Heimkehr durch Erinnerung

Edgar Hilsenraths Roman "Jossel Wassermanns Heimkehr"


Bachelorarbeit, 2011

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1. Methodik und Ziel
2. Literaturlage und Forschungsstand

2. Historiografie und persönliche Erinnerung

3. Jossel Wassermanns Heimkehr als Beispiel für persönliche Erinnerung
1. Rolle in der Rahmen- und Binnenhandlung
2. Rolle Jossel Wassermanns
3. Beständigkeit der Erinnerung
4. Heimkehr durch Erinnerung

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Edgar Hilsenrath schuf mit Jossel Wassermanns Heimkehr einen Roman, der einen neuen Blickwinkel auf die Juden der Bukowina, auf Geschichtsschreibung und persönliche Erinnerung wirft. Dabei wird der Konflikt zwischen Historiografie und persönlicher Erinnerung aufgegriffen. Beides sind Formen der Erinnerung und doch vollkommen verschieden von einander. Vor allem vor dem Hintergrund des Holocaust scheint die Historiografie das Ausmaß der Katastrophe zu verharmlosen. Hilsenrath greift dies in seinem Roman auf und zeigt beispielhaft, was persönliche Erinnerung im Gegensatz zu allgemeiner Geschichtsschreibung zu tun vermag. Dabei war es ihm Anliegen, ein reales Portrait der Bukowina vor deren Zerstörung zu zeichnen.

Edgar Hilsenrath, selbst Jude, kommt 1938 in die Bukowina und lernt sie dort lieben. Sie wurde seine Heimat, „seine schönste Zeit“ nachdem er in Deutschland unter dem Nationalsozialismus hatte leiden müssen.[1] 1941 werden er und seine Familie zuerst nach Rumänien und dann nach Mogiljow-Podolski in der Ukraine gebracht. Er lebt dort im Ghetto, was er in seinem Roman Nacht verarbeitet hat. 1944 wird es befreit und er kommt über Umwege nach Palästina. Aber auch dort kann er die Bukowina nicht vergessen, sucht nach ehemaligen Einwohnern, weil er Heimweh hat und findet sie in der Nähe. Zwei Jahre später gehr er nach Frankreich, um seine Familie wiederzutreffen. Nach Jahren in Amerika kehrt er 1975 nach Deutschland zurück, der Liebe der deutschen Sprache wegen, die sich durch sein Leben zieht wie die ungebrochene Liebe zur Bukowina. So hat jedes seiner Werke einen Bezug zur Bukowina, seiner verlorenen Heimat.

Jossel Wassermanns Heimkehr ist eine Hommage an diese Bukowina von einst, wie sie von Edgar Hilsenrath erlebt wurde. Jossel Wassermann lässt in seinen Maisses, den jüdischen Geschichten, eine längst vergangene Zeit auferstehen, ohne diese als utopisch schöne Landschaft oder die Juden selbst als „Edelmenschen“ darzustellen.[2] Hilsenrath bleibt real in dem, woran er erinnern will und schafft damit einen zum Teil kontroversen Roman, der nicht nur auf Lob, sondern aufgrund der Darstellung „seiner“ Bukowinajuden auch auf Kritik stieß. Er erzählt auf die ihm eigentümliche Weise mit Witz, Sarkasmus und Satire und schafft zugleich einen Raum für eine faszinierende und zugleich erschreckende zweite Art des Lesens.

In Bezug auf den Konflikt zwischen Historiografie und persönlicher Erinnerung, auf den Titel und auf den Stil, mit welchem der Roman geschrieben ist, ergeben sich verschiedene Fragestellungen. Da Jossel Wassermanns Heimkehr darauf abzielt, auf den Konflikt zwischen Geschichtsschreibung und persönlicher Erinnerung einzugehen und deren Unterschiede darzustellen, fragt man sich, worin genau die Unterschiede liegen, warum Hilsenrath sich für die persönliche Erinnerung entschieden hat und inwiefern Jossel Wassermann als Erzähler eine Schlüsselrolle einnimmt. Des Weiteren stellt sich Frage, wie der Stil, der Hilsenrath so außergewöhnlich macht, das Lesen des Romans und das Verständnis des Lesers beeinflusst. Schlussendlich kommt die Frage nach einer möglichen Heimkehr Jossel Wassermanns auf. Der Titel verheißt dies – der Romanheld selbst jedoch stirbt im Exil.

