Elite und Diktatur

Die Rolle der Eliteschulen im Nationalsozialismus


Examensarbeit, 2013

64 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1 Einleitung

In der Zeit von 1933 bis 1945 bildeten die Nationalsozialisten die Regierung in Deutschland und formten aus ihr eine Diktatur unter Adolf Hitler. Es ist weithin bekannt, dass diese Zeit von religiöser und politischer Verfolgung, Gewalt und Tod geprägt war, angeführt von einem skrupellosen, totalitärem Regime.

Um das Volk von den nationalsozialistischen Ansichten zu überzeugen und somit die Weiterführung des von ihnen postulierten Tausendjährigen Reiches zu sichern, sprachen die Nationalsozialisten der Jugend besondere Bedeutung zu. In einem Gespräch mit Hermann Rauschning, 1947 mit weiteren dieser Art in seinem Buch Gespräche mit Hitler veröffentlicht, gab Hitler an, dass er mit der Jugend sein großes Erziehungswerk beginne.[1] Dabei sei das Schwache auszusondern, sodass eine Jugend heranwachsen könne, vor der die Welt erschrecke. Wörtlich forderte Hitler eine „gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend“[2], wofür Athletik und körperliche Stärke das Wichtigste seien, während hingegen Wissen die Jugend verderbe.[3] Demzufolge legten die Nationalsozialisten großen Wert auf eine Erziehung nach ihren Vorstellungen, sodass der Schule, als Ort, an dem Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit verbringen und von den Erziehungseinflüssen anderer Instanzen abgetrennt werden konnten, eine tragende Bedeutung zukam. Eine solche „Erziehung zu politischer Haltung im Sinne des Nationalsozialismus“[4] wurde als nationalpolitische Erziehung definiert. Eben diese Erziehung sollte die Jugend unter nationalsozialistischer Führung erfahren, damit auf allen, der Politik zugänglichen, Bereichen größtmöglicher Einfluss auf die Jugend genommen werden konnte. Somit sollte im Laufe der Zeit eine Generation heranwachsen, die von frühester Kindheit an nationalsozialistisch geprägt wurde, um letztendlich die „geistige und willensmäßige Einheit [des] Volkes“[5] zu erreichen.

Es liegt demnach nahe, dass für ein Vorhaben dieses Ausmaßes, bei welchem nahezu von einer Formung der Jugend zu einem erwünschten Endzustand zu sprechen ist, auch im Bildungsbereich tiefgreifende Veränderungen notwendig wurden.

Tatsächlich erfuhr das Bildungssystem ab 1933 zahlreiche Erneuerungen und Umgestaltungen, sowohl bezüglich der äußeren Erscheinung und Organisation als auch auf inhaltliche Weise. Besonders deutlich zeigte sich im nationalsozialistischen Schulsystem der Elite-Gedanke, indem spezifische Schulen errichtet wurden, mit der Aufgabe, die künftige politische Führung und obersten Ämter auszubilden. Da diesen Eliteschulen eine besondere Aufgabe zugeteilt wurde, sollen sie in dieser Arbeit genauer betrachtet werden. Im Fokus werden dabei die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEAs) und die Adolf-Hitler-Schulen (AHS) stehen, da sich diese Institutionen zwar in ihrem Zweck der nationalpolitischen Elitebildung sehr ähnelten, jedoch unterschiedlicher politischer Führung untergeordnet waren. Während die NPEAs zunächst dem Staat und ab 1936 der SS unterstanden, wurden die Adolf-Hitler-Schulen als Gegenstück unter der Führung der NSDAP und der Hitler-Jugend gegründet.[6]

In dieser Arbeit soll daher unter beispielhafter Betrachtung der NPEA und der Adolf-Hitler-Schule die Frage beantwortet werden, welche Bedeutung den nationalsozialistischen Eliteanstalten für das Regime zukam.

