Die deutsche Regierung und die Irakkrise - Ist die deutsche Außenpolitik noch multilateral?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Rahmen
2.1 Der Begriff des Multilateralismus
2.2 Multilateralismus und deutschen Außenpolitik im Diskurs

3. Deutsche Außenpolitik in der Irakkrise
3.1 Auswahl der Reden und Methodik
3.2 Die Position der Bundesregierung

4. Ist die deutsche Außenpolitik noch multilateral?

5.Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis
6.1 Ausgewählte Reden des Bundeskanzlers und Bundesaußenministers
6.2 Sekundärliteratur
6.3 Sonstige Quellen

Einleitung

„Wir haben versucht, den Krieg zu verhindern. Bis zur letzten Minute. Ich bin sicher: Es hätte einen anderen Weg zur Entwaffnung des Diktators gegeben, den Weg der Vereinten Nationen. "

So fasste Bundeskanzler Schröder die deutschen Bemühungen um eine friedliche Beilegung der Irakkrise am 20. März 2003[1], nach Ausbruch der Kampfhandlungen zusammen.

Der 20. März markiert den Endpunkt einer Debatte die sich seit dem Sommer des Jahres 2002 in vielerlei Hinsicht die Weltpolitik beeinflusste. Die Debatte hat eine tiefe Kluft in den deutsch-amerikanischen, den europäischen und euroatlantischen Beziehungen geöffnet. Die vorliegende Arbeit fragt nun nach der Form der deutschen Außenpolitik, konkret: Ist die deutsche Haltung noch im Rahmen des so oft als Kennzeichen deutscher Außenpolitik gebrauchten Multilateralismus?

Im einem ersten Schritt soll zunächst der Begriff Multilateralismus allgemein und im Bezug auf die deutsche Außenpolitik umfassend erläutert werden.

Der zweite Abschnitt widmet sich der Darstellung der Position der deutschen Regierung und die Argumente die sie stützen. Anhand ausgewählter Reden deutschen Regierungsvertreter werden diese Aspekte herausgearbeitet und offengelegt.

Im Anschluss daran versucht diese Arbeit Multilateralismus als Konzept und die Regierungsposition abzugleichen und hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit zu bewerten.

In einer abschließenden Betrachtung am Ende soll der Versuch unternommen werden die oben aufgeworfene Frage nach der Form der deutschen Außenpolitik aus der Bewertung und dem internationalen Kontext heraus zu beantworten.

2. Theoretischer Rahmen

2.1 Der Begriff des Multilateralismus

In der Literatur werden dem Begriff des Multilateralismus zwei Dimensionen zugeordnet[2]. Zum einen bezeichnet er eine Form der Interaktion zwischen Staaten in den internationalen Beziehungen. Zum anderen wird Multilateralismus als Kennzeichen der nationalen Außenpolitik von Staaten aufgefasst. Diesen zwei Sichtweisen von Multilateralismus liegen zudem unterschiedliche Schwerpunkte im Begriffsverständnis zu Grunde.

"...the practice of coordinating national policies in groups of three or more states" (Keohane 1990: S.731)[3].

Robert Keohane (1990) stellt in dieser Definition insbesondere auf die Zahl der Akteure ab. Multilateral wird somit gegenüber bilateral und unilateral abgegrenzt. Die Form der Beziehung zwischen den Akteuren bleibt allerdings offen. Implizit wird also dem Multilateralismus auch keine spezielle Form zugeordnet.

Eine andersartige Annäherung findet sich bei John G. Ruggie (1993)[4].

„... multilateralism refers to coordinating relations among three or more states in accordance with certain principles. “ (Ruggie 1993: S.8).

Für Ruggie stellt sich Multilateralismus also primär anhand einer speziellen Form der Beziehung dar. Multilaterale Koordination der Beziehungen von Staaten liegt im Sinne von Ruggie nur vor, wenn sie sich an gemeinsam akzeptierten Prinzipien orientiert. Die Zahl der beteiligten Staaten bleibt eine notwendige, aber wohlgemerkt, nicht hinreichende Bedingung.

Zur Ausgestaltung gemeinsamer Prinzipien schreibt Baumann (2001) in Anlehnung an Ruggie:

„Multilateralismus basiert für ihn [Ruggie] auf allgemeinen Verhaltensprinzipien, die verhindern sollen, dass der stärkere Partner den oder die schwächeren ausnutzt, so wie dies beim Bilateralismus häufig der Fall sei.“(R. Baumann 2001: S. 5)

Der Kern des Multilateralismus bleibt für Ruggie somit die Existenz von Verhaltensnormen, die gleichberechtigte, institutionalisierte Interaktion zwischen Staaten ermöglicht.

James A. Caproso (1993)[5] kennzeichnet Multilateralismus als eine institutionelle Form .