1. Methodik und Ziel

Mithilfe dieser Fragen wird die Thematik der Arbeit schon umrissen. Wie der Titel vermittelt, hat sie das Ziel, herauszuarbeiten,ob Heimkehr durch Erinnerung möglich ist. Hierfür soll der Roman dahingehend untersucht werden, welche Aspekte für und gegen eine solche Heimkehr sprechen, um dann daraus Schlussfolgerungen für die Fragestellung zu ziehen.

Nach einem Überblick über Literaturlage und Forschungsstand, soll sich im dritten Kapitel ausführlich mit dem Konflikt zwischen Historiografie und individueller Erinnerung beschäftigt werden. Auf Basis dessen wird der Roman an sich im vierten Kapitel näher betrachtet. Es soll untersucht werden, wie sich in Rahmen- und Binnenhandlung mit dem Konflikt auseinander gesetzt und welche Meinung vertreten wird. Außerdem soll das für und wider möglicher Überlieferungsmethoden diskutiert werden. Dabei wird im Detail auf die jüdische mündliche und die westliche schriftliche Erzähltradition eingegangen und erklärt, welchen Vorteil die Verschriftlichung der Geschichte bietet. Im Anschluss daran soll die Rolle Jossel Wassermanns analysiert werden. Es soll verdeutlicht werden, warum man ihn als Messias der Pohodnajuden ansehen kann. Darauf aufbauend wird dann untersucht, mithilfe welcher Methoden die Erinnerung nachhaltig im Gedächtnis des Lesers konserviert bleibt. Anhand mehrerer Beispiele wird analysiert, inwiefern dabei die zweite Lesart eine Rolle spielt und wie sie funktioniert. Im vierten Punkt soll dann abschließend erörtert werden, ob Jossel Wassermann durch seine Erinnerungen an Pohodna und dessen Einwohner heimkehrt. Im fünften und letzten Kapitel folgt die Zusammenfassung der Ergebnisse.

2. Literaturlage und Forschungsstand

Es gibt eine große Anzahl von Rezensionen und Forschungsbeiträgen zu Edgar Hilsenraths Romanen. Vor allem Der Nazi und der Frisör und Das Märchen vom letzten Gedanken, aber auch Nacht, wurden vielseitig diskutiert und analysiert. Hilsenraths Bücher spalten. Es gibt diejenigen, die seine Art der Betrachtung und Darstellung ablehnen und diejenigen, die sich dem stellen und ihn als „Fährmann“ für alle ansehen, die den Holocaust nicht überlebt haben.[3]

Vor allem Ruth Klüger spricht sich gegen Hilsenraths Darstellung der Juden, sowie des Holocaust, aus. In ihrer Rezension in der Frankfurter Allgemeine Zeitung gibt sie ein vernichtendes Urteil zu seinem Roman Jossel Wassermanns Heimkehr ab und sieht ihn als „Nachzügler“, dessen Darstellung der Juden an eine „Verspottung der Opfer“ grenzt.[4]

Sowohl Bettina Hey'l in ihrem Aufsatz zum Märchen vom letzten Gedanken, als auch Karin Bauer beschäftigen sich mit der Geschichte und dem Konflikt zwischen Historiografie und persönlicher Erinnerung. Karin Bauer geht dabei vor allem auf Walter Benjamins Geschichtsbegriff ein und arbeitet heraus, inwieweit er eine Rolle in Jossel Wassermanns Heimkehr spielt. Bettina Hey'l hingegen geht mehr auf den Konflikt zwischen Geschichtsschreibung und persönlicher Erinnerung ein.

Julian Preece, aber auch Thomas Kraft, widmen sich der Bukowina-Thematik in Hilsenraths Werk. Preece untersucht in seinem Aufsatz „The German Imagination and the Decline of the East: Three Recent German Novels (Edgar Hilsenrath, Jossel Wassermanns Heimkehr; Hans-Ulrich Treichel, Der Verlorene; Günter Grass, Im Krebsgang)“, wie die drei Autoren mit der Thematik Osteuropa umgehen. Er arbeitet heraus, wie Hilsenrath in seinem Roman den Verlust der jiddischen Gemeinschaft in der Bukowina verarbeitet, während Treichel auf die Flucht von Ost nach West eingeht und Grass schließlich unverarbeitete persönliche und politische Eindrücke behandelt.