Dazu sollen zunächst die Ausgangslage zum Zeitpunkt der Machtergreifung Hitlers und die daraus resultierenden Konsequenzen, Änderungen und Neuerungen betrachtet werden. Spezifische Erwähnung findet dabei anschließend das Schulsystem, aus dessen Veränderung die Erschaffung von Ausleseschulen zur Erziehung der Elite resultierte. In Zusammenhang mit der Konzentration auf die Elitebildung im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung sollen die Chefideologen Hitlers und deren pädagogische Ansichten in Kürze betrachtet werden, um wichtige Aspekte einer nationalsozialistischen Erziehung vorzustellen, die in der Eliteschulung Verwendung gefunden haben. Im Anschluss wird das Prinzip der Eliteerziehung eingehend betrachtet, indem die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten und die Adolf-Hitler-Schulen mitsamt ihren Konzeptionen präsentiert werden, um auf diese Weise ihre Bedeutung für die Zukunft des Regimes aufzuzeigen. Abschließend sollen die beiden vorgestellten Ausleseschulen verglichen werden, um daraufhin eine Gesamterkenntnis über die eingangs gestellte Fragestellung zu erhalten.

2 Ausgangslage 1933

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Dieser Aktion ging ein langer Kampf Hitlers und seiner Partei, der NSDAP, um den Posten an der Macht voraus. Letztendlich gelang Hitler der Weg an die Macht durch mehrere Aspekte, wobei die Reichskanzler der unmittelbaren Vergangenheit Franz von Papen und Kurt von Schleicher mit ihren politischen Kursen die Demokratieverdrossenheit der Bürger schürten, sodass die demagogischen Einflüsse der Nationalsozialisten fruchten konnten.[7]

Von diesem Tag an wurden zahlreiche Änderungen erlassen, die auch den Bereich der Erziehung einschlossen. Eine Erklärung des Badischen Lehrervereins vom 5. März 1933 zeigte zunächst noch Zuversicht hinsichtlich der Ziele der neuen Regierung, welche seit Jahren die des Lehrerverbands seien. So war die Rede von einer das Zusammengehörigkeitsgefühl fördernden, nationalen Schule, die im Dienst der Volksgemeinschaft stand und Chancengleichheit garantieren konnte, dadurch dass keinerlei Trennung nach Besitz der Eltern oder sozialer Herkunft erfolgte.[8] Dass die Nationalsozialisten beim Lehrerverein falsche Vorstellungen weckten, zeigt vorweg der Wunsch des Lehrervereins nach einer Schule, die keine Trennung hinsichtlich Weltanschauung und Glauben vornahm.[9] Wie der weitere historische Verlauf zeigte, schloss das Verständnis der Nationalsozialisten von Chancengleichheit aber gerade Menschen mit nicht-christlichem Glauben und vom nationalsozialistischen Gedankengut abweichender Weltanschauung aus der Gleichberechtigung und sogar gänzlich aus der Gesellschaft aus. Bereits am 30. März desselben Jahres zeigte sich die Intoleranz der Nationalsozialisten gegenüber anderen Ansichten und Einstellungen. An diesem Tag entzog der Hessische Minister für Kultus und Bildungswesen allen jüdischen sowie atheistisch, international und pazifistisch eingestellten Lehrpersonen die Unterrichtserlaubnis, zunächst beschränkt auf die Fächer Geschichte, Deutsch, Heimatkunde, Geographie und Staatsbürgerkunde zum folgenden Schuljahr.[10] Im Jahr 1935 war bereits der Großteil der jüdischen Lehrpersonen von den Schulen verwiesen worden, bis 1937 ebenfalls all diejenigen, denen jüdische Wurzeln nachzuweisen waren.[11]

Bereits von Beginn an wurden organisierte Widerstände kämpferisch niedergerungen. So wurde bestimmt, dass Universitäten durch Fachschulen ersetzt worden wären, sobald sich diese gegen die Auflagen der Nationalsozialisten gewehrt hätten.[12] Beispielhaft anzuführen ist der Frankfurter Altphilologe Reinhard, welcher seine Lehrtätigkeit an der Universität in Frankfurt niederzulegen gedachte, da er sich mit den Forderungen des Nationalsozialismus nicht einverstanden zeigte und auf diese Weise eine Art private Revolte gegen die Auflagen führte. In einem Brief an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 5. Mai 1933 bat Reinhard um die Anerkennung seiner Arbeitsniederlegung, da er unter den gegebenen Umständen Opfer der Gesinnung bringen müsse, die er nicht imstande sei zu tragen. Im Gegenzug verweigerte der Kultusminister aber den erwünschten Amtsaustritt und forderte vielmehr von Reinhard die Ausübung seiner Pflicht angemessen auszuführen.[13] Unter angemessen ist hier wohl gemeint, den Ansichten der Nationalsozialisten zu entsprechen.