„...the institution of multilateralism is distinguished from other forms by three properties: indivisibility, generalized principles of conduct and diffuse reciprocity.” (James A. Caproso 1993: S. 53)

Multilateralismus, so Caproso, zeichnet sich durch Unteilbarkeit des Gegenstandes, die Existenz von Verhaltensnormen und diffuse Reziprozität[6] aus. Unteilbarkeit des Gegenstandes versteht Caproso als generelle, kollektive Betroffenheit aller Beteiligten, als Interdependenz[7]. Caproso und Ruggie kennzeichnen den Multilateralismus in Anlehnung an Keohane (1990) als Ausgestaltungsform einer internationalen Institution. Baumann (2001)[8] und von Bredow (1996)[9] betonen zusätzlich, dass multilaterale Beziehungen und bilaterale Beziehungen einander nicht zwingend gegenüberstehen, oftmals multilaterale Beziehungen sogar auf bilateralen aufbauen.

Die dargestellten Definitionen zeichnen Kriterien vor, die eine Kennzeichnung multilateraler Außenpolitik aus dieser theoretischen Perspektive ermöglichen. Diesen Kriterien soll bei der Bewertung der deutschen Außenpolitik im vierten Abschnitt gefolgt werden.

2.2 Multilateralismus und deutschen Außenpolitik im Diskurs

Seit Mitte der 1990er Jahre besteht in der deutschen Politikwissenschaft eine bisher offene Debatte über die Ausgestaltung der Außenpolitik des wiedervereinigten Deutschlands[10]. Dem gegenüber wurden und werden Regierungsvertreter, sowohl der schwarz-gelben als auch der rot-grünen Koalition, nicht müde den multilateralen Charakter der deutschen Außenpolitik zu betonen; wenn auch freilich nur solange sie - eben diese - Regierungsvertreter stellten oder stellen.

Die Positionen in der wissenschaftlichen Debatte zeigen zwei grundsätzliche Stränge auf[11]. Weitgehend einig bleiben die Vertreter der verschieden Ansätze in der Kennzeichnung der deutschen Außenpolitik als multilateral. Wenngleich ihre Zugänge und Ausdrucksweisen theoretisch oder in Analogie zu Krell (2000)[12] „weltbildlich“ geprägt bleiben[13].

Zum einen ist dies der Ansatz einer verstärkten Interessenvertretung[14] Deutschlands in der internationalen Politik. Die Wiedervereinigung bedeutet aus dieser Sicht einen Zugewinn an Macht nicht zuletzt durch die Erlangung vollständiger, normaler Souveränität[15]. Multilateralismus, so Christian Hacke (1996)[16], war eine erfolgreiche Strategie der Vertretung deutscher Interessen im Spannungsfeld ökonomischer und sicherheitspolitischer Interdependenz. Mit dem Machtzuwachs und dem Wegfall der bipolaren Weltordnung steht die deutsche Außenpolitik am Beginn des 21. Jahrhunderts vor neuen Herausforderungen. „Zentrale Macht Europas“, schreibt Hans-Peter Schwarz (1994), die sich ihrer Rolle noch nicht bewusst und deren Außenpolitik nicht ausreichend auf diese neue Situation eingestellt ist[17]. Wohlgemerkt bleibt Interessenvertretung in diesen Argumentationen überwiegend mit dem Begriff „maßvoll“[18] verknüpft und die Integration Deutschlands in internationale Organisationen wird als Erfolg einer multilateralen Außenpolitik gewertet[19] Multilateralismus bleibt aus dieser Perspektive, die vornehmlich neorealistisch geprägt ist, eine Strategie der interessengeleitenden Einflusssicherung, wohlgemerkt die entscheidende, aber eben nur eine mögliche Strategie unter vielen.

Ein zweiter Argumentationsstrang steht einer verstärkten Orientierung der deutschen Außenpolitik an nationalen Interessen kritisch gegenüber. Zwar werden nationale Interessen Deutschlands nicht verleugnet, eine explizite Betonung dieser in der deutschen Außenpolitik wird aber weitestgehend als kontraproduktiv angesehen. Die feste Integration Deutschlands in multilaterale Organisationen wird als bester Garant für deutsche Interessen beurteilt[20]. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten wird somit vornehmlich als Zuwachs an Verantwortung gesehen, eine Zugewinn an Macht tritt dagegen in den Hintergrund, er wird sogar von einigen Vertretern bestritten[21]. Verantwortung hat aus dieser Perspektive zahlreiche Dimensionen.

Helga Haftendorn (1994)[22] betont, dass eine Fortführung und Vertiefung der europäischen und euroatlantischen Kooperation einerseits dieser Verantwortung gerecht wird, anderseits aber auch die Interessen Deutschlands bestmöglich fördert. Karl Kaiser und Hanns W. Maull (1994)[23] treten für eine vertiefte Einbettung deutsche Außenpolitik in „multilaterale Kooperationszusammenhänge“[24] ein. Nationales Interesse und internationale Verantwortung sind aus ihrer Sicht eng miteinander verbunden, wobei sie betonen, dass Kooperationszusammenhänge „zwar auf kompatiblen, aber keineswegs auf identischen Interessenprofilen beruhen“[25]. Karl Kaiser (1999)[26] stellt zudem noch heraus, dass bereits in der Definition nationaler Interessen, Interessenprofile von Partnern mit einfließen müssen, um multilaterale Kooperation möglich zu machen. Ernst-Otto Czempiel (1999)[27] verdeutlicht schließlich Deutschlands Rolle als Zivilmacht und damit ihr Interesse an einer weiteren multilateralen Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der nationalen und ethischen Konflikte der 1990er Jahre. Andrei Markovits und Simon Reich (1997)[28] verdeutlichen die Rolle des Multilateralismus als vertrauensbildende Selbstbindung deutscher Außenpolitik, die einem Misstrauen gegenüber dem vereinigten Deutschlands entgegenwirkt.