Thomas Kraft hingegen geht auf das literarische Motiv Bukowina im Gesamtwerk Hilsenraths ein. Er arbeitet sowohl die Bedeutung der Bukowina für Hilsenrath persönlich, als auch der Art der Verwertung des literarischen Motivs in den Werken selbst heraus und zeichnet das Bild eines Autors, der eine lang verlorene Wirklichkeit in seinen Büchern lebendig halten will..

Die vorliegende Arbeit nun versucht, den Zusammenhang zwischen persönlicher Erinnerung, ihrer Darstellung und der dadurch resultierenden geistigen Heimkehr herstellen. Dabei spielt der Differenz zwischen Historiografie und individueller Erinnerung eine tragende Rolle, sodass auf die Betrachtung beider Formen nicht verzichtet werden darf, da erst durch persönliche Erinnerung eine Verbindung zum vergangenen Geschehen hergestellt werden kann, die in geistiger Heimkehr resultiert.

2. Historiografie und persönliche Erinnerung

Im Folgenden soll die Differenz zwischen Historiografie und persönlicher Erinnerung näher betrachtet werden. Die Problematik zeigt sich zum einen im Text selbst in der Rahmenhandlung und zum anderen auch in der Forschungsliteratur, die sich ebenso mit den Unterschieden zwischen beiden befasst hat.

Geschichte wird im Allgemeinen als „universalgeschichtliches Sinnkonstrukt“ angesehen.[5]

„Wer die Ereignisse der Geschichte in Historiographie verwandeln kann, hat schon gewonnen, [...] Geschichtsschreibung ist in aller Regel die der Sieger. […] Sie bevorzugt die Handelnden, nicht die Leidenden, weil diese nicht die Helden sind, mit denen wir uns gerne befassen.“[6]

Bettina Hey'l nennt dies „Geschichtsschreibung von oben“, also die Geschichte der Masse.[7] Sie wird aus der Vogelperspektive verallgemeinert wiedergegeben und lässt Details und vor allem Gefühle weitestgehend aus:

„Die allgemeinen Begriffe und abstrakten Größen wie Volk, Staat, Religion, Nation, Armenier, Christentum, Jahrhundert – sie sollen das Geschehen zwar versachlichen. Die Entscheidung der Historiker für Begriffe löst jedoch auch einen Abstraktionsprozeß aus, der dazu tendiert, das Konkrete des einzelnen Lebens zum Verschwinden zu bringen. Darin stimmen abstrakte Termini mit der vermeintlichen Neutralität von Zahlen überein. „Sechs Millionen“ ist eine solche in ihrer Neutralität ungeheuerliche Zahl, aber auch schon die Ordnungszahl „zwei“, die im Märchen vom letzten Gedanken als höchst verdächtig erscheint, sobald man sie vor dem Terminus „Weltkrieg“ platziert. Schon die Bereitschaft der Historiker, Weltkriege durchzunummerieren, hat etwas fatal Beschwichtigendes.“[8]

Fakten spielen hier also die Hauptrolle, das individuelle Schicksal und die persönliche Erinnerung bleiben unbeachtet. Personen, vor allem aber die Opfer, werden nicht in das geschichtliche Geschehen eingebunden, allenfalls numerisch erfasst und damit in die Anonymität verbannt. Das drastischste Beispiel gibt Bettina Hey'l, wenn sie die Zahl 'sechs Millionen' im Zusammenhang mit den Opfern des Holocaust nennt.[9] Sie wird immer wieder in der Historiografie verwendet und steht für sechs Millionen ermordete Menschen. Gleichzeitig wirkt sie so erschreckend steril, dass sie den Leser erdrückt, sobald sein Verstand begreift, was diese siebenstellige Zahl wirklich beziffert.