Die bereits angesprochenen Auflagen an der Universität sahen unter anderem vor, alle anti-nationalsozialistisch gesinnten Studenten von den Universitäten zu verweisen und mit Dringlichkeit diejenigen, die sich nachweislich in den letzten Jahren antinational betätigt hatten.[14] Es kann vermutet werden, dass sich eine solche Gesinnung bereits mit Einsetzen der neuen Regierung zeigte, woraufhin Reinhard sich weigerte, sein Amt unter diesen Umständen auszuführen. Gesetzlich gesichert wurde das Vorhaben, alles nicht-nationalsozialistische auch an den Universitäten auszumerzen, schließlich durch einen Nachtrag zum Erlass vom 29. Juni 1933 am 9. August desselben Jahres.

In einem weiteren Erlass vom 13. September 1933 verpflichtete der Kultusminister zum Lehren von Vererbungslehre, Rassenkunde, Rassenhygiene, Familienkunde und Bevölkerungspolitik. Die Aufnahme der Thematiken sollte unvermittelt stattfinden und bereits in den kommenden Abschlussprüfungen obligatorischer Bestandteil sein. Um sich der Belehrung in den Fächern abzusichern, wurden obendrein die Ober- und Regierungspräsidenten beauftragt, Berichte über die Umsetzung des Erlasses an den einzelnen Schulen vorzulegen.[15] Somit konnte der Kultusminister sichergehen, dass an allen Schulen der Rassengedanke verbreitet wurde und im Falle der unteren Schulstufen schon von Beginn an in den Köpfen der Kinder gesät wurde und heranwachsen konnte. In seinem Erlass erklärte der Kultusminister, dass „die Kenntnis der biologischen Grundtatsachen und ihrer Anwendung auf Einzelmenschen und Gemeinschaft […] für die Erneuerung [des] Volkes unerläßliche Voraussetzung“[16] sei. Der Rassengedanke war ein genereller Grundsatz des nationalsozialistischen Denkens und musste demzufolge auch der Jugend gelehrt werden, da sie die Zukunft des Regimes darstellte und somit zu überzeugten Nationalsozialisten erzogen werden musste. Begründet liegt der Rassengedanke in Hitlers Hass gegenüber dem jüdischen Volk und allem Nicht-Deutschen, wobei dieses eher als nicht national-sozialistisch zu verstehen ist. Laut Ueberhorst wurde Hitlers Hass gegen die Juden durch Dietrich Eckart, einem Publizisten und frühem Vertreter des Nationalsozialismus, der eine rassisch-völkische Wiedergeburt Deutschlands vorsah, unterstützt und vermehrt.[17] Eckart sah im Judentum „jene verborgene Kraft, die den Gleichlauf der Natur stört und die Völker gegeneinander treibt“[18], sodass die Juden als Weltzerstörer betitelt wurden. Hitler nahm sich den christlichen Glauben zu Hilfe, um den Antisemitismus zu begründen. Er verkündete, man kämpfe für das Werk des Herrn, wenn man die Juden bekämpfe.[19]

In einer Rede vor Rüstungsarbeitern über die Aufgabe der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten 1940 sprach Hitler von zwei Welten. Die eine Welt stelle das Deutsche Reich mitsamt seinem Gemeinschaftsgefühl und seiner arischen Rasse dar, die sich von der Neuen Welt abgrenze, welche sich lediglich durch Kapitalismus charakterisiere und dem Egoismus verfallen sei.[20] Dass diese neue Welt all das darstellte, was nicht nationalsozialistisch geneigt war, kann anhand des Denkens vom deutschen Ideal als einzig richtiges interpretiert werden. Weiterhin stellte Hitler in der Rede fest, dass eine der beiden Welten vernichtet werden müsse, denn erst beim Zerbrechen der anderen Welt seien deren Völker wirklich frei. Eine Niederlage der eigenen Welt hingegen würde das Ende des gesamten deutschen Volkes bedeuten.[21]

Die hier zuletzt in Kürze dargestellte Ideologie des Nationalsozialismus ist eben die Ansicht, die dem deutschen Volk anerzogen werden sollte, damit dauerhaft die von Hitler bezeichnete neue Welt beseitigt werden und nur das typisch Deutsche übrig bleiben konnte.

