Formen der Kommunikation in Jean Pauls Roman "Siebenkäs"


Lizentiatsarbeit, 2006

90 Seiten, Note: 6,0 (= 1,0 dtsch. Notensystem)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Kommunikation – Differenz und Einheit, Zirkularitäten

Der Charakter als Präfiguration der Kommunikationsbedingungen

Exkurs: Die „algebraische Gleichung“

Figurenkommunikation

Geräusche der inneren Leere: Kommunikation am Beispiel Lenettes mit dem Venner Rosa von Meyern und dem Schulrat Stiefel

Sprechen der Geister (Kommunikation der hohen Seelen) Siebenkäs und Natalie; Siebenkäs und Leibgeber

Exkurs: Was das Papier mit dem Tod zu tun hat

Siebenkäs und Lenette

Exkurs: Der Name Siebenkäs – was soll der Käs

Resümee

Literaturverzeichnis

Formen der Kommunikation in Jean Pauls Roman „Siebenkäs“

Vorbemerkung

Omnipräsent und omniexplikant im Alltag, begegnet man dem Begriff der Kommunikation in nahezu jeder universitären Disziplin.[1] Eine allgemeingültige Definition aber gibt es nicht. Vielmehr trifft man, insbesondere bei den Humanwissenschaften, auf eine Vielzahl von Kommunikationsmodellen und –theorien,[2] welche sich zur Aufgabe gesetzt haben, zu erklären, was genau Kommunikation ist und vor allem, wie sie in Bezug auf den Menschen funktioniert. Neben allen Verschiedenheiten besteht allgemeiner Konsens darüber, dass Kommunikation auf einer Differenz der Interaktionspartner beruht, die es zur Erhaltung bzw. Erzeugung eines jeweils subjektiven Wohlgefühls unter Zuhilfenahme von Kommunikationsmedien, einerseits zu erhalten, andererseits zu überwinden gilt. Überlegungen zu dem sich aus dieser Annahme ergebenden Spannungsfeld der Kommunikation, den Kommunikationsmedien und -möglichkeiten, zu Subjektivität und Differenz sowie den daraus resultierenden Empfindungen finden sich, in einer literarisch - ästhetischen Übersetzung formuliert, bereits bei Jean Paul. Im Feld der Kommunikation tritt der Dualismus von Körperwelt und Geisterwelt, der von Jean Paul in ein dynamisches Spannungsverhältnis der Wechselbeziehung gesetzt wird, in einen Bereich ein, der sich gerade über die reziproke Abhängigkeit zweier differenter Bereiche definiert.[3] So durchzieht das Sprechen der durch den störenden Leib verhinderten Seele[4] bei gleichzeitiger Unentrinnbarkeit deren Koinzidenz den Siebenkäs, wie alle Werke Jean Pauls. Die Frage nach der Aufhebung der Differenzen in ihrem Einvernehmen oder die Frage nach Störungen im Kommunikationsalltag werden, neben der Frage, wer denn nun eigentlich kommuniziert und welche Kommunikationsmedien wann und wie eingesetzt werden können, dezidiert betrachtet und reflektiert, analysiert und modellhaft in das lyrische Welttheater eingesetzt. Dass sich die Frage des Kommunizierens für einen Schriftsteller in besonderer Ausprägung stellt, ergibt sich bereits daraus, dass das geschriebene Buch als Kommunikationsmedium per se alle Bereiche der Kommunikation nicht nur in sich aufnehmen und darstellen kann, sondern sogar kommunikativ den entsprechenden Kontext liefern kann. Die Frage nach der Verbindung vom immateriellen Gedanken mit der Materialität der Kommunikationsmedien berührt dabei stark die anthropologische Debatte[5] des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die einerseits die Stellung des Menschen in der Welt, seine Beziehung zu sich und zur Umwelt diskutiert, andererseits auf die ‚alte’ philosophische Frage, was der Mensch ist, neue, (natur-) wissenschaftlich fundierte Antworten zu geben versucht.[6]

In der vorliegenden Arbeit wird in einem ersten theoretischen Teil das weite Feld der Kommunikation in Jean Pauls Werk eingegliedert und die Verarbeitung des Leib-Seele Problems als basales Element aufgezeigt, wobei im zweiten, eher analytischen Teil gezeigt wird, welchen Lösungsweg Jean Paul hierfür findet und ob zumindest eine der im Siebenkäs vorgestellten Kommunikationsformen als commercium der Dichotomien Materialität versus Immaterialität, Leib versus Seele gelten kann.

Leider ist es nicht möglich, alle Kategorien und Materialitäten, welche nach heutiger Auffassung mit Kommunikation in Zusammenhang stehen, zu behandeln.[7] So wird beispielsweise die ökonomische Komponente der Kommunikation,[8] die Genderfrage,[9] die Autor / Leser Beziehung,[10] oder die rezeptionstheoretischen und -historischen Fragestellungen, wie sie etwa die Konstanzer Schule entworfen hat, nur dort konsultiert werden, wo sie die ästhetische Darstellung der Formen von Kommunikation, die offensichtlich eine Interaktion zweier literarischer Figuren ist, betrifft bzw. zur Stützung der theoretischen Erörterungen dient.

An dieser Stelle möchte natürlich auch ich die Gelegenheit nutzen, mich bei allen zu bedanken, die in der ein oder anderen Form zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt dabei meiner Familie, die mit viel Geduld eine übernächtigte und eine, wenn auch nicht immer physisch so doch manches Mal gedanklich abwesende Ehefrau und Mutter ertragen hat.

Wiechs, den 6. Dez. 2006

"Ich stand [..] ruhig am Feuer und hatte meine Gedanken, die hier zu des Lesers seinen werden sollen"[11]

(7k, S.16)

Kommunikation – Differenz und Einheit, Zirkularitäten.

Das Individuum situiert sich kommunikativ in seiner gesellschaftlichen Umwelt und unterwirft sich damit zwangsläufig der Aufgabe, sich einerseits in den Konventionen und dem Regelsystem der Gesellschaft zu bewegen, sich andererseits aber gerade durch den kommunikativen Akt als individuelles, von allen anderen Mitgliedern des Systems zu unterscheidendes Einzelwesen zu definieren. Damit positioniert sich die Kommunikation im Spannungsverhältnis des harmonischen Miteinanders (denn der Mensch befindet sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Gesellschaft) und der abgrenzenden bzw. konkurrierenden Differenzierung. Ihr obliegt die Aufgabe ein adäquates, die Existenz sicherndes Verhältnis, zwischen diesen diametralen Funktionen der personellen Interaktion herzustellen und so zwischen dem Individuum und der Umwelt zu vermitteln. Die Form der Kommunikation ist dabei weder wohldefiniert, noch greifbar, da sie sich im kommunikativen Akt durch die von den jeweiligen Interaktanten veräußerten Beiträge immer wieder neu und individuell konstituiert. Es eröffnet sich ein virtueller Raum, in welchem in reziproker Abhängigkeit eine potentielle Übereinstimmung zweier Personen stattfinden kann, indem über verschiedene Kanäle[12] eine Verbindung, eine Übereinstimmung, ein Verstehen, ein Konsens in zumindest einem Teilbereich der jeweils individuell generierten Wahrnehmungswirklichkeit herzustellen versucht wird. Dieses Ideal einer harmonischen, zielorientierten Kommunikation der Übereinstimmung fordert aber eine Beseitigung von Herrschaftsverhältnissen, eine Eliminierung von Differenzen und führt letztlich zur Aufhebung der Individualitäten.[13] Diese aus der harmonischen Konzeption von Kommunikation resultierende Nivellierung der Individuen, steht einer weiteren Intention der Kommunikation, der Konstition des Individuums als differentes Einzelwesen über den kommunikativen Akt diametral entgegen. Kommunikation präsentiert sich bereits hier in einer doppelten Mittelposition. Sie soll einerseits zwischen den Einzelindividuen vermitteln, anderseits einen Mittelweg zwischen Anpassung und Individualität austarieren.

In diesen spannungsreichen, paradoxalen Punkt im Aufgabenfeld der Kommunikation, stellt Jean Paul den Protagonisten und Armenadvokaten Firmian Stanislaus Siebenkäs seines Romans Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F.St.Siebenkäs. Als „Held im Roman der deutschen Schule, gleichsam in der Mitte und als Mittler zweier Stände, sowie der Lagen, der Sprachen, der Begebenheiten“, (VS, S.255) tritt er a priori in die Position eines Vermittlers ein und wird damit in akkurat das Aufgabenfeld der Kommunikation gestellt, welches ihr grundlegendstes ist, soll aber zugleich als Held des Romans eine charaktertypologisch festkonstituierte Authentizität verkörpern. Siebenkäs, als Protagonist und Siebenkäs als Roman stehen somit auf allegorischer und tatsächlicher Ebene für die Kommunikation zwischen Autor und Leser.