Auf der anderen Seite steht die persönliche Erinnerung. Sie ist die „Geschichte von unten“, die Geschichte des Individuums, das sein Leben erzählt und beinhaltet viele Details, wie zum Beispiel Alltagsgeschehen, Beschreibungen verschiedenster Gegenstände und Personen, Geschichten von und über die Einwohner einer Stadt, Freunde, Gefühle und vieles mehr.[10] Dabei spielen vor allem auch positive und negative Gefühle eine Rolle. Persönliche Erinnerung bewertet, weil sie stets individuelle Erfahrung und Einschätzung wiedergibt. Sie kann euphemisieren oder dramatisieren und ist durch die Wiedergabe von Erfahrungen, Geschehen und Gefühlen immer auch die Geschichte eines leidenden Menschen, denn jeder, der Erfahrungen macht, wird früher oder später auch durch sie leiden. Jene Geschichte der Leidenden, schon das Wort an sich drückt ein Gefühl aus, wird jedoch nicht in der „Geschichte von oben“ berücksichtigt und damit auch nicht in der Geschichtsschreibung erwähnt. Diese Art gehört in den Bereich der persönlichen Erinnerung. Und doch sind es gerade die Leidenden, die ein Stimme brauchen, die aus der Anonymität herausgehoben werden müssen.

Edgar Hilsenrath wurde aufgrund seiner Religion verfolgt, verschleppt und in ein Ghetto eingesperrt. Er hat den Holocaust überlebt und will berichten. Immer wieder. Sein oberstes Anliegen ist es, die „Geschichte von unten“ zu erzählen.[11] Er berichtet in seinen Werken vom Leben vor dem Holocaust, vom Leben im Ghetto, vom Leben danach und gewährt dem Leser Einblick in die Geschehnisse, wie er sie erlebt hat. Gleichzeitig gibt er den Opfern in seinen Büchern einen Namen und eine Stimme – denen, die nicht mehr selbst berichten können. Über seinen Roman Nacht sagte er im Interview: „Ich wollte die unterste Schicht im Ghetto beschreiben“ und meint damit zugleich all jene, die nicht überlebt haben.[12] Er schreibt gegen das Vergessen, gegen die versachlichende Geschichtsschreibung und gegen die Anonymisierung der Opfer.

„Hilsenraths Roman ist nicht das „Andere“ der Geschichte, von der die Historiographie handelt, es ist ihre Fortsetzung und Steigerung und überholt alle ihre theoretischen Überlegungen, alle ihre methodischen Ansätze, wenn es darum geht, einen Begriff der Geschichte zu retten, in dem alle Menschen vorkommen.“[13]

[...]


[1] Kurbjuweit, Dirk: Auch Bücher können täuschen (DIE ZEIT, 14/1996), http://www.zeit.de/1996/14/Auch_Buecher_koennen_taeuschen (Stand 31.07.2011).

[2] Doerry, Martin;Hage, Volker: Schuldig, weil ich überlebte (DER SPIEGEL, 15/2005), http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39997591.html (Stand: 31.07.2011).

[3] Schindel, Robert: Das Verborgene und sein Fährmann. Laudatio auf Edgar Hilsenrath, in: Sinn und Form 57 (2005), S. 271-275, S. 272.

[4] Klüger, Ruth: Fabulierlust zum Tode. Edgar Hilsenrath und das Unmögliche, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (1993), Nr. 124, S. L4.

[5] Bauer, Karin: Erzählen im Augenblick höchster Gefahr, in: The German Quarterly 71 (1998), H. 4, S. 343-352, S. 345.

[6] Hey'l, Bettina: Edgar Hilsenraths „Das Märchen vom letzten Gedanken“, in: Verliebt in die deutsche Sprache, hrsg. von Helmut Braun, Berlin 2005, S. 77-85, S. 79

[7] Ebd.

[8] Ebd. S. 78.

[9] Vgl. ebd.

[10] Ebd. S. 80.

[11] Ebd. S. 80.

[12] Doerry, Martin;Hage, Volker: Schuldig, weil ich überlebte (DER SPIEGEL 15/2005), http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39997591.html (Stand: 22.06.2011).

[13] Hey'l, Bettina: Edgar Hilsenraths „Das Märchen vom letzten Gedanken“, in: Verliebt in die deutsche Sprache, hrsg. von Helmut Braun, Berlin 2005, S. 77-85, S. 85.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Heimkehr durch Erinnerung
Untertitel
Edgar Hilsenraths Roman "Jossel Wassermanns Heimkehr"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Germanistik)
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
25
Katalognummer
V232293
ISBN (eBook)
9783656488071
ISBN (Buch)
9783656490838
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
heimkehr, erinnerung, edgar, hilsenraths, roman, jossel, wassermanns
Arbeit zitieren
Sabine Symanowski (Autor:in), 2011, Heimkehr durch Erinnerung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232293

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