Für das weitere Verständnis ist die Kenntnis der nationalsozialistischen Grundsätze vonnöten. Die grundlegenden Aspekte dieser Weltanschauung fasst Ueberhorst in fünf Sätzen zusammen:

„1. Das Leben ist Kampf! 'Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht kämpfen will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht!' (Hitler) [...] Gefordert wird ein Volk in Waffen.
2. Dieser Kampf hat zum Ziel, den Lebensraum des deutschen 'Herrenvolkes' auszuweiten und eine neue Herrschaftsordnung zu schaffen.
3. Die nordische Rasse, als deren bedeutendster Träger das deutsche Volk angesehen wird, muß durch Auslese gefestigt werden.
4. Judentum und Bolschewismus sind die Rassenfeinde und die Feinde einer sozialen, auf der Idee der Volksgemeinschaft sich gründenden neuen Ordnung. Der Kampf gegen sie ist naturnotwendig und daher von der 'Vorsehung' gewollt. Der Kampf erhält dadurch apokalyptische Ausmaße und wird zum Weltgericht.
5. In diesem Kampf müssen sich 'Führer' und 'Gefolgschaft' gemeinsam bewähren.“[22]

3 Veränderungen am Schulsystem unter nationalsozialistischer Herrschaft

Wie bereits erwähnt wurde, legten die Nationalsozialisten großen Wert auf die Jugend als Sicherung einer nationalsozialistischen Zukunft. Damit die nationalsozialistische Weltanschauung an die jüngere Generation weitergetragen werden konnte, musste also das Bildungssystem entsprechend verändert werden. Dass eine nationalpolitische Erziehung an den Schulen von Interesse war, zeigt die Einrichtung eines Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 1. Mai 1934, dessen Leitung der ehemalige Studienrat Bernhard Rust übernahm, der zeitgleich preußischer Kultusminister war und blieb.[23] Die Veränderungen an den Schulen vollzogen sich jedoch erst schleichend. Einer der ersten Schritte war ein Richtlinienerlass, ausgestellt von Rust, zu diesem Zeitpunkt noch in Ausführung des Kultusministeramtes, am 17. März 1933, in welchem er den Volksschulen und höheren Schulen auferlegte, sich mit erhöhter Aufmerksamkeit der deutschen Vorgeschichte zuzuwenden. Am selben Tag wurde die erste sozialistische Heimvolkshochschule bei Gera geschlossen. Diese Aktion wurde als Beseitigung einer Brutstätte des Marxismus beschrieben.[24] In dieser Anfangsphase der Umgestaltung des Bildungssystems zeigt sich erneut die Intoleranz der Nationalsozialisten gegenüber vom Nationalsozialismus abweichenden Gesinnungen. Das von Beginn an konsequente Vorgehen gegenüber dem Marxismus und insbesondere, später deutlicher erkennbar, den Juden, kann als Versuch verstanden werden, sich von Anfang an möglicher Störfaktoren zu entledigen. So wurden der KPD bereits am 2. Februar 1933, nur wenige Tage nach Hitlers Amtsantritt als Reichskanzler, Einschränkungen auferlegt, zunächst in Form eines Verbots von Versammlungen unter freiem Himmel, sodass Demonstrationen von Vornherein mit Strafen belegt wurden. Am 7. März musste die Weltbühne, eine linke Zeitung aus der Weimarer Republik, ihr Erscheinen einstellen, gefolgt von den letzten übrigen Parteizeitungen der SPD am 10. März.[25] Schritt für Schritt wurde demnach den anderen Parteien die Möglichkeit genommen, auf das Volk zu wirken und sie von der Gefahr, die von der neuen Regierung ausging, zu überzeugen.