Mit der vorgenommenen Unterscheidung zwischen Siebenkäs und Siebenkäs, respektive der allegorischen Darstellung und dem real greifbaren Gegenstand, dem Buch, zieht ins Diskursfeld der Kommunikation eine weitere Dichotomie ein, haftet ihr doch, über die zum Kommunizieren nötigen Medien der Begriff der Materialität in gleichem Maße an, wie der der Immaterialität der Gedanken, des Geistes. Die menschliche Kommunikation befindet sich in der prekären Lage beide Seinsbereiche, die physische, wie auch die metaphysische, in einem kaum begreifbaren Akt zu verbinden. Sie gerät geradezu ins Zentrum der anthropologischen Debatte des 18. Jahrhunderts, welche sich in der ästhetischen Auseinandersetzung mit der Kommunikation bei Jean Paul wiederfindet, wobei die, in der Anthropologie zeitweise vorgenommene, distinkte Unterscheidung zwischen Geist, Seele und Körper, ergo der Gedanken und Empfindungen versus dem materiellen Medium der Veräußerung der Vereinigung und Zusammenführung beider Elemente, denn nur so kann Kommunikation zustande kommen, nicht im Wege stehen darf.[14]

In der Vorrede zur zweiten Auflage wird das Spannungsverhältnis zwischen Körper und Geist, zwischen Authentizität und Aufhebung von Individualität implizit thematisiert. Es meldet sich der „Verfasser“ (7k, S.11) in einer, an den Leser gerichteten, Reflexion zu Wort. Gekonnt lamentiert er, dass „er in seinen neuen Auflagen [...] wirtschaften [kann], wie er will, neue Bilder aufhängen und alte umwenden – Gedanken ausquartieren und Gedanken einquartieren – Charaktere dort zu bessern Auftritten und Gesinnungen anhalten und hier zu schlimmern – kurz, er kann in der Auflage tausendmal gewalttätiger haushalten als wie ein Rezensent oder ein Teufel: keiner von beiden merkt es und sagt der Welt ein Wort davon“ (7k, S.11).

Der Verfasser „wirtschaftet“ und „haushaltet“ in den „neuen Auflagen“. Er will sie verbessern mit dem - die Wortwahl weist darauf hin – ökonomischen Ziel des höheren, kategorial materiellen Profits.[15] Dieser stellt sich, so wird deutlich, nur ein, wenn die „Welt,“ also nicht nur Wenige, oder gar ein Einzelner von den „Verbesserungen“ (7k, S.12) Kenntnis erlangt, ergo wenn die Welt das Kommunikationsangebot, und damit auch das Tauschangebot[16] des Verfassers annimmt. Ein möglicher Weg zur relativ flächendeckenden Bekanntmachung und damit potentiellen Verbreitung der Schriften in der Welt sind Rezensionen. Der Rezensent gerät zum erweiterten Kommunikationsmedium des Verfassers, er wird zum Sprachrohr an die Welt, ist jedoch vom Dichter, der lediglich den Input liefert, nicht mehr direkt greifbar. Die für den Autor essentielle ‚gute’ Beurteilung durch den Rezensenten entzieht sich seiner unmittelbaren Kontrolle. Damit ist das Verhältnis des „Verfassers“ zum Rezensenten, respektive zum Leser ein a priori angespanntes, sind die Rezensenten, satirisch als „Kunst richter “ (7k, S.12) bezeichnet, doch nach Ansicht des Verfassers gleichwie niemals zufriedenzustellen, denn „sie fragen erstlich: warum läßt der Mann nicht lieber sein Herz allein reden? Und setzten zweitens, wenn es einer getan, dazu: wie anders und reicher würde sich ein solches Herz vollends durch die Sprachlehre der Kunst und Kritik aussprechen!“ (ebd.) Um dieser weitgreifenden Abhängigkeit zuvor zu kommen, mimt „der Verfasser“ im Vorwort zur zweiten Auflage den Rezensenten[17] und kündigt an, die „größten Verbesserungen“ (7k, S.12), den Fokus auf das Positive der Neuauflage richtend, selbst aufzuführen. Der Berufsstand des Rezensenten wird so zwar akzeptiert - bildet doch gerade der Rezensent die für den Autor existenzielle Schnittstelle in die Werteordnung des gesellschaftlichen Systems - zugleich aber, durch die zugrundeliegende Ironie bzw. satirisch plaktive Nachahmung, wie die folgende Aufzählung dann zeigt, vor allem kritisiert. Die Kritik des Autors begründet sich in der Frage der Bewertung, die als Ermächtigung und damit als Ausdruck der Macht des Rezensenten (welcher nach Ansicht des Verfassers den Gehalt des Geschriebenen erstens nicht er fassen, und daher zweitens nicht zusammen fassen kann), über die niedergeschriebenen Gedanken des Autors ‚zu richten’, aufgefasst wird.

Eine Zusammenfassung und Bewertung des Textes führt zwangsläufig zu dessen Reduktion und damit letzlich zur Verfremdung desselben. Die Kunst der Verfremdung aber ist eine der essentiellsten Eigenschaften des Teufels und so wird der Rezensent mit diesem nicht nur in einem Atemzug genannt, er wird ihm durch die disjunkt und adjunkt zugleich konnotierte Konjunktion „oder“ visuell neben- d.h. gleichgestellt, ihm in gewisser Hinsicht eingeschrieben. Die erfolgte Inkorporation wird im folgenden Teilsatz jedoch sofort wieder abgeschwächt, denn „keiner von beiden “ (7k, S.11, Hervorhebung von mir), die Wortwahl markiert deutlich eine Differenz zwischen Teufel und Rezensent, bemerkt die Veränderungen im Text und „sagt der Welt ein Wort davon“ (ebd.). In diesem angehängten Teilsatz fehlt das Indefinitpronomen „keiner,“ denn nur der Rezensent in persona ist in der Lage, sein Wort an die Welt zu richten. Seine Aufgabe besteht ja gerade darin, der lesenden Gesellschaft von den publizierten Texten in Rezensionen zu berichten. Hingegen der Teufel per se ist hierzu nicht in der Lage, benötigt er doch aufgrund seiner körperlosen, letztlich rein fiktiven Daseinsform, will er der Welt, also den Menschen etwas mitteilen, ein passendes Behältnis, – idealerweise einen menschlichen Körper, in den er eintreten kann. Über die potentielle zumindest temporäre Möglichkeit und die beste Zeit für dieses teuflische Tun wird an anderer Stelle in einer Fußnote informiert. Es ist die Nacht.[18] Die „Rabbinen“ lehren „nemlich, dass aus iedem schlafenden Menschen die Seele austrete, um im Himmel ein Haupthandelsbuch über ihre Handlungen zu führen und zu schreiben: während dieser nächtlichen Entseelung lässt sich der Teufel in den Körper nieder“ (II,2, S.113). Der Mensch wird zur „Schreibmaschine“ (II,2, S.113) des Teufels und der im Menschen temporär inkarnierte Teufel entsteht. Eine gleichwohl vorhandene Differenzierung zwischen Mensch und Teufel aufgrund externer Kriterien ist damit unmöglich geworden und verweist auf die Erkenntnis, dass das individuelle Ego nicht in das Innere, ergo die Gedankenwelt des Anderen ‚hineinsehen’ kann. Lediglich die äussere Hülle ist erkennbar und folglich muss der Andere vom individuellen Ego als grundsätzlich verschieden angesehen werden. Diese, im 18. Jahrhundert diskutierte Differenz der Individuen - die ihren Ausgangspunkt im kantschen Begriff des „Geschmacksurteils“ hat, welcher versucht, die Mitteilungsfähigkeit einer subjektiven, sinnlichen Empfindung allgemein konsensfähig zu machen[19] - und deren selbstbewußte Adaption durch das Individuum die „gesellige und gesellschaftliche Mitteilungsfähigkeit“[20] generiert und motiviert, greift subtil die Thematik der Kommunikation[21] als zentrales und implizit mitgemeintes Element der ästhetischen Diskussion auf. Die Frage, wie sich die subjektive, im individuellen E go verschlossene[22] Einsicht der Welt auf ein differentes ebenso individuelles Alter übertragen lässt, oder „wie [...] ein Geist zum andern Geist [spricht],“[23] wird aktuell, evoziert die Reflexion der Artikulation des Geistes oder der Seele und führt damit wiederum die anthropologische Frage nach dem commercium mentis et corporis ins Feld der Kommunikation ein. Neben die Frage, was vermittelt wird, tritt die Frage wie vermittelt wird – und letzten Endes wie was vermittelt wird, oder werden kann. So ist Luzifer, dem per se eine Immaterialität anhängt, nicht der einzige, der für seine Mitteilungen an die Welt ein materielles Medium benötigt. Auch der Autor ist auf der Suche nach einem Medium zur Kommunikation seiner, bislang noch immateriellen Gedanken und findet es in der Schrift – oder besser: im Schriftkörper. Diese gleichsam in einem Morphismus stattfindende, basalste Eigenschaft des Schreibens, die Überführung des Geistes in den Schriftkörper durch den Schreibkörper und dessen Überführung wiederum in Geist (durch das Lesen) wird von Jean Paul aufgegriffen und unter Hinzunahme ihrer, oft reziproken Abhängigkeiten poetisch reflektiert. Unter dieser Prämisse durchzieht die anthropologische Debatte mit ihren philosophischen, geistigen, medizinischen und naturwissenschaftlichen Hintergründen, gleich einer Aufspaltung in optischer Brechung, mehrfach seine Dichtung.[24] Die Sprache mit ihren poetischen Verfahren wird zum omnipräsenten commercium mentis et corporis, denn die Darstellung der res cogitans bedarf nicht nur der Materialität des sprechenden oder schreibenden Körpers, sondern gelangt im Falle eines Autors durch die Schrift zu einer neuen Materialität, die den Geist unabhängig von der real vorstellig werdenden Person und damit auch post mortem transportieren kann.