[...]


[1] Bulletin der Bundesregierung Nr. 25-1 vom 20. März 2003.

[2] Baumann, Rainer 2001: Der Wandel des deutschen Multilateralismus. Verschiebungen im außenpolitischen Diskurs in den 1990er Jahren. Beitrag für die Zweite Arbeitstagung der Ad-hoc-Gruppe "Ideelle Grundlagen außenpolitischen Handelns" (IGAPHA) der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) S.4.

[3] Keohane, Robert O. 1990: Multilateralism. An Agenda for Research. In: International Journal 45, 731-764.

[4] Ruggie, John Gerard (Hrsg.) 1993: Multilateralism Matters. The Theory and Practice of an Institutional Form. New York.

[5] Caporaso, James 1993: International Relations Theory and Multilateralism. The Search for Foundations. In: John Gerard Ruggie (Hrsg.): Multilateralism Matters. The Theory and Practice of an Institutional Form, New York. S. 51-90.

[6] Zu diffuser Reziprozität vgl Keohane (1990).

[7] Caproso (1993) S. 56.

[8] Baumann (2001) S. 6.

[9] von Bredow, Wilfried 1996: Bilaterale Beziehungen im Netzwerk regionaler und globaler Interdependenz. In: Karl Kaiser/Joachim Krause (Hrsg.): Deutschlands neue Außenpolitik, Band 3: Interessen und Strategien, München, S.115.

[10] Peters, Dirk 2000: Discourse analysis. In: Rittberger, Volker (Hrsg) 2000: German Foreign Policy since Unification. Theories and Case Studies. Manchester S. 11.

[11] Peters, Dirk 2000 S.11-13

[12] Krell, Gert 2000 Weltbilder und Weltordnung. Eine Einführung in die Theorie der internationalen Beziehungen. Baden-Baden.

[13] Peters 2000 S. 30 u32.

[14] Peters 2000 S.12.

[15] Hacke, Christian 1996: Nationales Interesse als Handlungsmaxime für die Außenpolitik Deutschlands. In: Karl Kaiser/Joachim Krause (Hrsg.): Deutschlands neue Außenpolitik, Band 3: Interessen und Strategien. München, S..3.

[16] Hacke 1996 S 7ff.

[17] Schwarz, Hans-Peter 1994a: Die Zentralmacht Europas. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne. S.8f

[18] vgl. Hacke 1994.

[19] Peters 2000 S.15.

[20] Baumann 2001 S.6.

[21] Brühl, Walter1994 Gesellschaftliche Grundlagen der Deutschen Außenpolitik In: Kaiser, Karl/Maull, Hanns W. (Hrsg.): Deutschlands neue Außenpolitik, Band 1: Grundlagen. München, S. 179.

[22] Haftendorn, Helga 1994: Gulliver in der Mitte Europas. Internationale Verflechtung und nationale Handlungsmöglichkeiten. In: Kaiser, Karl/Maull, Hanns W.(Hrsg.): Deutschlands neue Außenpolitik, Band 1: Grundlagen, München, S. 139ff.

[23] Kaiser, Karl/Maull, Hanns W. (Hrsg) 1994: Deutschlands neue Außenpolitik, Band 1: Grundlagen, München: Oldenbourg, S.XVIIIf.

[24] Kaiser, Karl /Maull, Hanns W 1994 S XXIV

[25] Kaiser, Karl /Maull, Hanns W 1994 S XXIV

[26] Kaiser Karl 1999: Die neue Weltpolitik: Folgerungen für Deutschlands Rolle In: Kaiser, Karl/Schwarz Hans–Peter (Hrsg) 1999: Weltpolitik im neuen Jahrhundert S.602f

[27] Czempiel, Ernst-Otto 1999: Kluge Macht. Außenpolitik für das 21. Jahrhundert. München, S.14f, S.234.

[28] Markovits, Andrei S./Reich, Simon 1997: The German Predicament: Memory and Power in the New Europe. Ithaca. S.10f.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die deutsche Regierung und die Irakkrise - Ist die deutsche Außenpolitik noch multilateral?
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Multilateralismus als Methode außenpolitischen Handelns
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
27
Katalognummer
V23351
ISBN (eBook)
9783638264891
ISBN (Buch)
9783638647885
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Regierung, Irakkrise, Außenpolitik, Multilateralismus, Methode, Handelns
Arbeit zitieren
Daniel Riechmann (Autor:in), 2003, Die deutsche Regierung und die Irakkrise - Ist die deutsche Außenpolitik noch multilateral?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23351

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