Schon vor diesem ersten Schritt der Umgestaltung vom 17. März erfolgte ein geringfügiger Vorstoß am 22. April, ausgehend von einem NS-Schülerbund einer Schule in Oranienburg, welche die Anbringung eines schwarzen Bretts forderte, um an diesem Nachrichten des Schülerbundes zu verkünden, sowie nationalsozialistische Werbeplakate und ein Hitler-Bild aufzuhängen.[26] Bereits zwei Wochen später wurde in Anbetracht der Reichstagswahlen vom 5. März die Anbringung nationalsozialistischer Flaggen an öffentlichen Gebäuden, und somit ebenfalls an den Schulen, verlangt. Jedoch wurde weder auf diese Forderung noch auf die Bitte des Schülerbundes vom 22. April eingegangen, woraus Overesch den Schluss zieht, dass in dieser frühen Phase des Umbruchs die nationalsozialistische Neuorientierung in den Schulen zu abrupt erfolgte, um unmittelbar und ohne Hinterfragen durchgeführt werden zu können.[27] Ein knappes Jahr später, am 11. Februar 1934, nachdem letztlich eine Einigung im Disput um die Regelung der Reichsfarben und den Symbolgehalt der nationalsozialistischen Fahnen erzielt werden konnte, setzte der Reichsinnenminister Frick den Fahnengruß als Pflicht für alle Beamten fest, sodass am 19. Februar ebenfalls alle Lehrer zu dieser als Ehrenpflicht bezeichneten Aktion verpflichtet wurden. Erst am 5. Februar des Jahres 1935 mussten auch die Schüler den Flaggengruß leisten, denn erst kurz zuvor wurde entschieden, dass die Hakenkreuz-Flagge das alleinige Symbol des Deutschen Reiches darstellen sollte.[28] Zwar sollte die alltägliche Präsenz und Ehrung der nationalsozialistischen Symbole in der Öffentlichkeit unmittelbar in Angriff genommen werden, doch erstreckte sich die Umsetzung durch die Uneinigkeit in der Bestimmung einer allgemeingültigen Flagge über knapp zwei Jahre.

Unterdessen vollzogen sich weitere Umgestaltungen. Als zentrales Ereignis ist der 21. März 1933 zu nennen, der als offizieller Einstieg in die Zeit des Dritten Reiches verstanden werden kann. An diesem Tag trafen sich alle Abgesandten der Regierung am Grab von Friedrich dem Großen in Potsdam, um zu „geloben, sich für ein neues Preußen und Deutschland einzusetzen.“[29] Hitler und Hindenburg hielten zu diesem Anlass Reden zum Anbruch der neuen Zeit. Den Schulen wurde befohlen, per Rundfunkübertragung indirekt aber zeitgleich unmittelbar an diesen teilzunehmen, damit sich die Schülerschaft darüber bewusst werden konnte, dass sie den Beginn einer neuen Epoche der deutschen Geschichte miterlebte.[30]

Weiterhin wurden zahlreiche Feier- und Gedenktage im Sinne der Nationalsozialisten eingeführt, an denen insbesondere das Singen von Liedern mit nationalsozialistisch geprägtem Inhalt Tradition haben sollte. Darüber hinaus musste im Januar 1934 die Stunde der Nation Einbezug in den Schulalltag finden. Sie war zu jeder ersten und letzten Stunde der Woche abzuhalten und diente der besonderen Zuwendung zur Erziehung der Schüler zu Bürgern des nationalsozialistischen Staates. Sie bot eine relative inhaltliche Freiheit, wobei der Kerngedanke, welcher in der Stärkung des Führergedankens bestand, erfüllt werden musste.[31]

Die hier genannten Aspekte der Umgestaltung stellen hauptsächlich äußere und nur grob intraschulische Einflüsse auf das Bildungssystem dar. In den folgenden Kapiteln soll das Schulsystem unter der nationalsozialistischen Herrschaft eingehender betrachtet werden. Dazu sind sechs schulpolitische Entscheidungsfelder zur gänzlichen Machtübernahme an den Schulen als Rahmenwissen anzuführen:

„1. Vereinheitlichung des Schulsystems und Reduktion der Typen- und Formenvielfalt sowie Gründung spezifischer politischer Schulen
2. Veränderung der Lehrerbildung
3. Erlass von neuen Richtlinien und Lehrplänen
4. Revidieren der Stundenpläne und Einführung des Staatsjugendtags
5. Einschränkung der Pluralität der Bildungsmächte
6. Herantragen von Rassismus und Antisemitismus an die Schulen“[32]

3.1 Intraschulische Maßnahmen zur Veränderung

Nach dem ersten Weltkrieg erlebte die Reformpädagogik, zurückgehend auf das frühe 17. Jahrhundert und Comenius Schrift Didactica magna als Ausgangspunkt für revolutionäre Ansichten von Kindheit, Erziehung und Bildung, einen Aufschwung im Bildungssystem der Weimarer Republik. Das Kind als selbstverantwortliches Individuum bildete in der reformpädagogischen Bewegung den Kern der Aufmerksamkeit, sodass Erziehung und Unterricht an die Bedürfnisse des Kindes anzupassen waren. Mit der Machtübernahme Hitlers erfuhr der Fortschritt der Reformpädagogik aber einen enormen Einschnitt, denn die Nationalsozialisten lehnten den Großteil der reformpädagogischen Vorstellungen vehement ab. Dennoch wurden einzelne Aspekte der Reformpädagogik von den Nationalsozialisten aufgenommen und entsprechend ihrer Wünsche abgewandelt.[33] Beispielhaft ist hier unter anderem die Jugendbewegung, die etwa zeitgleich mit den weiteren reformpädagogischen Strömungen aufkam, zu nennen, welche in den Jugendorganisationen wie Hitler Jugend und Bund Deutscher Mädel in angepasster Form wiederzufinden war. Innerhalb dieser Jugendbewegung der Reformpädagogik wurde ebenfalls die Wichtigkeit der Gemeinschaft hervorgehoben und den Kindern nahe gebracht, sodass sich unter nationalsozialistischer Variation die Volksgemeinschaft als oberstes Gebot hervortat.[34] Ebenso wurde dem Musikunterricht, der zur Zeit der Weimarer Republik als elementarer Bestandteil einer intellektuellen Erziehung galt, auch im Dritten Reich Bedeutung zugeschrieben, wobei nunmehr ausschließlich volksverbundene Musik in den Unterricht aufgenommen werden durfte.[35]

Hingegen wurden insbesondere die in der Weimarer Republik eben erst eingeführten Arbeits- und Sozialformen sofort abgeschafft. Während der reformpädagogische Unterricht auf Selbsttätigkeit zur Entwicklung der Selbstständigkeit bestand und ein annähernd partnerschaftliches Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern für sinnvoll erachtete, galt der Frontalunterricht unter der nationalsozialistischen Führung als angemessen.[36] Es zeigt sich folglich, dass auch im alltäglichen Unterricht das Führerprinzip zu erkennen war, denn durch den Frontalunterricht nahm der Lehrer automatisch eine überlegene Position ein, indem er die Schüler belehrte und die Verantwortung für ihr Lernen trug.

Bezüglich des Lerninhalts ist vorweg die Neueinführung des Fachs Rassenkunde zu nennen. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, wurde am 13. September 1933 der Erlass zum rassenkundlichen Unterricht veröffentlicht. Dieser Unterricht sollte den Schülern das deutsche Wesen, das durch Bluterbe von Beginn an vorhanden und nicht nachträglich anerzogen werden konnte, nahebringen.[37] Der Jugend sollte im Rahmen einer Vererbungs- und Rassenlehre bewusst gemacht werden, dass die deutsche, arische Rasse die einzig akzeptable sei, sodass das Wertvolle, also das Arische, gestärkt und das Mindere abgeschwächt werden solle. Da das sogenannte volksgebundene Wesen im Unterbewusstsein schlummere, müsse die Bildung durch entsprechenden Unterricht dafür Sorge tragen, dass die Schüler zur Erkenntnis gelangen.[38] Da die Verbreitung des Rassismus ein grundlegendes Bedürfnis der Nationalsozialisten war, sollte die Rassenkunde nicht nur ein eigenständiges Fach darstellen, sondern zeitgleich die gesamten deutschkundlichen Fächer durchdringen. Beispielsweise sollte im Geschichtsunterricht thematisiert werden, dass eine Durchsetzung der stärksten Rassen historisch nachweisbar sei.[39] An dieser Stelle deutet sich bereits die starke Neigung zur Auslese an, die im Nationalsozialismus vorherrschte. Es wurde regelmäßig betont, dass nur das Starke überleben könne und deshalb auch nur zum Leben berechtigt sei, während zeitgleich das Starke mit der arischen Rasse gleichgesetzt wurde. Den Schülern sollte folglich gelehrt werden, was in der Literatur häufig als Sozial-Darwinismus bezeichnet wird.