Der „Verfasser“ kann in seinem selbstgeschaffenen Kommunikationsmedium,[25] dem schriftstellerischen Werk „der Welt“ de facto mehr als nur „ein Wort“ sagen – oder besser: schreiben. Die Grundlage des geschriebenen Wortes und wichtigste Kommunikationform des Menschen ist die Sprache. Das literarische Werk, das genuine Medium der schriflichen Kommunikation gerät zum potentiellen Medium der fiktionalen Realisierung aller drei Formen der menschlichen Sprache - der akustischen, der visuell-räumlichen und der schriftlichen[26] – in Schrift. Die Crux dabei, dass die akustischen und teilweise auch die visuellen Kommunikationselemente nicht in realer Handlung vorstellig werden, dass man sie nicht sehen und „nicht hören kann, sondern alles nur denken muß.“ (7k, S.158) Bereits der Akt des Schreibens bedeutet demnach mehrfache Reduktion, denn die Sprache reduziert nicht nur das Gedachte durch ihren selektiven Charakter,[27] sie bricht auch die Tat auf Worte herunter. Zudem wird das mehrdimensionale Denken und Empfinden in das lineare Medium Schrift projiziert. Materialistisch gedacht, manifestiert sich der Reduktionscharakter der Schrift als Wechsel der Aggregatszustände. Der flüchtige, agile Gedanke, oder der „Geist“ des Autors[28] (gedacht als Aggregatszustand des Gases), gelangt über den trägeren, greifbareren, formenden Zustand der Wortbildung über die mit flüssiger, schwarzer Tinte schreibende, die Feder führende Hand in einen festen, unveränderlichen (man kann höchstens durchstreichen) Zustand. Der entstandene Text wird dem Leser in der festen Form des Buches präsentiert und ist nun wortwörtlich greifbar – nicht begreifbar. Um ihn begreifbar zu machen, obliegt dem Leser die Aufgabe des Resublimierens. Dem starren Text soll mit dem iterativen Prozeß des Aneinanderhängens von Buchstaben, Worten, Sätzen, etc. begegnet werden, den in toten Buchstaben abgebildeten Worten durch Semiotisierung Leben eingehaucht werden.[29]

Der Text liefert mit den Worten also den im endlichen Zeichen materialisierten „Geist“.[30] Die Dechiffrierung des Geistes über die Zeichen birgt jedoch ihre Tücken, da diese nicht eindeutig definiert sind. „So wie es kein absolutes Zeichen gibt - denn jedes ist auch eine Sache -, so gibt es im Endlichen keine absolute Sache, sondern jede bedeutet und bezeichnet“ (VS, S.182). Das materiell behaftete, endliche Zeichen, das Wort kann vom Individuum also nicht losgelöst von seiner Bedeutung gesehen respektive gelesen werden. Die Bedeutung eines Wortes unterliegt einer Teilung. Der wörtlichen Bedeutung, denn jedes Wort ist zugleich auch „eine Sache“ - und der metaphorischen Bedeutung, denn jede Sache „bedeutet und bezeichnet“ ja wiederum etwas anderes. Dieser Semiotik zufolge ist das Zeichen in sich selbst gespalten und erzeugt daher eine ins Unendliche gehende Nichtidentität mit sich selbst, da in der metaphorischen Bedeutung immer wieder neue Bilder und damit auch Zeichen aufgerufen werden, die dann wieder in ihrer wörtlichen und metaphorischen Bedeutung gesehen werden können und so weiter und so fort. Oder, um Jean Paul sprechen zu lassen: „Endlich muß jedes Bild und Zeichen zugleich auch noch etwas anderes sein als dieses, nämlich ein Urbild und Ding, das man wieder abbilden und bezeichnen kann u.s.f.“ (I,3, S.1024)[31] Damit dem Zeichen überhaupt eine Bedeutung zukommen kann, ist eine Interaktion von Zeichen und Leser notwendig, genauer: um die „toten Buchstaben“ zum Leben zu erwecken, ihnen eine Bedeutung zukommen zu lassen, muss der Leser dem materiellen und daher endlichen Zeichen die Unendlichkeit seiner Phantasie[32] leihen.[33] Beachtet man diesen Doppelaspekt der physischen und metaphysischen Auffassung des Zeichenbegriffs nicht, so kann das Verstehen aufgrund dieses zeichentheoretischen Problems massiv gestört werden.[34]

Über die kategoriale Unterscheidung Geist / Materie der Kommunikation tritt also eine weitere Dichotomie ins weite Feld der Kommunikation ein. Indem die Schrift den Gedanken bekleidet, vollzieht sie den „Übergang der unendlichen Freiheit in die endliche Erscheinung“ (VS, S.208) und wird so zu dessen anschaubaren Äußeren, zur „ Charakter – Maske des verborgenen Ich“ (ebd.). Das „Ich“ aber bleibt hinter der „Charakter – Maske“ in doppeltem Sinn verborgen, denn wie die Buchstaben (character), das anschaubare Äußere (die Maske) einer im Wort verborgenen Bedeutung sind, so verweisen die verschiedenen, vom Dichter anhand der materiellen Medien ideell konstituierten[35] und konstruierten literarischen Charaktere auf das „verborgenen Ich,“ auf das Innere des Menschen und reflektieren damit auch immer wieder die anthropologische Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt, der Mittelposition zwischen der endlichen Erscheinung und dem unendlichen, göttlichen Moment mit.

Dies soll an obigem Beispiel aus der Zweiten Vorrede illustriert werden. Wie gezeigt, übernimmt „der Verfasser“ die Rolle des Rezensenten. Durch mimetische Übernahme der typischen, äußerlich sichtbaren, d.h. offensichtlichen Momente verspottet er ihn - denn „alle Nachahmung war ursprünglich eine spottende“ (VS, S.115) - und erhebt sich dabei in seinem Werk einerseits schöpferisch, andererseits satirisch über jenen. Die Satire ist - ich greife zurück – mit der Teufelssemantik eng verbunden.[36] Die Rollenübernahme des Verfassers, welcher wie der Teufel die Maske des Rezensenten aufsetzt, evoziert nicht nur ein Zusammenfallen von Verfasser und Rezensent im äußeren Erscheinungsbild, sondern zugleich die Analogisierung des Teufels und des Verfassers. Findet die Inkarnation des Teufels im Rezensenten chronologisch vor dem Eintritt des Verfassers statt, so wird letzterer dem „Teufel“ nicht nur gleichgestellt, sondern übertrifft ihn, da er im literarischen Werk nicht nur wie der Teufel, sondern in der mimetischen Übernahme des Rezensenten sogar noch „tausendmal gewalttätiger“ (7k, S.11) wütet. Der Verfasser erhebt sich also nicht nur satirisch über den Rezensenten, er erhebt sich zugleich über den Teufel.[37] Die strukturelle Gleichsetzung von Rezensent, Teufel und Autor wird unterlaufen durch die Multi-Medialität. In geradezu überteuflischer, d.h. genialer oder auch göttlicher (denn nur Gott steht über dem gefallenen Engel Luzifer) Manier verleibt sich der Verfasser beide, Rezensent und Teufel, Realität und Fiktion ein.[38] Diese Genialität ist die Grundvoraussetzung für das Entstehen einer Symbiose der besonderen Art, denn nur durch die Vereinigung von diametral Entgegengesetztem[39] gelingt nach Auffassung Jean Pauls[40] ein poetisches Wunder, welches „weder als Tag- noch als Nachtvogel, sondern als Dämmerschmetterling [fliegt].“ (I,5, S.45)

