das Verlangen haben würde, etwas Festes und Bleibendes in Wissenschaften zu errichten“.6

Descartes geht dazu so vor, „alles zurückzuweisen, worin ich auch nur irgendeinen Grund zum Zweifeln antreffe“.7 Er unterzieht alle Erkenntnis dem methodischen Zweifel und setzt sie außer Geltung. Methodisch zweifelt er nicht nur durch die Sinne vermittelte Erkenntnis an, da „die Sinne zuweilen täuschen, und Klugheit verlangt, sich niemals blind auf jene zu verlassen, die uns auch nur einmal betrogen haben“8, sondern auch abstrakte Erkenntnisse wie mathematische Wahrheiten, da es möglich ist, „irgendein boshafter Genius, ebenso mächtig wie verschlagen, setze all seine Hartnäckigkeit darein, mich zu täuschen“9.

Nachdem Descartes so jegliche Erkenntnis als zweifelhaft außer Kraft gesetzt hat, gilt es im nächsten Schritt eine sichere Erkenntnis auszumachen, auf die er aufbauen kann, und in der er sich, auch wenn es den boshaften Betrügergeist tatsächlich geben sollte, nicht täuschen kann:

„Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, allmächtigen und äußerst verschlagenen Betrüger, der mich ständig mit äußerster Hartnäckigkeit täuscht; und er möge mich täuschen, soviel er kann, niemals wird er bewirken, daß ich nichts bin, solange ich denken werde, daß ich etwas bin; so daß schließlich, nachdem ich es zur Genüge überlegt habe, festgestellt werden muß, daß dieser Grundsatz Ich bin, ich existiere, sooft er von mir ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, notwendig wahr ist.“10

In seinem methodischen Zweifel erkennt sich Descartes als zweifelndes und denkendes Ich. Damit hat er eine Erkenntnis gefunden, in der ihn niemand täuschen kann, und die er als notwendig wahr annimmt.

Nun gilt es für Descartes auf dieser Erkenntnis aufbauend die Existenz der Außenwelt, der Welt außerhalb seiner selbst, zu erschließen.

Dazu geht Descartes von den Ideen aus, die er in sich vorfindet, und die er in an- geborene, erworbene und selbst gemachte einteilt. Unter diesen Ideen findet sich auch die Idee Gottes. Unter Gott versteht er dabei „eine bestimmte unendliche, unabhängige, höchster Einsicht fähige, allmächtige Substanz, von der sowohl ich selbst, als auch alles andere, was es auch sei, geschaffen ist, falls irgendetwas anderes vorhanden sein sollte“.11

Außerdem geht er von dem Grundsatz aus, dass in einer Ursache mindestens ebensoviel enthalten sein muss, wie in der Wirkung, die sie hervorruft.12

Daraus schließt Descartes, dass die Idee Gottes, die er in sich vorfindet, notwendig von Gott stammt und Gott daher existiert:

„Dies alles ist in der Tat so viel, daß es, je sorgfältiger ich es berücksichtige, desto weniger von mir allein hervorgebracht worden sein zu können scheint. Und daher muß aus dem zuvor Gesagten geschloßen werden, daß Gott not- wendig existiert.“13

Mit dem Beweis der Existenz Gottes hat Descartes eine sichere Erkenntnis außerhalb seiner Selbst gefunden. Gott als vollkommenes Wesen wird zu Garanten der sicheren Erkenntnis über die Außenwelt, da es mit dem Wesen Gottes nicht zu vereinbaren ist, dass Gott den Menschen absichtlich täuscht:

„Erstens nämlich erkenne ich es als unmöglich, daß Gott mich jemals täuscht. In aller Täuschung und Betrug wird nämlich irgendeine Unvollkommenheit angetroffen, und obwohl täuschen zu können ein Argument für Scharfsinn oder Macht zu sein scheint, bezeugt täuschen zu wollen zweifelsohne entweder Schlechtigkeit oder Schwäche, und kann demnach in Gott nicht stattfinden.“14

Wenn sich jemand doch irrt, liegt das daran, dass er das von Gott gegebene Urteilsvermögen nicht recht gebraucht:

„Außerdem erfahre ich, daß es in mir ein gewisses Urteilsvermögen gibt, das ich sicherlich von Gott erhalten habe, wie alles übrige auch, das in mir ist; und da er mich nicht täuschen will, hat er es mir demnach als ein solches gegeben, daß ich mich niemals irren kann, solange ich es richtig verwende.“15

Daraus schließt Descartes, dass er sichere Erkenntnis in allem erlangen kann, das er klar und deutlich einsieht:

[...]


1 Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Ph ä nomenologie, I, § 1. Hrsg.

v. Elisabeth Ströker. (Philosophische Bibliothek 644.) Hamburg 2012, 7.

2 René Descartes: Discours de la M é thode, I. Hrsg. v. Christian Wohlers. (Philosophische Bibliothek 624.) Hamburg 2011, 9.

3 Ebd. I, S. 15.

4 Ebd.

5 Ebd.

6 René Descartes: Meditationen, I,1. Hrsg. v. Christian Wohlers. (Philosophische Bibliothek 598.) Hamburg 2009, 19.

7 Ebd.

8 Ebd. I,3, S. 20.

9 Ebd. I,12, S. 24.

10 Ebd. II,3, S. 28.

11 Ebd. III,22, S. 49.

12 Vgl. ebd. III,7-14, S. 42-45.

13 Ebd. III,22, S. 49f.

14 Ebd. IV,2f, S. 59f.

15 Ebd. IV,3, S. 60.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Cartesianischer Zweifel und Husserlsche Reduktion.
Untertitel
Ein Vergleich zwischen den „Meditationes de Prima Philosophia“ René Descartes und den „Cartesianischen Meditationen“ Edmund Husserls
Autor
Jahr
2013
Seiten
13
Katalognummer
V232290
ISBN (eBook)
9783656484912
ISBN (Buch)
9783656486381
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophie, Edmund Husserl, Wissenschaftstheorie
Arbeit zitieren
Daniel Tibi (Autor:in), 2013, Cartesianischer Zweifel und Husserlsche Reduktion., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232290

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