Damit den Schülern entsprechende Vorstellungen vermittelt werden konnten, waren Lehrpersonen erforderlich, welche die nationalsozialistische Ideologie weiterzutragen gedachten. Somit fanden für bereits aktive Lehrpersonen Lehrgänge in Schulungslagern statt, in denen sie eine Umerziehung erfahren sollten. Zusätzlich standen die Lehrer ständig unter staatlicher Kontrolle und wurden entlassen, sobald sie sich nicht gemäß der nationalsozialistischen Weltanschauung präsentierten. Eine Neugestaltung der Lehrerausbildung war demnach ein weiterer Punkt, um frühzeitig zukünftige Lehrer für sich zu gewinnen. Es wurden folglich neue Studienfächer eingerichtet, wie unter anderem Rassen- und Volkskunde, und Prüfungsvorschriften erneuert.[40]

Doch eine reine Stützung auf die Loyalität der Lehrpersonen war für die Nationalsozialisten unzureichend, da sie sich nur durch Kontrolle sicher sein konnten, dass ausgestellte Aufgaben in ihrem Sinne erfüllt wurden. Folglich gedachten sie ihren Einfluss auf die Schule größtmöglich zu gestalten und nahmen sich also die Neugestaltung des Lehrplans vor. Die Neuerungen erfolgten in zwei Phasen, von denen die erste zwischen 1933 und 1937 verlief und sich durch sporadische und vorläufige Erlasse und Anweisungen auszeichnete, sodass die ersten Versuche der Umformung relativ unsystematisch erschienen.[41] Innerhalb der zweiten Veränderungswelle zwischen 1938 und 1942 erfolgte der Eingriff in den Unterrichtsalltag systematisch und in größerem Ausmaß. In diesem genannten Zeitraum wurden offizielle Richtlinien und Lehrpläne vom Reichserziehungsministerium veröffentlicht, sodass nun eine strenge Kontrolle der Bildung erzielt werden konnte. Besonders betroffen waren die drei Lehrbereiche der historischen und naturwissenschaftlichen Fächer und der Muttersprachenunterricht. So fielen von nun an die politische, die nationalsozialistische und Kunst- und Musikgeschichte in die Bereiche der historischen Fächer. Ebenfalls wurde die Erdkunde als neues Fach Geopolitik zu diesem Fächerbereich gezählt, mit der Aufgabe, die Schüler vom deutschen Volk als wahren Repräsentanten der nordischen Rasse zu überzeugen.[42] Das eigentliche Fach Rassenkunde fiel jedoch unter den Bereich der Naturwissenschaften, zusammen mit den bereits vorhandenen Fächern Mathematik, Physik, Chemie und Biologie. Zwar sollte die Rassenlehre als Unterrichtsprinzip auch hier jeden Bereich durchdringen, jedoch fanden im naturwissenschaftlichen Fächerkanon die geringsten Veränderungen statt. Der Deutschunterricht hingegen erfuhr eine deutliche Umschreibung seiner Bedeutung und seines Auftrags. Als zusätzliche Bildungsaufgabe sollte im Deutschunterricht die Rassenlehre ebenfalls Einbezug finden, unterstützt durch die Änderung des Inhalts, welcher fortan ausschließlich deutsche Dichtung und Literatur berücksichtigen sollte. Zusätzlich war die Literatur für den Deutschunterricht von den Nationalsozialisten ausgewählt, sodass psychologisierende oder ästhetisierende Literatur konsequent aus dem Unterricht zu verbannen war.[43] Anfang 1934 erschien ein Verzeichnis derjenigen Bücher und Schriften, die von der Regierung als für die Aufnahme in die Schulbücherei angemessen erachtet wurden. Auch eigens für den nationalsozialistisch geprägten Unterricht hergestellte Schulbücher mussten im Laufe der Zeit in den Unterricht integriert werden. Als einzige Pflichtlektüre wurde Adolf Hitlers Buch Mein Kampf aufgeführt, in welchem Hitler seine Ansichten und Ideologien formulierte. Rust setzte im September 1936 gesetzlich fest, dass kein Schüler die Schule verlassen durfte, wenn er nicht das Werk Hitlers gelesen hatte.[44]