Damit vertritt die wahre Poesie genau die Maxime der Kommunikation. Gilt doch gerade für die Kommunikation und in ihr für jeden Teilbereich das Postulat des Äquilibrierens, der Zusammenführung zweier differenter Ausformungen einer Kategorie. So wiederholt sich in der Darstellung der Kommunikation durch Jean Paul gerade die ihr zugrundeliegende Struktur, der Versuch der Verbindung zweier differenter Systeme und Ordnungen in ihrem Bestehen. Bei den Kommunikationsmedien etwa findet eine Spaltung in die materiellen Kommunikationsmedien, wie dem Buch, die Buchstaben, die Schrift einerseits und die ideellen Kommunikationsmedien, wie die Figuren, Metaphern,[41] Charaktere andererseits statt, welche dann in Korrelation ein Ganzes entstehen lassen. Durch das Spiel der Multi-Medialitäten[42] entstehen hochkomplexe, schiefe und zirkulär angelegte Kommunikationsverhältnisse, die durch einen hermeneutischen Prozeß, welcher die Möglichkeit zur Aufhebung der endlichen, wie auch der linearen Komponente der Schrift bietet, ein Unterlaufen der jeweilige Aussage ermöglicht,[43] ohne dabei die diversen Lesarten zu negieren. Die Leerstellen, welche durch die im Kommunikationsmedium vorgenommene Reduktion der Komplexität entstehen, erzeugen trotz ihrer offensichlichen Mangelerscheinungen die „Bedingungen der Möglichkeit einer freien poetischen Phantasie.“[44] Die Buchstaben, die „ unwillkürlichen Zeichen“ (I,4, S.203) des „erhabenen Sinn[s],“ (ebd.) zeigen und (re-)produzieren im Kleinen, was ihr natürliches Pendant in der Welt in weitaus größerem Stil praktiziert, denn „unsere Seele schreibt mit vier und zwanzig Zeichen der Zeichen (d.h. mit vier und zwanzig Buchstaben der Wörter) an Seelen; die Natur mit Millionen. Sie zwingt uns, an fremde Ichs neben unserem zu glauben, da wir ewig nur Körper sehen – also unsere Seele in fremde Augen, Nasen, Lippen überzutragen“ (I,4, S.203f.). Damit verweist die Schrift einerseits auf die Differenz von Realität und Fiktion, wie auch auf die Differenz der Interaktionspartner, da alle Sicht auf die Welt vom individuellen Ego gesetzt ist, andererseits auf die Tatsache, dass eben nicht alles eingesehen und damit auch nicht alles veräußert werden kann. Nur durch den Akt des „Beseelens“ (ebd.) der sonst toten Materie durch die Einbildungskraft oder Phantasie des Autor-, wie auch des Leser-Ichs, entsteht eine nunmehr individuelle Vorstellung der Welt und damit eine Grundlage zur Kommunikation. Die Sicht der Welt ist dabei nicht statisch festgelegt, sondern ändert sich wie die wandlungsfähige Seele des Individuums im Laufe der Zeit, denn das Gehirn besitzt die Fähigkeit verschiedene Realitäten zu konstruieren, die je in sich konsistent sein können, so dass es unter gewissen Voraussetzungen unmöglich wird zu erkennen, welche Konstruktion die bessere ist. Da sich die Menschen in einem Ähnlichkeitsverhältnis befinden,[45] denn „in jedem Menschen wohnen alle Formen der Menschheit,“ (VS, S.208) kann der Dichter, in dem „die ganze Menschheit zur Besinnung und zur Sprache“ kommt (VS, S.209), diese „wieder leicht in anderen auf[wecken].“ (ebd.) Ähnlich sind sich die Menschen vor allem darin, dass sie das als Realität wahrnehmen, was sie aufgrund ihrer individuellen Prämissen für real halten. Beseelt also der Dichter die gesehene Materie durch seine Phantasie, so kann dieses Phänomen auch auf jeden Anderen, vom ego natürlich als Körper wahrgenommen, extrapoliert werden. Ein zirkuläres Phänomen ergibt sich. Als Beispiel für den Akt der Beseelung aus der Perspektive des Ichs möge das folgende dienen: „Jetzo sah der Vater mich an und machte etwas aus mir, und als ich die Wiener Briefe [...] als Kreditive vorzeigte, wurd’ ich aus einer stummen Freskopartie an der Komptoirwand etwas, das Geist und Magen hat, und wurde mit letztem zum Abendessen behalten.“ (7k, S.19) Der Vater, gemeint ist der Kaufmann Jakob Oehrmann, repräsentiert, so klärt uns das Vorangegangene auf, symbolisch das Kaufpublikum, den Leib oder im Zuge der Ökonomie die Materialität. In der Folge wird daher angenommen, dass er sich die Welt vornehmlich über Körper konstruiert und demnach vor allem die für jeden sichtbare Materialität der Welt für wahr hält. Der Erzähler vollzieht nun eine Perspektiven-Schleife.[46] Das Erzähler-Ich versucht unter seinen eigenen, individuellen Prämissen gleichsam einen Blick auf sich selbst aus Sicht des als vom Ich körperorientiert angenommenen Kaufmanns. Die erste Wahrnehmung, so stellt sich das Ich vor, ist die Sicht auf das bloße Bild, die „Freskopartie“ des Körpers. Nach der kaufmännischen Absicherung der Weltzugehörigkeit des wahrgenommenen Körpers über die „Kreditive,“ wird dieser mit Geist „beseelt,“ um dann mit sofortiger Rückkopplung auf die Körperhaftigkeit, hier insbesondere die des Magens, in dessen Lebenswirklichkeit eingebunden zu werden, also zum Abendessen behalten. Die Seele des Ichs kann dabei, so postuliert das Ich, aufgrund der angenommenen Fokussierung des Vaters auf die Materialität vom Kaufmann nicht erkannt werden, es wird lediglich an sie geglaubt. Die Seele bleibt gleichsam unerkannt hinter dem Körper verborgen. Paradoxerweise ist es aber gerade der die Sicht auf die Seele verstellende Körper, welcher die einzige Möglichkeit des Ausdrucks des Ich zu den vom ego angenommenen Seelen der Welt bietet.[47] Die materielle Form kann daher nicht vollständig negiert werden.

Ausgedruckt werden die Buchstaben, die manifeste Grundlage der Chiffrierung der Seele, oder wo nicht der Seele doch zumindest der Phantasie des Autors. Die Buchstaben stellen den Ausgangspunkt des Schreibens, mit ihnen werden Worte erzeugt, welche konventionell / gegenständlich und zeichenhaft / metaphorisch aufgefasst werden können. Mithilfe der Worte wiederum werden alle Figuren des Textes, die literarischen wie auch die rhetorischen (hierunter fällt unter vielen anderen auch die Metapher) erschaffen. Die literarischen versinnbildlichen den vom Autor gesetzten Charakter, „welcher alles beseelend verknüpft.“[48] Auch die Buchstaben, deren englische Bezeichnung – und damit schließt sich der Kreis – character ist, bilden verknüpfend den Text.[49] Durch das Verhältnis der Kommunikationsmedien ergibt sich eine Doppelstruktur von Materialität und Immaterialität, welche zusammengenommen ein im endlichen sichtbares (der Text ist wie ein Kreis endlich abgeschlossen) zirkuläres – und daher unendliches (denn es gibt auf der Kreisbahn keinen Endpunkt) – Gebilde entstehen lässt. Im Äquilibrieren zwischen der materiellen und immateriellen Komponente der schriftlichen Kommunikationsmedien wird die Möglichkeit zur Erzeugung der Unendlichkeit über die Phantasie oder Einbildungskraft geschaffen. Somit gerät der Roman in mehrfacher Hinsicht zur „Rennbahn der Charaktere.“ (VS, S.252)