Im produktiven Bereich sollten weitestgehend Aufsätze formuliert werden, die ausschließlich dazu dienen sollten, die Schüler zu einer nationalsozialistischen Haltung zu erziehen. So wurden als Aufsatzthemen hauptsächlich politische, historische und ideologische Themen herangezogen, um beim Schüler eine „wertende, schaffensbereite und kämpferische Haltung“[45] hervorzubringen.

[...]


[1] Kanz, Heinrich (1984): Der Nationalsozialismus als pädagogisches Problem. Deutsche Erziehungsgeschichte 1933 - 1945. Frankfurt am Main: Lang (Europäische Hochschulschriften Reihe 11, Pädagogik, 178), S. 100

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] Ebd., S. 152

[5] Lietz, Wolfram; Overesch, Manfred; Kosthorst, Erich (1998): Hitlers Kinder? Reifeprüfung 1939. 2. Aufl.Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 15

[6] Flessau, Kurt-Ingo (1977):Schule der Diktatur. Lehrpläne und Schulbücher des Nationalsozialismus. 1. Aufl. München:Ehrenwirth, S. 22

[7] Kolb, Eberhard(2010): Deutschland 1918-1933. Eine Geschichte der Weimarer Republik. München Oldenbourg, S. 187ff.

[8] Kanz 1984, S. 71

[9] Ebd.

[10] Ebd., S. 73

[11] Ueberhorst, Horst (1980): Elite für die Diktatur. Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten, 1933-1945: Ein Dokumentarbericht. Königstein/Ts: Athenäum-Verlag; Düsseldorf: Droste (Athenäum-Droste-Taschenbücher, 7232), S. 34

[12] Kanz 1984, S. 77

[13] Ebd.

[14] Ebd., S. 82

[15] Ebd., S. 83

[16] Ebd.

[17] Ueberhorst 1980, S. 18–19

[18] Ebd., S. 19

[19] Ebd.

[20] Hitler 1940, zit. n. Ueberhorst 1980, S. 95

[21] Hitler 1940, zit. n. Ueberhorst 1980, S. 95–96

[22] Ueberhorst 1980, S. 21–22

[23] Giesecke, Hermann (1999): Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung. 2. überarbeitete Auflage. Weinheim: Juventa, S. 126

[24] Lietz et al. 1998, S. 19–20

[25] Ebd., S. 17

[26] Ebd., S. 18

[27] Ebd.

[28] Ebd., S. 18–19

[29] Ebd., S. 20

[30] Ebd.

[31] Ebd., S. 22–23

[32] Flessau 1977, S. 21

[33] Ebd., S. 19

[34] Ebd.

[35] Ebd., S. 20

[36] Ebd., S. 19

[37] Ebd., S. 98

[38] Ebd.

[39] Ueberhorst 1980, S. 32

[40] Flessau 1977, S. 25

[41] Ebd., S. 26

[42] Ebd., S. 27

[43] Ebd., S. 28

[44] Lietz et al. 1998, S. 35–36

[45] Flessau 1977, S. 28

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Elite und Diktatur
Untertitel
Die Rolle der Eliteschulen im Nationalsozialismus
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
64
Katalognummer
V232442
ISBN (eBook)
9783656498117
ISBN (Buch)
9783656499664
Dateigröße
1680 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
napola, adolf-hitler-schule, eliteschulen, nationalsozialismus, bedeutung, regime
Arbeit zitieren
Vanessa Stürz (Autor:in), 2013, Elite und Diktatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232442

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