Im Schreibgefäß, hier im Roman Siebenkäs treten also diverse Kommunikationsmedien auf, die sich verschiedener Ausdrucksformen, welche sich oft reziprok aufeinander beziehen und sich nicht selten in einem chiastischen Spiel unterlaufen und verbinden, bedienen. Im komplexen Kommunikationsmodell, welches auf Romanebene vor allem im Diskursort Kuhschnappel[50] mithilfe der dargestellten Figuren und Charaktere verhandelt wird, tritt als weitere Dichotomie die Abgrenzung der Metakommunikation und der verbalen Kommunikation hinzu, wobei in letzterer wiederum die Unterscheidung orale versus literale Kommunikation getroffen werden muss.[51] So erzählt beispielsweise der Erzähler in der in schriftlicher Form vorliegenden „Vor rede“ (7k, S.15; Hervorhebung von mir), „ „dass ich jetzo, teuerste Zuhörerin [Pauline Oehrmann ist hier in wörtlicher Rede angesprochen; S.J.][...], Ihnen die Blumenstücke vor erzählen werde, die ich gar noch nicht einmal zu Papier gebracht [...],““(7k, S.29; Hervorhebung von mir) um sich dann mit folgenden Worten wieder an den Leser zu wenden. „Ich fing also folgender Gestalt an: N.S. Es wäre jedoch lächerlich, wenn ich die ganzen Blumen- und Dornenstücke, da sie schon gleich im Buche selber auftreten, wieder in die Vorrede wollte hereindrucken lassen.“ (ebd.) Diese in doppelter Oralität angekündigte Erzählung liegt „gedruckt“ vor. Der vorgeführte Chiasmus von Mündlichkeit und Schriftlichkeit evoziert einmal mehr die Frage nach der Identität der hier sprechenden und angesprochenen Personen, die durch die Namengebung (die zuhörende Person ist Oehrmanns Tochter -mit dem onomatopoetischen Verweis auf Jean Paul, wie auch auf die paulinische Lehre- Johanne Pauline geheissen) in ein komplexes, auf Similaritäten und Komplementaritäten aufbauendes Spiel der Referenzen verwickelt sind. Denn einerseits fungieren sie als Kommunikationsmedien des Autors, andererseits ist die Vorrede unterschrieben: „Hof, den 7. Nov. 1795. Jean Paul Friedr. Richter“ (7k, S.29). Der „Verfasser“ wird damit dem Autor gleichgestellt, von welchem er als figurative Textinstanz doch unterschieden werden muss. Das systematische Dissoziieren des Namens ‚Jean Paul Friedrich Richter’ führe, so der Vorwurf im Diskursfeld der Goethezeit, zur Verschleierung der Identität und damit zu Unehrlichkeit und Fälschung[52] und evoziert das „Urteil der zeitgenössischen Kritiker, [...] der Name Jean Pauls [könne] nur als „Larve der Anonymität“ gelten, die den Rezensenten dazu verlockt, das Rätsel der wahren Identität zu lüften und damit die Referentialisierbarkeit der ‚Funktion’ Autor zu garantieren.“[53]

Der Name verliert die Möglichkeit der eindeutigen Identifizierung, er gerät zur Metapher. Statt einer Identität kommt ihm eine Bedeutung zu, die in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Kontext gestellt wird. Die Signatur, der „bloße Namen“ (Briefe III, 5, S.22) unterscheidet sich vom literarisch inszenierten „Gebrauch des Namens“ (ebd.). Ist der Name zur Metapher gereift, so lassen sich damit humoristische Spielchen treiben. Der Erzähler der Paligenesien etwa reflektiert über die Namen mit semantischer Bedeutung („z.B. Hofmann, Zimmermann, Seiler, Richter“ (I, 4, S.844)) und die, die „von gar keiner Bedeutung, z.B. Goethe, Herder, Leibniz, Jakobi, Kant!“ (ebd., Hervorhebung von mir) sind. Hier wird über den semantischen Kontext das metonymische Konnotat evaluiert („von gar keiner Bedeutung“!) – und klargestellt, dass der „bloße Name,“ ist er in den öffentlichen Diskurs eingetreten, gar nicht mehr allein, eben als „bloßer Name“ stehen kann. So gerät die Aussage des Erzählers der Paligenesien, er sei „von jeher allen Geschlechtsnamen, die etwas bedeuten feind“ (ebd.), in ein schiefes Licht, zumal Jean Paul selbst in der komfortablen Lage, gleichsam von aller Bedeutung zu sein, nennt er sich doch Richter mit Zunamen, ist. Die Kontextabhängigkeit und die Thematisierungen über die Möglichkeiten der diversen Bedeutungen des Namens weisen darauf hin, besonders wenn man die Namengebung in den Werken betrachtet, dass der Name hinsichtlich des Trägers mit Bedacht und eben auch gerade wegen seines Konnotats gewählt wurde.[54] Ist der Name eine Metapher, so ist er auch immer ein Bedeutungsträger.

[...]


[1] Mario Perinola vertritt die These, dass die Einordnung der heutigen Gesellschaft als ‚Zeitalter der Kommunikation’ nicht mehr haltbar ist. Die Kommunikationsgesellschaft befände sich in einer Auflösung, da sich „die Gegensätze vermischen und durchdringen [...], und je extremer, unerbittlicher und radikaler sich eine Aussage gibt, um so heftiger treibt sie die Gegenaussage hervor, fordert sie heraus. Weil sie beide in einem Kontext stehen, der ihren Gegensatz aufhebt.“ Perinola: Wider die Kommunikation, Berlin, 2005, S.14. Dieses Phänomen mag für ihn Ausdruck einer neuen Generation sein, ist aber bereits so alt, wie die Kommunikation selbst, wobei sich jedoch der Wirkungskreis der Aussagen über die neu zur Verfügung stehenden Medien natürlich beachtlich vergrößert hat. Die beachtliche Zunahme der Möglichkeiten zur Kommunikation führte ja auch zur Namensgebung ‚Zeitalter der Kommunikation’ und nicht die Bewertung des Inhalts. Bei Jean Paul ist das Moment der evozierten Gegenaussage programmatisch angelegt und dementsprechend stark vertreten.

[2] Die populärsten Vertreter sind hier die Systemtheorie von Niklas Luhmann, die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas und die Kommunikationstheorie entwickelt von Watzlawick u.a.. Weitere Modelle und Methoden sind z.B. die Lasswell-Formel, die Informationstheorie (Sender-Empfänger-Modell) von Claude Shannon und Warren Weaver, Two- bzw. Multi-step-flow-Modelle: Kommunikationsmodell nach Lazarsfeld, Kommunikationsmodell nach Katz und Foulkes, Kommunikation als Ausdruck zwischenmenschlicher Bezogenheit F. Rothe und P. Sbandi (2003), Feld-Modell nach G. Maletzke (1963), Dynamisch-transaktionaler Ansatz nach W. Früh und K. Schönbach, 1982, Sechsgliedriges Modell von Roman Jakobson (Linguistics and Poetics, 1960), Konstruktivistisches Kommunikationsmodell (u.a. von Rusch) (1991), Vier-Seiten-Modell (SABS-Modell) oder Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun, u.v.a.m.

[3] Dass für Jean Paul die Differenz von Leib und Geist mit einer deutlichen Tendenz zur Übermacht des Geistes schon relativ früh feststeht, geht auch aus seinem Brief an Pfarrer Vogel vom 16.12.1787 hervor, in dem er schreibt, dass Körper und Geist „schlechterdings gar nicht ähnliches“ haben und die Materie „bloßes Werkzeug“ des Nämlichen sei. Vgl. auch 7k, S.452, dennoch ist er sich darüber im klaren, dass keine Seite von der anderen losgelöst gesehen werden kann. So schreibt er etwa in seinem Alterswerk , Der Komet: „Gestaltet der nackte Geist sich seine Gehirn-Organe? Oder destillieren letzte sich durch Helm und Kolben sich ihren besonderen Geist ab? [...] Dies hiesse aber nur die Aufgaben in zwei Hälften auseinanderrücken, ohne sie doch über irgendeine zu lösen.“ (I,6, S.584)

[4] Auf diesen Dualismus zwischen Körperwelt und Geisterwelt als fundamentale Eigenschaft des jeanpaulschen Denkens wird in der Forschungsliteratur immer wieder hingewiesen. Vgl. W. Proß: Jean Pauls geschichtliche Stellung, Tübingen, 1975, M. Bergengruen: Schöne Seelen, groteske Körper. Jean Pauls ästhetische Dynamisierung der Anthropologie, Hamburg, 2001, M. Schmitz-Emans, Schnupftuchsknoten oder Sternbild, Bonn, 1986; u.v.a.m.

[5] Auf den Zusammenhang des jeanpaulschen Schreibens mit der Anthropologie wurde in der Literatur mehrfach hingewiesen. Als Anstoß dazu gilt die 1975 erschienene Arbeit von Wolfgang Proß, der Jean Paul in das wissenschaftliche Diskursfeld der Zeit einband, und die in dieser Zeit aufgekommene, an der anthropologischen Fragestellung orientierte Richtung der Literaturwissenschaft (v.a. bei Schings, Pfotenhauer u.a.) Inzwischen ist dieses Forschungsfeld gerade im Zusammenhang mit Jean Paul fest etabliert und akzeptiert.

[6] Davon zeugt etwa die, von Ernst Platner (1744 – 1818) herausgegebene „Neue Anthropologie für Ärzte und Weltweise“, Leipzig, 1790, oder die neuen Theorien des Georg Ernst Stahl (1659 – 1734): „Über den mannigfachen Einfluß von Gemütsbewegungen auf den menschlichen Körper“ und andere Schriften (Halle 1695) (ins Deutsche übertragen von J.G. Gellius), Leipzig, 1970, auch die „Philosophische Palingenesie oder Gedanken über den vergangenen und zukünftigen Zustand lebender Wesen“ des Naturwissenschaftlers und Philosophen Charles Bonnet (1720 - 1793).

[7] Nicht umsonst lautet ein Ausdruck des Volksmundes: „Alles ist Kommunikation – Kommunikation ist alles“, welcher durch Theoretiker wie P. Watzlawick („Man kann nicht nicht kommunizieren“), oder N. Luhmann (etwa über die Funktion der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien) durchaus auch im wissenschaftlichen Diskurs zu einer unabsprechlichen Relevanz gekommen ist.

[8] Diese spielt etwa in der Untersuchung des ökonomischen Aspekts der Zirkularitäten bei Caroline Pross eine entscheidende Rolle. Pross, C.: Falschnamenmünzer: Zur Figuration von Autorschaft und Textualität im Bildfeld der Ökonomie bei Jean Paul, Frankfurt a. M., 1997, hier vor allem S.64 - 75

[9] Hierzu vor allem: Elsbeth Dangel-Pelloquin: Eigensinnige Geschöpfe. Jean Pauls poetische Geschlechterwerkstatt, Freiburg, 1999

[10] Hierzu orientiere sich der Leser etwa bei Profitlich, Ulrich: Der seelige Leser. Untersuchungen zur Dichtungstheorie Jean Pauls, Bonn, 1968

[11] Zitate aus dem "Siebenkäs" werden, sofern nicht durch Siglen versehen, unter Angabe der Abteilung in römischen Ziffern, des Bandes in arabischer Schreibweise und der Seitenzahl angeführt aus: Jean Paul: Sämtliche Werke. Band I/2, Lizenzausgabe 2000 für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Hanserverlag, München, 4., korrigierte Auflage 1987.

[12] So unterscheidet etwa Watzlawick zwischen dem Inhalts- und Beziehungsaspekt einer Nachricht, Bühler dagegen ordnet der Sprache die drei Funktionen der Darstellung, des Ausdrucks und des Appells zu, oder F. Schulz von Thun entwickelte, basierend auf dem drei Aspekte Modells Bühlers sowie Watzlawicks Differezierung, ein psychologisches Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation, in welchem vier Seiten der Nachricht: Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell unterschieden werden.

[13] Vertreter dieses vorgestellten Ideals von Kommunikation finden sich in der Aufklärung, etwa bei Lessing. Heute wird diese Form als Idealvorstellung vertreten durch Jürgen Habermas. Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt a.M., 1995

[14] Immer und überall, so scheint es, wird eine der Partialisierung in Leib versus Seele und Geist analoge Unterscheidung eingeführt, nicht ohne Hinweis darauf, dass dies nur modellhaften Charakter für die Erklärung einer Gesamtheit, einer wechselseitigen Abhängigkeit haben kann. Beispielsweise wird das Publikum für welches geschrieben wird zerlegt in das „Kauf-, ins Lese- und ins Kunst-Publikum, wie mehre Schwärmer den Menschen in Leib, Seele und Geist.“ (7k, 16) Klar wird: nur „Schwärmer“ tun dies, Realisten, oder gar Humoristen liegt dieses Tun fern. Auch im strukturellen Aufbau seiner Argumentationsstrategieen wird dieses Verfahren angewandt - in der Vorschule der Ästhetik etwa der gesamte Aufbau, dann die Einteilungen der Romantypen (J.P. unterscheidet im §72 der Vorschule die italienische (=die hohe), niederländische (= „die umgekehrte Höhe“ (VS S.254)) und deutsche Schule der Romankategorie und zwar dergestalt, dass er die deutsche als Zusammenführung der beiden erstgenannten, in Dichotomie aufgebauten, anführt (in die deutsche Kategorie ist auch der Siebenkäs einzuordnen.), oder die Typologie der Charaktere, oder die Aufstellungen über die „Poesie überhaupt“ (Hier wird zwischen den Idealisten (=„poetischen Nihilisten“) und den Materialisten (=„poetischen Materialisten“ (I. Programm §2 u. §3) ) unterschieden, wobei das „äquilibrieren“ zwischen beiden Polen als basales Element miteingezogen wird.). Dies sind nur einige Beispiele für die, wie bei einem Apfelmännchen sich bis ins kleinste Detail unendlich ziehende dualistische Auffassung Jean Pauls. Im Folgenden sind daher die Begriffe Leib und Seele, die auch im Werk Jean Pauls immer wieder anzutreffen sind, weitestgehend als Synonyme zu verstehen.

[15] Zur ökonomischen Komponente der Schrift als Medium des sozialen Tauschverkehrs siehe v.a. C.Pross, Falschnamenmünzer, 1997

[16] Getauscht wird hier die Lektüre, die Geschichte, das Wissen, die aufgeschreibenen Gedanken gegen Geld.

[17] Diese Konstellation wiederholt sich in der Figur des Siebenkäs. Auch er ist zugleich Autor und Rezensent (7k, S.82), ergo in der Lage die Institution Autor in die gesellschaftlich-ökonomische Ordnung einzuführen und somit das Spiel mit der Setzung von Identitäten und den zugehörigen Werturteilen entscheidend mitzuprägen.

[18] Im Roman führt Siebenkäs dementsprechend in nächtlicher Schreibarbeit „die Teufelspapiere“ (7k, S.355) aus. Hier findet ein Verweis auf das Jugendwerk Jean Pauls statt, dessen frühe satirische Schriften mit dem Titel: „Die Auswahl aus des Teufels Papieren“ überschrieben sind. Über diese und ähnliche intertextuell angelegte selbstreferentielle Bezüge, die in jedem Roman Jean Pauls anzutreffen sind, wird eine Vernetzung der Partialstücke in Gang gesetzt, welche auf einen Gesamtzusammenhang, ein Gesamtwerk verweisen.

[19] „Das Geschmacksurteil sinnt jedermann Beistimmung an; und wer etwas für schön erklärt, will, daß jedermann dem vorliegenden Gegenstande Beifall geben und ihn gleichfalls für schön erklären solle. [..] Man wirbt um jedes anderen Beistimmung, weil man dazu einen Grund hat, der allen gemein ist;“ Kant: Kritik der Urteilskraft, Hamburg, 2003, S.95, Herder postuliert, dass das Empfinden des Schönheit nicht losgelöst vom Individuum, aufgrund dessen Bindung an die gesellschaftlichen Normen, wie auch an die Epoche, in der es existiert, gesehen werden kann.

[20] Vgl. Baecker, D.: S.18

[21] Die Wurzeln des heutigen Kommunikationsbegriffs liegen in der antiken Rhetorik, der ästhetischen Theorie im 18. Jhdt., der Marxschen Gesellschaftstheorie des 19. Jhdts und der Freudschen Psychoanalyse des 20. Jhdts. ( Vgl. etwa Baecker, D.: Kommunikation, Leipzig 2005; Perinola, a.a.O.; Luhmann, N.: Aufsätze und Reden, Stuttgart, 2001)

[22] Vgl. John Lo>

[23] Goethe, J.W.v.: Faust I, in: Goethe Werke, Bd. III, S.18; Oder Schiller über die Möglichkeit der Geistererscheinung.

[24] Siehe hierzu vor allem: Proß, Wolfgang: Jean Pauls geschichtliche Stellung, Tübingen, 1975 und Bergengruen, Maximilian: Schöne Seelen, groteske Körper. Jean Pauls ästhetische Dynamisierung der Anthropologie, Hamburg, 2003

[25] Zum Begriff des Kommunikationsmediums siehe Baecker, D.: Kommunikation, Leipzig, 2005, S.90 – 94 sowie Luhman, N.: Aufsätze und Reden, Stuttgart (2001), S.31 – 75.

[26] Hier ist zu unterscheiden zwischen den Wahrnehmungsmöglichkeiten von Sprache an sich und den, etwa von Roman Jakobson in seinem Aufsatz „Linguistics and poetics“ (1960) vorgeschlagenen Modell, nach dem an jeder sprachlichen Mitteilung sechs Funktionen, die referentielle, die poetische, die emotive, die konative, die phatische und die metalinguale Funktion beteiligt sind.

[27] Vgl. Baecker, D.: Kommunikation, Leipzig, 2005

[28] Vgl. etwa auch 7k, S.172

[29] Die hier vorgenommene strenge Unterscheidung von Geist und Körper im Schreibprozess obliegt, die Schreibprozess- Forschung zeigt es, natürlich weitaus komplexeren Strukturen, da sich beim Schreiben nicht einfach ein idealer geistiger Inhalt materialisiert, sondern der Text – mit und durch ihn wird das Denken mitgeprägt durch die materiellen Bedingungen des Schreibens. Das Was des Schreibens ist in der Schreibpraxis daher nur schwer oder gar nicht deutlich abgrenzbar vom Wie des Schreibens. Zum anderen wird in der Sprachphilosophie, spätestens mit Derrida infrage gestellt, ob die klassische aristotelische Sprachphilosophie, wie sie in „De interpretation“ entworfen wird, gültig ist. Bei Aristoteles heisst es: „Es ist nun also das zur Sprache Gekommene Ausdruck von Vorgängen im innern Bewusstsein, so wie das Geschriebene (Ausdruck) des Gesprochenen [ist]. Und so, wie nicht alle die gleichen Buchstaben haben, ebenso auch nicht die gleichen Lautäusserungen; wovon allerdings, als seelischen Ersterfahrungen, dies die Ausdrücke sind, die sind allen gleich, und die Tatsachen, deren Abbilder diese sind, die sind es auch.“ (Aristoteles: De interpretation, 16a 3-8) Jean Paul, der einerseits einen starken Dualismus (geistig vs. körperlich) aufstellt, hinterfragt diesen wiederum über literarische Thematisierungen, Konstruktionen, Ironie und die hochkomplexen Verschachtelungen der aufgestellten Dichotomien. Ausgehend von der theoretischen und modellhaften Gegenüberstellung und Abgrenzung der Seinsbereiche gelangt er zu deren reziproken Abhängigkeiten und somit zur Erkenntnis, dass die rein modellhaften Aufstellungen der Dichotomien immer nur im Zusammenhang mit ihren Mängeln reflektiert werden können und nicht als Abbild der Wirklichkeit stehen können. (Zur oben gen. Schreibprozess – Forschung siehe etwa: Stingelin, Martin: `Schreiben` Einleitung, in: Stingelin, Martin (Hrsg.): „Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum“ Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte, München, 2004, S.7 - 21) .

[30] Vgl. auch M. Schmitz-Emans, die ganz klar die jeanpaulsche Auffassung der Wörter als „Etiketten der Begriffe“, als „Hüllen und Kleider“ und als „Leiber der Gedanken“ analysiert. Hier findet sich auch der Hinweis auf die von Jean Paul thematisierte „Unzulänglichkeit jedes Wortes, [...] jenes ‚Innere’ [d.i. die Seele, S.J.] zu offenbaren.“ (M. Schmitz-Emans: Schnupftuchsknoten oder Sternbild, Jean Pauls Ansätze zu einer Theorie der Sprache. Bonn 1986, S.62)

[31] Derrida nimmt diesen Aspekt der Sprache zum Ausgangspunkt seiner Dekonstruktionstheorie, indem er jedem Signifikat bereits die Position des Signifikanten zuweist.

[32] Dass in der Phantasie die Verbindung des irdischen, endlichen Körpers zur himmlischen Unendlichkeit vorstellig wird, thematisiert ein Gespräch zwischen Siebenkäs und Leibgeber über das Gewitter, „das Beilager des Himmels mit der Erde, des Höchsten mit dem Tiefsten, über die Himmelfahrt des Himmels nach der Erde, wie Leibgeber sagte, [...] und Siebenkäs bemerkte, wie eigentlich nur die Phantasie hier das Gewitter vorstelle oder ausbilde, und nur sie allein das Höchste mit dem Niedrigsten verknüpfe.“ (7k, S.486) Dass ein, zu Papier gebrachter Roman ein Verbindungsstück zwischen Himmel und Erde darstellt wird im Vorwort des Komet, Jean Pauls letztem Roman explizit in der Beschreibung seines Werkes gesagt: (I,6, S.569f.) ...“um alles zurechtzuschneiden und zu leimen zu einem außerordentlichen Papierdrachen, den er als eine Spielsache gegen das elektrische Gewölke wolle zum Scherze, zum Untersuchen und zum Ableiten steigen lassen, wenn der Wind dazu bliese.“ Dieses Zitat birgt in sich die genaue Beschreibung des Versuches von Benjamin Franklin, der um 1750 einen Drachen steigen ließ, um nachzuweisen, dass bei einem Blitz Elektrizität vom Himmel zur Erde fließt. Er zeigte damit auch, dass die himmlische Energie über ein „papiernes“ Verbindungsstück gleichsam kontrolliert zur Erde gebracht werden kann und legte damit den Grundstein des 1752 von B. Franklin erfundenen Blitzableiters. Die Spannung zwischen Himmel und Erde, zwischen Geist und Körper findet so eine Möglichkeit des Ausgleichs, ohne dabei die Accessoires der Erde (und in der Metapher auch die des Körpers) zu zerstören.

[33] Diese Auffassung läßt sich in der Vorschule besonders in der Reflexion über den Witz finden und postuliert eine Interaktion von Text und Leser, die sich ähnlich auch bei W. Iser findet: „In literarischen Werken indes geschieht eine Interaktion, in deren Verlauf der Leser den Sinn des Textes dadurch „empfängt“, daß er ihn konstituiert. Statt der Vorgegebenheit eines inhaltlich bestimmten Codes entstünde ein solcher erst im Konstitutionsvorgang, in dessen Verlauf der Empfang der Botschaft mit dem Sinn des Werkes zusammenfiele. Unterstellt man einmal, daß es sich so verhält, so muß man davon ausgehen, daß die Elementarbedingungen einer solchen Interaktion in den Strukturen des Textes gründet. Diese sind von eigentümlicher Natur. Obwohl sie Strukturen des Textes sind, erfüllen sie ihre Funktion nicht im Text, sondern erst in der Affektion des Lesers. Nahezu jede in fiktionalen Texten ausmachbare Struktur zeigt diesen Doppelaspekt: sie ist Sprachstruktur und affektive Struktur zugleich. Der verbale Aspekt steuert die Reaktion und verhindert ihre Beliebigkeit; der affektive Aspekt ist die Erfüllung dessen, was in der Sprache des Textes vorstrukturiert war.“ Iser, W. : Der Akt des Lesens, München, 1994

[34] Als auffälligstes Beispiel einer mißglückenden Kommunikation aufgrund dieser zeichentheoretischen Grundlage wird im Roman die Konstellation Siebenkäs / Lenette vorstellig.

[35] Welche sich, handelt es sich etwa um eine Autorfigur, wiederum ein Medium schaffen kann. Wird die so entstandene Autorfigur auch noch als Schöpfer eines real existierenden Werkes des Erstautors, so entsteht eine ineinandergreifende Struktur von Autorschaftsbeziehungen, die als Inklusion und zugleich Exklusion ins Unendliche führt. Auch hier wird die Entscheidbarkeit, wer denn nun spricht, aufgrund von assymetischen Kommunikationsverhältnissen unterlaufen.

[36] M. Bergengruen zeigt über das Vergleichsmoment der „mimische[n] Nachäffung“ (I, 5, 115), einer basalen Eigenschaft des Humoristischen, wie auch der Lachkultur des Karnevals im Mittelalter den Zusammenhang von Teufel, Humoristen und den satirischen Werken auf. Denn „wie der Satiriker möchte auch der Teufel die in Besitz genommene Figur lächerlich machen – am liebsten dadurch, daß er sie über die unsterbliche Seele schwärmen läßt, deren Position er längst eingenommen hat.“ Bergengruen, M.: „Schöne Seelen, groteske Körper“ (2003) S.25 - 29

[37] Zur detaillierten Beschreibung der Bedeutung des Teufels in Jean Pauls Oeuvre siehe Schmidt – Biggemann, W.: Maschine und Teufel, Freiburg / München, 1975

[38] Hier wird „der Verfasser“ etwas vereinfachend der juristischen Person des Autors gleichgesetzt. Damit wird für den Moment außer Acht gelassen, daß bereits hier das vom Autor gesetzte Konstrukt Autor in den Roman eingezogen wird.

[39] Im Beispiel die Vereinigung des teuflischen, wie auch göttlichen Moments.

[40] Diese Zusammenführung von Gegensätzlichem wird im Werk Jean Pauls zum Programm. Das semantische Feld der Anthropologie wird zu einer basalen Intention des Werkes. Dies zeigt sich beispielsweise auf (mehr oder minder) theoretischer Reflexionsebene in der „Vorschule der Ästhetik“, in der auf theoretischer Grundlage Dichotomien aufgebaut werden, um später deren Vereinigung herbeizuführen. So gibt es u.a. einen Paragraphen über die „Poetischen Nihilisten“ und einen weiteren über die „Poetischen Materialisten“, um den später auftauchenden Geniebegriff als Wechselspiel beider heranzuziehen.

[41] In der Vorschule wird Bezug auf die Bedeutung der Metapher als Ursprung aller Sprache genommen. Denn „wie im Schreiben Bilderschrift [gemeint sind die Hieroglyphen, die um 1800 als reine Bilderschrift angesehen wurde. Nach der Entzifferung des Rosettasteins (1822) durch Jean-François Champollion wurde diese Auffassung allerdings revidiert. S.J.] früher war als die Buchstabenschrift, so war im Sprechen die Metapher, insofern sie Verhältnisse und nicht Gegenstände bezeichnet, das frühere Wort, welches sich erst allmählich zum eigentlichen Ausdruck entfärben mußte. [...] Daher ist alle Sprache in Rücksicht geistiger Beziehungen ein Wörterbuch erblasster Metaphern“ (VS, S.184)

[42] Nicht umsonst schließt der Begriff des Mediums die metaphysische, wie auch materielle Komponente mit ein.

[43] vgl. hierzu Luhmann, der der Schrift als Zweitcodierung der Sprache die Eigenschaft zuschreibt, die binäre Logik der Sprache zu duplizieren.

[44] G. Lindemann: Fantaisie und Phantasie. Zu einer Szene in Jean Pauls Roman „Siebenkäs“, in: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Text + Kritik. Jean Paul, München 1983

[45] Herder beschreibt in seinem Aufsatz „Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele“ (1778) die Ähnlichkeit des Menschen zu Gott („Was wir wissen, wissen wir nur aus Analogie, von der Kreatur zu uns und von uns zum Schöpfer.“) und antwortet auf den Einwand, ob in dieser „Analogie zum Menschen“ auch Wahrheit sei: „Menschliche Wahrheit gewiß, von einer höheren habe ich, so lange ich Mensch bin, keine Kunde. Mich kümmert die überirdische Abstraktion sehr wenig.“ Jean Paul aber, H. Bosse hat es gezeigt, nimmt keine Gottesähnlichkeit des Menschen an. Bei ihm werden die Analogien vom Menschen, dessen Seele sich von der Welt deutlich unterscheidet, in die Welt getragen. Die Trennung von Seele, bzw. dem Geistigen und dem Körperlichen beginnt schon im Menschen. Wenn die Dinge nur in Hinsicht auf den Menschen existieren, so verwandeln / verformen sie sich unter seinem Blick. Die Analogie liegt daher nicht in der Sache, sondern in der Perspektive des Blicks, dem ‚Point de vue’ begründet. (Vgl. H. Bosse: Theorie und Praxis bei Jean Paul, Bonn, 1970, S.7f.)

[46] Das Spiel mit dem „Point de vue“ erfreute sich im 18. Jahrhundert in den Naturwissenschaften und in der Philosophie besonderer Beliebtheit. Angestoßen durch Galileo Galilei, fortgeführt durch Newton erreichte diese über Leibniz die Philosophie und damit auch die Verarbeitung in der Literatur. Besonders in der satirischen Literatur wurde es üblich, Missstände der Gesellschaft oder Epoche von einem anderen Standpunkt aus zu thematisieren. Etwa aus der Sicht eines Ausländers (Montesquieu: Lettres persanes), oder eines Wilden (Voltaire: L’Ingénu), oder aus Sicht von Zwergen, oder Riesen oder sogar aus der Sicht der Tiere (Swift). Vgl.: K. Simonyi: Kulturgeschichte der Physik, Frankfurt am Main, 1990, S.275 - 390

[47] Der Zusammenhang vom Aussehen des Körpers mit der Beschaffenheit der Seele wurde im 18. Jahrhundert diskutiert. Man halte sich etwa das vierbändige Werk Johann Caspar Lavaters: Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe" (1775-78) vor Augen, in welchem eine ‚Lese’–Anleitung der menschlichen Physiognomie versucht wird, d.h. wie aus den Gesichtszügen und Körperformen Rückschlüsse auf den eigentlichen Charakter eines Menschen abgeleitet werden können.

[48] „Die technische Darstellung eines Charakters beruht auf zwei Punkten, auf seiner Zusammensetzung und auf der Geschicht-Fabel, welche entweder sich an ihm, oder an welcher er sich entwickelt.

Jeder Charakter, er sei so chamäleonisch und buntfarbig zusammengemalt, als man will, muß eine Grundfarbe als die Einheit zeigen, welche alles beseelend verknüpft; ein leibnizsches vinculum substantiale, das die Monaden mit Gewalt zusammenhält. Um diesen hüpfenden Punkt legen sich die übrigen geistigen Kräfte als Glieder und Nahrung an. Konnte der Dichter dieses geistige Lebenszentrum nicht lebendig machen sogleich auf der Schwelle des Eintritts: so helfen der toten Masse alle Taten und Begebenheiten nicht in die Höhe; sie wird nie die Quelle einer Tat, sondern jede Tat schafft sie selber von neuem.“ (VS 224)

[49] Textus (lat.) lässt sich übersetzen mit Gewebe.

[50] Kuhschnappel existiert realiter auf der deutschen Landkarte und ist ein kleiner Ort im Chemnitzer Land (Sachsen). Selbst in der Ortbezeichnung findet folglich eine Vermischung von Realität und Fiktion statt.

[51] Zur Dichotomie von Literalität und Oralität und den entstehenden Definitionsschwierigkeiten bezüglich Materialität und Immaterialität, historischen Hintergründen und die Problematik der Generalisierung siehe auch M. Schmitz-Emans: Schrift und Abwesenheit, München, 1995, S. 462 – 470

[52] Zum Thema „Eigenname“ – „Autorname“ – „Falschname“ siehe die Ausführungen von Caroline Pross im gleichlautetnen Kapitel in: Falschnamenmünzer, a.a.O. S.47 – 51. Gert Ueding sieht im Einsetzen des „Biographen als Kunstfigur in einer Kunstwelt“ und der Behandlung von fiktiven Helden als „wirkliche Personen“ (S.67f.) ein retardierendes Moment der Dichtung Jean Pauls. in: Ueding, G.: Episches Atemholen – Über Jean Pauls widerspenstiges Erzählen, Weimar, 2004

[53] Pross, Caroline: Falschnamenmünzer, a.a.O. S.51

[54] Man betrachte etwa die Namen des Zwillingspaares Walt und Vult (in der mit Vult = Quod deus vult die lateinische Form von Gottwalt angesprochen wird), oder das Schulmeisterlein Wutz, dessen Name vom oberfränkischen Ausdruck für Schwein abstammt und damit das Schulmeisterlein als „Idyllentier“ in Anlehnung an Herders Differenzierung von Tier und Mensch über Sphären, in der die Tiere, eben im Gegensatz zum Menschen auf eine untere Sphäre beschränkt sind, wie auch unter Inbezugnahme des §73 der Vorschule, die die „Idylle als Vollglück in der Beschränkung“ (VS, S.168) ausweist, verweist. Oder gerade der Name Leibgeber, der als personifizierte Metapher auftritt und damit seine Bedeutung wortwörtlich trägt. Auch dass der Tausch des Namens im Siebenkäs nicht nur den Austausch eines äußerlichen Signums bedeutet, sondern viel tiefer motiviert ist, läßt die These, daß der Name „ohne Bedeutung“ ist nicht zu.

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Formen der Kommunikation in Jean Pauls Roman "Siebenkäs"
Hochschule
Universität Basel
Note
6,0 (= 1,0 dtsch. Notensystem)
Autor
Jahr
2006
Seiten
90
Katalognummer
V233196
ISBN (eBook)
9783656503606
ISBN (Buch)
9783656504054
Dateigröße
851 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jean Paul, Kommunikation, Siebenkäs, Hohe Seelen
Arbeit zitieren
Simone Jordan (Autor:in), 2006, Formen der Kommunikation in Jean Pauls Roman "Siebenkäs", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233196

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